Wettbewerbsrechtliche Ansprüche trotz DSGVO
Mit Urteil vom 21.03.2019 entschied das Oberlandesgericht München, dass unaufgeforderte Telefonanrufe durch Mitbewerber wettbewerbsrechtlich abgemahnt werden können. Die datenschutzrechtlichen Regelungen der DSGVO schließen derartige Ansprüche nicht aus.
Gilt bei unerlaubter Werbung Wettbewerbsrecht oder Datenschutzrecht?
Beide Parteien waren Energieversorgungsunternehmen, die in einem Wettbewerbsverhältnis standen. Sie stritten über die Zulässigkeit von Telefonanrufen zu Werbezwecken. Die Klägerin machte wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche gegen die Beklagte wegen unerlaubter Telefonanrufen bei ihren Kunden geltend. Die Kunden hätten vorher nicht in derartige Anrufe eingewilligt. Die Beklagte wurde daraufhin verurteilt, solche Anrufe zu unterlassen. Eine hiergegen eingelegte Berufung wurde zurückgewiesen. Später rief die Beklagte eine Kundin der Klägerin ohne vorherige Einwilligung an und bot ihr einen Lieferantenwechsel an. Wegen dieses Verstoßes gegen das vorherige Urteil ging die Klägerin wiederum gerichtlich gegen die Beklagte vor. Die Vorinstanz verurteilte die Beklagte es zu unterlassen, Verbraucher zu Werbezwecken anzurufen, ohne dass diese ausdrücklich hierzu eingewilligt hätten. Hiergegen legte die Beklagte Berufung ein.
Werbeanrufe ohne Einwilligung stellen unzumutbare Belästigung dar
Das OLG München entschied, dass die Anrufe eine unzumutbare Belästigung der Verbraucher dargestellt hätten. Denn die Werbeanrufen seien ohne vorherige ausdrückliche Einwilligung der Kunden erfolgt.
Regelung zur unzumutbaren Belästigung nach UWG ist unionskonform
Weiterhin urteilte das Gericht, dass die zugrundeliegende wettbewerbsrechtliche Regelung (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG) in Deutschland mit Unionsrecht in Einklang stehe. Dies sei bereits höchstrichterlich festgestellt worden. Das EU-Recht (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation) erlaube ausdrücklich mitgliedsstaatliche Regelungen, nach denen Telefonwerbung ohne Einwilligung des betroffenen Teilnehmers nicht gestattet sei (sog. „opt-in“). Von dieser Regelungsmöglichkeit habe der deutsche Gesetzgeber Gebrauch gemacht. Später seien zwar die Regeln über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen vollständig harmonisiert worden. Nun werde als „unlauter“ allein das hartnäckige und unerwünschte Ansprechen von Kunden über Telefon, Fax, E-Mail oder sonstige Medien angesehen. Das genannte EU-Recht behalte daneben aber seine Gültigkeit. Somit seien Kunden vor unverlangt auf elektronischem Wege zugesandte Werbung geschützt.
Wettbewerbsrechtliche Ansprüche aufgrund Werbeanrufe weiterhin möglich
Das Gericht entschied zudem, dass die Klägerin als Mitbewerberin hinsichtlich des geltend gemachten Unterlassungsanspruchs anspruchsberechtigt sei. Der Ansicht, wonach die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation abschließend sei und daher Mitbewerbern Verstöße nicht aus eigenem Recht erfolgen können, sei nicht zu folgen. Dies sei bereits höchstrichterlich festgestellt worden. Die Richtlinie gebe kein geschlossenes System zur Regelung von Unterlassungsklagen vor. Vielmehr solle dadurch ein grenzüberschreitendes Vorgehen von Verbraucherschutzverbänden bei innergemeinschaftlichen Verstößen ermöglicht werden. Zudem hindere die Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht daran, Bestimmungen zu erlassen oder beizubehalten, die qualifizierten Einrichtungen sowie sonstigen betroffenen Personen auf nationaler Ebene weitergehende Rechte zur Klageerhebung einräumen. Bereits daher lasse sich nicht ableiten, dass der Beklagten die erforderliche Klage- und Anspruchsbefugnis fehle.
Keine Vorrangwirkung der DSGVO
Auch habe sich an der Befugnis der Klägerin, als Mitbewerberin derartige Ansprüche durchzusetzen, mit Inkrafttreten der DSGVO nichts geändert, so das OLG weiter. Die derzeit noch offene Frage, ob Mitbewerber bei Verstößen gegen die Bestimmungen der DSGVO aktivlegitimiert seien, sei vorliegend nicht unmittelbar einschlägig. Denn hier stehe ein Verstoß gegen das wettbewerbsrechtliche Verbot der unerlaubten Telefonwerbung zur Debatte. Dabei handele es sich um einen anderen Streitgegenstand als bei der Geltendmachung von Verstößen gegen die DSGVO. Das Gericht habe auch keine Veranlassung, die Frage der Aktivlegitimation aufgrund der DSGVO abweichend von den bereits dargestellten höchstrichterlichen Grundsätzen zu beurteilen. Dass die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation gegenüber der DSGVO zurückzutreten habe, lasse sich weder dem Verordnungstext, noch dem Willen des Verordnungsgebers entnehmen. Vielmehr kämen beiden Vorschriften im Rahmen ihres Regelungsgehalts nebeneinander zur Anwendung. Ein Vorrang der DSGVO im Sinne einer „Vorwirkung“ lasse sich auch nicht mit der im Gesetzgebungsverfahren befindlichen ePrivacy-Verordnung begründen.
Oberlandesgericht München, Urteil vom 21.03.2019, Az. 6 U 3377/18