Patient hat einen Anspruch auf Auskunft über die Anschrift eines Mitpatienten
Der Bundesgerichtshof hat im Juli 2015 geurteilt, dass ein Patient, dem im Krankenhaus von einem anderen Patienten eine Körperverletzung zugefügt worden war, einen Anspruch darauf hat, vom Krankenhaus den Namen und die Anschrift des Schädigers zu erhalten. Das berechtigte Interesse des Geschädigten wiegt schwerer als das Datenschutzinteresse des Schädigers.
Im verhandelten Fall ging es um einen minderjährigen Kläger, der am 2. November 2012 im Krankenhaus einen Armbruch erlitten hatte. Dieser war nach seiner Aussage die Folge einer Misshandlung durch einen anderen Patienten, der ebenfalls in der Fachklinik für Kinder und Jugendliche lag. Die beiden Jugendlichen waren im selben Zimmer untergebracht und kamen nicht miteinander aus. Laut Aussage des Klägers habe er der Klinikleitung vor dem Vorfall mitgeteilt, dass er mit dem anderen Patienten nicht zurechtkomme. Der Mitpatient habe ihm den Arm dadurch gebrochen, dass er mit voller Kraft eine Tür gegen ihn geschlagen habe.
Um seinen Schadensersatzanspruch durchsetzen zu können, benötigte der Kläger die Anschrift des Mitpatienten. Die Verwaltung der Fachklinik hatte aber jede Auskunft verweigert. Es handele sich um personenbezogene Daten, die aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht nicht herausgegeben werden dürften. Die beklagte Klinik fürchtete nach eigener Aussage strafrechtliche Konsequenzen in dem Fall, dass es die Adresse des Patienten aushändigte. Außerdem sei überhaupt nicht klar, ob der andere Patient überhaupt die Verletzung verursacht habe.
Zwei Vorinstanzen hatten der Klage des geschädigten Patienten bereits stattgegeben. Die Klinik hatte gegen das Urteil der ersten Instanz Berufung eingelegt, die aber erfolglos geblieben war. Da eine Revision zulässig war, ging die Beklagte in Revision zum Bundesgerichtshof, der diesen Fall endgültig im Sinne des Klägers entschied.
Der BGH wies die Revision zurück, das Berufungsgericht habe korrekt geurteilt. Der Kläger habe ein Anrecht auf Nennung der Adresse des Mitpatienten, denn die Fachklinik habe gegenüber ihren Patienten ein besonderes Fürsorgerecht. Aus dem abgeschlossenen Behandlungsvertrag folge die Nebenpflicht, dem Kläger bei der Geltendmachung von Ansprüchen gegen einen Mitpatienten behilflich zu sein. Da das Auskunftsersuchen des Patienten nach § 34 Strafgesetzbuch berechtigt sei, müsse die Klinik auch nicht befürchten, dass sie gegen die Regelungen des Datenschutzes verstoße.
Dem Kläger sei zwar der Name des Schädigers bekannt gewesen, er habe aber auf anderem Wege nicht an dessen Adresse gelangen können. Insbesondere sei die „rechtliche Sonderbeziehung“ zwischen den Streitparteien zu beachten. Der Kläger als stationär behandelter Patient der Klinik kam laut Vertrag in den Genuss einer ärztlichen Behandlung und von Unterkunft und Verpflegung. Da der Patient noch minderjährig sei, ginge damit eine besondere Fürsorge- und Obhutspflicht einher. Schon daraus ergebe sich ein Auskunftsanspruch des Klägers, der ein erkennbares Interesse an dieser Auskunft habe. Ob die Körperverletzung so abgelaufen sei wie vom Kläger geschildert, sei nicht vom Beklagten zu entscheiden gewesen. Derartige Überlegungen seien nur Mutmaßungen, eine Entscheidung darüber sei erst zukünftig von einem Gericht zu fällen.
Auch die Frage des Datenschutzes wurde nach Meinung des BGH von den Vorinstanzen korrekt eingeschätzt. Zwar sei die Übermittlung von Patientendaten normalerweise verboten. Dies gelte aber nicht, wenn die Rechtsinteressen des um Auskunft Ersuchenden dieses Geheimhaltungsinteresse wesentlich überwiegen. Das Recht des Klägers, einen Schadensersatzanspruch gegen seinen Mitpatienten geltend zu machen, überwiege in diesem Fall eindeutig das Interesse des Schädigers auf Geheimhaltung seiner Adresse.
Der BGH hat mit seinem Urteil deutlich gemacht, dass im Falle einer Straftat der Betreiber einer Klinik nicht unter Berufung auf die Schweigepflicht aus der Verantwortung für die ihr anvertrauten Patienten entlassen werden kann. Wenn ein Patient Opfer einer Straftat wird, hat das Krankenhaus selbstverständlich die Pflicht, die Strafverfolgung oder die Beschreitung des Klageweges zu ermöglichen.
BGH, Urteil vom 09.07.2015, Az. III ZR 329/14