Heimliche Durchsuchung des Spind
Ein Arbeitnehmer, der seinen Arbeitgeber bestiehlt, riskiert die fristlose Kündigung. Allerdings muss der Arbeitgeber auch bei einem begründeten Verdacht die Verhältnismäßigkeit der Mittel wahren und darf nicht übergriffig werden, zum Beispiel, indem er selbst eine Gesetzesübertretung begeht. Beweismittel, die unter Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Verdächtigen gesichert wurden, verlieren sonst ihre Beweiskraft, da sie vor Gericht nicht anerkannt werden.
In einem vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) verhandelten Fall, hegte eine Arbeitgeberin einen konkreten Diebstahlverdacht gegenüber einem ihrer angestellten Verkäufer. Um diesen Verdacht durch Beweise zu erhärten, durchsuchte die Arbeitgeberin den verschlossenen Spind ihres Mitarbeiters während dessen Abwesenheit. Im Laufe der Durchsuchung, bei der ein Mitglied des Betriebsrats zugegen war, wurde aus dem Laden der Arbeitgeberin entnommene und nicht bezahlte Damenunterwäsche gefunden. Dies nahm die Chefin zum Anlass, Strafanzeige zu erstatten, in deren weiterem Verlauf es zu einer Durchsuchung der Wohnung ihres Angestellten kam. Diese blieb allerdings, ebenso wie eine zweite Inspektion des Spinds, ergebnislos. Einer im Vorfeld der Wohnungsdurchsuchung angekündigten Taschenkontrolle hatte sich der Verkäufer unter nicht geklärten Umständen entziehen können. Obwohl Hausdurchsuchung und erneute Spindkontrolle kein belastendes Material zutage förderten, kündigte die Arbeitgeberin dem Verkäufer aufgrund der im Zuge der ersten Spinddurchsuchung gewonnenen Erkenntnisse fristlos, hilfsweise fristgerecht.
Der Arbeitnehmer (fortan als Kläger bezeichnet), zog darauf vor das zuständige Arbeitsgericht (AG) in Offenbach und erhob dort Kündigungsschutzklage. Sowohl das Offenbacher AG als auch die nächste Instanz, das Landesarbeitsgericht Hessen (LAG) gaben der Klage statt. Nachdem auch das LAG die Spinddurchsuchung als unverhältnismäßig eingestuft und die Kündigung deswegen für unzulässig erklärt hatte, ging die Beklagte in die Revision.
In seiner Entscheidung vom 20.06.2013 erklärte das BAG den Antrag auf Revision für begründet. Damit wurde das Urteil der Vorinstanz aufgehoben und an das LAG zur erneuten Verhandlung zurückgewiesen. In seiner Begründung erkannte zwar auch das BAG die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung an, verwies jedoch darauf, dass die Entscheidung des LAGs in Hinblick auf die ausgesprochene Verdachtskündigung ebenfalls unwirksam gewesen sei. Wie die Jury des BAGs weiterhin ausführte, ist eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch beide Seiten gerechtfertigt, wenn dessen Fortsetzung nach gründlicher Abwägung aller Interessen dem Kündigenden nicht zugemutet werden kann.
Der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung, beispielsweise eines Diebstahlvergehens, stellt bereits einen Kündigungsgrund dar. Dies gilt insbesondere dann, wenn dieser Verdacht auf objektiv vorhandene und gegebenenfalls zu beweisende Tatsachen gestützt werden kann. Allerdings muss der Arbeitgeber dem Angestellten Gelegenheit geben, sich zu dem entsprechenden Vorfall bzw. den zur Kündigung führenden Anschuldigungen zu äußern. Lediglich auf Vermutungen basierende Verdächtigungen rechtfertigen eine auf Verdachtsgründen basierende Kündigung nicht.
Grundsätzlich stellt die Durchsuchung eines Arbeitsspinds einen Eingriff in die Privatsphäre des Arbeitnehmers dar, der von Rechts wegen darauf vertrauen kann, dass dieses Recht auch von seinem Arbeitgeber respektiert und gewahrt wird. Dennoch steht es Arbeitgebern unter Umständen zu, Kontrollen durchzuführen, da die Überlassung eines abschließbaren Spinds an den Arbeitnehmer auch die eigenen Interessen berührt. Besteht der Verdacht, dass der Arbeitnehmer den ihm zur Nutzung überlassenen Spind für Zwecke gebraucht, die dem Arbeitgeber schaden, darf dieser Kontrollen durchführen, wobei er aber die Verhältnismäßigkeit der Mittel beachten muss.
In dem hier verhandelten Fall wurde das Recht des Klägers auf schwerwiegende Weise verletzt, weil er bei der Kontrolle seines Spinds und der damit verbundenen Durchsuchung seiner privaten Besitztümer nicht hinzugezogen wurde. Die Durchsuchung in Anwesenheit des Klägers hätte gegenüber der heimlich durchgeführten Aktion ein weitaus milderes Mittel dargestellt. Zudem hätte der Arbeitnehmer in diesem Fall Gelegenheit gehabt, sich gleich zu dem Diebstahlsvorwurf zu äußern.
Mit der heimlichen Spinddurchsuchung habe die Klägerin aber die Verhältnismäßigkeit der Mittel nicht gewahrt und sich somit die von ihr vorgelegten Beweisstücke widerrechtlich beschafft, weshalb sie vor Gericht nicht verwertet werden durften. Auch der begründete Diebstahlverdacht ist nach Auffassung der Gerichte nicht ausreichend gewesen, eine Durchsuchung der Privatsachen in Abwesenheit des Eigentümers zu rechtfertigen.
Damit ein widerrechtlich beschafftes Beweisstück vor Gericht verwertet werden darf, muss die vom Gericht vorgenommene Abwägung aller Interessen ergeben, dass die im Zusammenhang mit der Rechtsverwertung des beschafften Materials stehenden Interessen dem Persönlichkeitsrecht übergeordnet sind. Hier hat der Gesetzgeber jedoch enge Grenzen gezogen. Eine Rechtfertigung für die Verletzung von Persönlichkeitsrechten wäre beispielsweise im Fall einer Notwehrsituation oder einer notwehrähnlichen Lage gegeben.
Schließlich verwies das BAG in seiner Urteilsbegründung darauf, dass sich die Durchsuchung des Spinds in Anwesenheit des Klägers als weniger effektiv herausgestellt hätte als die heimliche durchgeführte Kontrolle. Zumindest hatte die Beklagte hierfür keine Gründe angeführt.
Der Einlassung der Beklagten, dass ihr ein Bewertungsspielraum hinsichtlich der von ihr zur Aufklärung oder Verhinderung von Diebstählen ergriffenen Maßnahmen zugebilligt werden müsse, folge die Jury nicht. Die Bewertung, ob eine Maßnahme verhältnismäßig sei oder nicht, obliege keinesfalls dem Arbeitgeber, sondern dem Gericht. Auch dem Betriebsrat stünde eine derartige Beurteilung nicht zu, weshalb der Verweis der Arbeitgeberin, dass ein Vertreter dieses Organs bei der heimlichen Spinddurchsuchung anwesend war, ohne Belang sei.
Insgesamt hatte die Revision der Beklagten jedoch Erfolg, da das BAG die Entscheidung der Vorinstanz als nicht frei von Rechtsfehlern befand. So folgte das BAG der Auffassung des LAGs nicht, dass die ausgesprochene Kündigung auch als Verdachtskündigung keinen Bestand habe. Der Fall wurde daher zur erneuten Verhandlung an das LAG Hessen zurückverwiesen.
Verfahrensgang
AG Offenbach, Urteil vom 21.09.2011, Az. 4 Ca 113/11
LAG Hessen, Urteil vom 18.04.2012, Az. 18 Sa 1474/11
BAG, Urteil vom 20.06.2013, Az. 2 AZR 546/12