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Zulässige Verwendung des Begriffs "Zahnärztehaus"

Beschluss des BVerfG vom 14.07.2011, Az.: 1 BvR 407/11

 

Darf eine Gemeinschaftspraxis von Zahnärzten, die praktisch ein komplettes Gebäude einnimmt, sich als "Zahnärztehaus" bezeichnen oder überschreitet sie damit die Grenzen berufsrechtlich zulässiger Werbung? Mit dieser Frage hat sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde befassen müssen. Beschwerdeführer waren mehrere approbierte Zahnärzte, die in der Stadt I. zusammen eine große Gemeinschaftspraxis betrieben, sowie eine Fachärztin für Kieferorthopädie, die in denselben Räumlichkeiten praktizierte. Zusammen beschäftigten sie mehr als 20 Mitarbeiter. Die Praxisräume waren in einem Gebäude untergebracht, in dem sich ansonsten nur noch ein überwiegend für die Zahnärzte tätiges zahnärztliches Labor befand. Die Beschwerdeführer hatten im geschäftlichen Verkehr auf ihren Briefköpfen, in Zeitungsanzeigen, im Rahmen ihres Internetauftritts und in ihrer Internetadresse wiederholt die Bezeichnung "Zahnärztehaus I." verwendet. Wegen dieses Verhaltens hatte das zuständige Berufsgericht mehrfach Geldbußen gegen sie verhängt, die in der Berufungsinstanz vom Landesberufsgericht bestätigt wurden. Den Zahnärzten wurde vorgeworfen, mit der Verwendung der Bezeichnung "Zahnärztehaus" gegen die Berufsordnung verstoßen zu haben. Diese verbiete es einer Berufsausübungsgemeinschaft, wie sie von den Beschwerdeführern betrieben wurde, sich als Ärztehaus oder Zahnärztehaus zu bezeichnen. Das Berufsgericht hielt die Verwendung des Begriffs auch für eine berufsrechtswidrige irreführende Werbung, weil "Zahnärztehaus" bei Patienten den falschen Eindruck erwecke, in dem Gebäude praktizierten mehrere Zahnärzte unabhängig voneinander, was bei der Gemeinschaftspraxis aber gerade nicht der Fall sei. Außerdem rufe der Begriff gerade in einem kleineren Ort wie I. die irrige Vorstellung hervor, man habe es mit einem örtlichen zahnärztlichen "Kompetenzzentrum" zu tun. Die Beschwerdeführer hielten die auferlegten Geldbußen für grundrechtswidrig und legten Verfassungsbeschwerde beim BVerfG ein. Mit Erfolg, denn das BVerfG hat die Entscheidungen des Landesberufsgerichts aufgehoben, weil sie das Grundrecht der Beschwerdeführer auf freie Berufsausübung gemäß Art. 12 Abs. 1 GG verletzten. Das BVerfG hat sehr klar zum Ausdruck gebracht, dass die berufsgerichtlichen Entscheidungen völlig unzureichend begründet waren. Wegen der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts der freien Berufsausübung hätten die Berufsgerichte ihre Bewertung der Werbemaßnahme als berufswidrig so begründen müssen, dass sie auch nachvollziehbar sei. Da sei hier nicht der Fall. Zahnärzte dürften zwar keine irreführende oder sachlich unangemessene Werbung betreiben. Dass im konkreten Fall mit der Bezeichnung "Zahnärztehaus" die Grenzen interessengerechter und sachangemessener Information von Patienten überschritten worden wären, hätten die Berufsgerichte aber nicht plausibel und verständlich dargelegt. Die von ihnen vertretene Auffassung, dass üblicherweise nur ein Haus mit mehreren voneinander unabhängigen Zahnärzten als "Zahnärztehaus" bezeichnet würde, sei in keiner Weise belegt. Ebenso wenig sei ersichtlich, wieso nach dem allgemeinen Sprachgebrauch mit dem Begriff "Zahnärztehaus" die Vorstellung einer Art Poliklinik oder eines örtlichen Kompetenzzentrums verbunden sein sollte. Das BVerfG hat in dem Sachverhalt, wie er in den angefochtenen Entscheidungen beschrieben wurde, keine Irreführung oder Täuschung von Patienten erkennen können, die es aus Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt hätte, den Beschwerdeführern die Verwendung des Begriffs "Zahnärztehaus" zu verbieten. Wenn wie im vorliegenden Fall eine Mehrzahl von Zahnärzten, die gemeinsam in einem Gebäude tätig seien, sich als "Zahnärztehaus" bezeichneten, sei das sachlich angemessen und weder marktschreierisch noch übertrieben anpreisend. Daher würde ein Verbot, mit dieser Bezeichnung für ihre Praxis zu werben, die Beschwerdeführer in ihrer Berufsfreiheit verletzen.

Das BVerfG hat mit diesem Beschluss erneut den Zahnärzten gegenüber ihren oft sehr restriktiv urteilenden Berufsgerichten den Rücken gestärkt und klargestellt, dass dürftig begründete Entscheidungen nicht hinnehmbar sind. Die Berufsfreiheit gemäß Art. 12 GG gewährleistet ein grundsätzliches Recht der Zahnärzte auf Werbung für ihre Praxis. Ob und inwieweit konkrete Werbemaßnahmen die Grenze der zulässigen sachlichen Information überschreiten und irreführend und damit berufsrechtswidrig sind, lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern muss unter Berücksichtigung des Grundrechts der Berufsausübungsfreiheit im Einzelfall sehr sorgfältig geprüft werden. Diesen Anforderungen sind die angefochtenen Entscheidungen der Berufsgerichte nicht gerecht geworden, so dass sie aufzuheben waren.

Beschluss des BVerfG vom 14.07.2011

1 BvR 407/11

WRP 2011, 1435

NJW 2011, 3147

 

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