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Zugang und Widerruf einer Erklärung im unternehmerischen E-Mail-Verkehr

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 06.10.2022 entschieden, dass eine E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr dem Empfänger grundsätzlich in dem Zeitpunkt zugegangen ist, indem sie innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dessen Mailserver abrufbereit zur Verfügung gestellt worden ist. Hierfür ist unerheblich, ob die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird.

Hintergrund

Streitig war der Widerruf eines Vergleichsangebots der Klägerin, welche am 14.12.2018 um 09:56 Uhr bei der Beklagten per E-Mail eingegangen ist. Gemäß § 130 Abs. 1 S. 2 BGB wird eine Willenserklärung nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht. Vorliegend war bei der Beklagten das Vergleichsangebot vor dem Widerruf um 09:19 Uhr desselben Tages zu deren Geschäftszeiten auf dem Mailserver eingegangen. Der Bundesgerichtshof sollte nun abschließend klären, ob der Widerruf noch möglich oder wegen des Zugangs bereits ausgeschlossen war.

Grundsatz des Zugangs und Wirksamwerdens von Erklärungen

Grundsätzlich wird eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abgegeben wird, bei dessen Abwesenheit gemäß § 130 Absatz 1 BGB in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm tatsächlich zugeht. Für den Zugang unter Abwesenden ist erforderlich, dass die Willenserklärung derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass dieser unter gewöhnlichen Umständen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu erlangen. Ergeht ein Widerruf gemäß § 130 Absatz 1 Satz 2 BGB vor Zugang, so ist die Willenserklärung nicht wirksam geworden.

Wie ist dies im E-Mail-Verkehr?

Noch nicht abschließend geklärt ist, wann eine per E-Mail übermittelte Erklärung als zugegangen gilt. Vom Bundesgerichtshof wird angenommen, dass eine E-Mail dem Empfänger in dem Zeitpunkt unmittelbar zugeht, in welchem sie abrufbereit in seinem elektrischen Postfach gelandet ist. Hiervon soll eine Ausnahme gemacht werden, wenn die E-Mail zur Unzeit oder außerhalb der üblichen Geschäftszeiten in das Postfach gelangt. In diesem Fall erfolge der Zugang der Erklärung am folgenden Tag. Insoweit wird dem allgemeinen Grundsatz Rechnung getragen, dass auch die E-Mail derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass unter gewöhnlichen Umständen mit einer Kenntnisnahme zu rechnen ist. Auch hier soll unerheblich sein, dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird.

Mailserver ist als Machtbereich des Empfängers anzusehen

Per E-Mail in elektronischer Form übermittelte Willenserklärungen werden, als Datei gespeichert, vom Mailserver des Absenders an den Mailserver des Empfängers geleitet. Der Empfänger wird beim Eingang einer E-Mail in der Regel durch ein Signal unterrichtet. Sodann ist er in der Lage, die E-Mail-Nachricht auf seinem Endgerät abzurufen und sich anzeigen zu lassen. Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass der Empfänger durch Veröffentlichung der E-Mail-Adresse oder sonstige Erklärungen im Geschäftsverkehr zum Ausdruck bringe, Rechtsgeschäfte auf diesen Weg, mittels elektronischer Erklärung in Form von E-Mails, abschließen zu wollen. Hieraus resultiere, dass der für den Empfang von E-Mail-Nachrichten genutzte Mailserver auch als Machtbereich des Empfängers anzusehen sei.

Fazit

Nicht jede Willenserklärung wird zum gleichen Zeitpunkt wirksam. So ist zwischen Willenserklärungen gegenüber Anwesenden sowie gegenüber Abwesenden abzugrenzen und es macht auch einen Unterschied, wie die Willenserklärung übermittelt wird. Auch wenn es zum Zugang elektronischer Willenserklärungen noch einige offenen Fragen gibt, bringt die Entscheidung des Bundesgerichtshofs Licht ins Dunkle, indem sie die Auffassung der überwiegenden Instanzgerichte bestätigt. So sind jedenfalls im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern E-Mails schon zugegangen, wenn sie innerhalb der üblichen Geschäftszeiten abrufbereit auf dem Mailserver beziehungsweise im Postfach landen. Da es keine Rolle spielt, ob eine tatsächliche Kenntnisnahme stattgefunden hat, sollten Unternehmen ihre Postfächer zu den Geschäftszeiten stets im Blick behalten. Dies gilt genauso für denjenigen, der eine Willenserklärung per E-Mail abgibt. Die Entscheidung ist nicht nur deshalb wichtig, weil Zugang und Zeitpunkt im E-Mail-Verkehr besonders gut nachzuweisen sind. Sie bekräftigt auch, dass der Mail-Verkehr keiner besonderen Privilegierungen unterliegt, denn der Widerruf einer Willenserklärung ist auch hier nur bis zu dem Zeitpunkt möglich, in dem diese beim Empfänger zugegangen ist. Ein Widerruf scheidet damit praktisch vollkommen aus, wenn die zuvor abgegebene E-Mail zu Geschäftszeiten zugeht.


Bundesgerichtshof, Urteil vom 06.10.2022, Az. VII ZR 895/21

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