Zugang einer Willenserklärung über beA

Seitdem die Justiz digitaler wird, stellt sich eine immer wichtigere Frage: Wann ist eine per beA versendete Willenserklärung dem Empfänger eigentlich zugegangen? Die Antwort auf diese Frage ist nicht nur für Juristen essenziell, sondern auch für die tägliche anwaltliche Praxis von entscheidender Bedeutung – etwa bei Fristsachen oder bei vertragsrelevanten Mitteilungen.
Das OLG Hamm hat sich in seinem Urteil vom 22.02.2024 (Az.: 22 U 29/23) intensiv mit genau dieser Frage beschäftigt. Die Entscheidung bringt Klarheit – und gleichzeitig auch neue Pflichten für alle Beteiligten im elektronischen Rechtsverkehr.
Allgemeines zum Zugang einer Willenserklärung – § 130 BGB
Wer sich mit dem Zugang einer Willenserklärung beschäftigt, kommt an § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht vorbei. Der Gesetzestext lautet:
„Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht.“
Aber was heißt „zugehen“ konkret?
Nach ständiger Rechtsprechung – etwa des BGH (Urt. v. 26.11.1998 – VIII ZR 22/97) – bedeutet das:
- Zugang liegt vor, wenn die Erklärung so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist,
- dass unter normalen Umständen mit der Kenntnisnahme gerechnet werden kann.
Für klassische Post bedeutet das: Einwurf in den Briefkasten – zu Geschäftszeiten. Bei E-Mails: Eingang auf dem Mailserver.
Die Besonderheiten des beA
Das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) ist seit 2018 verpflichtend für alle zugelassenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Deutschland.
Ziel des beA:
- Sichere Kommunikation zwischen Anwälten und Gerichten
- Verbindliche Zustellungen
- Ersatz für Fax und klassische Briefpost
Doch: Gilt auch hier der gleiche Zugangszeitpunkt wie bei einer E-Mail?
Die Entscheidung des OLG Hamm vom 22.02.2024 (Az. 22 U 29/23)
In dem Fall, den das OLG Hamm zu entscheiden hatte, ging es um eine entscheidende Mitteilung per beA vom 05.03.2021. Die Empfängerseite behauptete, das Schreiben erst am 09.03.2021 tatsächlich zur Kenntnis genommen zu haben. Doch:
Das Gericht stellte klar:
Der Zugang war bereits am 05.03.2021 erfolgt.
Zentrale Aussage:
Entscheidend ist die Möglichkeit der Kenntnisnahme – nicht der tatsächliche Abruf.
Das bedeutet: Sobald das Schreiben im beA-Postfach eingegangen und abrufbar ist, beginnt der Zugang – vorausgesetzt, es geschieht während der üblichen Geschäftszeiten.
Übertragung der allgemeinen Zugangsgrundsätze auf das beA
Das OLG Hamm hat die klassischen Zugangsvoraussetzungen des BGB 1:1 auf das beA übertragen.
„Dies gilt vorliegend auch für die Zusendung des Schreibens per beA.“
Die Begründung:
- Das beA ist gerade dafür bestimmt, dass darüber rechtserhebliche Erklärungen abgegeben werden.
- Im unternehmerischen Geschäftsverkehr – und dazu zählt auch der Anwaltsberuf – muss während der Bürozeiten mit einer regelmäßigen Postfachkontrolle gerechnet werden.
- Dies gilt auch während pandemiebedingtem Homeoffice, sofern Fernzugriffsmöglichkeit besteht (was in aller Regel der Fall ist).
Wichtiger Zusatz:
Selbst eine fehlende Benachrichtigungs-E-Mail über eine neue Nachricht im beA ändert daran nichts. Die E-Mail ist lediglich ein komfortabler Zusatzservice, nicht aber Voraussetzung für den Zugang.
Bedeutung der Geschäftszeiten
Das Urteil hebt besonders hervor:
- Zugang erfolgt während der üblichen Bürozeiten.
- Wer als Rechtsanwalt ein beA hat, muss davon ausgehen, dass neue Post während der Arbeitszeit zur Kenntnis genommen werden kann.
- Wer also eine Nachricht z.B. um 11:00 Uhr vormittags erhält, kann sich nicht darauf berufen, sie erst „versehentlich“ drei Tage später gelesen zu haben.
Die Rolle des beA im anwaltlichen Geschäftsverkehr
Die Entscheidung unterstreicht die Verantwortung von Kanzleien, die technische Organisation des beA so einzurichten, dass:
- Posteingänge regelmäßig überprüft werden
- Eine vertretungsberechtigte Person Kenntnis nehmen kann
- Abwesenheitszeiten intern geregelt sind
Die Justiz erwartet also, dass ein professioneller Umgang mit dem beA dem physischen Kanzleibriefkasten entspricht – nur eben digital.
Praktische Konsequenzen und Handlungsempfehlungen
✅ Was bedeutet das für den Kanzleialltag?
- Tägliche Kontrolle des beA ist Pflicht – mindestens einmal am Tag.
- Die bloße Abhängigkeit von Benachrichtigungs-E-Mails ist riskant und rechtlich irrelevant.
- Abwesenheitsvertretungen (z. B. bei Krankheit oder Urlaub) sollten auch den beA-Zugang übernehmen können.
- Die Geschäftszeiten der Kanzlei müssen nicht öffentlich hinterlegt, aber klar intern geregelt sein.
- Schulungen und technische Organisation sind sinnvoll, um Zugangsprobleme zu vermeiden.
Fazit: Wer digital empfängt, muss digital wachsam sein
Das Urteil des OLG Hamm ist ein Meilenstein in der Entwicklung der Rechtsprechung zum Zugang über das beA. Es macht deutlich:
Der Zugang erfolgt, wenn die Nachricht im Postfach ist – nicht erst, wenn der Empfänger reinschaut.
Diese Logik ist zwar technisch nüchtern, hat aber enorme rechtliche Wirkung: Fristen können beginnen – und auch ablaufen – ohne dass der Empfänger tatsächlich gelesen hat, was kam.
Für alle Kanzleien gilt deshalb: Digitale Sorgfalt ist das neue Pflichtprogramm.
Ansprechpartner
Frank Weiß
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