„Zentrum“ schon ab zwei Ärzten erlaubt
Die Welt der medizinischen Werbung ist in den letzten Jahren zunehmend rechtlich durchdrungen worden. Besonders Begriffe mit starkem Marketingeffekt, wie etwa „Premium“, „Spezialist“ oder „Zentrum“, geraten dabei regelmäßig auf den juristischen Prüfstand. Ein besonders interessanter Fall erreichte im Jahr 2023 das Oberlandesgericht Frankfurt am Main: Darf eine Gemeinschaftspraxis mit nur zwei Ärzten den Begriff „Zentrum für plastische und ästhetische Chirurgie“ führen?
Die Antwort des Gerichts: Ja, das ist zulässig. Und die Begründung offenbart nicht nur ein zeitgemäßes Verständnis medizinischer Begrifflichkeiten, sondern auch eine flexible Auslegung lauterkeitsrechtlicher Maßstäbe.
Der konkrete Fall – Was war passiert?
Beteiligte
Im Mittelpunkt des Falls standen drei plastische Chirurgen mit Niederlassung in Darmstadt:
- Der Antragsteller: Ein Facharzt für plastische Chirurgie, der seit Jahren in Darmstadt eine eigene Praxis betreibt.
- Die beiden Antragsgegner: Ebenfalls Fachärzte für plastische und ästhetische Chirurgie. Einer von ihnen zusätzlich Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Sie betrieben gemeinsam eine Gemeinschaftspraxis, die sie werblich als
„Zentrum für plastische und ästhetische Chirurgie“ bezeichneten.
Diese Bezeichnung war dem Antragsteller ein Dorn im Auge.
Vorwurf der Irreführung
Der Antragsteller hielt die Bezeichnung „Zentrum“ für unzulässig und klagte. Seiner Ansicht nach sei der Begriff im Gesundheitswesen so aufgeladen, dass der durchschnittliche Patient damit eine überdurchschnittliche Größe, eine besondere fachliche Breite oder eine institutionelle Bedeutung verbinde. Diese Erwartungen würden von einer Praxis, in der nur zwei Ärzte tätig sind, nicht erfüllt.
Er beantragte daher im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, den Antragsgegnern die Nutzung dieser Bezeichnung zu untersagen – insbesondere für plastisch-chirurgische Dienstleistungen wie etwa Penisoperationen.
Entscheidung des Landgerichts Frankfurt (Vorinstanz)
Das Landgericht Frankfurt am Main (Urteil vom 30.11.2022 – Az. 2-06 O 209/22) gab dem Antragsteller recht. Es untersagte den beiden Ärzten, unter dem Begriff „Zentrum“ chirurgische Leistungen anzubieten, solange nicht mehr als zwei Ärzte dort tätig sind.
Begründung: Die Werbung sei irreführend im Sinne von § 5 UWG, weil der Begriff „Zentrum“ eine Ausstattung oder Größe suggeriere, die über das tatsächlich Gegebene hinausgehe.
Berufung vor dem OLG Frankfurt
Gegen diese Entscheidung legten die Antragsgegner Berufung ein. Und diese hatte Erfolg. Das OLG Frankfurt hob die Entscheidung des Landgerichts auf und wies den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück.
Die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main im Detail - Urteil vom 11.05.2023 – Az. 6 U 4/23
Das OLG Frankfurt machte in seiner Entscheidung deutlich, dass es bei der Beurteilung von Werbeaussagen – wie der Verwendung des Begriffs „Zentrum“ – nicht auf starre juristische Definitionen, sondern auf die Erwartungshaltung des angesprochenen Verkehrs ankommt.
Maßstab: Verkehrsverständnis entscheidend
Grundlage jeder lauterkeitsrechtlichen Bewertung ist die Frage:
Wie versteht der Durchschnittsverbraucher die streitgegenständliche Aussage?
Der Begriff „Zentrum“ sei aus Sicht des Senats zwar grundsätzlich geeignet, den Eindruck einer personellen oder sachlichen Struktur zu erwecken, die über die einer typischen Einzelpraxis hinausgeht. Er könne somit eine gewisse Bedeutung und Leistungsfähigkeit der Einrichtung suggerieren.
Allerdings – und das ist entscheidend – gelten im medizinischen Bereich inzwischen andere Maßstäbe. Das Gericht stellte klar:
„Jedenfalls im medizinischen Bereich weist der Begriff ‚Zentrum‘ nicht auf eine besondere Größe hin.“
Gesetzliche Rahmenbedingungen im medizinischen Bereich
Zur Begründung verwies der Senat auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen für sogenannte Medizinische Versorgungszentren (MVZ):
- Nach § 95 Abs. 1 Satz 1 SGB V dürfen auch kleinere ärztliche Zusammenschlüsse – selbst mit nur zwei Ärzten – ein MVZ gründen.
- Seit der Reform des SGB V im Jahr 2015 ist keine fachübergreifende Kooperation mehr erforderlich. Es reicht also, dass zwei Ärzte mit derselben Fachrichtung eine Praxis gemeinsam betreiben.
Das OLG folgert daraus: Der Gesetzgeber selbst knüpft keine Mindestgröße mehr an die Bezeichnung „Zentrum“ oder „Versorgungszentrum“.
Gewöhnung des Verkehrs an die Begrifflichkeit
Zudem argumentierte der Senat mit der „gerichtsbekannten Häufigkeit des Auftretens von (Versorgungs-)Zentren“ im Gesundheitswesen. Die ständige Verwendung des Begriffs – auch von kleineren Praxen – habe dazu geführt, dass der Verkehr die Bezeichnung nicht mehr als Hinweis auf eine überdurchschnittliche Größe oder Ausstattung versteht.
Das bedeutet: Selbst wenn „Zentrum“ früher für ein großes Krankenhaus mit interdisziplinärem Ansatz gestanden haben mag, ist dieser Bedeutungsgehalt heute verblasst. Patienten erwarten von einem „Zentrum“ mittlerweile keine bestimmte Größe mehr.
„Das häufige Auftreten der (Versorgungs-)Zentren auf dem Markt wirkt einem Verständnis entgegen, das von einer überdurchschnittlichen Größe der Praxis ausgeht.“
Keine Irreführung, kein Wettbewerbsverstoß
Weil der Begriff „Zentrum“ aus Sicht des Durchschnittspatienten nicht mehr zwangsläufig auf Größe oder besondere Ausstattung hindeutet, liegt keine Täuschung und damit auch kein Wettbewerbsverstoß vor. Die Bewerbung der Gemeinschaftspraxis unter diesem Namen ist weder irreführend i.S.d. § 5 UWG noch unlauter i.S.d. § 3 UWG.
Bewertung der Entscheidung
Das Urteil des OLG Frankfurt bringt Rechtssicherheit für ärztliche Gemeinschaftspraxen, die sich unter der Bezeichnung „Zentrum“ positionieren möchten. Es zeigt eindrucksvoll, wie sich rechtliche Maßstäbe an sprachliche und gesellschaftliche Entwicklungen anpassen.
Die Entscheidung berücksichtigt sowohl die gesetzlichen Neuerungen als auch die tatsächliche Entwicklung im Gesundheitswesen: Die Vielfalt der Praxisformen und die häufige Verwendung des Begriffs „Zentrum“ haben den Erwartungshorizont der Verbraucher grundlegend verändert.
Relevanz für die Praxis
- Ärztliche Gemeinschaftspraxen mit nur zwei Ärzten dürfen den Begriff „Zentrum“ führen, wenn sie damit nicht gezielt falsche Erwartungen wecken.
- Voraussetzung ist lediglich, dass keine anderen irreführenden Aussagen hinzutreten – etwa über besondere Qualifikationen, Auszeichnungen oder einen überregionalen Alleinstellungsanspruch.
- Die Entscheidung gilt nicht nur für plastische Chirurgen, sondern ist grundsätzlich auf alle medizinischen Fachrichtungen übertragbar.
Fazit
Die Bezeichnung einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis als „Zentrum“ ist auch bei nur zwei Ärzten zulässig. Eine Irreführung liegt nicht vor, da der Begriff im medizinischen Bereich nicht mehr mit einer bestimmten Größe oder organisatorischen Struktur verbunden wird. Maßgeblich ist allein das Verständnis des durchschnittlichen Patienten – und dieses hat sich in den letzten Jahren spürbar gewandelt.
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Frank Weiß
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