YouTube darf Altersbeschränkungen auch gegen den Willen der Creator festlegen
Sie veröffentlichen auf YouTube politische, gesellschaftskritische oder emotional aufgeladene Inhalte und möchten Ihr Publikum ohne Einschränkungen erreichen. Doch was passiert, wenn YouTube eingreift und Ihr Video – obwohl es nicht gelöscht wird – nur noch für Erwachsene freischaltet? Genau darüber entschied das Oberlandesgericht Schleswig (Beschluss vom 14.12.2022, Az. 9 U 123/22) im Fall eines YouTubers, der sich gegen die Altersbeschränkung eines seiner Videos wehrte. Die Richter machten deutlich: Plattformbetreiber wie YouTube dürfen in bestimmten Fällen auch gegen den Willen des Creators Altersbeschränkungen verhängen – und zwar rechtmäßig.
Die Entscheidung hat weitreichende Bedeutung für alle, die Inhalte mit politischen, gesellschaftlichen oder konfliktgeladenen Themen veröffentlichen. Sie zeigt auf, wie weit die vertraglichen Befugnisse von Plattformbetreibern reichen und wo die verfassungsrechtlich geschützte Meinungsfreiheit des Nutzers ihre Grenzen findet.
Der zugrunde liegende Sachverhalt – ausführlich dargestellt
Der Kläger betrieb unter einem Pseudonym einen YouTube-Kanal mit rund 25.000 Abonnenten. Er nutzte den Kanal zur Verbreitung politischer Inhalte, die einer bestimmten Partei nahestanden. Thematisch befasste sich der Kanal mit gesellschaftlichen Entwicklungen, politischen Einschätzungen und auch mit Ereignissen, die in den Medien breite Beachtung fanden.
Ein besonderes Augenmerk legte das OLG Schleswig auf ein Video, das der Kläger veröffentlichte. Dieses Video zeigte unter anderem Ausschnitte aus den sogenannten „Stuttgarter Krawallen“ im Jahr 2020 – also gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei in der baden-württembergischen Landeshauptstadt. Die fragliche Szene beginnt laut Aktenlage etwa ab Minute 3:39 des Videos: Eine Person läuft mit Anlauf und gestrecktem Bein auf einen Polizeibeamten zu, der sich gerade über eine am Boden fixierte Person beugt, und bespringt diesen mit erheblicher Wucht. Der Polizist wird dabei zu Boden gerissen. Der Clip wird vom Kläger ausdrücklich kommentiert. Er leitet die Szene mit den Worten ein: „Besonders erschreckend ist diese Szene...“.
Nach dieser Einleitung wird die Gewaltszene nicht nur gezeigt, sondern nochmals wiederholt – in Zeitlupe und unter Einsatz eines digitalen Zooms, wodurch der Moment der Gewaltanwendung besonders hervorgehoben wird. Die dramatische Aufbereitung der Szene durch den Creator war für das spätere Urteil von zentraler Bedeutung.
Kurz nach Veröffentlichung versah YouTube das Video mit einer Altersbeschränkung. Fortan konnten nur noch Nutzer mit einem YouTube-Konto und Altersnachweis das Video ansehen – also ausschließlich volljährige User. Der Kläger empfand diese Einschränkung als unzulässig. Er sah sich in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt, verwies auf das öffentliche Interesse an der dokumentierten Szene und argumentierte, YouTube handle willkürlich und überschreite seine Befugnisse.
Der Rechtsstreit landete zunächst beim Landgericht, das die Klage abwies. In zweiter Instanz befasste sich das OLG Schleswig mit der Sache. Der Kläger legte Berufung ein, doch das Gericht erließ einen sogenannten Hinweisbeschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO. Es kündigte an, die Berufung ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, weil sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe. Der Kläger nahm daraufhin die Berufung zurück.
Die Entscheidung des OLG Schleswig – Rechtliche Würdigung im Detail
Das OLG Schleswig hielt die Maßnahme von YouTube, dem Video eine Altersbeschränkung aufzuerlegen, für rechtmäßig. Es stützte sich dabei auf mehrere tragende Erwägungen.
1. Vertragliche Grundlage und Wirksamkeit der YouTube-Klauseln
Die vertragliche Grundlage zwischen Creator und YouTube ergibt sich aus den Nutzungsbedingungen der Plattform sowie aus den ergänzenden Community Richtlinien. Diese Vertragsbedingungen sehen ausdrücklich die Möglichkeit vor, Inhalte mit Altersbeschränkungen zu versehen – insbesondere, wenn sie Gewalt oder Hassrede enthalten.
Das OLG prüfte diese Regelungen im Lichte des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, der Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf unangemessene Benachteiligungen kontrolliert. Ergebnis: Die Klauseln sind wirksam. Weder inhaltlich noch im Hinblick auf das vorgesehene Verfahren verstoßen sie gegen die gesetzlichen Anforderungen.
Das Gericht betonte, dass dem Plattformbetreiber bei der Bewertung von Inhalten ein Ermessensspielraum zukomme. Die Maßnahme müsse jedoch auf nachvollziehbaren Kriterien beruhen. Das sei hier der Fall: YouTube habe sich auf seine Richtlinien zu gewalttätigen oder grausamen Inhalten sowie auf die Richtlinien zu Hassrede gestützt. Beide Richtlinien waren Bestandteil des Nutzungsvertrages.
2. Sachliche Rechtfertigung der Altersbeschränkung
Nach Ansicht des OLG war die Entscheidung von YouTube nicht willkürlich, sondern sachlich begründet. Das streitgegenständliche Video enthalte aus Sicht des Gerichts eine Szene mit erheblicher körperlicher Gewalt, die sich eindeutig gegen einen Polizeibeamten richte. Die Einbettung der Szene in den Videobeitrag – insbesondere durch die Kommentierung („besonders erschreckend“), die Wiederholung in Zeitlupe und das Hineinzoomen – verstärke die Wirkung der Gewalt und präsentiere sie auf eine Weise, die auf minderjährige Zuschauer besonders intensiv wirken könne.
Im Rahmen einer Gesamtschau des Videos, also unter Berücksichtigung der Bildsprache, der Kommentierung und der Dramaturgie, sei eine jugendgefährdende Wirkung anzunehmen. Diese Einschätzung liege im sachlich nachvollziehbaren Beurteilungsspielraum von YouTube. Der Plattformbetreiber habe sich nicht an einer einzelnen Szene festgeklammert, sondern das gesamte Video gewürdigt. Gerade diese Gesamtschau unterscheide die Maßnahme von bloßer Willkür.
3. Kein Verstoß gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit
Der Kläger berief sich im Verfahren auf Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 GG. Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung schützt auch die Veröffentlichung von gesellschaftlich oder politisch unbequemen Inhalten. Das Gericht bestätigte, dass in der Altersbeschränkung ein Eingriff in dieses Grundrecht liegt – sah den Eingriff jedoch als gerechtfertigt an.
Zur Begründung führte das OLG aus, dass YouTube als privates Unternehmen im Rahmen eines Nutzungsvertrages handle. Es sei nicht unmittelbar an Grundrechte gebunden, müsse sie aber mittelbar beachten, wenn es um die Auslegung und Anwendung von Vertragsbedingungen geht.
Die Altersbeschränkung sei ein verhältnismäßiges Mittel. YouTube habe das Video nicht gelöscht, sondern lediglich den Zugriff auf ein erwachsenes Publikum beschränkt. Dies sei ein milderes Mittel, um die berechtigten Interessen am Jugendschutz zu wahren, ohne die Meinungsäußerung des Klägers vollständig zu unterbinden. Eine vollständige Löschung wäre ein gravierenderer Eingriff gewesen – und diese habe YouTube gerade nicht vorgenommen.
4. Keine Willkür, sondern Einhaltung vertraglicher Maßstäbe
Das Gericht stellte klar, dass die Maßnahme von YouTube nicht willkürlich sei. Die Entscheidung beruhe auf eindeutig formulierten Richtlinien, die transparent zugänglich seien. YouTube habe diese Richtlinien auf das Video angewendet und dies im Verfahren auch begründet. Der Plattformbetreiber habe sein Ermessen sachgerecht ausgeübt.
Das Gericht betonte, dass es gerade bei politisch aufgeladenen Inhalten von besonderer Bedeutung sei, sachlich und transparent zu handeln. YouTube sei dieser Verpflichtung nachgekommen. Auch wenn man über die Bewertung im Einzelfall unterschiedlicher Auffassung sein könne, sei die Maßnahme nicht als rechtswidrig zu qualifizieren.
5. Prozessuale Konsequenz: Rücknahme der Berufung
Der Hinweisbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO hatte zur Folge, dass sich das Berufungsgericht nicht weiter mit der Sache befasste. Der Kläger sah sich angesichts der klaren Einschätzung des OLG Schleswig gezwungen, die Berufung zurückzunehmen. Damit wurde das erstinstanzliche Urteil rechtskräftig.
Gesamtbewertung der Entscheidung
Das OLG Schleswig stärkt mit seinem Beschluss die vertraglichen Befugnisse großer Plattformbetreiber wie YouTube. Die Entscheidung ist ein deutliches Signal an alle Creator, die mit gesellschaftlich sensiblen oder gewaltbezogenen Inhalten arbeiten. Wer solche Inhalte veröffentlicht, muss damit rechnen, dass Plattformen aus Gründen des Jugendschutzes eingreifen – selbst wenn keine gesetzlichen Verbote greifen und die Inhalte an sich zulässig sind.
Das Urteil unterstreicht zugleich, dass der Schutz der Meinungsfreiheit nicht schrankenlos gilt, wenn andere Rechtsgüter – hier insbesondere der Schutz Minderjähriger – betroffen sind. Die Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Jugendschutz sei auch dann zulässig, wenn diese durch vertragliche Regelungen im privatrechtlichen Verhältnis ausgestaltet wird.
Für die Praxis bedeutet dies: Creator sollten sich mit den Plattformrichtlinien intensiv auseinandersetzen und ihre Inhalte so gestalten, dass eine sachlich nachvollziehbare Differenzierung zwischen dokumentarischer Berichterstattung und dramatisierender Darstellung erkennbar bleibt. Alterskennzeichnungen oder freiwillige Content-Warnungen können helfen, Konflikte zu vermeiden.
Fazit
Die Entscheidung des OLG Schleswig ist ein Meilenstein im Spannungsverhältnis zwischen Meinungsfreiheit und Plattformverantwortung. YouTube darf Altersbeschränkungen verhängen, wenn Videos – auch im politischen Kontext – jugendgefährdende Elemente enthalten. Creator müssen das hinnehmen, solange die Plattform sich an ihre eigenen Regeln hält, sachlich argumentiert und verhältnismäßig handelt. Die vertraglichen Mechanismen, insbesondere über die Nutzungsbedingungen und Community Richtlinien, genügen hierfür. Die Maßnahme war weder willkürlich noch rechtswidrig – sondern im Gegenteil ein zulässiger Ausfluss vertraglicher Autonomie und gesellschaftlicher Verantwortung.
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Alexander Bräuer
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