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Wirksamer Zugang eines Abmahnschreibens per E-Mail

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Im Wettbewerbsrecht ist die Abmahnung ein bewährtes Mittel, um Rechtsverletzungen außergerichtlich zu klären. Die Frage, auf welchem Weg eine Abmahnung wirksam übermittelt werden kann, ist jedoch nicht trivial – insbesondere dann, wenn moderne Kommunikationsmittel wie E-Mail zum Einsatz kommen.

Zwar scheint der digitale Versand auf den ersten Blick effizient und pragmatisch. Doch was passiert, wenn der Empfänger behauptet, die E-Mail nie erhalten zu haben? Genau diese Situation lag dem Beschluss des LG Offenburg vom 21.04.2023 zugrunde – eine Entscheidung mit erheblicher Relevanz für die Praxis.

 

Der konkrete Fall vor dem LG Offenburg

a) Ausgangslage: Wettbewerbsrechtlicher Streit

Ein Unternehmer (der Antragsteller) warf einem anderen Unternehmen (der Antragsgegnerin) wettbewerbswidriges Verhalten vor. Um dieses Verhalten zu unterbinden, übersandte er eine Abmahnung per E-Mail. Das Schreiben enthielt nicht nur die Rüge, sondern auch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung – und zwar direkt im Textfeld der E-Mail, ohne Datei-Anhänge.

b) Weitere Entwicklung: Unterlassungserklärung – aber kein Kostenverzicht

Die Antragsgegnerin reagierte im anschließenden gerichtlichen Verfahren mit der Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung. Das bedeutet, sie verpflichtete sich, das wettbewerbswidrige Verhalten künftig zu unterlassen – ein vollständiges Einlenken.

Der eigentliche Rechtsstreit war damit erledigt. Es blieb jedoch ein bedeutender Punkt offen: Wer trägt die Kosten des Verfahrens?

c) Streitfrage: Wurde zuvor wirksam abgemahnt?

Der Antragsteller verlangte, dass die Antragsgegnerin die Verfahrenskosten trägt. Seine Begründung: Die Abmahnung sei bereits außergerichtlich per E-Mail erfolgt, die Beklagte habe aber nicht reagiert, weshalb ein gerichtliches Vorgehen notwendig wurde.

Die Antragsgegnerin widersprach: Sie habe keine Abmahnung erhalten – jedenfalls sei ihr keine E-Mail zugegangen, die als wirksame Abmahnung gelten könne.

Damit stand das Gericht vor der zentralen Rechtsfrage:
Ist eine E-Mail mit Abmahnung – ohne Anhang – bereits dann als „zugegangen“ anzusehen, wenn sie auf dem Server des Empfängers abrufbereit vorliegt, auch wenn der Empfänger sie nicht wahrgenommen haben will?

Die Entscheidung des LG Offenburg

Das LG Offenburg entschied zugunsten des Antragstellers: Die Abmahnung per E-Mail war wirksam zugegangen. Die Antragsgegnerin muss daher die Kosten des Verfahrens tragen. Die Entscheidung enthält mehrere wichtige rechtliche Klarstellungen:

a) Abmahnung war vollständig im E-Mail-Text enthalten

Das Gericht stellte zunächst fest, dass der Text der Abmahnung sowie der Entwurf der Unterlassungserklärung vollständig im Textkörper der E-Mail enthalten war. Dies genügte für eine wirksame Abmahnung – ein gesonderter Anhang war nicht erforderlich.

„Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass er das Abmahnschreiben vom 30.01.2023 am selben Tag als E-Mail an die Antragsgegnerin absandte und dass der vollständige Text der Abmahnung in der E-Mail selbst enthalten war.“

b) Technischer Zugang auf dem Mailserver genügt

Für das Gericht war nicht entscheidend, ob die Antragsgegnerin die E-Mail tatsächlich gelesen oder geöffnet hat. Maßgeblich sei vielmehr, ob sie innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Unternehmens eingegangen und dort abrufbar war.

Das Gericht stützte sich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Zugang von Willenserklärungen:

„Nach der genannten Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass eine E-Mail dem Empfänger grundsätzlich in dem Zeitpunkt zugeht, in dem sie ihm im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf seinem Mailserver abrufbereit zur Verfügung gestellt wird.“

Damit überträgt das LG Offenburg die Maßstäbe des § 130 Abs. 1 BGB aus der analogen Welt der Post auf das digitale Medium der E-Mail.

c) Kein Beweis für technische Störung oder Filterung

Das Gericht räumt ein, dass in bestimmten Ausnahmefällen kein wirksamer Zugang vorliegt – etwa dann, wenn eine E-Mail nachweislich durch technische Umstände nicht auf dem Mailserver des Empfängers ankam.

Beispielhaft nennt das Gericht:

  • Abfangen durch Spam-Filter
  • Blockierung durch Firewalls
  • Sonstige serverseitige Löschvorgänge

Allerdings trägt in einem solchen Fall der Empfänger die volle Darlegungs- und Beweislast. Ihm obliegt es, konkret und nachvollziehbar darzulegen, dass die E-Mail seinen Machtbereich nicht erreicht hat.

Das gelang der Antragsgegnerin nicht.

„Nach Auffassung der Kammer gelang der Antragsgegnerin nicht der Nachweis, dass die E-Mail des Antragstellers […] durch einen Spam-Filter abgefangen wurde. Die eidesstattlichen Versicherungen sind nicht hinreichend tauglich, den erforderlichen Nachweis zu führen.“

Damit blieb es dabei: Die E-Mail war zugegangen – und die Verfahrenskosten sind von der Antragsgegnerin zu tragen.

Juristische Bewertung und Einordnung

a) § 130 Abs. 1 BGB und die Übertragbarkeit auf E-Mail-Kommunikation

Der Beschluss orientiert sich streng am Wortlaut und der Auslegung des § 130 Abs. 1 BGB, der den Zugang einer Willenserklärung regelt. Danach gilt eine Erklärung als zugegangen, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass unter normalen Umständen mit der Kenntnisnahme zu rechnen ist.

Bei E-Mails bedeutet das:

  • Zugang = E-Mail ist abrufbar im Postfach (bzw. Mailserver)
  • Keine tatsächliche Kenntnisnahme erforderlich
  • Empfänger trägt das Risiko technischer Ausfälle in seinem Machtbereich

b) Abmahnung im E-Mail-Text: Formfrei, aber inhaltlich präzise

Das Gericht lässt ausdrücklich genügen, dass der Text nicht als Anhang, sondern direkt in der E-Mail enthalten war. Das entspricht dem Grundsatz der Formfreiheit von Abmahnungen im Wettbewerbsrecht – solange Inhalt und Ziel der Abmahnung klar sind.

Praxishinweise für die anwaltliche und unternehmerische Praxis

Für Abmahnende:

  • Versand per E-Mail ist zulässig und wirksam – wenn nachgewiesen werden kann, dass die Mail abgesendet und auf dem Mailserver des Empfängers eingegangen ist.
  • Der vollständige Text sollte im E-Mail-Body enthalten sein – so wird die Beweislage vereinfacht.
  • Nachweise sichern: Versandzeitpunkt, E-Mail-Adresse, Inhalt, ggf. Server-Protokolle.

Für Abgemahnte:

  • Pauschales Bestreiten des E-Mail-Eingangs reicht nicht aus.
  • Wer sich auf technische Fehler beruft, muss diese substantiiert beweisen.
  • Spam-Filter sollten regelmäßig überprüft werden – wer eine E-Mail-Adresse für den geschäftlichen Verkehr angibt, muss den Zugriff auf diese auch sicherstellen.

Fazit: E-Mail-Abmahnungen rechtssicher gestalten und bewerten

Die Entscheidung des LG Offenburg bringt erhebliche Klarheit für die Praxis. Sie bestätigt:

  • Auch eine formfreie E-Mail-Abmahnung ist rechtswirksam, wenn sie dem Empfänger auf dem Mailserver abrufbar zur Verfügung gestellt wird.
  • Die Verantwortung für technische Hindernisse liegt beim Empfänger.
  • Für Unternehmen bedeutet dies: Wer mit E-Mails kommuniziert, muss auch mit rechtlich relevanten Inhalten rechnen – und seine Systeme entsprechend professionell betreiben.

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