Wikipedia als Erkenntnisquelle für Richter

Das Landgericht Köln hat entschieden, dass epoxidharzhaltiges Trinkwasser eine Mietminderung in Höhe von 20 Prozent rechtfertigt. Interessant dabei ist, dass die Richter ihre Urteilsbegründung auf einen Eintrag bei Wikipedia stützen.
Aussang für diesen Rechtsstreit bilden Sanierungsarbeiten vor dem Haus eines Mieters. Streitgegenstand ist eine teilweise beziehungsweise komplette Mietminderung über fünf Monate. Der Mieter fühlte sich durch die Bauarbeiten vor seinem Haus in seiner Lebensqualität erheblich eingeschränkt. Er macht Lärmbelästigung, einen nicht mehr frei zugänglichen Parkplatz und eine schlechtere Qualität der Trinkwasserversorgung geltend. Dieses enthalte den gesundheitsschädlichen Stoff Epoxidharz, der auf die Sanierungsarbeiten der im Hause verlegten Rohre zurückzuführen sei.
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung der rückständigen Mieten aus dem Mietvertrag (§ 535 BGB) in Anspruch. Das Gericht stuft die Klage als teilweise unbegründet und als teilweise berechtigt ein. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Mietminderungen des Beklagten nur teilweise berechtigt sind. Er legt die Beeinträchtigung des Mietobjektes durch die Bau- und Sanierungsarbeiten unzureichend dar. Die Schilderung der Mängel hinsichtlich Umfang, Art und Intensität ist nicht substantiiert genug, um eine Quote für die Mietminderung zu ermitteln. Der Beklagte führt nicht schlüssig an, in welchen Monaten und an welchen Tagen eine Beeinträchtigung des Mietgebrauchs vorgelegen hat. Er beschreibt weder den Zeitraum noch die Art der angeführten Lärmbelästigung ausreichend genug, um sie einer abschließenden Beweisführung zugänglich zu machen. Der Beklagte gibt nicht an, über wie viele Tage und Stunden das Haus von der Trinkwasserversorgung abgeschnitten war und inwieweit eine ungünstige Veränderung des Wasserdrucks vorgelegen hat. Unklar bleibt, wann die Veränderungen eingetreten sind, wie lange sie angedauert haben, ob sie ununterbrochen oder nur an einigen Tagen aufgetreten sind und wann genau sie beendet waren.
Unter diesen Umständen kommt eine Beweisaufnahme nicht in Frage. Auch eine Zeugenvernehmung ist nicht geboten, da die Richter die „entscheidungserheblichen Tatsachen“ von den einberufenen Zeugen erst hätten erfragen müssen. Der Vortrag dieser Zeugen zu dem schlagwortartigen Vortrag des Beklagten hätte eine Ermittlung einer konkreten Minderungsquote der Miete nicht zugelassen. Es ist nicht die Aufgabe des Gerichtes, die genauen Tatumstände, die zu der Mietminderung des Beklagten geführt haben, von den Zeugen zu erfragen. Auch sind die Richter nicht befugt, günstige Tatsachen im Interesse des Beklagten zu ermitteln.
Hinsichtlich der Qualität der Wasserversorgung stellen sich die Richter jedoch auf die Seite des Beklagten und gestehen ihm eine diesbezügliche Mietminderung zu. Interessant ist, dass sie sich bei ihren Recherchen auf die frei zugängliche Enzyklopädie Wikipedia stützen und die Feststellungen, die dort über das Thema Epoxidharz getroffen werden, in ihre Urteilsfindung als gerichtsbekannt einfließen lassen. Wikipedia stuft Epoxidharz als gesundheitsgefährdend und krebserregend ein. Die Autoren führen an, dass diese Substanz aus den Stoffen Bisphenol A und Epichlorhydrin bestehen. Sie werden als endokrine Disruptoren und giftige Stoffe eingestuft, die dazu geeignet sind, den Hormonhaushalt und das endokrine System eines Menschen nachhaltig zu stören. Daher ist das Gericht überzeugt davon, dass die Wasserversorgung in der Wohnung des Beklagten für den streitgegenständlichen Zeitraum qualitativ eingeschränkt war. Als Trinkwasser war das Wasser nicht mehr geeignet. Die Verwendung des Wassers für die tägliche Körperhygiene war zumindest stark beeinträchtigt. Daher ist die Mietminderung in dieser Hinsicht berechtigt.
Ein Rechtsexperte zur Beweiskraft von Wikipedia
Der Rechtsexperte Prof. Dr. jur. Hans-Werner Laubinger stuft diese Urteilsbegründung als recht eigenwillig ein. Die Richter haben sich mit dem technischen Verfahren der Rohrsanierung nicht auseinandergesetzt. Die Beiträge in Wikipedia haben keine wissenschaftliche Beweiskraft, denn sie werden nicht immer von ausgewiesenen Experten verfasst. Die Autoren müssen ihre Artikel zwar mit Einzelnachweisen und Quellenangabe versehen, sie schreiben jedoch häufig unter einem Pseudonym, auch ist ihre Fachexpertise zu dem jeweiligen Thema nicht erwiesen. Der Rechtsexperte schließt Unwissenheit, inhaltliche Fehler und wirtschaftliche Interessen nicht aus und stuft die wissenschaftliche Beweiskraft dieser Artikel als höchst fragwürdig ein. Ferner steht die gesundheitsschädliche Wirkung von Epoxidharz zur Diskussion. Als allgemein anerkannt und sicher gelten technische Vorschriften, Regeln und Verfahren zur Rohrsanierung, die sich der Verband der Rohrsanierer selbst auferlegt hat. Daher sei bei ordnungsgemäßer Verarbeitung von Epoxidharzen ein Gefährdungspotenzial nahezu ausgeschlossen.
AG Köln, Urteil vom 20.04.2011, Az. 201 C 546/10
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