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Widerrufsrecht bei Vertragsschluss außerhalb von Geschäftsräumen

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Verbraucher sollen vor übereilten Entscheidungen in überraschenden Vertragssituationen geschützt werden. Das ist der Leitgedanke hinter dem Widerrufsrecht bei sogenannten außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (§ 312b BGB). Die Regelung basiert auf europarechtlichen Vorgaben (insbesondere der Verbraucherrechterichtlinie 2011/83/EU) und soll sicherstellen, dass Verbraucher bei Überrumpelungsgeschäften Bedenkzeit erhalten.

Doch wann genau liegt ein solcher Vertragsschluss vor?

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat dazu mit Urteil vom 6. Juli 2023 (VII ZR 151/22) eine wichtige Entscheidung getroffen – mit erheblichen Auswirkungen auf Handwerkerverträge, Dienstleister, Haustürgeschäfte und Verbraucherrechte.

Sachverhalt – Was war geschehen?

Die Kläger waren Eigentümer eines Reihenhauses. Sie beauftragten den Beklagten, einen Dachdeckerbetrieb, zunächst mit der Erneuerung von Dachrinnen. Dieser erste Vertrag wurde ohne Streit vollständig und ordnungsgemäß abgewickelt.

Während der Arbeiten entdeckte der Beklagte allerdings weitere Schäden, insbesondere an einem Wandanschluss. Daraufhin wurde den Klägern ein weiteres Angebot unterbreitet. Dieses zweite Angebot wurde in Anwesenheit beider Parteien vor Ort besprochen.

Wichtig ist der zeitliche Ablauf:

  1. Der Dachdecker unterbreitete den Vorschlag vor Ort während der Arbeiten (Tag 1).
  2. Die Kläger nahmen das Angebot am folgenden Tag (Tag 2) an – ebenfalls vor Ort.
  3. Die Arbeiten wurden im Rahmen dieses „zweiten Auftrags“ vollständig erbracht.
  4. Die Kläger widerriefen später den Vertrag und verlangten die Rückzahlung des Werklohns.
  5. Ihre Begründung: Es handle sich um einen Vertragsschluss außerhalb von Geschäftsräumen, womit ihnen ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB i.V.m. § 312g BGB zustehe.

Der Fall landete beim Amtsgericht, dann beim Landgericht – und schließlich beim BGH.

Die Entscheidung des BGH – Kein Widerrufsrecht!

Der Bundesgerichtshof wies die Klage ab. Die Kläger hatten kein Widerrufsrecht.

Warum?

1. Maßgeblich ist § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB

Diese Vorschrift definiert außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge als:

„Verträge, die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist.“

Im Klartext: Ein Vertrag fällt nur dann unter diese Regelung, wenn Angebot und Annahme gleichzeitig und außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers – also etwa beim Kunden zu Hause – erfolgen.

Der Knackpunkt: Angebot und Annahme nicht gleichzeitig

Im vorliegenden Fall geschah das Angebot durch den Unternehmer am ersten Tag, die Annahme des Verbrauchers jedoch erst am nächsten Tag.

️ Ergebnis: Kein Vertragsschluss bei gleichzeitiger Anwesenheit.

2. Keine Anwendbarkeit von § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB

Diese Vorschrift betrifft Fälle, in denen der Verbraucher selbst ein Angebot unterbreitet, das außerhalb von Geschäftsräumen angenommen wird. Das war hier nicht der Fall – das Angebot kam vom Unternehmer.

️ Auch Nr. 2 BGB ist nicht einschlägig.

3. Keine Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers

Der BGH verweist auch auf die Zwecke der Verbraucherrechterichtlinie. Der Schutz soll insbesondere in Überrumpelungssituationen greifen – etwa bei Haustürgeschäften, wo der Verbraucher spontan eine Entscheidung trifft, ohne Vergleichsmöglichkeiten oder Bedenkzeit.

Im entschiedenen Fall hatten die Kläger aber ausreichend Zeit, um das Angebot zu überdenken. Die Annahme am nächsten Tag spricht gegen eine überhastete Entscheidung.

️ Der Schutzzweck greift hier nicht – der Verbraucher war nicht schutzwürdig im Sinne der Richtlinie.

Entscheidungsgründe im Detail

a) § 312b BGB ist richtlinienkonform auszulegen

Der BGH betont ausdrücklich, dass § 312b BGB im Lichte der europäischen Richtlinie 2011/83/EU ausgelegt werden muss. Aus Erwägungsgrund Nr. 21 der Richtlinie ergibt sich:

Die Begriffsbestimmung für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge soll Situationen nicht erfassen, in denen ein Unternehmer zunächst ohne jede Verpflichtung des Verbrauchers in dessen Wohnung Maße nimmt oder eine Schätzung erstellt, und der Vertrag erst später geschlossen wird.

️ Genau dieses Szenario lag im Fall vor: Erst Angebot → später Annahme.

b) Kein Fernabsatzvertrag (§ 312c BGB)

Auch ein Fernabsatzvertrag lag nicht vor. Zwar hätte ggf. ein telefonisch oder digital übermitteltes Angebot unter § 312c BGB fallen können. Doch die Annahme fand vor Ort statt – ohne standardisiertes Fernabsatzverfahren.

️ Auch hier: kein Anwendungsfall für das Widerrufsrecht.

Bedeutung für die Praxis

Für Verbraucher:

  • Ein Widerrufsrecht besteht nur, wenn Angebot und Annahme zeitgleich außerhalb der Geschäftsräume erfolgen.
  • Ein späterer Vertragsabschluss (selbst wenn am selben Ort) genügt nicht.
  • Verbraucher sollten sich den Zeitpunkt der Vertragsschlüsse bewusst machen und dokumentieren.

Für Unternehmer (z.B. Handwerker):

  • Klarheit schaffen: Angebote besser schriftlich mit Datum fixieren.
  • Belehrungspflichten vermeiden: Ist kein Außergeschäftsraumvertrag, besteht auch keine Pflicht zur Widerrufsbelehrung.
  • Aber: Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte trotzdem eine Widerrufsbelehrung beifügen – das erhöht Rechtssicherheit.

Fazit: Keine spontane Entscheidung – kein Widerrufsrecht

Der BGH hat mit Urteil vom 6. Juli 2023 (VII ZR 151/22) klargestellt, dass ein Vertrag nur dann außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen ist, wenn Angebot und Annahme gleichzeitig vor Ort erklärt werden.

Eine zeitversetzte Vertragsannahme – auch am selben Ort – genügt nicht. Das Urteil stärkt somit die Rechtssicherheit für Unternehmer und präzisiert, wann Verbraucherschutz durch Widerruf greift – und wann nicht.

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