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Widerrufsbelehrung auch ohne Telefonnummer wirksam

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Die Frage, ob eine Widerrufsbelehrung auch dann wirksam ist, wenn sie keine Telefonnummer enthält, klingt zunächst wie ein Randproblem des Fernabsatzrechts. Doch hinter dieser scheinbar formalen Streitigkeit verbirgt sich ein juristisch und wirtschaftlich hochrelevanter Aspekt des Verbraucherschutzes und seiner praktischen Umsetzung im digitalen Geschäftsverkehr. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat diese Frage mit Beschluss vom 25. Februar 2025 (Az.: VIII ZR 143/24) entschieden – mit einem Urteil, das nicht nur Unternehmer und Verbraucher gleichermaßen betrifft, sondern auch die Bedeutung des gesetzlichen Musters für die Widerrufsbelehrung, die praktische Erreichbarkeit eines Unternehmens und die unionsrechtskonforme Auslegung nationaler Vorschriften beleuchtet.

Der zugrunde liegende Sachverhalt: Ein Autokauf mit juristischer Nachwirkung

Dem Beschluss lag ein Kaufvertrag über ein Neufahrzeug zugrunde, den ein Verbraucher im Februar 2022 online mit einem Autohaus geschlossen hatte. Der Vertrag wurde vollständig im Fernabsatz geschlossen, also unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln – was zur Anwendung der besonderen Schutzvorschriften für Verbraucher im Fernabsatz führte, insbesondere des Widerrufsrechts gemäß § 355 BGB in Verbindung mit § 356 BGB. Das Auto wurde dem Käufer im März 2022 ausgeliefert. Der Verkäufer hatte dem Kunden rechtzeitig eine Widerrufsbelehrung zugesandt. Diese Belehrung enthielt die gesetzlich geforderten Informationen zu Fristbeginn, Dauer, Ausübung und Folgen des Widerrufs. Allerdings fehlte darin ein Detail, das für den späteren Rechtsstreit entscheidend wurde: die Telefonnummer des Autohauses.

Für den Käufer war dies der zentrale Angriffspunkt. Er erklärte – mehr als ein Jahr nach Vertragsschluss – den Widerruf. Er war der Auffassung, dass die Widerrufsbelehrung unvollständig und damit unwirksam gewesen sei, weil sie nicht alle gesetzlich vorgesehenen Kontaktmöglichkeiten des Unternehmens aufführte. Insbesondere sei die Telefonnummer des Händlers, obwohl im Impressum der Website durchaus ersichtlich, nicht in der Widerrufsbelehrung selbst enthalten gewesen. Nach Ansicht des Käufers habe dies zur Folge, dass die Widerrufsfrist niemals zu laufen begonnen habe – mit der Konsequenz, dass der Widerruf auch noch nach über zwölf Monaten wirksam erklärt werden könne.

Das Landgericht wies die Klage ab. Auch das Berufungsgericht folgte dieser Einschätzung und verneinte eine Pflicht zur Angabe der Telefonnummer in der Widerrufsbelehrung. Gegen diese Entscheidung wandte sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof. Doch der BGH bestätigte in seinem Beschluss die Auffassung der Vorinstanzen – mit einer bemerkenswert klaren Begründung, die in mehrfacher Hinsicht wegweisend ist.

Die rechtliche Bewertung des BGH: Ein Zusammenspiel von deutschem Recht, Unionsrecht und Systematik

Zentrale Grundlage der Entscheidung war § 356 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB. Diese Vorschrift verpflichtet Unternehmer, dem Verbraucher „eine klare und verständliche Information über die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts“ zur Verfügung zu stellen. Diese Informationen müssen unter anderem auch enthalten, auf welchem Weg der Verbraucher den Widerruf erklären kann.

Zur Vermeidung rechtlicher Unsicherheiten hat der Gesetzgeber ein gesetzliches Muster für die Widerrufsbelehrung geschaffen, das als Anlage zu Art. 246a EGBGB beigefügt ist. Wird dieses Muster vollständig und unverändert verwendet, entfaltet es gemäß § 246a § 1 Abs. 2 Satz 2 EGBGB eine sogenannte Schutzwirkung: Der Unternehmer erfüllt dann automatisch seine Informationspflichten – es liegt also eine gesetzlich vermutete ordnungsgemäße Belehrung vor.

Im vorliegenden Fall hatte der Unternehmer zwar eine eigene Version der Widerrufsbelehrung verwendet, die inhaltlich weitgehend mit dem Muster übereinstimmte, jedoch – abweichend vom Muster – auf die Angabe einer Telefonnummer verzichtet. Für den Verbraucher war dies Anlass, den Beginn der Widerrufsfrist zu bestreiten.

Der BGH stellte hierzu fest, dass die Angabe einer Telefonnummer zwar im gesetzlichen Muster vorgesehen sei, aber aus unionsrechtlicher Sicht – insbesondere unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 lit. h der Verbraucherrechterichtlinie (2011/83/EU) – nicht zwingend erforderlich sei. Nach dem unionsrechtlichen Maßstab genügt es, wenn dem Verbraucher eine schnelle und unkomplizierte Kontaktaufnahme ermöglicht wird. Dies könne – so der BGH – auch durch die Angabe einer E-Mail-Adresse und einer Postanschrift gewährleistet werden, insbesondere wenn weitere Kommunikationsmittel – wie die Telefonnummer – leicht auffindbar sind.

Eine zwingende Verpflichtung, alle verfügbaren Kontaktmöglichkeiten explizit in der Widerrufsbelehrung aufzuführen, sieht das Gesetz nach Ansicht des BGH nicht vor. Die Telefonnummer müsse daher nicht notwendigerweise Teil der Belehrung sein, solange sie an anderer Stelle – etwa auf der Website – leicht zugänglich ist und der Verbraucher in der Lage ist, das Unternehmen ohne unnötige Hürden zu erreichen. Entscheidend sei nicht die formale Vollständigkeit im Sinne einer tabellarischen Auflistung aller Kommunikationswege, sondern die faktische Effektivität der Informationsvermittlung und der Möglichkeit zur Rechtsausübung.

Zudem – und das ist für die juristische Bewertung entscheidend – ergebe sich auch aus dem Fehlen der Telefonnummer keine inhaltliche Irreführung oder Täuschung des Verbrauchers. Der Kläger sei zu keinem Zeitpunkt über seine Rechte getäuscht oder irregeführt worden, und ihm sei auch keine realistische Möglichkeit genommen worden, sein Widerrufsrecht auszuüben. Die Telefonnummer sei – so das Gericht ausdrücklich – ohne weiteres auf der Website auffindbar gewesen. Die Widerrufsbelehrung sei daher in ihrer konkreten Ausgestaltung klar, verständlich und vollständig im rechtlichen Sinne gewesen.

Die Bedeutung der Entscheidung für die rechtspraktische Umsetzung im E-Commerce

Die Entscheidung des BGH hat erhebliche praktische Bedeutung – insbesondere für Händler, Dienstleister und Plattformbetreiber, die Verbraucherverträge im Fernabsatz abschließen.

Denn sie bringt eine willkommene Klärung der Frage, wie eng die Vorgaben des gesetzlichen Musters für Widerrufsbelehrungen auszulegen sind – und ob eine Abweichung hinsichtlich einzelner Kommunikationsmittel automatisch zu einer Unwirksamkeit führt.

Der BGH entscheidet diese Frage klar zugunsten einer funktional orientierten Auslegung: Es kommt nicht auf die bloße Existenz einer Telefonnummer an, sondern auf die Möglichkeit einer effektiven Kontaktaufnahme. Unternehmer müssen zwar sicherstellen, dass ihre Kontaktdaten für Verbraucher zugänglich sind – dies aber nicht zwingend innerhalb der Belehrung selbst. Maßgeblich ist vielmehr, ob der Verbraucher objektiv in der Lage ist, das Unternehmen zu erreichen und sein Widerrufsrecht geltend zu machen.

Das Urteil stellt damit einen bedeutsamen Schritt in Richtung einer praktikablen, praxisgerechten und gleichzeitig unionsrechtskonformen Auslegung des Widerrufsrechts dar. Es korrigiert eine überformalisierte Sichtweise, die sich ausschließlich am Wortlaut des gesetzlichen Musters orientiert, und betont stattdessen die funktionale Zielsetzung des Verbraucherrechts: den effektiven Schutz durch Information, nicht durch starre Formvorgaben.

Ausblick und Bewertung

Die Entscheidung des BGH ist konsequent, nachvollziehbar und aus Sicht einer modernen, europarechtskonformen Gesetzesauslegung zu begrüßen. Sie entlastet Unternehmer von der Sorge, dass geringfügige Abweichungen vom Mustertext – wie das Weglassen der Telefonnummer – zwangsläufig zu Rechtsnachteilen führen. Gleichzeitig wahrt sie die berechtigten Interessen der Verbraucher, indem sie auf die tatsächliche Erreichbarkeit des Unternehmens abstellt und die Effektivität des Widerrufsrechts sicherstellt.

Für die juristische Praxis bedeutet dies eine größere Flexibilität in der Gestaltung von Widerrufsbelehrungen – allerdings unter der Voraussetzung, dass die übrigen Informationspflichten erfüllt sind und dem Verbraucher ein effektiver Zugang zu seinen Rechten ermöglicht wird. Händler sollten weiterhin mit Sorgfalt agieren und sicherstellen, dass Kontaktwege transparent und leicht zugänglich sind – etwa über Impressum, Kontaktformulare oder automatische E-Mail-Bestätigungen.

Abschließend lässt sich festhalten: Der Beschluss des BGH vom 25. Februar 2025 schafft eine sachgerechte Balance zwischen Verbraucherschutz und unternehmerischer Rechtsklarheit. Er ist ein Beispiel dafür, wie gerichtliche Entscheidungspraxis dazu beitragen kann, den rechtlichen Rahmen an die Lebenswirklichkeit des digitalen Handels anzupassen – ohne die Schutzziele des Gesetzes aus dem Blick zu verlieren.

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