Widerruf nach Zulassung: 20 % Wertverlust beim Online-Autokauf

Widerrufsrecht mit Fallstricken
Der Online-Autokauf erfreut sich wachsender Beliebtheit – insbesondere durch die Möglichkeit, das Fahrzeug zunächst risikolos zu erwerben und bei Nichtgefallen vom Widerrufsrecht Gebrauch zu machen. Doch genau hier lauert eine juristische Falle, die viele Verbraucher unterschätzen: Wird das Fahrzeug vor dem Widerruf zugelassen, kann dies einen erheblichen Wertverlust von bis zu 20 % bedeuten.
Das zeigt ein aktuelles Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 23.04.2025 (Az. 16 O 5436/24). Der folgende Beitrag beleuchtet den Sachverhalt, die Rechtslage, die Entscheidungsgründe des Gerichts sowie die Konsequenzen für Verbraucher und Händler.
1. Der Sachverhalt – Was genau ist passiert?
Ein Verbraucher kaufte über das Internet ein fabrikneues Fahrzeug – ein Elektroauto – zu einem Preis von 41.120 Euro. Der Autohändler, bei dem das Fahrzeug bestellt wurde, war ein professioneller, gewerblich tätiger Anbieter. Das Geschäft wurde im Wege des Fernabsatzes abgeschlossen, sodass für den Käufer ein 14-tägiges Widerrufsrecht nach § 355 BGB bestand.
Lieferung und Zulassung
Nach der Lieferung des Neuwagens ließ der Käufer das Fahrzeug auf sich selbst zu und nutzte es nur sehr kurz – bei der Rückgabe waren 515 Kilometer auf dem Tacho vermerkt. Der Käufer war jedoch unzufrieden und erklärte nach wenigen Tagen den Widerruf des Kaufvertrags innerhalb der gesetzlichen Frist.
Der Streit beginnt: Wertersatz in Höhe von 20 %
Der Händler akzeptierte den Widerruf an sich, zahlte aber nur rund 32.900 Euro zurück. Er zog also etwa 8.200 Euro ab, was ungefähr 20 % des ursprünglichen Kaufpreises entspricht. Die Differenz begründete der Händler mit zwei Faktoren:
- Wertverlust durch die Zulassung: Das Fahrzeug habe mit der Zulassung seinen Status als „Neuwagen“ verloren.
- Nutzung durch den Käufer: Die gefahrenen Kilometer rechtfertigten eine zusätzliche Nutzungsentschädigung.
Der Käufer hielt diese Einbehalte für unzulässig und verlangte die vollständige Rückzahlung des Kaufpreises. Seine Argumentation:
- Die Zulassung sei erforderlich gewesen, um das Fahrzeug ordnungsgemäß zu prüfen.
- Ein Wertverlust von 20 % sei unrealistisch hoch, insbesondere bei einem Elektrofahrzeug.
- Der Händler habe das Auto später zu einem höheren Preis weiterverkauft – also habe tatsächlich kein Wertverlust vorgelegen.
Mit dieser Argumentation zog der Käufer vor das Landgericht Nürnberg-Fürth – und verlor.
2. Rechtlicher Hintergrund: Widerrufsrecht im Fernabsatz
Das Widerrufsrecht ist eine verbraucherschützende Vorschrift im deutschen Zivilrecht, geregelt in den §§ 355 ff. BGB. Es erlaubt Verbrauchern, bei Fernabsatzgeschäften (z. B. Onlinekäufen) binnen 14 Tagen ohne Angabe von Gründen vom Vertrag zurückzutreten. Allerdings ist u.U. ein Wertersatz zu leisten (§ 357a BGB).
Anders formuliert: Wer ein Produkt weitergehend nutzt als es zur Prüfung erforderlich ist, muss unter Umständen einen Teil des Kaufpreises als Wertersatz zahlen.
3. Die Entscheidung des LG Nürnberg-Fürth im Detail
Die Klage wurde vollständig abgewiesen
Das Landgericht Nürnberg-Fürth entschied eindeutig zugunsten des Autohändlers. Die Klage des Käufers auf Rückzahlung des vollständigen Kaufpreises wurde abgewiesen. Der Händler durfte einen Wertersatz in Höhe von 20 % des Kaufpreises rechtswirksam einbehalten.
4. Die Begründung des Gerichts im Einzelnen
4.1 Zulassung führt zu erheblichem Wertverlust
Das zentrale Argument des Gerichts: Mit der Zulassung auf den Käufer verliert ein Neuwagen objektiv seinen Neuwagenstatus.
„Ein solcher [Wertverlust] ist sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung als angemessen angesehen worden.“
Selbst wenn nur wenige Kilometer gefahren werden, hat der Wagen durch die Erstzulassung auf den Endkunden einen relevanten Marktnachteil. Er kann nicht mehr als Neuwagen verkauft werden, sondern nur noch als junger Gebrauchter – mit entsprechenden finanziellen Einbußen.
4.2 Zulassung war nicht erforderlich zur Prüfung
Ein weiterer Kernpunkt: Die Zulassung war nicht notwendig, um das Fahrzeug zu prüfen. Der Käufer hätte laut Gericht auf eine Probefahrt beim Händler oder auf einem Privatgelände zurückgreifen können.
„Die Zulassung sei auch nicht erforderlich, um das Fahrzeug zu testen. Vielmehr hätte eine einfache Probefahrt, wie sie der Händler angeboten habe, ausgereicht.“
Damit stellt das Gericht klar: Wer ein Auto testweise zulassen will, überschreitet die Grenze des notwendigen Umgangs im Sinne.
4.3 Wertersatz in Höhe von 20 % ist angemessen
Das Gericht hat ausdrücklich betont, dass ein pauschaler Wertverlust von 20 % bei Erstzulassung nicht zu beanstanden sei. Diese Einschätzung sei sowohl in der Rechtsprechung als auch in der juristischen Literatur üblich und akzeptiert.
Auch sei es irrelevant, ob der Händler das Fahrzeug später zu einem höheren Preis weiterverkaufen konnte. Maßgeblich sei der objektive Verkehrswert im Rückgabezeitpunkt, nicht ein später realisierter Gewinn.
Ein Sachverständigengutachten wurde nicht eingeholt. Das Gericht sah sich aufgrund der allgemein bekannten Marktbedingungen in der Lage, den Wertverlust selbst zu schätzen (§ 287 ZPO).
5. Relevanz des Urteils für Verbraucher und Händler
Für Verbraucher:
- Widerruf bleibt möglich, aber…
- Zulassung vor Widerruf ist riskant!
- Ein Verlust von bis zu 20 % des Kaufpreises ist bei Rückgabe wahrscheinlich.
- Selbst Elektroautos genießen keinen Sonderstatus – es gelten dieselben Regeln.
Für Händler:
- Das Urteil stärkt Händler in ihrer Position:
- Wertersatz kann bei „falscher Nutzung“ verlangt werden.
- Händler müssen keine vollständige Rückzahlung leisten, wenn der Kunde mehr getan hat als „prüfen“.
- Für künftige Fälle ist das Urteil eine klare Leitentscheidung, die viele Streitfragen beantwortet.
6. Rechtspolitische Einordnung
Das Urteil des LG Nürnberg-Fürth dürfte überregionale Signalwirkung entfalten. Es stärkt die Auslegung des § 357 Abs. 7 BGB im Sinne der Praxis und gibt Händlern klare Leitlinien, ab wann und in welcher Höhe Wertersatz geltend gemacht werden kann.
Gleichzeitig zeigt das Urteil, dass das Verbraucherrecht seine Grenzen hat – nämlich dort, wo das Verhalten des Käufers wirtschaftlich irreversibel Folgen für die Sache hat (hier: Verlust des Neuwagenstatus).
7. Fazit: Kein Rückgaberecht ohne Konsequenzen
Das LG Nürnberg-Fürth hat eine verbraucherschutzrechtlich wichtige, aber auch wirtschaftlich nachvollziehbare Entscheidung getroffen. Wer ein Auto online kauft und es vor dem Widerruf zulässt, muss wissen: Das Fahrzeug ist dann kein Neuwagen mehr. Eine Rückgabe ist weiterhin möglich – aber nicht kostenlos.
20 % Wertverlust – das ist die „Strafe“ für den Fehler, den viele gutgläubig machen. Für Verbraucher bedeutet das Urteil: Widerruf mit Augenmaß, für Händler: Rechtssicherheit beim Wertersatz.
Ansprechpartner
Alexander Bräuer
Alexander Bräuer
Andere über uns
WEB CHECK SCHUTZ
Gestalten Sie Ihre Internetseite / Ihren Onlineshop rechts- und abmahnsicher.
Erfahren Sie mehr über die Schutzpakete der Anwaltskanzlei Weiß & Partner für die rechtssichere Gestaltung Ihrer Internetpräsenzen.