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Wettbewerbswidrige Angaben im Online-Shop

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Online-Shops stehen zunehmend im Fokus des Verbraucher- und Wettbewerbsrechts. Ein aktuelles Urteil des Landgerichts Berlin II verdeutlicht, wie Onlinehändler durch sogenannte "Dark Patterns" Verbraucher manipulieren und damit gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen können. Das Gericht nahm dabei insbesondere drei Verhaltensweisen ins Visier: eine irreführende Widerrufsbelehrung, einen manipulativ eingesetzten Countdown-Timer und die Verwendung aggressiv gestalteter Zwischenseiten im Bestellvorgang.

Ausgangspunkt des Rechtsstreits

Klage erhob der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) gegen einen Online-Shop, der ein Buch in Papierform zum Verkauf anbot. Die Verbraucherschützer rügten drei konkrete Praktiken, die ihrer Ansicht nach Verbraucher täuschen und zu ungewollten Kaufentscheidungen verleiten würden.

Im Einzelnen kritisiert wurden:

  1. Eine Formulierung, die fälschlich suggerierte, das Widerrufsrecht erlösche automatisch mit Beginn der Vertragsausführung.
  2. Ein 15-minütiger Countdown-Timer, der eine Angebotsverknappung vortäuschte.
  3. Zwei vorgeschaltete Webseiten mit kostenpflichtigen Zusatzangeboten, die nach dem Klick auf den Button „Jetzt kostenpflichtig bestellen“ eingeblendet wurden.

1. Irreführende Informationen zum Widerrufsrecht

Der Online-Shop verlangte vor Abschluss der Bestellung die ausdrückliche Zustimmung zu folgender Erklärung:

"Hiermit stimme ich zu, dass C(...) mit der Ausführung des Vertrages vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass ich mit dieser Zustimmung mit Beginn der Ausführung des Vertrages mein Widerrufsrecht verliere."

Diese Erklärung war in einem auffälligen roten Kasten platziert und musste aktiv angeklickt werden, um den Kauf abschließen zu können. Das Landgericht Berlin II stufte diesen Hinweis als wettbewerbswidrig ein.

Warum? Weil das gesetzliche Widerrufsrecht bei Käufen von physischen Waren (wie hier: ein gedrucktes Buch) nicht mit der Ausführung des Vertrags erlischt. Die Regelung des § 356 Abs. 5 BGB, die ein vorzeitiges Erlöschen des Widerrufsrechts ermöglicht, gilt nur für digitale Inhalte, die nicht auf einem körperlichen Datenträger bereitgestellt werden. Bei einem gedruckten Buch liegt ein solcher Sonderfall gerade nicht vor.

Der verwendete Text suggerierte somit fälschlicherweise, dass der Verbraucher sein Widerrufsrecht verliere, sobald der Shop mit der Ausführung des Vertrags beginne. Diese Aussage sei nicht nur objektiv unrichtig, sondern auch geeignet, das Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen. Besonders schwer wog dabei nach Auffassung des Gerichts, dass die Klausel optisch hervorgehoben war und Voraussetzung für den Vertragsabschluss bildete.

Das Argument der Beklagten, der Hinweis sei in ihren AGB korrekt erklärt, ließ das Gericht nicht gelten. Der durchschnittliche Verbraucher nehme den Inhalt der AGB nicht zur Kenntnis. Eine irreführende, deutlich hervorgehobene Formulierung könne durch eine versteckte Klarstellung in den AGB nicht neutralisiert werden. Es sei eine unmissverständliche Richtigstellung im unmittelbaren räumlichen Zusammenhang erforderlich gewesen.

2. Countdown-Timer zur Erzeugung künstlichen Zeitdrucks

Im nächsten Schritt befasste sich das Gericht mit einem Countdown-Timer, der im Checkout-Bereich erschien. Nach dem Hinzufügen des Buches zum Warenkorb wurde dem Verbraucher ein zusätzliches Angebot unterbreitet, das scheinbar nur für 15 Minuten verfügbar war. Tatsächlich ließ sich der Countdown jedoch durch bloßes Aktualisieren der Seite mehrfach erneut auf 15 Minuten setzen.

Das LG Berlin II sah hierin eine unzulässige geschäftliche Handlung. Der Countdown sei objektiv irreführend und vermittle dem Verbraucher eine falsche Vorstellung von zeitlicher Dringlichkeit. Dadurch werde beim Kunden ein Druck erzeugt, das Angebot schnell anzunehmen, ohne die Möglichkeit zu haben, es angemessen zu prüfen oder Alternativen zu erwägen.

Zudem verlagere sich die Entscheidungssituation in eine ohnehin psychologisch angespannte Lage: Der Countdown wurde während des laufenden Bestellprozesses eingeblendet. Verbraucher hätten in diesem Moment oft Angst, durch eine Rückabwicklung des Vorgangs (z. B. durch Verlassen der Seite) den bereits eingeleiteten Hauptkauf zu verlieren.

Besonders deutlich wird das manipulative Potenzial, wenn man sich den realen Ablauf ansieht: Wie das Gericht hervorhob, war es dem Verbraucher möglich, den Countdown mehrfach zu verlängern. Dadurch stand ein Zeitraum von mindestens 45 Minuten zur Verfügung. Eine Begrenzung auf "15 Minuten" lag also faktisch nicht vor.

Das Gericht wertete diese Gestaltung als eine gezielte Beeinflussung mit dem Ziel, eine voreilige Kaufentscheidung zu erzeugen. Damit liege eine wettbewerbswidrige Irreführung und aggressive geschäftliche Handlung vor.

3. Zwischengeschaltete Seiten mit Zusatzangeboten

Der dritte beanstandete Punkt betraf die Gestaltung des Bestellprozesses nach dem Klick auf den Button „Jetzt kostenpflichtig bestellen“. Statt zur Bestellbestätigung geleitet zu werden, wurden die Kunden auf zwei weitere Webseiten mit kostenpflichtigen Zusatzangeboten weitergeleitet. Eine Bestellbestätigung erschien erst, nachdem diese Angebote jeweils aktiv abgelehnt worden waren.

Die Ablehnoptionen waren dabei optisch unauffällig gestaltet – in kleiner, blauer Schrift, die kaum als klickbarer Link erkennbar war. Zugleich wurden die Nutzer mit markigen Warnungen konfrontiert:

„ACHTUNG! Klicke nicht auf „Zurück“ und schließe diese Seite unter keinen Umständen, um eine doppelte Abbuchung zu vermeiden! STOPP! Fast geschafft!"

Unterlegt wurden diese Hinweise mit einem angeblichen Fortschrittsbalken („75 %“ bzw. „85 % vollständig“), der dem Kunden signalisieren sollte, er befinde sich noch mitten im Vorgang. Das Gericht sah hierin eine gezielte Erzeugung von Unsicherheit: Der Kunde wisse nicht, ob seine Bestellung bereits abgeschlossen sei oder ob er noch weitere Schritte durchlaufen müsse, um den Kauf abzuschließen.

Dieses Vorgehen stufte das LG Berlin II als aggressive geschäftliche Handlung gem. § 4a UWG ein. Die Kunden seien durch die Gestaltung der Benutzeroberfläche faktisch gezwungen worden, eine Entscheidung zu den Zusatzangeboten zu treffen. Die Ablehnoption sei nicht gleichwertig zur Annahmeoption ausgestaltet gewesen, wodurch eine unangemessene Beeinflussung stattgefunden habe.

Das Verhalten der Beklagten stelle ein typisches Beispiel für "Dark Patterns" dar: Gestalterische Mittel würden gezielt eingesetzt, um Nutzer psychologisch zu lenken und die Entscheidungsfreiheit unbemerkt einzuschränken.

Rechtliche Bewertung und Einordnung

Das LG Berlin II hat alle drei Praktiken als wettbewerbswidrig i.S.d. § 3 UWG eingestuft. Die Irreführung zum Widerrufsrecht fällt unter § 5 UWG. Der manipulativ eingesetzte Countdown und die vorgeschalteten Seiten mit schwer erkennbaren Ablehnoptionen sind als aggressive geschäftliche Handlungen im Sinne des § 4a UWG zu qualifizieren.

Das Urteil steht im Einklang mit europäischem Recht, insbesondere der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (UGP-Richtlinie) und den neuen Regelungen der Omnibus-Richtlinie zur Verbrauchertransparenz. Die Entscheidung verdeutlicht auch, dass der Gesetzgeber wie auch die Gerichte zunehmend „digitale Verkaufsdruck-Techniken“ unterbinden wollen, wenn sie auf Verbrauchertäuschung oder unangemessenen psychologischen Druck setzen.

Fazit

Das Urteil des LG Berlin II ist ein klares Signal an Online-Händler: Wer den Checkout-Prozess manipulierend gestaltet, riskiert rechtliche Konsequenzen. Verbrauchertäuschung durch falsche Belehrungen, künstliche Angebotsverknappung oder unfaire Abläufe im Bestellprozess sind nicht länger bloß ein UX-Problem – sie sind rechtswidrig.

Die Entscheidung bietet eine praxisnahe Orientierung, wie nicht gestaltete werden darf. Online-Händler sollten ihre Verkaufsstrecken dringend einer rechtlichen und gestalterischen Prüfung unterziehen und sich von manipulativen Mustern distanzieren. Das Risiko von Abmahnungen, Unterlassungsklagen und Reputationsschäden ist hoch – die Lösung heißt: Transparenz, Fairness und rechtssichere Gestaltung.

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