Zum Hauptinhalt springen

Wettbewerbsverstoß durch Fake-Bestellungen & negative Bewertungen

| Rechtsanwalt Frank Weiß

In Zeiten des digitalen Handels kann ein Unternehmen durch gezielte Maßnahmen nicht nur operativ geschädigt, sondern auch in seiner Reputation nachhaltig getroffen werden. Das Oberlandesgericht Hamm hat in seinem Urteil vom 16. April 2024 (Az.: 4 U 151/22) eine klare Grenze gezogen: Systematisch initiierte Bestellungen mit anschließenden Retouren sowie gezielt herabsetzende Bewertungen stellen eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung und einen Wettbewerbsverstoß dar. Besonders relevant ist die Entscheidung für Unternehmen im E-Commerce, da sie verdeutlicht, in welchem Maß sich ein Mitbewerber das Verhalten (auch ehemaliger) Mitarbeiter zurechnen lassen muss.

Der Sachverhalt: Systematische Retouren und Bewertungsangriffe

Die Parteien

Die Klägerin und die Beklagte sind direkte Mitbewerber im Online-Handel. Beide bieten vergleichbare Produkte über Plattformen wie Amazon oder eBay an.

Die Vorgehensweise

Zwei ehemalige Mitarbeiter der Beklagten – namentlich benannt als I. und Y. – haben bei der Klägerin insgesamt elf Mal Waren bestellt. Auffällig war dabei:

  • Die Bestellungen hatten offenbar keinen echten Erwerbszweck, sondern dienten lediglich der Störung.
  • Es wurden in mehreren Fällen Retouren eingeleitet, was bei Händlern im E-Commerce mit erheblichem Aufwand, Rücksendekosten und Margenverlusten verbunden ist.
  • Parallel dazu wurden umfangreiche negative Bewertungen abgegeben, die geeignet waren, das Ansehen der Klägerin zu schädigen.

Ziel war es offenbar, die Klägerin in zweifacher Weise zu treffen:

  • Operativ, durch Aufwand und Kosten für Rücksendungen
  • Reputativ, durch negative öffentlichkeitswirksame Bewertungen

Verhalten der Beklagten

Die Beklagte bestritt zwar die Verantwortung für das Verhalten der Ex-Mitarbeiter, kam ihrer sekundären Darlegungslast jedoch nicht nach. Insbesondere:

  • Wurde nicht vorgetragen, welche internen Untersuchungen angestellt wurden
  • Wurde kein substantiiertes Vorbringen geliefert, ob und wie Kontakt zu den Beteiligten aufgenommen wurde
  • Es wurde lediglich ein pauschaler Zeugenbeweis angeboten, was das Gericht nicht als ausreichend ansah

Die Entscheidung des OLG Hamm

Berufung als unbegründet verworfen

Das OLG Hamm bestätigte das vorinstanzliche Urteil des Landgerichts und wies die Berufung zurück. Die Richter stuften das Verhalten in zweifacher Hinsicht als rechtswidrig ein:

  1. Wettbewerbsverstoß gemäß §§ 3, 4 UWG
  2. Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung gemäß § 826 BGB

Juristische Bewertung: Wettbewerbswidrigkeit und § 826 BGB

Unlauterer Wettbewerb

Nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) sind gezielte Behinderungen von Mitbewerbern unzulässig (§ 4 Nr. 4 UWG). Das Verhalten der Beklagten bzw. ihrer ehemaligen Mitarbeiter erfüllt exakt diesen Tatbestand:

  • Die Bestellungen hatten keinen kommerziellen Zweck.
  • Sie dienten ausschließlich dazu, der Klägerin Aufwand zu bereiten.
  • Die negativen Bewertungen sollten gezielt das Ansehen des Mitbewerbers schädigen.

Das Gericht führte hierzu aus, dass ein rechtlich anerkennenswertes Interesse der Beklagten an diesem Verhalten nicht einmal im Ansatz zu erkennen sei. Vielmehr liege auf der Hand, dass die Aktivitäten ausschließlich den Zweck hatten, dem Mitbewerber zu schaden.

§ 826 BGB – Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung

Ein besonders bedeutsamer Teil des Urteils betrifft die Anwendung von § 826 BGB, der regelmäßig hohe Anforderungen stellt. Dennoch bejahte das OLG Hamm diesen Tatbestand:

"Bereits die Veröffentlichung nachteiliger Äußerungen über die Klägerin oder nachteilige Äußerungen gegenüber einzelnen Dritten (hier: Plattformbetreiber) stellen Eingriffe in die Rechtssphäre der Klägerin dar, die als Schadenszufügung im Sinne des § 826 BGB anzusehen sind."

Wichtig ist hier die Betonung, dass bereits die schlichte Veröffentlichung nachteiliger Aussagen, auch ohne bewusst falsche Tatsachenbehauptungen, als sittenwidrig angesehen werden kann – wenn die Zielrichtung ausschließlich schädigend ist.

Damit wird der Bogen zur Rechtsprechung zur Schmähkritik gespannt: Wo es nicht mehr um Sachkritik oder Meinungsäußerung geht, sondern nur um Diffamierung, kann eine Bewertung rechtswidrig sein.

Zurechnung fremden Verhaltens – Ex-Mitarbeiter haften nicht isoliert

Grundsatz der sekundären Darlegungslast

Ein besonders lehrreicher Aspekt des Urteils betrifft die Zurechnung des Mitarbeiterverhaltens. Die Beklagte hatte sich damit verteidigt, dass die handelnden Personen nicht mehr bei ihr beschäftigt seien. Das OLG ließ dieses Argument jedoch nicht gelten:

"Die Beklagte ist der sie treffenden sekundären Darlegungslast nicht einmal ansatzweise nachgekommen."

Wichtig: Unternehmen sind in solchen Fällen verpflichtet, aus ihrem Erkenntnisbereich alles Zumutbare zur Aufklärung des Sachverhalts beizutragen. Dazu gehören etwa:

  • Interne Ermittlungen
  • Kontaktaufnahme mit den betroffenen Personen
  • Offenlegung, ob die IP-Adressen oder E-Mail-Konten zuordenbar sind

Das Gericht urteilte weiter, dass das Verhalten der früheren Mitarbeiter der Beklagten zuzurechnen sei, da keinerlei ernsthafte Distanzierung oder Aufklärung erfolgt sei.

Abgrenzung zu eigenverantwortlichem Handeln

Auch wenn Mitarbeiter nicht im Auftrag des Arbeitgebers handeln, kann dem Unternehmen das Verhalten zurechenbar sein, wenn es:

  • Kein ernsthaftes Interesse an der Aufklärung zeigt
  • Eine Gesamtstrategie erkennbar ist
  • Keine Maßnahmen zur Verhinderung solcher Vorfälle erfolgt sind

Konsequenzen und Bedeutung für die Praxis

Klarstellung zur Reputationsschädigung

Das Urteil macht deutlich, dass gezielte Bewertungsangriffe – insbesondere im Zusammenspiel mit Fake-Käufen – einen erheblichen rechtlichen Verstoß darstellen. Unternehmen können sich dagegen wehren – sowohl zivilrechtlich über das UWG und § 826 BGB als auch mit Schadensersatzforderungen.

Haftung trotz Ex-Mitarbeiter-Status

Unternehmen müssen sicherstellen, dass auch nach dem Ausscheiden von Mitarbeitern keine Reputationsattacken über firmennahen Kontext erfolgen. Ist dies nicht der Fall und erfolgt keine ernsthafte Distanzierung, kann eine Zurechnung erfolgen.

Pflicht zur aktiven Aufklärung

Das Urteil bekräftigt die Bedeutung der sekundären Darlegungslast im Wettbewerbsrecht: Wer sich auf mangelndes Wissen beruft, muss aktiv aufklären, nicht nur pauschal bestreiten.

Fazit

Das Urteil des OLG Hamm ist richtungsweisend für den Schutz von Online-Händlern vor bewusster Störung durch Retouren und Rufschädigung durch Bewertungen. Es zeigt:

  • Die Kombination aus gezielten Retouren und diffamierenden Bewertungen kann eine sittenwidrige Schädigung darstellen (§ 826 BGB).
  • Die Wettbewerbslage im E-Commerce verlangt nach besonderem Schutz gegen Reputationsmanipulation.
  • Unternehmen haften auch für das Verhalten ehemaliger Mitarbeiter, wenn sie ihrer Darlegungspflicht nicht nachkommen.

Andere über uns

WEB CHECK SCHUTZ

Gestalten Sie Ihre Internetseite / Ihren Onlineshop rechts- und abmahnsicher.

WEB CHECK Schutzpakete der Anwaltskanzlei Weiß & Partner

Erfahren Sie mehr über die Schutzpakete der Anwaltskanzlei Weiß & Partner für die rechtssichere Gestaltung Ihrer Internetpräsenzen.

Cyber-Sicherheit

Webpräsenz der Allianz für Cyber-Sicherheit

Aktuelles

| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Im Zeitalter digitaler Bewertungen auf Plattformen wie Google, Jameda, Kununu oder Trustpilot ist der gute Ruf eines Unternehmens oder Freiberuflers angreifbarer denn je. Negative…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Warum ist das Thema „Trennungsgebot im Werberecht“ aktuell und relevant? Das Werberecht erlebt durch die Digitalisierung der Medienwelt eine regelrechte Renaissance. Nie zuvor wu…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
In Zeiten des digitalen Handels steht eines fest: Wer günstiger ist, gewinnt. Das gilt auch – und besonders – für den Arzneimittelmarkt. Gerade Apotheken achten beim Einkauf versc…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Die Werbung mit prominenten Gesichtern kann extrem wirksam sein – aber auch gefährlich, wenn sie ohne Erlaubnis erfolgt. Das hat das Landgericht Köln mit seinem Urteil zur Testimo…