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Irreführende Online-Werbung mit unterschiedlichen Standorten

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Stellen Sie sich vor: Sie suchen gezielt nach einer bestimmten medizinischen Behandlung in Ihrer Nähe – sagen wir "IVF in Frankfurt" – und werden auf eine Website weitergeleitet, die diesen Service scheinbar an mehreren Standorten in Deutschland anbietet. Nach einem Klick erfahren Sie jedoch, dass die Behandlung nur 37 Kilometer entfernt in einer anderen Stadt angeboten wird. Genau dieses Szenario hat das Kammergericht Berlin (KG Berlin) mit Urteil vom 08.02.2024 (Az.: 5 U 132/21) als wettbewerbswidrig eingestuft. In diesem Beitrag erfahren Sie, was es mit dieser Entscheidung auf sich hat, warum sie so wichtig für Unternehmen ist und wie Sie irreführende Werbung mit Standorten vermeiden.

1. Was ist irreführende Werbung mit Standorten?

Irreführende Werbung liegt vor, wenn Verbraucher über wesentliche Aspekte einer Dienstleistung oder eines Produkts getäuscht werden. Dies umfasst u.a. falsche Angaben zu Verfügbarkeit, Preis, Umfang oder Ort der Leistungserbringung. Im Fall von Online-Angeboten spielt besonders die Darstellung verschiedener Unternehmensstandorte eine bedeutende Rolle. Wenn auf der Website suggeriert wird, eine Dienstleistung werde an allen angezeigten Standorten angeboten, obwohl das tatsächlich nicht zutrifft, liegt schnell eine Irreführung vor.

2. Der konkrete Fall vor dem KG Berlin: Sachverhalt im Detail

Die beklagte Partei betreibt ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ), das sich auf Kinderwunschbehandlungen spezialisiert hat. Auf ihrer Website bewarb sie verschiedene reproduktionsmedizinische Leistungen, unter anderem die In-vitro-Fertilisation (IVF). Dabei listete sie vier verschiedene Standorte in Deutschland auf: unter anderem Frankfurt am Main und Wiesbaden.

Problematisch war die Gestaltung der Website-Suchfunktion: Suchte ein Nutzer über die integrierte Suche beispielsweise nach "IVF Deutschland" oder „IVF Frankfurt“, zeigte das System alle vier Standorte als mögliche Anlaufstellen für die gewünschte Behandlung an. Ein konkretes Beispiel: Auch der Standort Frankfurt wurde in der Trefferliste angezeigt, obwohl dort keine IVF-Behandlungen stattfanden. Erst beim Aufruf der Unterseite zum Standort Frankfurt konnte der Nutzer lesen, dass die eigentlichen IVF-Leistungen nur am Standort Wiesbaden angeboten werden – etwa 37 Kilometer entfernt.

Dieser Umstand führte zu einer wettbewerbsrechtlichen Klage wegen Irreführung durch unzutreffende Angaben auf der Website.

3. Entscheidungsgründe des Kammergerichts Berlin (Az.: 5 U 132/21)

Das Kammergericht sah in der Gestaltung des Internetauftritts eine Irreführung nach § 5 Abs. 1 UWG. Die Kernaussagen der Richter lassen sich wie folgt zusammenfassen:

a) Die Irreführung erfolgt bereits durch die Ergebnisanzeige der Suchfunktion

Laut Gericht erwartet der durchschnittliche Internetnutzer, dass eine in der Suchfunktion angezeigte Kombination aus Leistung und Standort zutreffend ist. Die Anzeige des Standorts Frankfurt im Zusammenhang mit der Leistung "IVF" erzeugt beim Verbraucher den unzutreffenden Eindruck, dass IVF-Behandlungen dort durchgeführt werden.

"Die über die Suchfunktion vermittelte Information [...] wird auch von einem Durchschnittsverbraucher [...] unschwer dahin aufgefasst, dass [...] die ihm zuvor bereits auf der Startseite vorgestellte „IVF“-Behandlung auch am Standort Frankfurt am Main in Anspruch genommen werden kann."

b) Der spätere Hinweis auf der Unterseite kommt zu spät

Zwar wurde auf der Unterseite des Standorts Frankfurt erläutert, dass IVF-Leistungen tatsächlich nur in Wiesbaden erbracht werden. Dies reicht laut Kammergericht jedoch nicht aus, um die zuvor entstandene Fehlvorstellung zu korrigieren. Die Irreführung war bereits durch die Startseite bzw. die Suchfunktion entstanden und konnte nicht durch nachgelagerte Informationen aufgelöst werden.

"Die durch die Gestaltung der Suchfunktion [...] hervorgerufene Irreführung [...] wird nicht durch die nachfolgenden Erläuterungen [...] auf der entsprechenden Unterseite [...] ausgeräumt."

c) Der Verkehr erwartet Übereinstimmung von Suchergebnis und realem Angebot

Nach Auffassung des Gerichts ist es einem durchschnittlich informierten und aufmerksamen Verbraucher nicht zuzumuten, die Angaben in den Unterseiten nochmals genau zu prüfen, um festzustellen, ob das Angebot tatsächlich am angezeigten Standort verfügbar ist. Die Suchfunktion muss also korrekt konfigurierte Ergebnisse liefern.

d) Eine Berufsausübungsgemeinschaft rechtfertigt keine Irreführung

Die Beklagte hatte argumentiert, dass es sich bei den Standorten Frankfurt und Wiesbaden um eine "überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft" handle. Diese Information wurde auch auf der Website bereitgestellt. Das Gericht erkannte dies jedoch nicht als ausreichenden Hinweis, um die Irreführung aufzuheben. Die Struktur des Unternehmens ändere nichts daran, dass die konkrete Leistung nur an einem Standort erbracht werde und dies aus der Suchfunktion nicht hervorgehe.

4. Die juristische Bewertung im Lichte des UWG

Das KG Berlin stützte seine Entscheidung auf § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG. Danach ist eine geschäftliche Handlung irreführend, wenn sie unwahre Angaben oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über wesentliche Merkmale der Dienstleistung enthält. Dazu gehört unter anderem:

  • Art und Umfang der Dienstleistung
  • Verfügbarkeit der Dienstleistung
  • Ort der Dienstleistung

Die Irreführung lag nach Ansicht des Gerichts nicht in der allgemeinen Angabe der Standorte, sondern in der konkreten Art der Verknüpfung zwischen Suchfunktion und angezeigten Ergebnissen.

5. Auswirkungen des Urteils für die Praxis

Diese Entscheidung betrifft nicht nur medizinische Versorgungszentren, sondern alle Unternehmen mit mehreren Standorten, die ihre Leistungen online präsentieren. Die wichtigsten Lehren lauten:

  • Suchfunktionen dürfen nur Ergebnisse anzeigen, die inhaltlich korrekt sind. Wer beispielsweise nach "Augenlasern Hamburg" sucht, darf nicht auf einen Standort verwiesen werden, der diesen Service gar nicht anbietet.
  • Transparenz muss sofort gegeben sein, nicht erst auf nachgelagerten Unterseiten.
  • Unternehmensstrukturen (z. B. Berufsausübungsgemeinschaften) müssen klar kommuniziert werden, reichen aber nicht aus, um eine Irreführung zu verhindern.

6. Empfehlungen für Unternehmen zur rechtssicheren Gestaltung

a) Technische Konfiguration der Website

  • Prüfen Sie Ihre Suchfunktion auf korrekte Filterung
  • Zeigen Sie nur relevante Standorte für spezifische Leistungen
  • Binden Sie übersichtliche Standort-Leistungs-Matrizen ein

b) Klare Kommunikation auf der Startseite

  • Vermeiden Sie allgemeine Aussagen wie "an allen Standorten verfügbar"
  • Verwenden Sie Erläuterungen wie "nicht an allen Standorten verfügbar" mit klarer Verlinkung

c) Einheit von Marketing, Technik und Recht

  • Ihr Marketing-Team sollte eng mit juristischen Beratern und Webentwicklern zusammenarbeiten
  • Schulung der Teams zu den Anforderungen des UWG und aktuellen Rechtsprechungen

7. Risiken bei Nichtbeachtung: Abmahnung, Unterlassung und mehr

Ein Verstoß gegen das UWG kann gravierende Folgen haben:

Gerade im Gesundheitsbereich können unklare Informationen zur Dienstleistung erhebliche Konsequenzen haben.

8. Fazit: Rechtssicher werben erfordert durchdachte Struktur

Das Urteil des KG Berlin ist ein wichtiger Meilenstein im Wettbewerbsrecht. Es zeigt, dass technische Funktionen wie Suchsysteme auf Webseiten rechtlich voll mitverantwortlich sind für die Vermittlung von Informationen an den Nutzer. Eine irreführende Standortverknüpfung kann bereits dann vorliegen, wenn die gewünschte Dienstleistung suggeriert wird, obwohl sie tatsächlich gar nicht am angezeigten Ort erbracht wird.

Für Unternehmen bedeutet das: Wer Standorte im Web bewirbt, muss exakt und transparent angeben, was wo angeboten wird. Dies gilt nicht nur auf den Unterseiten, sondern bereits in Suchfunktionen, Teasern und Übersichtsseiten.

Unsere Kanzlei unterstützt Sie gern dabei, Ihre Online-Präsenz rechtssicher zu gestalten, Abmahnrisiken zu minimieren und transparent zu kommunizieren.

Sie haben Fragen zu irreführender Werbung oder sind selbst betroffen? Kontaktieren Sie uns – wir unterstützen Sie kompetent, erfahren und praxisnah.

Ansprechpartner

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