Werbung für Biozid-Produkte unzulässig

Einleitung: Warum dieses Urteil Signalwirkung hat
Mit seinem Urteil vom 23. Januar 2025 hat der Bundesgerichtshof (BGH) eine Entscheidung zur Auslegung von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Biozidverordnung (VO (EU) Nr. 528/2012) getroffen. Werbeaussagen wie „Sanft zur Haut“ oder „Hautfreundlich“ für Biozidprodukte – insbesondere Desinfektionsmittel – sind demnach unzulässig, auch wenn sie faktisch zutreffen. Die Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf Unternehmen, die Biozidprodukte vertreiben, und konkretisiert die Grenzen zulässiger Werbung im Lichte europäischer Regulierung.
1. Der Sachverhalt: Werbung für Desinfektions-Hand-Schaum
Die Beklagte, ein deutsches Tochterunternehmen eines schwedischen Konzerns, bewarb einen alkoholfreien Desinfektions-Hand-Schaum auf Milchsäurebasis (1,75 g/100 g) in der „Lebensmittel Zeitung“ sowie auf dem Produktetikett mit folgenden Aussagen:
- „Sanft zur Haut“
- „Hautfreundliche Produktlösung als Schaum“
- „Konsumenten sind überzeugt – 100 % bestätigen die Hautverträglichkeit“
Die Klägerin, die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e.V., mahnte die Werbung unter Berufung auf einen Verstoß gegen Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Biozidverordnung ab und erhob anschließend Klage auf Unterlassung und Ersatz von Abmahnkosten.
2. Rechtsrahmen: Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Biozidverordnung
Zentraler rechtlicher Maßstab ist Art. 72 Abs. 3 S. 2 der VO (EU) Nr. 528/2012:
„Die Werbung für ein Biozidprodukt darf keine Angaben enthalten, die das Produkt in irreführender Weise darstellen. Insbesondere darf sie nicht die Begriffe ‚ungiftig‘, ‚unschädlich‘, ‚natürlich‘, ‚umweltfreundlich‘, ‚tierfreundlich‘ oder ähnliche Hinweise enthalten.“
Die Vorschrift zielt darauf ab, eine Verharmlosung potenzieller Gefahren durch Biozide zu verhindern – selbst bei objektiv niedrigem Gefährdungspotenzial.
3. Die Instanzen: Unterschiedliche Wertungen
Landgericht Mannheim (14 O 107/21)
- Entscheidung: Teilweise Klageabweisung.
- Begründung: Nur die Aussage „100 % bestätigen die Hautverträglichkeit“ sei irreführend, da keine valide Verbraucherumfrage vorliege. Die anderen Aussagen seien dagegen zulässig, weil sie auf wahren Tatsachen beruhten.
Oberlandesgericht Karlsruhe (6 U 322/21)
- Entscheidung: Berufung der Klägerin blieb erfolglos.
- Begründung: Die Aussagen seien keine „ähnlichen Hinweise“ im Sinne der Biozidverordnung und demnach nicht verboten. Ein Zusammenhang mit Begriffen wie „ungefährlich“ oder „ungiftig“ sei nicht gegeben.
4. Die Entscheidung des BGH: Strikte Auslegung des Werbeverbots
Der BGH hob das Urteil des OLG Karlsruhe auf und gab der Klägerin vollumfänglich recht.
a) Leitsätze des BGH
- Die Aussagen „Sanft zur Haut“, „Hautfreundliche Produktlösung als Schaum“ und „100 % bestätigen die Hautverträglichkeit“ sind „ähnliche Hinweise“ im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO.
- Der Anwendungsbereich des Werbeverbots hängt nicht vom Gefährdungspotenzial des Produkts ab.
- Es kommt nicht auf eine konkrete Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise an – es genügt eine abstrakte Irreführungsgefahr.
b) Dogmatische Einordnung
Der BGH stützt sich in seiner Argumentation maßgeblich auf zwei Urteile:
- EuGH, Urt. v. 20.06.2024 – C-296/23 (dm-Drogerie Markt)
- BGH, Urt. v. 10.10.2024 – I ZR 108/22 (Hautfreundliches Desinfektionsmittel II)
Die Auslegung des Begriffs „ähnliche Hinweise“ erfolgt extensiv – es genügt, dass ein Begriff positive, risikomildernde Assoziationen beim Verbraucher weckt. Dass der Werbeinhalt sachlich korrekt ist, spielt keine Rolle.
5. Entscheidungsgründe im Detail
1. Begriff „ähnliche Hinweise“
Die Begriffe „Sanft zur Haut“ und „Hautfreundlich“ stellen nach Auffassung des BGH Aussagen dar, die – wie „ungefährlich“ oder „ungiftig“ – den Eindruck erwecken, das Produkt sei gesundheitlich unbedenklich. Damit liegt ein „ähnlicher Hinweis“ im Sinne der Verordnung vor.
2. Irrelevanz des tatsächlichen Gefährdungspotenzials
Selbst wenn ein Biozidprodukt objektiv wenig gefährlich ist – wie im Fall des milden Handschaums – schützt Art. 72 Abs. 3 S. 2 auch in solchen Fällen. Eine Differenzierung je nach konkretem Risikoprofil würde den Schutzzweck der Norm unterlaufen.
3. Irrelevanz des Verkehrskreises
Der BGH betont ausdrücklich, dass es auf den Verständnishorizont des Durchschnittsverbrauchers nicht ankommt. Der Gesetzgeber wollte eine objektive Gefahrenabwehr – auch gegenüber einem sachkundigen Publikum.
4. Irreführung durch „100 % bestätigen die Hautverträglichkeit“
Die Aussage suggeriert wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse, die nachweislich fehlten. Unabhängig davon fällt sie – so der BGH – ebenfalls unter das Werbeverbot der Biozid-VO.
6. Konsequenzen für die Praxis
a) Werbeaussagen streng prüfen
Sämtliche Begriffe, die gesundheitliche Unbedenklichkeit oder besondere Milde suggerieren, sind künftig riskant – auch wenn sie medizinisch belegbar wären.
Beispiele für künftig problematische Aussagen:
- „Besonders hautschonend“
- „Hypoallergen“
- „Sanfte Pflegeformel“
b) Keine Werbung mit Studien oder Kundenmeinungen
Auch Aussagen, die sich auf Kundenfeedback oder Studienergebnisse stützen, können verboten sein – sobald sie die positive Wirkung betonen, ohne die biozidrechtliche Einordnung zu berücksichtigen.
c) Abmahngefahr steigt deutlich
Die Entscheidung bietet Abmahnvereinen eine konkrete Rechtsgrundlage. Unternehmen, die Biozide vertreiben, sollten ihre Werbung sofort rechtlich überprüfen lassen.
7. Fazit: Ein Paradigmenwechsel im Wettbewerbsrecht für Biozidprodukte
Mit dem Urteil vom 23. Januar 2025 (Az. I ZR 197/22) stellt der Bundesgerichtshof klar: Die Werbung für Biozidprodukte unterliegt besonders strengen Maßstäben – selbst wahre Aussagen können unzulässig sein, wenn sie ein zu positives Bild des Produkts zeichnen.
Unternehmen sollten sich ab sofort an drei Grundregeln halten:
- Vermeidung positiv konnotierter Begriffe in jeglicher Werbung für Biozide.
- Verzicht auf subjektives Kundenfeedback oder Testergebnisse, sofern sie „Verharmlosungspotenzial“ aufweisen.
- Juristische Prüfung sämtlicher Werbeunterlagen – auch bei vermeintlich harmlosen Formulierungen.
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