Testimonialverträge: OLG Frankfurt erklärt sie für unkündbar – Risiken und Tipps für Unternehmen

Ob im TV, auf YouTube oder auf der Unternehmenswebsite – Werbung mit sogenannten „Testimonials“, also echten Kundenstimmen oder prominenten Fürsprechern, ist längst ein fester Bestandteil moderner Marketingstrategien. Wer authentisch lobt, verkauft mehr – so die Idee. Doch was ist, wenn sich der Werbepartner plötzlich nicht mehr bewerben lassen möchte? Was, wenn ein Streit die Grundlage der Zusammenarbeit zerstört?
Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat sich im Juni 2024 mit genau dieser Frage befasst – und eine bemerkenswerte Entscheidung getroffen, die hohe Wellen schlägt: Verträge über Testimonialwerbung sind in bestimmten Fällen nur außerordentlich kündbar – also praktisch unkündbar. Ein Weckruf für alle Unternehmen, die mit Empfehlungen arbeiten.
Was ist Testimonialwerbung überhaupt?
Testimonialwerbung bezeichnet die Nutzung von Erfahrungsberichten oder Empfehlungen realer Personen – meist Kunden oder Geschäftspartner – für Werbezwecke. Diese Berichte erscheinen typischerweise:
- auf Webseiten,
- in Broschüren und Flyern,
- in sozialen Medien,
- auf Videoportalen wie YouTube.
Die Testimonial-Person gibt mit ihrem Namen, ihrem Gesicht und ihrer Aussage öffentlich ein positives Urteil über eine Dienstleistung oder ein Produkt ab. Das schafft Vertrauen – sogenannter Social Proof –, funktioniert aber nur, wenn die Aussage glaubwürdig wirkt.
Prominente Beispiele: Thomas Gottschalk für Haribo, Michael Jordan für Nike oder Penélope Cruz für L’Oréal.
Der Fall vor dem OLG Frankfurt – Was ist passiert?
Im Mittelpunkt des Verfahrens stand ein Kunde, der an Coaching-Angeboten einer Unternehmensberatung teilgenommen hatte. Im Anschluss daran hatte er sich in einem Video positiv über die Leistungen des Unternehmens geäußert. Das Video wurde von der Beratung auf ihrer Website und ihrem YouTube-Kanal verwendet – als Testimonial.
▶️ Wichtig: Eine schriftliche Vereinbarung zur Nutzung der Aufnahmen, zur Laufzeit oder zu einer etwaigen Vergütung existierte nicht.
Im weiteren Verlauf verschlechterte sich das Verhältnis der Parteien massiv:
- Der Geschäftsführer der Unternehmensberatung äußerte sich in der Öffentlichkeit negativ über den Kunden.
- Er ging sogar so weit, Strafanzeige gegen ihn zu stellen.
Daraufhin wollte der Kunde nicht länger mit seinem Gesicht und seiner Aussage für die Unternehmensberatung werben – und beantragte eine einstweilige Verfügung gegen die weitere Nutzung.
Die Entscheidung des OLG Frankfurt: Testimonialverträge sind bindend – und nur schwer kündbar
Das OLG Frankfurt (Beschl. v. 18.6.2024, Az. 16 W 20/23) entschied zugunsten des Antragstellers und untersagte dem Unternehmen die weitere Verwendung des Videos und anderer Darstellungen des Kunden. Doch die Begründung ist brisant – sie offenbart Fallstricke, die viele Unternehmer und Testimonials bislang nicht bedacht haben.
1. Kein Gefälligkeitsverhältnis, sondern verbindlicher Vertrag
Das Gericht stellte klar: Die Bereitstellung des Testimonials war keine bloße Gefälligkeit, sondern eine rechtlich verbindliche Verfügung über Persönlichkeitsrechte.
„Andernfalls hätten sich beide Seiten von Anfang an unterlassungspflichtig gemacht“, so der Senat – was offenkundig nicht dem gemeinsamen Verständnis entsprochen habe.
▶️ Konsequenz: Die Parteien hatten durch schlüssiges Verhalten einen Vertrag geschlossen – wenn auch mündlich oder konkludent.
2. Ein Dauerschuldverhältnis – und damit grundsätzlich unkündbar
Da der Vertrag keine Laufzeit und keine Kündigungsklausel enthielt, handelte es sich um ein Dauerschuldverhältnis im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Solche Verträge – vergleichbar etwa mit Mietverträgen oder Abo-Modellen – laufen auf unbestimmte Zeit und können nur bei ausdrücklicher Vereinbarung ordentlich gekündigt werden.
▶️ Wichtig: Ohne vertraglich geregeltes Kündigungsrecht bleibt als einzige Option die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund (§ 314 Abs. 1 Satz 2 BGB).
3. Außerordentliche Kündigung nur bei Unzumutbarkeit
Das OLG betonte, dass ein solcher wichtiger Grund nur dann vorliegt, wenn:
- die Fortsetzung des Vertrags unzumutbar ist,
- und das kündigende Testimonial diese besonderen Umstände belegen kann.
Im vorliegenden Fall sah das Gericht die Voraussetzungen erfüllt:
Die Beziehung war durch öffentliche negative Äußerungen und die Strafanzeige „so zerrüttet“, dass dem Antragsteller eine weitere Mitwirkung als Werbefigur nicht zumutbar war.
Ergebnis: Das Testimonial durfte aus dem Vertrag „aussteigen“ – aber nur, weil die Schwelle zur Unzumutbarkeit überschritten war.
Kritik an der Entscheidung – wirklich interessengerecht?
Die Entscheidung wirft kritische Fragen auf – nicht nur bei Juristen:
- Was ist mit Testimonials, die sich spontan zu einem positiven Statement überreden lassen – ohne Entgelt, ohne schriftliche Vereinbarung?
- Ist es wirklich sachgerecht, diese wie bezahlte Markenbotschafter zu behandeln?
- Und: Ist es fair, dass eine einfache Kündigung nicht möglich ist – obwohl vielleicht keine Vergütung geflossen ist?
▶️ Die strengen Maßstäbe für die Kündigung stoßen in der juristischen Literatur auf geteilte Meinungen. Gerade in einer Welt, in der Inhalte in Sekunden online gestellt werden, scheint es unangemessen, dem Empfehlenden jede Kontrolle über seine Darstellung zu entziehen, solange keine absolute Eskalation wie im vorliegenden Fall vorliegt.
Praxistipps: So sichern Sie sich rechtlich ab
Für Unternehmen:
✅ Schließen Sie schriftliche Testimonialverträge mit folgenden Mindestinhalten:
- Nutzungszweck und Verbreitungsformen (z. B. Website, Social Media, Print)
- Laufzeit der Einwilligung (z. B. 2 Jahre, unbegrenzt, bis Widerruf)
- Regelung zu Kündigungsrechten (ordentlich und außerordentlich)
- Vergütung oder Gegenleistung (auch Naturalien oder Rabatt)
- Rechte an Bild, Ton und Text
- Einwilligung zur Nutzung nach DSGVO und KunstUrhG
Für Testimonials:
✅ Achten Sie darauf, was Sie freigeben – insbesondere:
- Ob Ihr Name, Bild und Stimme dauerhaft online erscheinen dürfen
- Ob Sie eine schriftliche Freigabe unterzeichnen
- Ob Sie ein vertragliches Kündigungsrecht haben
- Was im Fall einer Meinungsänderung passiert
Fazit: Empfehlung ja – aber nur mit Vertrag
Die Entscheidung des OLG Frankfurt ist ein Weckruf für die Werbepraxis vieler Unternehmen. Wer auf echte Empfehlungen setzt – sei es durch Kunden, Kooperationspartner oder Prominente – muss rechtssicher agieren. Denn ein „einmal gezeigtes Lächeln“ kann sonst zu einem langen, juristisch bindenden Auftritt werden – selbst wenn die Beziehung längst zerbrochen ist.
Nur klare, schriftliche Verträge schaffen Rechtssicherheit. Alles andere kann teuer – und imageschädigend – werden.
Ansprechpartner
Frank Weiß
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