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Urheberrechtsverletzung durch ausführliche Zusammenfassung eines Romans

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Im Bereich des Urheberrechts stellt sich häufig die Frage, wie weit die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken durch Dritte gehen darf, ohne dass eine Verletzung der Rechte des Urhebers vorliegt. Das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 28. Juni 2024 (Az. 19 O 5537/23) beschäftigt sich mit genau dieser Frage und hat weitreichende Implikationen, besonders für die Nutzung von literarischen Werken im Bildungsbereich. In diesem Fall ging es um die Frage, ob eine ausführliche Inhaltsangabe eines Romans, die als Unterrichtsmaterial in einem Lehrerhandbuch veröffentlicht wurde, eine Urheberrechtsverletzung darstellt. Das Gericht entschied, dass dies der Fall war. Doch warum kam das Gericht zu diesem Urteil, und was bedeutet das für die Praxis?

Der Sachverhalt: Der Streit zwischen einem Kinderbuchverlag und einem Schulbuchverlag

Die Klägerin, ein Kinderbuchverlag, verfügte über umfassende Nutzungsrechte an einem Kinderbuch. Der Verlag hatte das Urheberrecht an der Geschichte, den Figuren und allen weiteren kreativen Aspekten des Werkes. Die Beklagte, ein Schulbuchverlag, hatte im Rahmen einer speziellen Ausgabe für Lehrer eine umfassende Inhaltsangabe des Romans sowie zahlreiche Zitate (insgesamt etwa 20 Zitate und eine etwa seitenfüllende Inhaltsangabe) veröffentlicht, um den Lehrern beim Verständnis des Werkes zu helfen.

Die Inhaltsangabe und die Zitate waren nicht Teil eines vollständigen Unterrichtsmaterials oder einer Sammlung, sondern ausschließlich auf das Werk der Klägerin bezogen. Der Schulbuchverlag verteidigte sich damit, dass die Veröffentlichung im Rahmen der gesetzlichen Schranken des Urheberrechts erfolgte. Insbesondere berief sich der Verlag auf das Zitatrecht, die Regelungen für Parodien und Pastiche sowie die Vorschriften zu Unterrichtsmaterialien, die nach deutschem Recht bestimmte Ausnahmen für die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke in Lehrkontexten zulassen.

Die Klägerin, der Kinderbuchverlag, argumentierte jedoch, dass durch die Veröffentlichung der Inhaltsangabe und der Zitate ihre Urheberrechte verletzt wurden, da die Wiedergabe des Werkes zu detailliert und zu nah an der Originalfassung war. Sie sah ihre Rechte an der Kreativität und Originalität des Romans gefährdet.

Die Entscheidung des Landgerichts Nürnberg-Fürth: Eine Urheberrechtsverletzung durch ausführliche Inhaltsangabe

Das Landgericht Nürnberg-Fürth entschied in diesem Fall zugunsten der Klägerin und stellte klar, dass eine ausführliche Inhaltsangabe eines Romans, die das Originalwerk in seinen prägenden Zügen wiedergibt, eine Urheberrechtsverletzung darstellt. Das Gericht begründete seine Entscheidung mit mehreren wesentlichen rechtlichen Aspekten.

1. Wiedererkennbarkeit des Originals: Das Kriterium für Urheberrechtsverletzung

Der zentrale Punkt der Entscheidung war die Frage, ob die Inhaltsangabe der Beklagten das Originalwerk noch so deutlich wiedererkennen ließ, dass es sich um eine Urheberrechtsverletzung handelt. Das Gericht stützte sich hierbei auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), die das Kriterium der „Wiedererkennbarkeit“ als maßgeblich für die Beurteilung einer Urheberrechtsverletzung ansetzen.

Nach Ansicht des Gerichts reicht es aus, wenn ein neues Werk – in diesem Fall die Inhaltsangabe – das Original in seinen prägenden Zügen so stark wiedergibt, dass der Leser das Originalwerk noch eindeutig erkennen kann. Der Gesamteindruck der Zusammenfassung müsse als Grundlage für die Beurteilung dienen. Das Gericht stellte fest, dass die Inhaltsangabe in diesem Fall „die wesentlichen Züge“ des Originalwerks in einer Weise wiedergegeben habe, dass das Original für den Leser noch erkennbar war. Es sei nicht nur die Handlung grob skizziert worden, sondern auch die grundlegenden Ideen und die Art und Weise, wie sie im Originalwerk ausgearbeitet wurden.

Beispiel:
Wenn die Inhaltsangabe des Romans den Verlauf der Geschichte, die Konflikte und die Hauptfiguren so detailliert nachzeichnete, dass ein Leser den gesamten Handlungsstrang und die Charaktere sofort im Originalwerk wiedererkennen würde, dann könne dies nicht als „freie Benutzung“ im Sinne des Urheberrechts gelten.

2. Die Grenzen des Zitatrechts (§ 51 UrhG)

Ein weiterer Punkt, den die Beklagte anführte, war die Berufung auf das Zitatrecht. Nach § 51 UrhG dürfen urheberrechtlich geschützte Werke zitiert werden, wenn das Zitat in einem eigenen Werk verwendet wird und der zitierte Teil notwendig ist, um eine eigene Auseinandersetzung oder Erklärung zu ermöglichen. Doch das Gericht verwarf dieses Argument. Es stellte fest, dass das Zitatrecht in diesem Fall nicht anwendbar sei, weil die Inhaltsangabe keine kritische Auseinandersetzung mit dem Original darstelle. Sie sei vielmehr nur als Hilfsmittel für den Unterricht gedacht, ohne eine eigene schöpferische Leistung oder Reflexion des Textes zu erbringen.

In einem Unterrichtskontext könnte eine Inhaltsangabe nur dann unter das Zitatrecht fallen, wenn sie als Teil einer eigenständigen Analyse oder kritischen Reflexion des Werkes genutzt wird. In diesem Fall jedoch diente die Inhaltsangabe lediglich der Vereinfachung und Erklärung des Werkes, was nicht unter das Zitatrecht falle.

3. Keine Anwendung der Vorschrift für Parodie/Pastiche (§ 51a UrhG)

Die Beklagte versuchte außerdem, sich auf § 51a UrhG zu berufen, der eine Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken zu satirischen oder künstlerischen Zwecken erlaubt. Hierbei muss das Werk jedoch verändert werden, um eine neue schöpferische Leistung zu schaffen. Das Gericht verwarf auch dieses Argument, da die Veröffentlichung der Inhaltsangabe keine künstlerische oder satirische Auseinandersetzung mit dem Werk darstellte. Vielmehr sei die Zusammenfassung des Werkes eine rein informative Darstellung, die das Original in keiner Weise kritisch oder kreativ hinterfragte.

4. Keine Anwendung der Regelungen für Unterrichtsmaterialien (§ 60b UrhG)

Die Beklagte versuchte, sich auch auf die Ausnahmeregelung für Unterrichtsmaterialien zu stützen. Diese Regelung erlaubt es, urheberrechtlich geschützte Werke für den Unterricht zu nutzen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, wie etwa die Zusammenstellung von verschiedenen Werken zu einem Unterrichtsmaterial. Doch auch dieses Argument wurde vom Gericht zurückgewiesen. Es stellte fest, dass die Veröffentlichung der Inhaltsangabe kein „Unterrichtsmaterial“ im rechtlichen Sinne darstelle, da es sich nicht um eine Sammlung von verschiedenen Werken handle, sondern nahezu ausschließlich auf dem Werk der Klägerin basierte.

Was bedeutet diese Entscheidung für die Praxis?

Das Urteil des LG Nürnberg-Fürth hat erhebliche Konsequenzen für die Praxis, besonders im Bereich der Bildungs- und Verlagsbranche. Verlage, die urheberrechtlich geschützte Werke in Unterrichtsmaterialien verwenden, müssen sicherstellen, dass sie nicht zu ausführliche Inhaltsangaben oder Zitate übernehmen, die das Originalwerk zu stark wiedererkennbar machen. Dies gilt besonders für Fälle, in denen eine detaillierte Inhaltsangabe des gesamten Werkes in einem Lehrbuch oder einer Lehrerhandreichung erfolgt.

Das Gericht verdeutlicht, dass auch bei der Erstellung von Unterrichtsmaterialien strenge Grenzen hinsichtlich der Nutzung von Urheberrechtswerken beachtet werden müssen. Der Gesamteindruck der Nutzung entscheidet, ob eine Urheberrechtsverletzung vorliegt oder nicht.

Fazit: Die Notwendigkeit der Abwägung zwischen Bildung und Urheberrecht

Das Urteil des LG Nürnberg-Fürth zeigt, dass die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken im Bildungsbereich nicht unbegrenzt möglich ist. Die Entscheidung verdeutlicht die Notwendigkeit einer sorgfältigen Abwägung zwischen dem Interesse an einer einfachen Vermittlung von Inhalten im Unterricht und den Rechten der Urheber. Es wird klar, dass auch bei der Nutzung von Werken zu Unterrichtszwecken die kreativen Elemente und die Originalität des Werkes respektiert werden müssen.

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