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Urheberrecht: Keine Vertragsstrafe Wayback Machine

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Die digitale Archivierung von Inhalten stellt eine Herausforderung für das Urheberrecht dar. Besonders die Wayback Machine, eine weltweit genutzte Internetbibliothek, archiviert Webseiten und macht diese auch dann noch zugänglich, wenn sie bereits offline genommen wurden. In der aktuellen Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Nürnberg vom 19. Februar 2024 (Az.: 3 U 2291/23) wurde geklärt, ob die bloße Auffindbarkeit von urheberrechtlich geschützten Inhalten über die Wayback Machine oder direkte Links eine Vertragsstrafe nach sich ziehen kann.

Was ist die Wayback Machine?

Die Wayback Machine ist ein kostenloser Onlinedienst des Internet Archive, einer gemeinnützigen Organisation mit Sitz in San Francisco. Sie speichert regelmäßig Kopien von Webseiten, um eine Art „historisches Gedächtnis“ des Internets bereitzustellen. Nutzer können über die Wayback Machine frühere Versionen von Webseiten aufrufen, selbst wenn diese offiziell nicht mehr verfügbar sind. Dieser Dienst wird oft von Forschern, Journalisten und der Öffentlichkeit genutzt, um ältere Inhalte zu analysieren oder verlorene Informationen wiederherzustellen.

Die Archivierung erfolgt automatisiert, ohne direkte Zustimmung der Website-Betreiber. In vielen Fällen wissen Unternehmen oder Privatpersonen nicht einmal, dass ihre Webseiten archiviert wurden. Ein Austragen aus der Wayback Machine ist nur durch technische Schutzmaßnahmen oder über eine explizite Anfrage an das Internet Archive möglich.

Der Tatbestand: Urheberrechtsverletzung trotz Löschung?

Der konkrete Fall vor dem OLG Nürnberg betraf eine Unterlassungserklärung hinsichtlich urheberrechtlich geschützter Kartenausschnitte. Die Beklagte hatte 17 Kartenausschnitte ohne Lizenz auf ihrer Website genutzt. Nach einer Abmahnung erklärte sie sich bereit, die Inhalte zu entfernen und gab eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab.

Obwohl die Beklagte die Kartenausschnitte aus ihrem Content-Management-System (CMS) und von ihrer Website löschte, waren diese weiterhin über zwei Wege auffindbar:

  1. Wayback Machine: Die archivierten Versionen der Website, die noch die geschützten Werke enthielten, waren abrufbar.
  2. Direkte Links: Nutzer konnten die Kartenausschnitte weiterhin aufrufen, wenn sie die exakten URLs eingaben oder wenn diese über Suchmaschinen wie Google oder Bing noch indexiert waren.

Die Klägerin argumentierte, dass durch diese Auffindbarkeit ein erneuter Verstoß gegen die Unterlassungserklärung vorliege und forderte eine Vertragsstrafe.

Die Entscheidung des OLG Nürnberg

Das OLG Nürnberg entschied zugunsten der Beklagten und lehnte eine Vertragsstrafe ab. Die wesentlichen Entscheidungsgründe lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Keine "öffentliche Zugänglichmachung" durch Dritte

Gemäß § 19a UrhG (öffentliche Zugänglichmachung) ist ein Werk dann rechtswidrig zugänglich, wenn es der Öffentlichkeit so bereitgestellt wird, dass Mitglieder der Öffentlichkeit es jederzeit abrufen können. Entscheidend ist dabei die Kontrolle über den Inhalt und dessen Verbreitung.

Das Gericht stellte fest, dass die Beklagte nach der Löschung der Inhalte keine Kontrolle mehr über die Archivierung durch die Wayback Machine hatte. Das Internet Archive agiert unabhängig und speichert Webseiten automatisiert. Daher konnte der Beklagten keine schuldhafte Handlung im Sinne der öffentlichen Zugänglichmachung angelastet werden.

Kein aktives Bereitstellen durch die Beklagte

Ein weiteres zentrales Argument war, dass die Beklagte die archivierten Inhalte weder absichtlich weiter verbreitet noch aktiv darauf verwiesen hatte. Die bloße Existenz in der Wayback Machine oder das Auffinden über direkte Links reichte dem Gericht nicht aus, um eine erneute Urheberrechtsverletzung zu begründen.

Keine Zumutbarkeit der Löschung aus Archiven

Das Gericht argumentierte, dass es für die Beklagte unzumutbar sei, sämtliche Archive und Suchmaschinen weltweit zu kontrollieren. Eine Verpflichtung, aktiv die Löschung aus der Wayback Machine zu betreiben, wäre eine überspannte Erwartung und widerspräche dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Ergebnis: Kein schuldhafter Verstoß gegen die Unterlassungserklärung und damit keine Vertragsstrafe.

Bedeutung der Entscheidung für zukünftige Fälle

Die Entscheidung des OLG Nürnberg ist eine Klarstellung im Bereich des digitalen Urheberrechts und der Archivierung von Webinhalten. Sie zeigt deutlich die Grenzen der Verantwortung von Website-Betreibern auf:

  • Unterlassungsschuldner müssen Inhalte aus ihrer direkten Kontrolle entfernen, jedoch keine unkontrollierbaren Drittspeicherungen rückgängig machen.
  • Die Wayback Machine stellt keine aktive öffentliche Zugänglichmachung dar, da der Archivierungsprozess nicht im Einflussbereich des ursprünglichen Betreibers liegt.

Fazit

Diese Entscheidung stärkt den Schutz von Unterlassungsschuldnern, die sich an ihre Verpflichtungen halten, aber mit technisch schwer kontrollierbaren Archivierungen konfrontiert sind. Für Unternehmen und Privatpersonen bedeutet dies eine größere Rechtssicherheit, wenn es um die Entfernung von urheberrechtlich geschützten Inhalten geht.

Gleichzeitig bleibt die Frage offen, inwieweit technische Schutzmaßnahmen oder direkte Anfragen an das Internet Archive notwendig sind, um ähnliche Probleme in Zukunft zu vermeiden. Unternehmen sollten sich bewusst sein, dass eine einmal veröffentlichte Information im Internet potenziell langfristig über Drittarchive erhalten bleibt – unabhängig davon, ob sie selbst Maßnahmen zur Löschung ergreifen.

Insgesamt setzt das OLG Nürnberg hier ein wichtiges Zeichen für eine praxisnahe und verhältnismäßige Anwendung des Urheberrechts im digitalen Zeitalter.

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