Zum Hauptinhalt springen

Unterlassungsschuldner muss Ware zurückrufen

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Gerichtliche Unterlassungstitel sind kein zahnloser Tiger. Wer rechtskräftig verurteilt wird, bestimmte Aussagen in der Werbung zu unterlassen, darf sich nicht allein auf den Stopp der künftigen Werbung verlassen. In bestimmten Fällen ist er verpflichtet, aktiv dafür zu sorgen, dass auch Produkte mit den beanstandeten Aussagen nicht weiter im Handel verbleiben. Das zeigt ein Beschluss des Landgerichts Hagen vom 27.09.2023 (Az. 21 O 123/18).

Die Entscheidung stellt klar: Der Unterlassungsschuldner muss – wenn es die Umstände erfordern – nicht nur seine direkten Werbeaktivitäten stoppen, sondern auch die bereits in Verkehr gebrachten Produkte zurückrufen, sofern sie die untersagten Aussagen enthalten. Unterlässt er dies, drohen empfindliche Ordnungsgelder. Im vorliegenden Fall belief sich das Ordnungsgeld auf satte 200.000 Euro.

Der Sachverhalt: Verbotene Heilaussagen auf Salbenverpackung

Gegenstand des Rechtsstreits war die Bewerbung eines pharmazeutischen Produkts – einer Salbe – mit gesundheitsbezogenen Aussagen. Die Schuldnerin hatte in der Vergangenheit für diese Salbe mit den Aussagen geworben:

  • Schnelle Wundheilung"
  • Schnell. Effektiv. Für alle Wunden im Alltag."

Diese Aussagen hatte das Gericht als unzulässige gesundheitsbezogene Werbung gewertet und der Schuldnerin per Unterlassungstitel untersagt, die Aussagen weiter zu verwenden.

Trotz des gerichtlichen Verbots stellte die Gläubigerin Monate später fest, dass die beanstandeten Aussagen weiterhin auf der Verpackung des Produkts zu finden waren. Die Ware war noch im Umlauf und in zahlreichen Online-Apotheken sowie im stationären Handel erhältlich.

Die Gläubigerin beantragte daraufhin die Verhängung eines Ordnungsgeldes wegen Verstoßes gegen den Unterlassungstitel. Das LG Hagen gab ihr recht – mit drastischen Folgen für die Schuldnerin.

Die Entscheidung des LG Hagen: Pflicht zum aktiven Rückruf

Das Landgericht Hagen verhängte ein Ordnungsgeld i.H.v. 200.000 EUR gegen die Schuldnerin. Begründung: Die Schuldnerin sei ihrer aktiven Rückrufpflicht nicht ausreichend nachgekommen. Die Verpackungen mit den verbotenen Werbeaussagen hätten konsequent aus dem Handel entfernt werden müssen.

Das Gericht führte dazu aus:

„Wurde dem Schuldner gerichtlich bestimmte Werbung untersagt, muss er im Zweifel auch die Ware zurückrufen, auf der sich diese Äußerungen befinden."

Das heißt: Selbst wenn ein Unternehmen nicht mehr aktiv mit den Aussagen wirbt, bleibt es dennoch verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Aussagen auch nicht mittelbar weiterverbreitet werden – etwa über in Verkehr gebrachte Produkte.

Die rechtliche Einordnung: Pflicht zur Einflussnahme auf Dritte

Spannend an der Entscheidung ist die Ausdehnung der Unterlassungspflichten auf Dritte:

„Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (...) hat der Unterlassungsschuldner für das Handeln selbständiger Dritter grundsätzlich nicht einzustehen. Er ist jedoch im Rahmen seiner Pflicht zur Verhinderung weiterer Verletzungen gehalten, auf Dritte, deren Handeln ihm wirtschaftlich zugutekommt, im Rahmen des Möglichen, Erforderlichen und Zumutbaren einzuwirken [...]."

Das heißt: Der Unterlassungsschuldner muss aktiv auf seine Händler, Apotheken oder Vertriebspartner einwirken, damit diese die untersagte Werbung ebenfalls unterlassen. Eine bloße Information reicht nicht aus.

Das Gericht konkretisiert:

  • Es genügt nicht, Abnehmer über das Werbeverbot zu informieren.
  • Es bedarf einer Überwachung, ob die Anweisungen befolgt werden.
  • Sanktionen gegen Zuwiderhandlungen müssen tatsächlich umgesetzt werden.

Die Schuldnerin hatte laut Gericht lediglich behauptet, sie habe einige Abnehmer informiert. Wann genau? Fehlanzeige. Wie genau? Unklar. Eine Überwachung? Nicht ersichtlich. Ergebnis: Pflicht nicht erfüllt.

Besonders kritisch sah das Gericht, dass die Schuldnerin erst in der mündlichen Verhandlung vorgetragen habe, Online-Apotheken seien "informiert" worden. Auch hier fehlte jeder Nachweis der konkreten Umsetzung und Kontrolle.

Die Höhe des Ordnungsgeldes: Bemessung nach wirtschaftlichem Vorteil

Bemerkenswert ist die Höhe des verhängten Ordnungsgeldes: 200.000 Euro. Das ist kein symbolischer Betrag, sondern ein klarer Hinweis an Unternehmen: Ein Verstoß gegen einen Unterlassungstitel kann richtig teuer werden.

Das Gericht stellt klar:

„Bei der Bemessung der Höhe eines Ordnungsmittels sind Art, Umfang und Dauer des Verstoßes, der Verschuldensgrad, der Vorteil des Verletzers aus der Verletzungshandlung und die Gefährlichkeit [...] zu berücksichtigen."

Laut Vortrag der Gläubigerin erzielte die Schuldnerin in den Sommermonaten Umsätze von 500.000 Euro pro Monat mit dem Produkt. Dem trat die Schuldnerin nicht substantiell entgegen. Die Kammer unterstellte daher, dass ein erheblicher wirtschaftlicher Vorteil aus dem rechtswidrigen Verhalten erzielt wurde. Ein Ordnungsgeld in eben dieser Größenordnung sei daher angebracht.

Fazit: Unterlassungspflichten ernst nehmen – und umfassend umsetzen

Die Entscheidung des LG Hagen hat erhebliche praktische Relevanz. Sie zeigt, dass ein Unterlassungstitel nicht nur die Zukunft betrifft, sondern auch die Vergangenheit – konkret: Produkte, die mit verbotenen Aussagen noch im Verkehr sind.

Wer einen Unterlassungstitel ignoriert oder nur halbherzig umsetzt, riskiert empfindliche Ordnungsgelder. Unternehmen müssen sicherstellen, dass sie

  • ihre direkten Abnehmer nachweislich und zeitnah informieren,
  • deren Verhalten kontrollieren und dokumentieren,
  • bei Verstößen konsequent eingreifen, und
  • wenn nötig, die Ware aus dem Verkehr ziehen.

Die bloße Weitergabe eines Werbeverbots reicht nicht aus. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte das Vorgehen mit einem erfahrenen Rechtsanwalt abstimmen – und frühzeitig klare Compliance-Strukturen schaffen.

Ihre Kanzlei für Wettbewerbsrecht
Wir unterstützen Sie bei der Durchsetzung und Umsetzung von Unterlassungstiteln – inklusive Kommunikation mit Abnehmern, Dokumentation und Verteidigung gegen Ordnungsgeldanträge. Kontaktieren Sie uns gerne für ein unverbindliches Erstgespräch.

Ansprechpartner

Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Andere über uns

WEB CHECK SCHUTZ

Gestalten Sie Ihre Internetseite / Ihren Onlineshop rechts- und abmahnsicher.

WEB CHECK Schutzpakete der Anwaltskanzlei Weiß & Partner

Erfahren Sie mehr über die Schutzpakete der Anwaltskanzlei Weiß & Partner für die rechtssichere Gestaltung Ihrer Internetpräsenzen.

Cyber-Sicherheit

Webpräsenz der Allianz für Cyber-Sicherheit

Aktuelles

| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Wir haben Kenntnis von betrügerischen urheberrechtlichen Abmahnungen erlangt, die den Namen der Kanzlei Hausfeld missbrauchen. Diese Fake-Abmahnungen zielen gezielt auf Social-Med…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Ein Klick – und das ganze Leben steht Kopf. Laura (26) bekommt eines Morgens mehrere beunruhigende Nachrichten von Freunden: Intime Fotos von ihr kursieren auf Facebook. Aufgenomm…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Die identifizierende Verdachtsberichterstattung gehört zu den sensibelsten Bereichen des Medienrechts. Wird über einen konkreten Verdacht öffentlich berichtet und eine Person erke…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
In Zeiten digitaler Arbeitsprozesse stellt sich zunehmend die Frage, wie weit der Zugriff von Arbeitgebern auf dienstlich bereitgestellte Kommunikationsmittel reichen darf – insbe…