Unbegründeter Copyright-Strike ist eine unberechtigte Schutzrechtsverwarnung

1. Hintergrund des Falls – Was war der Ausgangspunkt?
Der Kläger, ein professioneller Musiker, veröffentlichte im Oktober 2024 gemeinsam mit anderen Künstlern ein neues Musikstück mit dem Titel „I.“ über verschiedene bekannte Musik-Streaming-Portale – darunter YouTube und Spotify.
Wenige Tage nach dem Release wurden die Inhalte auf mehreren Plattformen gesperrt. Zunächst war unklar, wer dafür verantwortlich war. Erst im Nachgang stellte sich heraus: Ein Mitarbeiter des Musiklabels, bei dem der Kläger früher unter Vertrag stand, hatte über die Plattformfunktionen eine Urheberrechtsbeschwerde („Copyright-Strike“) ausgelöst.
Besonders brisant:
Der Künstlervertrag zwischen den Parteien war bereits Ende 2022 wirksam beendet worden, was auch in einem früheren Parallelverfahren (LG Köln, Az.: 14 O 354/23; OLG Köln, Az.: 6 U 167/23) rechtskräftig festgestellt wurde. Das Label hatte keine Rechte mehr an den neuen Werken.
Trotzdem wurde der neue Titel gesperrt – ohne vorherige Abmahnung, ohne rechtliche Begründung. Die unmittelbare Folge: Der Kläger verlor wichtige Tage der Erstveröffentlichung, die für das Streaming-Ranking, algorithmisches Wachstum und mediale Aufmerksamkeit entscheidend gewesen wären.
2. Die zentrale rechtliche Frage: Wann ist ein Copyright-Strike unzulässig?
Das LG Köln (Urteil des LG Köln vom 09.01.2025 – Az.: 14 O 387/24) stellt in seinem Urteil klar:
Ein pauschaler und unbegründeter Copyright-Strike gegenüber einer Streaming-Plattform, der auf einer nicht (mehr) bestehenden Rechtsgrundlage erfolgt, ist rechtswidrig – und zwar aus folgenden Gründen:
a) Übertragung der Grundsätze der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung
Die Richter beriefen sich auf die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschl. v. 15.07.2005 – GSZ 1/04 – „Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung“). Dort wurde entschieden, dass die ungerechtfertigte Geltendmachung von Schutzrechten gegenüber Dritten einen rechtswidrigen Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellt (§ 823 Abs. 1 BGB).
Zwar richtete sich der Strike in diesem Fall nicht direkt an einen Kunden oder Geschäftspartner, sondern an eine Streaming-Plattform – funktional sei dies jedoch gleichzusetzen:
„Durch den Aufstieg der Internetplattformen ist die Rechtebeschwerde gegenüber der Plattform funktional mit einer Schutzrechtsverwarnung gegenüber Abnehmern vergleichbar.“
b) Effektivität der Plattformbeschwerde: Schärfer als klassische Abmahnung
Die Plattformen – wie etwa YouTube oder Spotify – reagieren in der Regel sofort auf Urheberrechtsbeschwerden.
Grund: Sie haften nach dem Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz (UrhDaG), insbesondere § 1 Abs. 1 und 2 UrhDaG.
Um dieser Haftung zu entgehen, sperren sie Inhalte vorsorglich, sobald ein Rechteinhaber einen sogenannten Copyright-Strike setzt. Dadurch entsteht ein massiver Hebel, den insbesondere große Unternehmen oder Labels nutzen können – selbst dann, wenn ihre Ansprüche gar nicht mehr bestehen.
Die Kammer kritisiert dies deutlich:
„Copyright-Strikes (…) zeigen oft unmittelbare Wirkung. Sie sind sogar noch effektiver als eine bloße Schutzrechtsverwarnung.“
3. Entscheidungsgründe des LG Köln im Detail
a) Kein Rechtstitel des Musiklabels
Das Musiklabel hatte keinerlei nachweisbare Rechte am neuen Titel „I.“ – insbesondere nicht als Tonträgerherstellerin. Der Kläger hatte glaubhaft gemacht, dass das Lied im November 2023 entstanden und aufgenommen wurde – nach Beendigung des Künstlervertrags.
Die Kammer bezog sich dabei auf bereits entschiedene Vorverfahren und stellte klar:
„Der frühere Künstlervertrag wurde Ende 2022 durch wirksame außerordentliche Kündigung beendet. Der Beklagten stehen keine Rechte an neuen Werken zu.“
b) Schädigungsabsicht und Zeitnähe zur Veröffentlichung
Die Urheberrechtsbeschwerde erfolgte unmittelbar nach der Erstveröffentlichung des Songs. Aus Sicht des Gerichts ein klarer Hinweis auf Schikane oder Schädigungsabsicht.
„Die Sperre fiel exakt in die ersten Tage der wichtigen Auswertungsphase. Das legt eine gezielte Beeinträchtigung des Geschäftserfolgs nahe.“
Zwar müsse eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB nicht weiter geprüft werden – der Eingriff nach § 823 BGB sei bereits gegeben.
4. Praktische Auswirkungen für Künstler, Plattformen und Labels
Für Musiker und Urheber:
- Das Urteil stärkt die Rechte von Künstlern gegenüber Plattformen und großen Rechteinhabern.
- Wer unberechtigt mit einem Copyright-Strike konfrontiert wird, hat einen Unterlassungsanspruch und ggf. Anspruch auf Schadensersatz.
- Gerade bei neuen Releases kann eine schnelle Reaktion entscheidend sein.
Für Musiklabels:
- Vor dem Einreichen eines Copyright-Strikes muss eine gründliche Rechteprüfung erfolgen.
- Wer ohne Anspruch Urheberrechte geltend macht, setzt sich erheblichen rechtlichen Risiken aus.
- Es drohen einstweilige Verfügungen, Unterlassungsklagen und ggf. Schadensersatzforderungen.
Für Streaming-Plattformen:
- Plattformen sind rechtlich verpflichtet, auf Beschwerden zu reagieren – das Urteil unterstreicht aber, dass dies nicht automatisch berechtigt ist.
- Für Anbieter wie YouTube, Spotify oder TikTok wächst die Verantwortung, bei Streitigkeiten nicht nur automatisiert zu sperren, sondern auch nachgelagerte Klärungen zu ermöglichen.
5. Fazit: Ein richtungsweisendes Urteil im digitalen Urheberrecht
Mit der Entscheidung des LG Köln wird ein deutliches Signal gesetzt: Missbrauch von Plattform-Mechanismen wie Copyright-Strikes ist kein Kavaliersdelikt.
Wer unberechtigt Schutzrechte geltend macht – insbesondere, um gezielt den wirtschaftlichen Erfolg eines Mitbewerbers zu stören –, verletzt nicht nur das Urheberrecht, sondern begeht einen zivilrechtlich sanktionierbaren Eingriff in das Gewerbe.
Die Übertragung der Grundsätze der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung auf die digitale Welt ist rechtlich überzeugend und praktisch dringend notwendig – angesichts zunehmender Macht großer Rechteverwerter und algorithmischer Sperren.
Das Urteil schafft Rechtssicherheit – und gibt Kreativen die Möglichkeit, sich erfolgreich gegen digitale Willkür zu wehren.
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