Umfassende DSGVO-Auskunftspflicht für soziales Netzwerk

Stellen Sie sich vor, Sie möchten wissen, welche Daten ein soziales Netzwerk über Sie gesammelt hat – nicht nur beim Scrollen durch Ihr eigenes Profil, sondern auch beim Surfen auf Nachrichtenseiten, Online-Shops oder in Ihrer Lieblings-Wetter-App. Genau das wollte ein Nutzer vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth herausfinden – und bekam recht.
Die Entscheidung vom 20. Februar 2025 (Az.: 6 O 1485/24) stärkt die Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern deutlich. Das Urteil bezieht sich auf die umfassende Auskunftspflicht nach Art. 15 DSGVO und betont, dass sich diese nicht auf das beschränkt, was innerhalb der Plattform passiert. Auch Tracking-Daten, die über Tools auf Drittseiten und in mobilen Apps gesammelt werden, müssen offengelegt werden.
Der Sachverhalt: Tracking über die Plattform hinaus
Der Kläger wollte eine vollständige Auskunft über alle personenbezogenen Daten, die ein weltweit agierendes soziales Netzwerk über ihn gespeichert hatte. Insbesondere interessierte ihn auch, welche Daten durch sogenannte Tracking-Tools gesammelt wurden, die das Netzwerk auf externen Webseiten und in mobilen Apps eingebunden hatte.
Der Hintergrund: Viele soziale Netzwerke verwenden sogenannte SDKs (Software Development Kits), Pixel oder Plug-ins, um Nutzer auch außerhalb der eigentlichen Plattform zu verfolgen. Diese Tools sind oft auf Drittseiten oder in Apps verbaut – häufig, ohne dass Nutzer dies bemerken.
Das Unternehmen verwies lediglich auf allgemeine Datenschutzhinweise. Eine detaillierte Aufschlüsselung der erhobenen Daten und der konkreten Verwendungszwecke lehnte es ab.
Die rechtliche Bewertung: Art. 15 DSGVO ist weit auszulegen
Das LG Nürnberg-Fürth machte klar: Die DSGVO ist eindeutig. Nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO hat jede betroffene Person das Recht, eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden – und wenn ja, auch Zugang zu diesen Daten sowie zu folgenden Informationen:
- Zweck der Verarbeitung
- Kategorien personenbezogener Daten
- Empfänger oder Kategorien von Empfängern
- Speicherdauer
- Herkunft der Daten, wenn sie nicht bei der betroffenen Person erhoben wurden
- Bestehen einer automatisierten Entscheidungsfindung (z. B. Profiling)
Das Urteil stellt unmissverständlich fest: Diese Auskunftspflicht beschränkt sich nicht auf das, was innerhalb des Netzwerks passiert. Vielmehr muss auch darüber informiert werden, welche Daten bei der Nutzung fremder Webseiten oder mobiler Apps erhoben werden – wenn diese Erhebung durch das soziale Netzwerk oder seine Tools erfolgt.
Das Argument der Plattform: Unkenntnis schützt nicht
Besonders bemerkenswert ist, dass das Gericht einen häufigen Einwand großer Plattformbetreiber ausdrücklich zurückwies: Das beklagte Unternehmen hatte geltend gemacht, es sei gar nicht in der Lage, zu wissen, auf welchen Drittseiten der Kläger konkret unterwegs war. Man könne also gar nicht mitteilen, welche Daten dort erhoben worden seien.
Das LG Nürnberg-Fürth stellte klar: Der Nutzer muss gerade nicht darlegen, welche Drittseiten oder Apps er im Einzelnen besucht hat. Vielmehr trifft das Unternehmen die Pflicht, die über seine Tools erhobenen Daten systematisch zu erfassen und auf Verlangen darüber Auskunft zu geben.
Wer Tracking-Werkzeuge einsetzt, trägt auch die Verantwortung für die damit verbundenen Informationspflichten.
Schadensersatz bei Auskunftsverweigerung
Neben dem Anspruch auf Auskunft sprach das Gericht dem Kläger auch einen Schadensersatz gemäß Art. 82 DSGVO zu – in Höhe von 500 Euro.
Das Unternehmen hatte die Auskunft verweigert bzw. nur unzureichend erteilt und dadurch eine Verletzung der Datenschutzgrundverordnung begangen. Auch ohne konkreten Vermögensschaden reicht nach der aktuellen Rechtsprechung bereits ein Kontrollverlust über personenbezogene Daten, um einen immateriellen Schadensersatzanspruch zu begründen.
Was bedeutet das Urteil für Nutzer?
Dieses Urteil ist ein Meilenstein für den Datenschutz im digitalen Alltag. Es zeigt:
- Sie haben ein umfassendes Recht auf Auskunft über Ihre Daten – auch wenn sie außerhalb der Plattform erhoben wurden.
- Unternehmen können sich nicht hinter allgemeinen Datenschutzhinweisen oder angeblicher Unwissenheit verstecken.
- Wenn Sie eine Auskunft verlangen, muss diese vollständig, verständlich und detailliert sein.
Und: Kommt ein Unternehmen dieser Pflicht nicht oder nur unzureichend nach, können Sie Schadensersatz verlangen.
Was bedeutet das Urteil für Unternehmen?
Unternehmen, die Tracking-Tools einsetzen – sei es über Pixel, SDKs oder Plug-ins – sollten die Entscheidung sehr ernst nehmen. Sie sind verpflichtet,
- die Datenerhebung lückenlos zu dokumentieren,
- Nutzern auf Anfrage umfassende Informationen bereitzustellen,
- und ihre Datenschutzerklärungen entsprechend anzupassen.
Dabei reicht es nicht, nur auf allgemeine Formulierungen zu verweisen oder eine Auskunft auf das eigene Portal zu beschränken.
Die Entscheidung hat damit Auswirkungen weit über soziale Netzwerke hinaus – sie betrifft auch App-Betreiber, Werbeplattformen, Analyse-Dienste und jeden Anbieter, der Nutzerverhalten über mehrere Kanäle hinweg beobachtet.
Fazit: Transparenz ist Pflicht, nicht Kür
Die DSGVO verpflichtet Unternehmen dazu, transparent mit Nutzerdaten umzugehen – nicht nur auf dem eigenen Server, sondern überall dort, wo Daten erhoben werden. Das Urteil des LG Nürnberg-Fürth bringt es auf den Punkt: Wer Tracking betreibt, muss auch bereit sein, offen darüber zu sprechen.
Wenn Sie als Nutzer Ihre Datenhoheit zurückerlangen möchten, ist das Auskunftsrecht nach Art. 15 DSGVO ein mächtiges Werkzeug. Und wenn Sie als Unternehmen Tracking-Technologien einsetzen, sollten Sie vorbereitet sein: Auskunftspflicht bedeutet nicht nur, eine E-Mail zu verschicken – sie bedeutet, vollständige Transparenz zu gewährleisten.
Ansprechpartner
Alexander Bräuer
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