Überhöhte Preise für Smart-Meter-Einbau (bis 900 €) wettbewerbswidrig
Seit 2025 können Verbraucher auf Wunsch einen intelligenten Stromzähler (intelligentes Messsystem, kurz: iMSys) einbauen lassen. Dafür darf der grundzuständige Messstellenbetreiber grundsätzlich ein „angemessenes“ Zusatzentgelt verlangen. Das Landgericht Halle (LG Halle, Urt. v. 21.08.2025 - Az.: 8 O 17/25) hat nun entschieden: Ein Preisgefüge im hohen dreistelligen Bereich für eine einmalige Wunschausstattung überschreitet die gesetzlichen Leitplanken deutlich und ist wettbewerbswidrig. Für Sie bedeutet das: Forderungen, die spürbar über den gesetzlichen Vermutungsbeträgen liegen, lassen sich rechtlich angreifen.
Der Sachverhalt im Detail
Beklagte war die Mitteldeutsche Netzgesellschaft Strom GmbH (Netzbetreiber/Messstellenbetreiber). Auf ihrer Webseite veröffentlichte sie zum 01.01.2025 ein Preisblatt für die vorzeitige (freiwillige) Ausstattung mit iMSys. Die ausgewiesenen Pauschalen lagen – abhängig vom Jahresverbrauch – zwischen rund 644 € und 884 €. Damit wurden für die einmalige Einbauleistung Beträge verlangt, die den gesetzlich vermuteten Rahmen (damals 30 €; später 100 €) um ein Vielfaches überstiegen.
Die Verbraucherzentrale klagte auf Unterlassung. Kernvorwurf: Die Preise seien unangemessen und verstießen gegen das Messstellenbetriebsgesetz (MsbG) als Marktverhaltensregel. Zudem sei die Veröffentlichung solcher Preise geeignet, Verbraucher über die Zulässigkeit zu irreführen.
Wesentlich für die gerichtliche Bewertung war auch die kurz darauf erfolgte Preisanpassung: Bereits Ende Februar 2025 veröffentlichte die Beklagte ein neues Preisblatt und bot die einmalige Einbauleistung nunmehr für knapp unter 100 € an. Genau diese Diskrepanz über einen sehr kurzen Zeitraum rückte im Prozess in den Fokus.
Rechtlicher Rahmen – verständlich erklärt
- § 35 MsbG (a.F./n.F.): Das Gesetz erlaubt für bestimmte Zusatzleistungen (hier: vorzeitige Ausstattung mit iMSys) ein angemessenes Entgelt. Die Angemessenheit wird gesetzlich vermutet, wenn bestimmte Höchstbeträge eingehalten werden (anfangs 30 €; später 100 €). Diese Vermutung kann widerlegt werden, setzt aber eine tragfähige Kostenkalkulation voraus.
- UWG-Bezug:
- § 3a UWG greift, wenn eine Marktverhaltensregel (hier: § 35 MsbG) verletzt wird und dies geeignet ist, Verbraucherinteressen spürbar zu beeinträchtigen.
- § 5 UWG (Irreführung) kommt in Betracht, wenn Preisangaben den Eindruck erwecken, sie seien rechtlich zulässig, obwohl sie es nicht sind.
- Beweisrecht: § 292 ZPO ordnet an, wie mit gesetzlichen Vermutungen umzugehen ist: Wer sich gegen die Vermutung stellt, muss substantiiert darlegen, warum sie im Einzelfall nicht trägt.
Die Entscheidungsgründe des LG Halle – Punkt für Punkt
1) Marktverhaltensregel und Vermutungsgrenzen
Das Gericht ordnete § 35 MsbG als marktverhaltensregelnde Norm ein. Diese Vorschrift schütze nicht nur den fairen Wettbewerb, sondern ausdrücklich Verbraucher, weil sie Preis-Leitplanken für freiwillige iMSys-Einbauten setzt und so den Zugang zu Smart-Meter-Technik bezahlbar halten soll. Wer die gesetzlich vermuteten Höchstbeträge deutlich überschreitet, bewegt sich nach der gesetzlichen Systematik außerhalb des Angemessenen – es sei denn, die Vermutung wird widerlegt.
2) Keine tragfähige Widerlegung der gesetzlichen Vermutung
Die Beklagte konnte die Angemessenheitsvermutung nicht entkräften. Maßgeblich war, dass sie keine nachvollziehbare Kostenaufschlüsselung vorlegte: Es blieb offen, welche konkreten Aufwände (Material, Personal, Anfahrt, Systemeinbindung, IT-Backend, Abrechnung etc.) in welcher Höhe in die Kalkulation eingeflossen waren. Ohne eine belastbare, einzelfallbezogene Kostenunterlage bleibt es bei der gesetzlichen Vermutung – und die war mit 30 € (alt) bzw. 100 € (neu) deutlich unterschritten.
3) Indizwirkung der schnellen Preissenkung
Besonders gewichtig war die eigene Preisanpassung der Beklagten wenige Wochen nach dem streitigen Preisblatt: Plötzlich wurden Einbaukosten knapp unter 100 € verlangt. Nach Auffassung des Gerichts belegt gerade dieser Schritt, dass die zuvor publizierten rund 644 € bis knapp 900 € nicht in einem angemessenen Verhältnis standen. Diese Indizwirkung wiegt umso schwerer, als zwischen beiden Preisständen kein strukturell neues Leistungsbild erkennbar wurde, das die massive Differenz erklären könnte.
4) Wettbewerbswidrigkeit nach § 3a UWG
Ein Verstoß gegen § 35 MsbG führt – so die Kammer – wettbewerbsrechtlich zur Unlauterkeit nach § 3a UWG. Denn die Norm regelt Preisobergrenzen gerade zum Schutz der Marktteilnehmer. Wer diese Grenzen ignoriert, verschafft sich einen wettbewerblichen Vorteil zulasten von Verbrauchern und rechtskonform agierenden Wettbewerbern.
5) Irreführung durch Preisangaben
Die Veröffentlichung eines Preisblatts mit sehr hohen Pauschalen erweckt nach dem Verständnis durchschnittlicher Verbraucher den Eindruck, diese Preise seien zulässig. Liegen sie jedoch weit über dem gesetzlich vermuteten Rahmen und fehlt zugleich die rechtliche/ökonomische Begründung, kann dies als irreführend bewertet werden (§ 5 UWG). Das Gericht stützte die Irreführungsbewertung zusätzlich auf die nachträgliche drastische Preissenkung.
6) Rechtsfolge: Unterlassung; Nichtrechtskraft
Im Ergebnis untersagte das LG Halle die beanstandeten Preisangaben. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Eine Berufung wurde eingelegt. Für die Praxis ist jedoch bereits die erstinstanzliche Einordnung bedeutsam.
Was das Urteil praktisch bedeutet
Für Verbraucher
- Preischecks lohnen sich: Für die einmalige Wunschausstattung mit iMSys sind niedrige Beträge gesetzlich vermutet. Forderungen im hohen dreistelligen Bereich wirken regelmäßig unangemessen.
- Rechnungen/Angebote dokumentieren: Sichern Sie Preisblätter, Angebote und Kommunikation. Diese Unterlagen sind entscheidend, um Ansprüche durchzusetzen.
- Ansprüche prüfen lassen: Neben Unterlassung kommen je nach Konstellation Rückzahlungs-, Beseitigungs- und ggf. Schadensersatzansprüche in Betracht.
Für Netzbetreiber/Messstellenbetreiber
- Kalkulation belastbar machen: Wer sich oberhalb der Vermutungsbeträge bewegt, sollte eine detaillierte Kostentransparenz vorhalten (Einzelkosten, Gemeinkosten, Zuschläge, Prozesskosten).
- Preisblätter rechtskonform strukturieren: Klare Leistungsbeschreibung, klare Abgrenzung zu laufenden Entgelten und Hinweis auf gesetzliche Leitplanken.
- Kommunikation prüfen: Preisangaben sollten nicht den Eindruck erwecken, dass deutlich überhöhte Beträge „gesetzeskonform“ sind.
Einordnung der Entscheidung
Die Entscheidung fügt sich in eine Entwicklung ein, bei der der Gesetzgeber den Roll-out von iMSys fördern möchte und dafür preisliche Zugangshürden reduziert. Die Vermutungsgrenzen dienen als scharfer Referenzpunkt. Gerichte werden – wie hier – tendenziell strenge Darlegungspflichten annehmen, wenn diese Grenzen überschritten werden. Die eigene Preispolitik des Unternehmens unmittelbar nach dem Stichtag kann sich im Prozess sogar als belastendes Indiz erweisen.
Checkliste: So gehen Sie als Verbraucher vor
- Preisunterlagen sichern (Screenshots, PDFs, E-Mails).
- Vergleich mit Vermutungsgrenzen vornehmen (historischer Stichtag beachten).
- Schriftliche Rüge an den Anbieter formulieren; Frist setzen.
- Rechtliche Bewertung einholen – insbesondere zu Unterlassung und Rückforderung.
- Beweise ordnen (Zeitpunkte, Versionen von Preisblättern, spätere Preissenkung).
FAQ – kurz, klar, hilfreich
Gilt das auch für „moderne Messeinrichtungen“ (mME)?
Die Entscheidung betrifft die vorzeitige Ausstattung mit iMSys. Für mME gelten teils andere Regeln. Entscheidend ist, welche Leistung konkret verlangt wurde.
Darf der Anbieter mehr verlangen, wenn der Einbau komplex ist?
Besonderheiten sind denkbar. Sie müssen aber konkret dargelegt und nachvollziehbar kalkuliert sein. Ohne das greift die Vermutung der Höchstbeträge.
Kann ich bereits gezahlte Beträge zurückfordern?
Das hängt vom Einzelfall ab (Vertragsgrundlage, Preisabreden, Belehrung, Zeitpunkt). Eine individuelle Prüfung ist sinnvoll.
Ist schon alles entschieden?
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Es hat dennoch Signalwirkung für Preisangaben im Markt.
Fazit
Das Landgericht Halle setzt deutliche Maßstäbe: Wer für die freiwillige iMSys-Ausstattung weit oberhalb der gesetzlichen Vermutungsgrenzen abrechnet, braucht harte Zahlen. Ohne belastbare Kalkulation drohen Unterlassung und wettbewerbsrechtliche Konsequenzen. Für Verbraucher eröffnet die Entscheidung greifbare Angriffspunkte gegen überhöhte Forderungen.
Ansprechpartner
Alexander Bräuer
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