Focus „TOP-Mediziner“-Siegel erlaubt

Ob bei Google, in der Arztpraxis oder auf der Webseite: Immer häufiger begegnen uns Siegel mit Aussagen wie „TOP-Mediziner 2021“ oder „FOCUS-Empfehlung“. Doch was steckt wirklich dahinter? Sind solche Auszeichnungen seriös oder nur hübsche Etiketten – gekauft und werblich instrumentalisiert?
Diese Frage wurde jüngst vor dem Oberlandesgericht München verhandelt. Im Mittelpunkt: Die Frage, ob solche Siegel irreführend sind – und wenn ja, ob sie gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen. Die Entscheidung ist ein Meilenstein für Werbung im Gesundheitswesen – mit Signalwirkung für Ärzte, Medienunternehmen und Verbraucher gleichermaßen.
Sachverhalt: Die Klage der Wettbewerbszentrale
Die Beklagte ist ein Medienunternehmen, das regelmäßig sogenannte Ärztelisten publiziert – insbesondere im Magazin FOCUS Gesundheit. Die dort namentlich aufgeführten Mediziner dürfen – gegen eine jährliche Lizenzgebühr – mit Siegeln wie „TOP-Mediziner“ oder „FOCUS-Empfehlung“ werben.
Die zugrunde liegende Auswahlmethodik basiert auf einer Mischung aus:
- Kollegenempfehlungen (Reputation)
- Patientenbewertungen (z. B. aus Portalen)
- wissenschaftlichen Publikationen
- fachlichen Zusatzqualifikationen
- Selbstauskünften der Ärzte (Fragebögen)
Die Wettbewerbszentrale sah darin eine Irreführung nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) – insbesondere §§ 5, 5a und 6 UWG. Sie argumentierte:
Die Siegel suggerieren eine objektive Spitzenstellung – tatsächlich basieren sie zu großen Teilen auf subjektiven, teilweise intransparenten Kriterien, die keine neutrale oder objektiv messbare Beurteilung der ärztlichen Behandlungsqualität ermöglichen.
Konkret forderte die Klägerin ein Verbot der Vergabe und Verwendung solcher Siegel in Verbindung mit der bisher praktizierten Methodik.
Die Entscheidung des OLG München – Kernpunkte
Das OLG München (Urteil des OLG München vom 22.05.2025, Az.: 29 U 867/23 e) hob das Urteil der Vorinstanz (LG München I) auf und wies die Klage ab. Die Entscheidung stützt sich im Wesentlichen auf folgende Argumentationslinien:
1. Kein Prüfzeichen, sondern redaktionelle Einschätzung
Das Gericht stellte klar:
Der durchschnittlich informierte Verbraucher erkennt, dass es sich bei „TOP-Mediziner“-Siegeln nicht um objektive Prüfsiegel eines neutralen Testinstituts handelt – wie etwa bei TÜV oder Stiftung Warentest – sondern um das Ergebnis einer journalistischen Recherche durch ein bekanntes Medienunternehmen.
Allein durch den prominenten FOCUS-Schriftzug sei klar, dass die Bewertung aus der Medienwelt stamme. Zudem erwarte der Verbraucher bei der Bewertung ärztlicher Leistung nicht dieselbe technische Objektivierbarkeit wie bei einem Staubsaugertest.
2. Methodik mit ausreichender Seriosität
Zwar seien Elemente wie Selbstauskünfte und Kollegenempfehlungen subjektiv, jedoch:
- Die Auswahl erfolgte nach einem mehrstufigen Verfahren.
- Es wurden objektive Kriterien wie Facharztqualifikationen, Gutachtertätigkeit, Publikationen u.v.m. einbezogen.
- Die Daten wurden statistisch plausibilisiert.
- Subjektive Einschätzungen wie „Kollegenempfehlungen“ gelten laut Studienlage als verlässlicher Prädiktor für ärztliche Qualität.
Das Gericht kam zu dem Schluss:
Die Methodik genügt den Anforderungen an journalistische Seriosität – eine absolute Objektivität ist weder möglich noch vom Publikum zu erwarten.
3. Pressefreiheit schützt journalistische Bewertung
Ein weiterer zentraler Punkt der Entscheidung: Die Ärztelisten und das darauf basierende Siegel sind Teil der redaktionellen Arbeit des Medienhauses. Diese ist von der verfassungsrechtlich geschützten Presse- und Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) umfasst.
Ein Verbot der Lizenzvergabe und Siegelauszeichnung würde somit auch in den journalistischen Gestaltungsraum eingreifen.
Juristische Bewertung – Warum das OLG überzeugt
Argument |
Bewertung |
Täuschung über Objektivität? |
Verneint: Verbraucher erkennen den journalistischen Charakter. |
Verstoß gegen § 5 UWG (Irreführung)? |
Nein: Die Aussagen sind keine unwahren Tatsachenbehauptungen. |
Verstoß gegen § 6 UWG (Vergleichende Werbung)? |
Nein: Es handelt sich nicht um unzulässige Alleinstellungsbehauptungen. |
Verstoß gegen § 5a UWG (Informationspflicht)? |
Nein: Informationen zur Methodik sind öffentlich zugänglich, z. B. über focus-arztsuche.de. |
Folgen für die Praxis
Für Ärzte:
- Werbung mit FOCUS-Siegeln bleibt erlaubt – sofern sie sich auf die redaktionell geprüften Listen stützt.
- Es ist nicht erforderlich, die gesamte Bewertungsmethodik in der Praxis oder Website offenzulegen, solange auf die Fundstelle (z. B. FOCUS Gesundheit 04/2021) verwiesen wird.
Für Medien:
- Redaktionshäuser dürfen weiterhin Rankings erstellen und daraus kommerzielle Lizenzen für Werbezwecke ableiten.
- Die Grenze liegt dort, wo ein Ranking bewusst den Eindruck eines technischen oder offiziellen Prüfverfahrens erweckt.
Für Patienten:
- Das Urteil bedeutet nicht, dass ein „TOP-Mediziner“ immer die beste Wahl ist.
- Aber: Die Siegel dürfen als eine zusätzliche Orientierung gelten – vergleichbar mit Buch- oder Restaurantempfehlungen.
Fazit:
Das Urteil stärkt die Position der Medienfreiheit im Spannungsfeld mit dem Wettbewerbsrecht. Es macht zugleich deutlich:
Nicht jedes Gütesiegel ist ein Gütesiegel im rechtlichen Sinne – und das ist auch in Ordnung, solange es transparent bleibt, wer empfiehlt und warum.
„TOP-Mediziner“ mag nicht zwingend „top in der Medizin“ bedeuten – aber es sagt etwas über Reputation, Erfahrung und kollegiale Anerkennung. Wer also auf Qualitätssuche ist, sollte Siegel als Hinweis, nicht als Beweis sehen.
Ansprechpartner
Alexander Bräuer
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