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Rechtsmissbrauch bei Eilanträgen: Verschweigen der Reaktion auf Abmahnung

| Rechtsanwalt Frank Weiß

In eiligen Rechtsschutzverfahren zählt häufig jede Minute – doch Schnelligkeit darf niemals auf Kosten der Fairness gehen. Wer wesentliche Informationen verschweigt, setzt nicht nur die Entscheidung des Gerichts aufs Spiel, sondern riskiert auch, dass sein gesamter Antrag als rechtsmissbräuchlich eingestuft wird.

Eine aktuelle Entscheidung des OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 07.05.2024 – 6 W 37/24) befasst sich genau mit dieser Problematik: Darf ein Antragsteller im einstweiligen Verfügungsverfahren die Reaktion des Antragsgegners auf eine Abmahnung einfach verschweigen?

Das Gericht sagt klar: Nein – und liefert eine scharfsinnige und für die Praxis bedeutsame Begründung.

Der Sachverhalt

Die Antragstellerin – ein namhaftes Unternehmen aus der Bestattungsbranche – beanstandete wettbewerbswidrige Verhaltensweisen der Antragsgegnerin, insbesondere im Zusammenhang mit einer aus ihrer Sicht irreführenden Firmierung.

Daraufhin mahnte die Antragstellerin die Antragsgegnerin formell ab. Diese reagierte zeitnah über ihre Anwälte mit einem ausführlichen Schreiben, in dem sie die gegen sie erhobenen Vorwürfe entschieden zurückwies. Zusätzlich kündigte die Antragsgegnerin an, dass sie diese Stellungnahme im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung zur Kenntnis bringen werde.

Statt jedoch zunächst inhaltlich auf diese Erwiderung einzugehen, beantragte die Antragstellerin umgehend den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Dabei erwähnte sie in ihrem Antrag mit keinem Wort, dass eine Antwort auf die Abmahnung erfolgt war. Sie gab lediglich an, die Abmahnung sei "ergebnislos" geblieben.

Erst auf richterlichen Hinweis hin wurde die Antwort der Antragsgegnerin vollständig vorgelegt.

Die Entscheidung des OLG Frankfurt a.M.

Das OLG Frankfurt lehnte den Erlass der einstweiligen Verfügung ab. Die Begründung: Das Verhalten der Antragstellerin sei rechtsmissbräuchlich.

1. Pflicht zur vollständigen Darstellung

Zunächst stellte das Gericht klar, dass Antragsteller im einstweiligen Rechtsschutzverfahren verpflichtet sind, alle wesentlichen Umstände vollständig und wahrheitsgemäß darzustellen. Dazu gehört ausdrücklich auch die Mitteilung über eine Reaktion auf eine vorausgehende Abmahnung.

Gerade bei Verfahren, die ohne Anhörung der Gegenseite entschieden werden (ex parte), ist die Verpflichtung zur umfassenden und wahrheitsgetreuen Sachverhaltsdarstellung besonders streng. Das Gericht verlässt sich auf die Angaben des Antragstellers – ein Verschweigen relevanter Informationen gefährdet die Funktionsfähigkeit der einstweiligen Rechtspflege.

2. Gezieltes Verschweigen als Indiz für Rechtsmissbrauch

Das Gericht sah in der Verschweigung der Reaktion auf die Abmahnung ein Indiz für einen missbräuchlichen Einsatz des einstweiligen Rechtsschutzes:

  • Zielgerichtetes Verhalten: Die Antragstellerin habe bewusst versucht, das Gericht zu einer Entscheidung zu bewegen, ohne dass die Stellungnahme der Gegenseite bekannt wurde.
  • Beeinträchtigung des rechtlichen Gehörs: Indem die Antwort verschwiegen wurde, sei die Antragsgegnerin faktisch von der Wahrnehmung ihrer prozessualen Rechte abgeschnitten worden.
  • Vertrauensbruch gegenüber dem Gericht: Die Pflicht zur Offenbarung aller für die Entscheidung erheblichen Umstände sei verletzt worden.

3. Bedeutung der Reaktion für die Entscheidung

Das OLG wies ausdrücklich darauf hin, dass die Erwiderung der Antragsgegnerin nicht belanglos gewesen sei. Vielmehr habe sie substanzielle Argumente gegen die geltend gemachten Ansprüche erhoben, die im Rahmen einer gerichtlichen Prüfung berücksichtigt werden mussten.

Die Nichtvorlage dieser Erwiderung habe daher das Gericht erheblich in die Irre führen können.

4. Folgen des Rechtsmissbrauchs

Ein rechtsmissbräuchlicher Antrag führt dazu, dass der Eilantrag unzulässig ist – unabhängig davon, ob der geltend gemachte Anspruch inhaltlich möglicherweise berechtigt wäre.

Dies unterstreicht die drastische Sanktion, die ein bewusst unvollständiges Vorbringen im Eilverfahren nach sich ziehen kann.

Praxisfolgen und Bedeutung der Entscheidung

Diese Entscheidung ist weit über den Einzelfall hinaus von großer praktischer Bedeutung:

  • Transparenzpflichten sind ernst zu nehmen: Antragsteller dürfen in Eilverfahren keine „Taktikspielchen“ treiben. Alles, was für die Entscheidung erheblich sein könnte – auch gegnerische Stellungnahmen – muss offengelegt werden.
  • Eilverfahren sind keine Einbahnstraße: Auch wenn sie schnelle Entscheidungen ermöglichen, gelten die Grundsätze von Fairness und umfassender Information uneingeschränkt.
  • Missbrauch wird streng sanktioniert: Gerichte reagieren zunehmend empfindlich auf Versuche, sie bewusst unvollständig zu informieren. Im Zweifel droht die vollständige Ablehnung des Antrags.

Für Anwälte bedeutet das: Gründlichkeit geht vor Geschwindigkeit. Wer im Eilverfahren Erfolg haben will, muss dem Gericht den vollständigen Sachverhalt schildern – auch wenn gegnerische Reaktionen unbequem sind.

Fazit

Das OLG Frankfurt a.M. macht mit seinem Beschluss vom 07.05.2024 (Az. 6 W 37/24) deutlich: Wer im einstweiligen Rechtsschutzverfahren wesentliche Informationen verschweigt – insbesondere die Reaktion auf eine Abmahnung –, riskiert, dass sein Antrag als rechtsmissbräuchlich zurückgewiesen wird.

Eilverfahren dürfen kein Mittel sein, um Gerichte zu täuschen oder das rechtliche Gehör der Gegenseite zu unterlaufen. Stattdessen bleibt auch im Kampf um schnelle Entscheidungen die Offenheit gegenüber dem Gericht oberstes Gebot.

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