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Wettbewerbsrechtliche Abmahnbefugnis spielt im Ordnungsmittelverfahren keine Rolle mehr

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Ein Urteil zu haben, ist das eine – es auch durchsetzen zu können, das andere. Im Wettbewerbsrecht kann die Durchsetzung einst erlangter Unterlassungstitel schnell an Bedeutung verlieren, wenn sich rechtliche Rahmenbedingungen ändern. Genau so erging es einem Wettbewerbsverband, dem durch Gesetzesreform Ende 2020 die Abmahnbefugnis entzogen wurde. Doch was gilt, wenn dieser Verband trotzdem noch Ordnungsmittel beantragen will, weil der Schuldner sich nicht an ein altes gerichtliches Verbot hält?

Der Bundesgerichtshof (Beschluss vom 21.12.2023 – Az. I ZB 42/23) hat diese brisante Frage nun höchstrichterlich entschieden – mit einer klaren Antwort: Die formale Gläubigerstellung reicht, unabhängig von der aktuellen Abmahnbefugnis. Damit schafft der BGH Klarheit im Spannungsfeld zwischen neuem Wettbewerbsrecht und altem Zwangsvollstreckungsrecht.

Sachverhalt – worum ging es konkret?

Ein Verband zur Förderung gewerblicher Interessen hatte im Jahr 2018 ein Unternehmen erfolgreich wegen unzulässiger Garantiewerbung auf Amazon verklagt. Hintergrund war eine Garantieangabe, die nicht die nach § 477 BGB erforderlichen Informationen enthielt. Das Landgericht gab dem Verband Recht und untersagte dem Unternehmen, weiterhin so zu werben. Die Entscheidung wurde rechtskräftig.

Mit Inkrafttreten des „Gesetzes zur Stärkung des fairen Wettbewerbs“ (UWG-Novelle) im Dezember 2020 änderte sich jedoch die Rechtslage drastisch: Viele bislang abmahnfähige Wettbewerbsverbände verloren ihre Anspruchsberechtigung nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG, sofern sie nicht in die neue Liste qualifizierter Wirtschaftsverbände (§ 8b UWG) eingetragen waren.

Der betroffene Verband war nicht in diese Liste aufgenommen worden und verlor damit seine aktive Prozessführungsbefugnis für künftige Wettbewerbsverstöße.

Im Jahr 2021 stellte der Verband jedoch fest, dass das Unternehmen erneut mit einer Garantie warb – in gleicher oder ähnlicher Weise wie zuvor verboten. Der Verband stellte daraufhin beim Vollstreckungsgericht einen Ordnungsmittelantrag gemäß § 890 ZPO, um ein Ordnungsgeld wegen Verstoßes gegen das Unterlassungsgebot verhängen zu lassen.

Das Unternehmen wehrte sich: Der Verband sei nicht mehr aktivlegitimiert, da ihm seit der Gesetzesänderung keine Abmahnbefugnis mehr zustehe. Die Vorinstanzen (LG und OLG Hamm) gaben dem Schuldner Recht. Der Verband legte Rechtsbeschwerde zum BGH ein – mit Erfolg.

Zentrale Rechtsfrage

Kann ein Verband, der ursprünglich einen Titel erwirkt hat, aber durch eine Gesetzesänderung seine Abmahnbefugnis verloren hat, weiterhin ein Ordnungsmittelverfahren betreiben?

Entscheidung des BGH (Beschluss v. 21.12.2023 – I ZB 42/23)

Kernaussage: Die Gläubigerstellung reicht!

Der Bundesgerichtshof stellte klar:

„Für die Zulässigkeit eines Ordnungsmittelantrags des Gläubigers sind die Änderung des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG n.F. sowie die Übergangsvorschrift des § 15a Abs. 1 UWG n.F. ohne Bedeutung.“

Begründung im Detail:

a) Zwangsvollstreckung ist vom Erkenntnisverfahren unabhängig

  • Ein bereits rechtskräftig ergangenes Urteil entfaltet Bindungswirkung.
  • Die Durchsetzbarkeit dieses Titels ist nicht davon abhängig, ob der Gläubiger auch heute noch den materiell-rechtlichen Anspruch geltend machen dürfte.
  • Maßgeblich ist, dass das Verbot weiterhin Bestand hat – und dieses ist nicht entfallen, nur weil sich § 8 UWG geändert hat.

b) Antragsbefugnis ergibt sich aus § 750 Abs. 1 ZPO

  • Danach kann der formelle Gläubiger eines Titels die Zwangsvollstreckung betreiben.
  • Eine zusätzliche materiell-rechtliche Anspruchsberechtigung ist nicht erforderlich.
  • Der Zweck der Zwangsvollstreckung ist es, gerichtliche Entscheidungen durchzusetzen, nicht deren materiell-rechtliche Grundlage neu zu prüfen.

c) Keine Anwendung des § 15a UWG auf Ordnungsmittelverfahren

  • Die Übergangsvorschrift (§ 15a UWG) dient ausschließlich der Frage, ob neue Verfahren zur Anspruchsdurchsetzung zulässig sind.
  • Auf Vollstreckungsverfahren findet sie keine Anwendung.
  • Auch der Stichtag 1. September 2021 ist unerheblich für Ordnungsmittelanträge.

d) Verhinderung faktischer Entrechtung

  • Wäre die Antragsbefugnis entfallen, könnten Schuldner sich durch Zeitablauf der Vollstreckung widersetzen.
  • Dies würde den Rechtsfrieden gefährden und dem Grundsatz der Rechtskraft widersprechen.

Bedeutung für die Praxis

Was bedeutet das für Wettbewerbsverbände und Schuldner?

Für Gläubiger:

  • Wer einmal ein Unterlassungsurteil erwirkt hat, bleibt berechtigt, dieses Urteil durch Ordnungsmittel zu vollstrecken – auch bei Verlust der Abmahnbefugnis.
  • Das Urteil „veraltet“ nicht durch Gesetzesreform.
  • Der Verband kann trotz fehlender Eintragung in § 8b UWG weiterhin Verstöße ahnden, sofern sie gegen bestehende Titel verstoßen.

Für Schuldner:

  • Wer gegen ein rechtskräftiges Unterlassungsurteil verstößt, kann sich nicht auf geänderte Rechtslage berufen, um sich Ordnungsmitteln zu entziehen.
  • Die Entscheidung mahnt zur Sorgfalt bei bestehenden Titeln: Alte Urteile gelten weiter.

Für Gerichte:

  • Vollstreckungsgerichte müssen nicht prüfen, ob die materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage (etwa § 8c UWG) fortbesteht.
  • Entscheidend ist allein: Besteht ein rechtskräftiger Titel und liegt ein Verstoß vor?

Fazit: Klare Linie zugunsten des Rechtsschutzes

Mit seiner Entscheidung zeigt der BGH deutlich: Das Zwangsvollstreckungsrecht folgt eigenen Regeln – und schützt die Durchsetzbarkeit gerichtlicher Entscheidungen auch dann, wenn sich das materielle Recht geändert hat. Für Unternehmen bedeutet das: Einst ergangene Urteile sind nicht verjährt durch Gesetzesreformen, sondern müssen weiterhin beachtet werden.

Für Wettbewerbsverbände bietet die Entscheidung eine klare Perspektive: Sie behalten ihre formale Gläubigerstellung – und damit die Möglichkeit, die Einhaltung einst erstrittener Unterlassungstitel durchzusetzen.

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