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Ordnungsmittel - Ein Leitfaden

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Ordnungsmittel sind ein zentraler Bestandteil des deutschen Zivilprozessrechts und dienen der Durchsetzung gerichtlicher Anordnungen, wie beispielsweise einstweiliger Verfügungen oder Unterlassungsurteilen. Sie werden eingesetzt, wenn ein Schuldner gegen eine Verpflichtung verstößt, die ihm ein Gericht auferlegt hat. Zu den gängigen Ordnungsmitteln gehören das Ordnungsgeld, das bis zu 250.000 Euro betragen kann, sowie die Ordnungshaft, die eine Dauer von bis zu sechs Monaten erreichen kann. Ziel dieser Maßnahmen ist es, den Schuldner zur Einhaltung seiner Verpflichtungen zu bewegen, weitere Verstöße zu verhindern und gleichzeitig die Autorität der Gerichte zu wahren.

Die Anwendung von Ordnungsmitteln ist jedoch keine starre Regelung, sondern erfordert eine sorgfältige Prüfung der Umstände des Einzelfalls. Faktoren wie die Schwere des Verstoßes, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners und die Absicht hinter dem Handeln spielen bei der Bemessung eine entscheidende Rolle. Insbesondere bei wiederholten oder hartnäckigen Verstößen verschärfen Gerichte die Sanktionen, um eine abschreckende Wirkung zu erzielen.

Gleichzeitig bietet das Rechtssystem Schutzmechanismen für Betroffene. Wer ein Ordnungsmittel als unverhältnismäßig oder unbegründet empfindet, kann sich mit der sofortigen Beschwerde gegen die Entscheidung des Gerichts wehren. Diese Möglichkeit garantiert eine Überprüfung durch die nächsthöhere Instanz, wobei das Verschlechterungsverbot sicherstellt, dass die Situation des Beschwerdeführers nicht verschärft wird.

Dieser Text bietet eine umfassende Einführung in die Welt der Ordnungsmittel, erläutert die rechtlichen Grundlagen, typischen Anwendungsfälle und praxisrelevanten Fragestellungen. Zudem zeigt er auf, welche Konsequenzen Verstöße nach sich ziehen und welche Rechte Betroffene haben, sich dagegen zu wehren. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf den Aspekten der Bemessung und den spezifischen Anforderungen bei juristischen Personen sowie den Möglichkeiten zur Verteidigung gegen ein Ordnungsmittel.

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Zweck und Arten von Ordnungsmitteln: Ordnungsmittel wie Ordnungsgeld (bis zu 250.000 Euro) und Ordnungshaft (bis zu sechs Monate) dienen der Durchsetzung und Sanktionierung von Verstößen gegen gerichtliche Anordnungen. Sie sollen Verstöße verhindern, den Schuldner zur Einhaltung verpflichten und als Abschreckung wirken.
  • Bemessung und Konsequenzen: Die Höhe eines Ordnungsgeldes richtet sich nach Art, Umfang, Vorsatz und Vorteil des Verstoßes sowie den wirtschaftlichen Verhältnissen des Schuldners. Wiederholte Verstöße führen zu höheren Sanktionen, wobei Unternehmen besonders stark belastet werden können.
  • Rechtsmittel bei Ordnungsmitteln: Gegen die Festsetzung von Ordnungsmitteln kann der Betroffene sofortige Beschwerde einlegen (§ 793 ZPO), die eine Überprüfung durch die nächsthöhere Instanz ermöglicht. Dabei gilt das Verschlechterungsverbot, sodass der Beschwerdeführer nicht schlechter gestellt werden kann.

 

Übersicht

Was ist ein Ordnungsmittel bei einem Verstoße gegen eine einstweilige Verfügung oder ein Urteil?
Wann liegt ein Verstoß gegen die Gerichtsentscheidung vor?
Die Kerntheorie – Was ist kerngleiche Verletzung?
Welches Gericht ist für das Ordnungsmittelverfahren zuständig?
Wie wird die Höhe des Ordnungsgeldes bemessen?
Wie wirken sich wiederholte Verstöße aus?
Sonderfall juristische Personen
Wer trägt die Kosten des Ordnungsmittelverfahrens?
Kann man sich gegen ein Ordnungsmittel wehren?

 

Was ist ein Ordnungsmittel bei einem Verstoße gegen eine einstweilige Verfügung oder ein Urteil?

Ein Ordnungsmittel ist ein rechtliches Instrument, das von Gerichten eingesetzt wird, um die Einhaltung von gerichtlichen Anordnungen, wie einstweiligen Verfügungen oder Urteilen, zu erzwingen. Es dient sowohl der Durchsetzung als auch der Sanktionierung bei Zuwiderhandlungen. Im deutschen Recht regeln insbesondere § 890 ZPO und § 888 ZPO die Ordnungsmittel.

Arten von Ordnungsmitteln

  1. Ordnungsgeld
    • Das Ordnungsgeld ist eine Geldstrafe, die das Gericht gegen den Schuldner verhängt, wenn dieser einer gerichtlichen Anordnung nicht nachkommt.
    • Es ist ein finanzielles Druckmittel, um den Schuldner zur Einhaltung der Verpflichtungen zu bewegen.
    • Höhe: Das Ordnungsgeld kann je Verstoß bis zu 250.000 Euro betragen. Die genaue Summe wird vom Gericht festgelegt und hängt von der Schwere des Verstoßes und der finanziellen Situation des Schuldners ab.
    • Ersatzordnungshaft: Wenn das Ordnungsgeld nicht gezahlt wird, kann es in eine Ordnungshaft umgewandelt werden.
  2. Ordnungshaft
    • Bei schwerwiegenden Verstößen oder der Nichtzahlung des Ordnungsgeldes kann das Gericht Ordnungshaft anordnen.
    • Dauer: Die Ordnungshaft kann bis zu sechs Monate betragen. Bei wiederholten Verstößen darf die Gesamtdauer der Ordnungshaft jedoch nicht zwei Jahre überschreiten.
    • Sie wird in einer Justizvollzugsanstalt vollstreckt.
    • Die Haft dient nicht der Bestrafung im strafrechtlichen Sinne, sondern soll den Schuldner zur Erfüllung seiner Verpflichtungen bewegen.
  3. Weitere Zwangsmittel (§ 888 ZPO)
    • Neben Ordnungsgeld und Ordnungshaft können Gerichte auch andere Maßnahmen anordnen, etwa die Ersatzvornahme. Diese kommt insbesondere bei Verpflichtungen in Betracht, bei denen eine Handlung (z. B. Herausgabe einer Sache) durchgesetzt werden soll.
    • Die Kosten der Ersatzvornahme trägt der Schuldner.

Zweck von Ordnungsmitteln

  • Durchsetzung gerichtlicher Anordnungen: Ordnungsmittel gewährleisten, dass Schuldner ihre Pflichten erfüllen, sei es eine Unterlassung oder eine aktive Handlung.
  • Druckmittel: Sie sollen den Schuldner dazu bewegen, zukünftig die Anordnungen zu befolgen.
  • Sanktionierung: Verstöße gegen gerichtliche Anordnungen werden bestraft, um die Autorität des Gerichts zu wahren und eine Wiederholung zu verhindern.
  • Abschreckung: Sie dienen als Präventivmaßnahme, um andere potenzielle Verstöße zu verhindern.

Rechtliche Grundlage und Voraussetzungen

Die rechtliche Basis für Ordnungsmittel ist im deutschen Zivilrecht in der Zivilprozessordnung (ZPO) geregelt. Die wichtigsten Vorschriften sind:

  1. § 890 ZPO (Ordnungsgeld und Ordnungshaft)
    Diese Norm regelt die Durchsetzung von Unterlassungs- oder Handlungspflichten. Es handelt sich meist um Fälle, in denen der Schuldner dazu verpflichtet wurde, eine bestimmte Handlung zu unterlassen (z. B. die Veröffentlichung von falschen Aussagen) oder eine bestimmte Handlung vorzunehmen (z. B. die Entfernung eines Beitrags).
  2. Voraussetzungen für die Verhängung von Ordnungsmitteln:
    • Rechtskräftige oder vollstreckbare Anordnung: Es muss eine gerichtliche Entscheidung vorliegen, die klar und eindeutig beschreibt, was der Schuldner zu tun oder zu unterlassen hat.
    • Verstoß gegen die Anordnung: Der Schuldner muss nachweislich gegen die Verpflichtung verstoßen haben. Der Verstoß muss konkret dokumentiert und dem Gericht glaubhaft gemacht werden (z. B. durch Beweismittel wie Screenshots, Zeugenaussagen oder Dokumente).
    • Antrag des Gläubigers: Ordnungsmittel werden nicht von Amts wegen verhängt. Der Gläubiger muss einen entsprechenden Antrag beim zuständigen Gericht stellen.
    • Verhältnismäßigkeit: Die Höhe des Ordnungsgeldes oder die Dauer der Ordnungshaft müssen verhältnismäßig zum Verstoß sein.

Verfahren zur Verhängung von Ordnungsmitteln

  1. Antragstellung durch den Gläubiger
    Der Gläubiger, der die einstweilige Verfügung oder das Urteil erwirkt hat, muss bei Gericht beantragen, ein Ordnungsmittel zu verhängen. Der Antrag muss den Verstoß genau beschreiben und Beweise enthalten.
  2. Anhörung des Schuldners
    Das Gericht gibt dem Schuldner die Gelegenheit, sich zu dem Vorwurf zu äußern. Dieser kann beispielsweise darlegen, dass kein Verstoß vorliegt oder dass er die Verpflichtung nicht erfüllen konnte (z. B. aufgrund von höherer Gewalt).
  3. Entscheidung des Gerichts
    Nach Prüfung der vorgelegten Beweise und der Anhörung entscheidet das Gericht, ob ein Ordnungsmittel verhängt wird und in welcher Höhe bzw. Dauer. Die Entscheidung erfolgt durch Beschluss.
  4. Vollstreckung
    Wird ein Ordnungsmittel angeordnet, wird es vollstreckt. Ordnungsgeld wird eingezogen, Ordnungshaft wird durch die Justizvollzugsbehörden umgesetzt.

Typische Anwendungsbereiche

  • Unterlassungsansprüche
    Ein Unternehmen wird durch eine einstweilige Verfügung verpflichtet, bestimmte Aussagen in der Werbung zu unterlassen. Bei einem Verstoß kann der Gläubiger Ordnungsgeld beantragen.
  • Online-Rechtsverletzungen
    Eine Person wird dazu verpflichtet, eine rufschädigende Aussage in sozialen Medien zu löschen. Erfolgt dies nicht, kann ein Ordnungsgeld oder eine Ordnungshaft verhängt werden.
  • Verpflichtungen zur Handlung
    Ein Schuldner wird verpflichtet, eine Immobilie zu räumen oder eine Sache herauszugeben. Kommt er dem nicht nach, können Zwangsmittel verhängt werden.

Beispiele

  1. Beispiel 1: Unterlassungsverfügung bei Rufschädigung
    Ein Unternehmen wird verpflichtet, eine unwahre Behauptung über einen Konkurrenten zu unterlassen. Veröffentlicht das Unternehmen diese Aussage erneut, kann ein Ordnungsgeld verhängt werden.
  2. Beispiel 2: Entfernung eines Online-Beitrags
    Eine Person wird durch ein Urteil dazu verpflichtet, einen beleidigenden Beitrag aus einem Forum zu entfernen. Unterlässt sie dies, kann ein Ordnungsgeld verhängt oder der Beitrag durch einen Dritten entfernt werden, dessen Kosten der Schuldner tragen muss.
  3. Beispiel 3: Kontaktverbot
    Eine einstweilige Verfügung untersagt einer Person, Kontakt zu einer anderen Person aufzunehmen. Bei einem Verstoß kann Ordnungshaft angeordnet werden.

Grenzen und Probleme

  • Verhältnismäßigkeit
    Ordnungsmittel dürfen nicht unverhältnismäßig hoch angesetzt werden, um den Schuldner nicht übermäßig zu belasten.
  • Beweisschwierigkeiten
    Der Gläubiger muss den Verstoß genau nachweisen, was in einigen Fällen, z. B. bei mündlichen Absprachen, schwierig sein kann.
  • Missbrauchsgefahr
    Es besteht die Möglichkeit, dass Ordnungsmittel als Druckmittel in rechtlichen Auseinandersetzungen missbraucht werden.

Ordnungsmittel sind ein effektives Instrument, um die Einhaltung gerichtlicher Anordnungen sicherzustellen. Sie dienen nicht nur der Durchsetzung von Ansprüchen, sondern haben auch eine abschreckende Wirkung. Ihre Anwendung setzt jedoch eine klare Rechtsgrundlage, den Nachweis des Verstoßes und einen Antrag des Gläubigers voraus. Durch ihre Flexibilität können Ordnungsgelder und -haft individuell an den Einzelfall angepasst werden, um einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen des Gläubigers und des Schuldners zu schaffen.

Wann liegt ein Verstoß gegen die Gerichtsentscheidung vor?

Ein Verstoß gegen eine Gerichtsentscheidung, wie ein Unterlassungsurteil oder eine einstweilige Verfügung, ist gegeben, wenn der Schuldner einer gerichtlichen Anordnung zuwiderhandelt. Dabei umfasst der Begriff „Verstoß“ nicht nur die direkte Wiederholung einer verbotenen Handlung, sondern auch sogenannte kerngleiche Handlungen. Die Kerntheorie erweitert die Reichweite eines Unterlassungstitels erheblich und sorgt dafür, dass Schuldner sich nicht durch marginale Änderungen der verbotenen Handlung ihrer Verpflichtung entziehen können.

Was ist ein Verstoß gegen eine Gerichtsentscheidung?

Voraussetzungen für einen Verstoß:

  1. Vorliegen einer gerichtlichen Anordnung:
    Die Gerichtsentscheidung (z. B. Unterlassungsurteil oder einstweilige Verfügung) muss eindeutig formuliert und vollstreckbar sein. Sie beschreibt präzise, was der Schuldner unterlassen oder tun muss.
  2. Handlung des Schuldners:
    Der Schuldner muss eine Handlung vornehmen, die entweder direkt oder indirekt gegen das ausgesprochene Verbot verstößt. Dies schließt auch kerngleiche Handlungen ein.
  3. Kausalität zwischen Handlung und Verbot:
    Die Handlung des Schuldners muss in den Anwendungsbereich des gerichtlichen Verbots fallen.
  4. Glaubhaftmachung durch den Gläubiger:
    Der Gläubiger muss den Verstoß konkret darlegen und beweisen. Beweismittel können Screenshots, Dokumente, eidesstattliche Versicherungen oder Zeugenaussagen sein.

Identische Verstöße:

Ein identischer Verstoß liegt vor, wenn der Schuldner die exakt gleiche Handlung wiederholt, die durch die gerichtliche Entscheidung untersagt wurde.
Beispiel: Ein Unternehmen wurde per Gerichtsbeschluss verpflichtet, eine Werbeaussage wie „Unser Produkt garantiert eine Heilung“ zu unterlassen. Verwendet es dieselbe Aussage erneut in einer Anzeige, liegt ein identischer Verstoß vor.

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Die Kerntheorie – Was ist kerngleiche Verletzung?

Definition der Kerngleichheit:

Die Kerntheorie besagt, dass ein Unterlassungstitel nicht nur identische Handlungen verbietet, sondern auch solche, die im Kern gleichartig sind. Der Kern der Verletzung bezieht sich auf die wesentlichen Elemente der ursprünglichen Handlung, die sie rechtswidrig machen.

Grundprinzip:

  • Erweiterung des Verbots: Das Verbot umfasst Handlungen, die die gleiche Zielrichtung, Wirkung oder den gleichen Unrechtsgehalt haben wie die ursprüngliche Verletzungshandlung.
  • Schutz vor Umgehung: Die Kerntheorie verhindert, dass sich der Schuldner durch geringfügige Änderungen der Handlung dem Verbot entzieht.

Rechtliche Grundlage:

Die Kerntheorie ist eine gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH). Der BGH hat in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass ein Unterlassungstitel über die konkrete Verletzungsform hinausgeht, sofern die neue Handlung den charakteristischen Unrechtsgehalt der ursprünglichen Verletzung beibehält.

Wichtige Urteile:

  • BGH, Beschluss vom 26.09.2023, Az. VI ZB 79/21: Reichweite eines Unterlassungstitels.
  • BGH, Beschluss vom 13.10.2022, Az. I ZR 98/21: Kernelemente der Rechtswidrigkeit als Maßstab.
  • BVerfG, Beschluss vom 13.04.2022, Az. 1 BvR 1021/17: Grenzen der Kerngleichheit.

Wann liegt eine kerngleiche Verletzung vor?

Kernelemente der Rechtswidrigkeit:

Die Beurteilung, ob eine Handlung kerngleich ist, richtet sich nach den Elementen, die den Unrechtsgehalt der ursprünglichen Verletzungshandlung ausmachen. Diese können umfassen:

  • Den Inhalt der Handlung (z. B. die Aussage in einer Werbeanzeige).
  • Die Wirkung auf Dritte (z. B. irreführende Aussagen, die Verbraucher täuschen).
  • Die Zielrichtung der Handlung (z. B. eine wettbewerbswidrige Strategie zur Kundenwerbung).

Beispiele:

  1. Werbeaussagen:
    • Gerichtliches Verbot: „Unser Produkt garantiert Heilung.“
    • Neue Aussage: „Unser Produkt sorgt für Gesundheitserfolge.“
      → Kerngleich, da die Aussage dieselbe täuschende Wirkung hat.
  2. Urheberrechtsverletzung:
    • Gerichtliches Verbot: Veröffentlichung eines geschützten Fotos.
    • Neue Handlung: Veröffentlichung desselben Fotos mit minimaler Farbänderung.
      → Kerngleich, da das Werk erkennbar bleibt.
  3. Rufschädigende Äußerungen:
    • Gerichtliches Verbot: „Person X ist ein Betrüger.“
    • Neue Aussage: „Ich habe gehört, Person X handelt nicht ehrlich.“
      → Kerngleich, da die Äußerung denselben rufschädigenden Inhalt vermittelt.

Abgrenzung: Wann ist eine Handlung nicht kerngleich?

Eine Handlung ist dann nicht kerngleich, wenn sie sich in wesentlichen Aspekten von der ursprünglichen Verletzungshandlung unterscheidet. Dies ist der Fall, wenn:

  1. Die Zielrichtung vollständig geändert wurde. Beispiel: Eine Werbeaussage, die ursprünglich gesundheitsbezogen war, wird durch eine Aussage zu Umweltvorteilen ersetzt.
  2. Die neuen Elemente die Handlung rechtlich unbedenklich machen. Beispiel: Eine Aussage wird durch eine vollständige, nachweisbare Faktengrundlage ergänzt, die Täuschung wird beseitigt.
  3. Die Handlung keinen vergleichbaren Unrechtsgehalt mehr aufweist. Beispiel: Eine Werbeaussage wird durch ein rein deskriptives Statement ersetzt.

Die Bewertung, ob eine Handlung kerngleich ist, erfolgt stets durch das Gericht und basiert auf einer Einzelfallprüfung.

Praktische Beispiele zur Kerntheorie

Beispiel 1: Wettbewerbsrecht

  • Verbotene Handlung: „Unser Produkt ist das beste auf dem Markt.“
  • Neue Handlung: „Unser Produkt wurde von Kunden als sehr gut bewertet.“
    Kerngleich, da die Aussage weiterhin eine unzulässige Alleinstellungsbehauptung suggeriert.

Beispiel 2: Markenrecht

  • Verbotene Handlung: Nutzung einer geschützten Marke in der Werbung.
  • Neue Handlung: Nutzung eines leicht abgewandelten Logos mit erkennbarer Ähnlichkeit.
    Kerngleich, da der Markenschutz weiterhin verletzt wird.

Beispiel 3: Medienrecht

  • Verbotene Handlung: Veröffentlichung eines beleidigenden Artikels.
  • Neue Handlung: Verbreitung derselben Behauptungen in sozialen Medien.
    Kerngleich, da die beleidigende Wirkung unverändert bleibt.

Rechtsfolgen bei kerngleichen Verstößen

Wenn das Gericht eine kerngleiche Verletzung feststellt, können Ordnungsmittel nach § 890 ZPO verhängt werden. Dazu gehören:

  • Ordnungsgeld: Bis zu 250.000 Euro. Die Höhe wird nach der Schwere des Verstoßes bemessen.
  • Ordnungshaft: Ersatzweise oder bei hartnäckigen Wiederholungen, maximal sechs Monate pro Verstoß.

Die Kerntheorie ist ein zentrales Element des deutschen Unterlassungsrechts. Sie schützt Gläubiger vor der Umgehung gerichtlicher Verbote und gewährleistet, dass auch leicht abgewandelte Handlungen, die denselben Unrechtsgehalt haben, sanktioniert werden können. Ihre Anwendung ist jedoch stark einzelfallabhängig und setzt voraus, dass die relevanten Kernelemente der Rechtswidrigkeit erhalten bleiben. Die gerichtliche Praxis zeigt, dass die Beurteilung oft komplex ist und eine gründliche rechtliche Analyse erfordert.

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Welches Gericht ist für das Ordnungsmittelverfahren zuständig?

Das zuständige Gericht für ein Ordnungsmittelverfahren ist grundsätzlich dasjenige, das die ursprüngliche gerichtliche Anordnung, also das Urteil oder die einstweilige Verfügung, erlassen hat. Diese Zuständigkeit ergibt sich aus § 890 Abs. 1 ZPO, der regelt, dass Ordnungsmittel wie Ordnungsgeld oder Ordnungshaft durch das Gericht verhängt werden, das für die Zwangsvollstreckung zuständig ist. Da es sich beim Ordnungsmittelverfahren um einen Teil der Zwangsvollstreckung handelt, bleibt das Gericht, das die Hauptsache entschieden hat, für die Durchsetzung zuständig.

Im Einzelnen bedeutet dies, dass sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht für das Ordnungsmittelverfahren zuständig sein können, abhängig davon, welches Gericht die ursprüngliche Entscheidung gefällt hat. Wenn ein Amtsgericht beispielsweise eine Unterlassungsverfügung erlassen hat, bleibt es auch für die Verhängung von Ordnungsmitteln zuständig. Wurde die ursprüngliche Entscheidung hingegen vom Landgericht getroffen, ist dieses auch für das Ordnungsmittelverfahren verantwortlich.

In speziellen Rechtsgebieten, wie dem Wettbewerbsrecht, Markenrecht oder Urheberrecht, in denen spezialisierte Kammern bei den Landgerichten zuständig sind, bleibt auch diese Kammer für die Durchführung des Ordnungsmittelverfahrens verantwortlich. Dies ist häufig der Fall, wenn es sich um Entscheidungen im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes handelt.

Im Fall eines Rechtsmittels gegen eine Entscheidung im Ordnungsmittelverfahren übernimmt die nächsthöhere Instanz die Zuständigkeit. Hat ein Landgericht beispielsweise ein Ordnungsgeld verhängt, wäre das zuständige Oberlandesgericht die Berufungsinstanz. Das Gericht prüft dabei, ob die Voraussetzungen für die Verhängung eines Ordnungsmittels erfüllt sind, und entscheidet, ob die ursprüngliche Entscheidung aufrechterhalten oder abgeändert wird.

Zusammenfassend bleibt das Gericht, das die Ausgangsentscheidung gefällt hat, für das Ordnungsmittelverfahren zuständig, während bei einer Anfechtung dieser Entscheidung das nächsthöhere Gericht die Überprüfung übernimmt. Diese Zuständigkeitsregelung gewährleistet, dass das Verfahren in der Instanz fortgeführt wird, die mit den Einzelheiten des Falls bereits vertraut ist.

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Wie wird die Höhe des Ordnungsgeldes bemessen?

Die Höhe eines Ordnungsgeldes, das nach einem Verstoß gegen eine gerichtliche Anordnung verhängt wird, liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts und wird auf Basis einer Einzelfallprüfung bemessen. Das gesetzliche Spektrum reicht von mindestens 5 Euro (Art. 6 Abs. 1 EGStGB) bis maximal 250.000 Euro (§ 890 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Alternativ oder ergänzend kann eine Ordnungshaft zwischen einem Tag und sechs Monaten verhängt werden, wobei die Gesamtdauer der Haft zwei Jahre nicht überschreiten darf.

Die Bemessung erfolgt unter Berücksichtigung mehrerer Faktoren, die sich aus der Art und Schwere des Verstoßes sowie den individuellen Umständen des Schuldners und des Gläubigers ergeben.

Maßgebliche Kriterien für die Bemessung des Ordnungsgeldes

Art, Umfang und Dauer des Verstoßes

Das Gericht prüft, in welchem Ausmaß der Schuldner gegen die gerichtliche Anordnung verstoßen hat. Dabei spielen folgende Aspekte eine Rolle:

  • Art: Welche konkrete Handlung oder Unterlassung wurde vorgenommen? Handelt es sich um eine einfache oder schwerwiegende Verletzung der Anordnung?
  • Umfang: Wie groß ist die Reichweite des Verstoßes? Zum Beispiel, ob der Verstoß öffentlich (z. B. über Medien oder soziale Netzwerke) begangen wurde oder sich auf einen kleinen Personenkreis beschränkt.
  • Dauer: Wie lange hat der Verstoß angedauert? Wiederholte oder andauernde Verstöße wiegen schwerer als einmalige Verstöße.

Verschuldensgrad des Verletzers

Das Gericht unterscheidet, ob der Verstoß vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde:

  • Bei Vorsatz wird ein höheres Ordnungsgeld verhängt, da der Schuldner bewusst und absichtlich gegen die gerichtliche Anordnung gehandelt hat.
  • Bei Fahrlässigkeit fällt das Ordnungsgeld in der Regel geringer aus, da der Schuldner möglicherweise unzureichend informiert war oder einen Fehler begangen hat, der nicht absichtlich erfolgte.

Vorteil aus der Verletzungshandlung

Ein zentrales Kriterium ist, ob und in welchem Umfang der Schuldner durch den Verstoß einen wirtschaftlichen oder sonstigen Vorteil erlangt hat:

  • Die Höhe des Ordnungsgeldes soll sicherstellen, dass sich der Verstoß für den Schuldner nicht lohnt.
  • Ein erzielter Gewinn durch die Verletzungshandlung wird als Bemessungsgrundlage genutzt, um diesen wieder abzuschöpfen. Dies dient sowohl der Sanktionierung als auch der Abschreckung.

Gefährlichkeit der Handlung

Das Gericht bewertet, wie schwerwiegend die Handlung für den Gläubiger ist:

  • Gefährdung für den Verletzten: Hat die Verletzung negative Folgen für den Gläubiger, wie etwa wirtschaftliche Einbußen, Reputationsschäden oder andere Nachteile?
  • Gefährlichkeit künftiger Verstöße: Besteht das Risiko, dass der Schuldner ähnliche Verstöße in der Zukunft begehen wird?

Wirtschaftliche Verhältnisse des Schuldners

Insbesondere bei juristischen Personen berücksichtigt das Gericht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Schuldners, um eine angemessene Belastung zu gewährleisten:

  • Eine juristische Person mit erheblichem Umsatz oder Vermögen muss mit einem höheren Ordnungsgeld rechnen, da eine geringe Strafe ihren Zweck (Abschreckung und Sanktionierung) verfehlen würde.
  • Diese Regelung ist auf die Strafähnlichkeit von Ordnungsgeldern zurückzuführen und soll die Belastungsgleichheit sicherstellen.

Besonderheiten bei juristischen Personen

Bei Unternehmen oder anderen juristischen Personen wird zudem geprüft, ob der Verstoß einem Vertreter (z. B. Geschäftsführer) zuzurechnen ist. Ordnungsgelder werden in diesen Fällen auf das Unternehmen bezogen, während Ordnungshaft gegen die vertretungsberechtigte Person vollstreckt wird.

Keine Relevanz: Streitwert des Unterlassungsverfahrens

Der Streitwert des ursprünglichen Verfahrens (z. B. der einstweiligen Verfügung oder des Unterlassungsurteils) ist kein Kriterium für die Bemessung des Ordnungsgeldes. Das Ordnungsmittelverfahren hat eine eigenständige Funktion und bemisst sich ausschließlich nach den oben genannten Faktoren.

Beispiele zur Bemessung

  1. Erstverstoß bei geringem Verschulden
    Ein Unternehmen verstößt fahrlässig gegen eine einstweilige Verfügung, indem es eine verbotene Aussage in einem kleinen Fachforum veröffentlicht.
    Bemessung: Das Ordnungsgeld fällt niedrig aus (z. B. 1.000 bis 5.000 Euro), da die Reichweite und Gefährlichkeit der Handlung gering sind und kein Vorsatz vorliegt.
  2. Vorsätzlicher Verstoß mit großem Vorteil
    Ein Unternehmen nutzt bewusst eine verbotene Werbeaussage erneut und erzielt dadurch einen Umsatzvorteil von 100.000 Euro.
    Bemessung: Das Ordnungsgeld fällt hoch aus (z. B. 50.000 bis 100.000 Euro), um den Vorteil abzuschöpfen und zukünftige Verstöße zu verhindern.
  3. Wiederholte Verstöße bei wirtschaftlich starkem Schuldner
    Ein Großkonzern ignoriert ein Unterlassungsurteil mehrfach und erzielt weiterhin erhebliche wirtschaftliche Vorteile aus der Verletzung.
    Bemessung: Das Ordnungsgeld wird im oberen Bereich des Rahmens angesetzt (z. B. 200.000 Euro), um die abschreckende Wirkung sicherzustellen.

Gerichtliches Ermessen und Einzelfallbetrachtung

Die Höhe des Ordnungsgeldes lässt sich nicht verallgemeinern, da Gerichte jeden Fall individuell bewerten. Maßgeblich sind die spezifischen Umstände des Verstoßes sowie die Interessen des Gläubigers. Ein Ordnungsgeld soll dabei immer verhältnismäßig sein und den Zweck erfüllen, den Schuldner zur Einhaltung der gerichtlichen Anordnung zu bewegen.

Die Bemessung des Ordnungsgeldes richtet sich nach Art, Umfang und Schwere des Verstoßes, dem Verschuldensgrad, dem erzielten Vorteil sowie den wirtschaftlichen Verhältnissen des Schuldners. Es handelt sich stets um eine Einzelfallentscheidung, die sicherstellen soll, dass Verstöße nicht nur sanktioniert, sondern auch präventiv verhindert werden. Der Streitwert des zugrunde liegenden Verfahrens spielt keine Rolle. Ziel ist es, dass sich Verstöße für den Schuldner nicht lohnen und die gerichtliche Autorität gewahrt bleibt.

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Wie wirken sich wiederholte Verstöße aus?

Die Höhe der Sanktionen orientiert sich an denselben Kriterien wie bei einem Erstverstoß (z. B. Art, Umfang, Verschulden, Vorteil aus der Verletzung). Bei wiederholten Verstößen werden jedoch zusätzliche Gesichtspunkte berücksichtigt:

  1. Hartnäckigkeit des Schuldners
    Je häufiger der Schuldner gegen die Anordnung verstößt, desto schwerwiegender wird die Missachtung des Gerichts gewertet. Hartnäckige Verstöße rechtfertigen höhere Ordnungsgelder oder Ordnungshaft.
  2. Steigerung der Strafe mit jedem weiteren Verstoß
    Die Strafen werden progressiv erhöht, um eine steigende abschreckende Wirkung zu erzielen. So kann ein Erstverstoß mit einem Ordnungsgeld von beispielsweise 5.000 Euro geahndet werden, während ein zweiter Verstoß zu einem Ordnungsgeld von 20.000 Euro oder mehr führen kann.
  3. Kumulierung der Sanktionen
    Das Gericht kann für jeden einzelnen Verstoß eine separate Sanktion verhängen, sodass bei mehreren Verstößen erhebliche Gesamtstrafen entstehen können.
  4. Wirtschaftliche Verhältnisse des Schuldners
    Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Schuldners spielt auch bei wiederholten Verstößen eine Rolle. Bei wirtschaftlich starken Schuldnern, wie großen Unternehmen, können Gerichte besonders hohe Ordnungsgelder festsetzen, um eine wirksame Sanktion sicherzustellen.

Beispiel: Wiederholte Verstöße

Fall 1: Erstverstoß
Ein Unternehmen verstößt gegen eine einstweilige Verfügung, indem es eine verbotene Werbeaussage verwendet. Das Gericht verhängt ein Ordnungsgeld von 5.000 Euro.

Fall 2: Wiederholter Verstoß
Das Unternehmen verwendet die verbotene Aussage erneut, obwohl es bereits sanktioniert wurde. Das Gericht erhöht das Ordnungsgeld auf 50.000 Euro und droht bei einem weiteren Verstoß Ordnungshaft an.

Fall 3: Hartnäckiger Verstoß
Das Unternehmen ignoriert die Verfügung erneut und erzielt durch die verbotene Aussage weiterhin wirtschaftliche Vorteile. Das Gericht verhängt ein maximales Ordnungsgeld von 250.000 Euro oder ordnet Ordnungshaft für den Geschäftsführer an.

Rechtsprechung zu wiederholten Verstößen

Die Gerichte haben in der Vergangenheit klargestellt, dass wiederholte Verstöße mit steigender Härte zu ahnden sind.

  • BGH, Beschluss vom 23.10.2003, Az. I ZB 45/02: Die Sanktionen sollen sicherstellen, dass der Schuldner keinen Vorteil aus der Missachtung der gerichtlichen Anordnung zieht.
  • OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.09.2023, Az. I-20 W 70/23: Wiederholte Verstöße zeigen die Uneinsichtigkeit des Schuldners und rechtfertigen besonders empfindliche Strafen.

Wiederholte Verstöße führen in der Regel zu deutlich höheren Sanktionen, da sie die Missachtung der gerichtlichen Anordnung und die Uneinsichtigkeit des Schuldners demonstrieren. Gerichte setzen in solchen Fällen zunehmend schärfere Maßnahmen ein, von hohen Ordnungsgeldern bis hin zu Ordnungshaft. Diese Progression soll nicht nur die Durchsetzung der gerichtlichen Anordnung sicherstellen, sondern auch andere potenzielle Rechtsverletzer abschrecken. Wichtig ist, dass die Sanktionen immer auf die Umstände des Einzelfalls abgestimmt werden, wobei bei wiederholten Verstößen die Toleranz der Gerichte deutlich abnimmt.

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Sonderfall juristische Personen

Juristische Personen (z. B. GmbH, AG, e.V.) unterliegen bei Verstößen gegen gerichtliche Anordnungen denselben Ordnungsmitteln wie natürliche Personen, jedoch mit spezifischen Besonderheiten. Aufgrund ihrer Beschaffenheit handeln juristische Personen nicht selbst, sondern durch ihre Organe (z. B. Geschäftsführer, Vorstand) oder durch Mitarbeiter und Beauftragte. Daher sind Regelungen zur Zurechnung von Handlungen entscheidend, um die Haftung einer juristischen Person im Rahmen eines Ordnungsmittelverfahrens festzustellen.

Rechtsgrundlagen und Zurechnung

  1. Zurechnung nach § 31 BGB
    Nach § 31 BGB haftet eine juristische Person für das Verhalten ihrer Organe. Dabei wird jede schuldhafte Handlung eines Organs der juristischen Person zugerechnet, sofern diese Handlung im Rahmen der organschaftlichen Aufgaben vorgenommen wurde.
    Wichtig: Der Zurechnungsmaßstab nach § 31 BGB gilt auch im Ordnungsmittelverfahren. Handlungen von Geschäftsführern oder Vorständen, die gegen eine gerichtliche Anordnung verstoßen, werden der juristischen Person zugerechnet, auch wenn das Organ persönlich nicht belangt wird.

BGH, Beschluss vom 18.04.2024, Az. I ZB 55/23: Der BGH hat klargestellt, dass Verstöße eines Geschäftsführers im Rahmen seiner organschaftlichen Tätigkeit ausschließlich der juristischen Person zugerechnet werden. Ordnungsmittel gegen das Organ sind nur möglich, wenn das Organ selbst als Titelschuldner benannt wurde.

  1. Abgrenzung zu § 278 BGB
    Handlungen von Mitarbeitern oder Beauftragten der juristischen Person werden nicht über § 31 BGB, sondern nach allgemeinen Haftungsregeln (z. B. § 278 BGB) zugerechnet. Die juristische Person haftet, wenn die Handlung im Rahmen der geschäftlichen Tätigkeit geschieht und ihr zurechenbar ist.

Pflichten der juristischen Person und ihrer Organe

Die Organe der juristischen Person (z. B. Geschäftsführer, Vorstand) sind verpflichtet:

  1. Alles zu unterlassen, was einen Verstoß gegen die gerichtliche Anordnung verursacht.
  2. Proaktive Maßnahmen zu ergreifen, um Verstöße zu verhindern. Dazu gehören:
    • Belehrung und Unterweisung von Mitarbeitern und Beauftragten über die Verpflichtungen aus der gerichtlichen Anordnung.
    • Kontrolle und Überwachung, ob die gerichtlichen Anordnungen eingehalten werden.
    • Maßnahmen zur Unterbindung potenzieller Verstöße durch Dritte, insbesondere wenn deren Handeln der juristischen Person zugutekommt.

BGH, Beschluss vom 12.01.2012, Az. I ZB 43/11: Der BGH hat entschieden, dass Organe der juristischen Person nicht nur für eigenes Verhalten, sondern auch für die Einhaltung der Unterlassungsverpflichtung durch Dritte verantwortlich sind, sofern deren Handlungen dem Unternehmen zurechenbar sind.

  1. Einwirken auf Dritte: Wenn Verstöße durch Dritte (z. B. Mitarbeiter oder Vertragspartner) erfolgen, müssen die Organe nachweisbar alles getan haben, um solche Verstöße zu verhindern.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.09.2023, Az. I-20 W 70/23: Das Gericht stellte fest, dass die juristische Person verpflichtet ist, systematische Maßnahmen zu implementieren, um Verstöße durch Mitarbeiter oder Beauftragte zu verhindern. Dies umfasst Schulungen, klare Weisungen und regelmäßige Kontrollen.

Verhängung von Ordnungsmitteln

  1. Ordnungsgeld
    Ordnungsgelder werden ausschließlich gegen die juristische Person verhängt, wenn sie Titelschuldnerin ist. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der juristischen Person spielt dabei eine zentrale Rolle:
    • Bei kleinen Unternehmen wird das Ordnungsgeld verhältnismäßig geringer ausfallen.
    • Bei wirtschaftlich starken Unternehmen können Gerichte hohe Ordnungsgelder verhängen, um die abschreckende Wirkung zu gewährleisten.
      BGH, Beschluss vom 23.10.2003, Az. I ZB 45/02: Der BGH stellte klar, dass Ordnungsgelder bei juristischen Personen so bemessen werden müssen, dass sie spürbar sind und die Einhaltung der gerichtlichen Anordnung gewährleisten.
  2. Ordnungshaft
    Ordnungshaft kann nicht gegen die juristische Person selbst verhängt werden, da sie nur gegen natürliche Personen vollstreckt werden kann. Allerdings ist Ordnungshaft gegen die Organe der juristischen Person möglich, wenn diese persönlich als Titelschuldner benannt wurden oder schuldhaft gehandelt haben.

BGH, Beschluss vom 18.04.2024, Az. I ZB 55/23: Die Ordnungshaft ist ein persönliches Zwangsmittel und darf nur dann verhängt werden, wenn das Organ selbst gegen die Anordnung verstoßen hat oder der Verstoß ihm persönlich zugerechnet werden kann.

  1. Besondere Fallgestaltung: Persönliche Haftung des Organs
    Ein Organ kann dann persönlich haftbar gemacht werden, wenn es im Rahmen eines eigenen Geschäftsbetriebs oder für eine andere juristische Person gehandelt hat. In solchen Fällen ist das Handeln nicht der juristischen Person zuzurechnen.
    Beispiel: Ein Geschäftsführer handelt für ein eigenes Unternehmen, obwohl die gerichtliche Anordnung sich gegen eine andere GmbH richtet, deren Geschäftsführer er ebenfalls ist. Hier haftet der Geschäftsführer persönlich.

Urteile und Fallbeispiele

BGH, Beschluss vom 12.01.2012, Az. I ZB 43/11

Der BGH stellte klar, dass bei einer Zuwiderhandlung durch ein Organ der juristischen Person zunächst geprüft werden muss, ob die Handlung der juristischen Person nach § 31 BGB zurechenbar ist. Eine gesonderte Inanspruchnahme des Organs kommt nur in Betracht, wenn das Handeln soweit vom Aufgabenbereich des Organs entfernt ist, dass es der juristischen Person nicht zugerechnet werden kann.

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.09.2023, Az. I-20 W 70/23

Das Gericht betonte, dass Ordnungsgelder bei juristischen Personen an deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit anzupassen sind, um eine gleichwertige Belastung sicherzustellen. Ein Gewinn aus der Verletzung der Anordnung muss abgeschöpft werden, damit sich Verstöße nicht lohnen.

LG Stade, Beschluss vom 18.04.2023, Az. 8 O 72/21

Das Gericht entschied, dass juristische Personen durch klare interne Prozesse sicherstellen müssen, dass Verstöße durch Mitarbeiter verhindert werden. Die einfache Behauptung, keine Kenntnis von einem Verstoß gehabt zu haben, reicht nicht aus, um eine Haftung abzuwenden.

Bei juristischen Personen liegt die Verantwortung für die Einhaltung gerichtlicher Anordnungen maßgeblich bei deren Organen. Verstöße durch Organe, Mitarbeiter oder Beauftragte werden der juristischen Person in der Regel zugerechnet. Ordnungsgelder werden ausschließlich gegen die juristische Person verhängt, wobei deren wirtschaftliche Verhältnisse eine zentrale Rolle spielen. Ordnungshaft ist nur gegen natürliche Personen möglich und wird nur in besonderen Fällen verhängt. Wiederholte Verstöße oder fehlende präventive Maßnahmen führen zu einer verschärften Sanktionierung, insbesondere durch Erhöhung der Ordnungsgelder. Die Rechtsprechung legt großen Wert darauf, dass juristische Personen alles Zumutbare unternehmen, um Verstöße aktiv zu verhindern. Dies erfordert klare Prozesse, Kontrolle und Einwirkung auf alle Beteiligten.

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Wer trägt die Kosten des Ordnungsmittelverfahrens?

Die Kosten eines Ordnungsmittelverfahrens werden gemäß den allgemeinen Grundsätzen des Zivilprozessrechts verteilt. Maßgeblich ist der Ausgang des Verfahrens: Die unterlegene Partei trägt die Kosten. Dies bedeutet, dass der Schuldner die Kosten zu tragen hat, wenn das Gericht feststellt, dass ein Verstoß gegen eine gerichtliche Anordnung vorliegt. Ist hingegen kein Verstoß nachweisbar, trägt der Gläubiger die Kosten des Verfahrens.

Wenn ein Verstoß festgestellt wird, umfassen die vom Schuldner zu tragenden Kosten die Gerichtskosten sowie die notwendigen Anwaltskosten des Gläubigers. Dies schließt alle Kosten ein, die für die Rechtsverfolgung im Ordnungsmittelverfahren erforderlich waren. Die Höhe der Gerichtskosten orientiert sich am Streitwert des Ordnungsmittelverfahrens, der jedoch unabhängig vom ursprünglichen Streitwert der Hauptsache festgelegt wird. Bei einer Entscheidung zugunsten des Schuldners, also wenn das Gericht keinen Verstoß feststellt, trägt der Gläubiger die Gerichtskosten und erstattet die notwendigen Anwaltskosten des Schuldners.

In Fällen, in denen das Gericht zu einem gemischten Ergebnis kommt, beispielsweise wenn nur ein Teil der beantragten Ordnungsmittel verhängt wird, wird die Kostenlast anteilig zwischen den Parteien aufgeteilt. Dies geschieht auf Grundlage von § 92 ZPO, der bei teilweisem Obsiegen oder Unterliegen eine prozentuale Aufteilung der Kosten vorsieht. Die genaue Verteilung wird vom Gericht festgelegt, wobei es den Erfolg oder Misserfolg der jeweiligen Anträge im Verfahren berücksichtigt.

Rechtsmissbräuchlich angestrengte Ordnungsmittelverfahren, die keine Aussicht auf Erfolg haben oder aus schikanösen Gründen eingeleitet wurden, führen dazu, dass der Gläubiger sämtliche Kosten des Verfahrens tragen muss. Dies schützt den Schuldner vor unberechtigtem Druck durch unnötige Verfahren.

Die Rechtsprechung bestätigt, dass diese Grundsätze strikt anzuwenden sind. Der Bundesgerichtshof hat in einem Beschluss vom 23. Oktober 2003 (Az. I ZB 45/02) klargestellt, dass die Kostenregelung des § 91 ZPO auch im Ordnungsmittelverfahren gilt. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat am 28. September 2023 (Az. I-20 W 70/23) betont, dass bei teilweisem Erfolg die Kostenverteilung sorgfältig und verhältnismäßig erfolgen muss. Das Landgericht Stade hat in einem Beschluss vom 18. April 2023 (Az. 8 O 72/21) bestätigt, dass der Schuldner im Fall eines erfolgreichen Ordnungsmittelverfahrens auch die notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung zu erstatten hat.

Insgesamt trägt die Kostenverteilung im Ordnungsmittelverfahren dazu bei, dass die finanziellen Folgen gerecht verteilt werden. Sie stellt sicher, dass der Schuldner bei einem Verstoß angemessen belastet wird und der Gläubiger für den Schutz seiner Rechte keine unzumutbaren finanziellen Risiken eingehen muss. Gleichzeitig wird verhindert, dass Gläubiger unberechtigt Verfahren anstrengen, indem sie bei Erfolglosigkeit die volle Kostenlast tragen müssen.

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Kann man sich gegen ein Ordnungsmittel wehren?

Ja, es ist möglich, sich gegen die Entscheidung eines Gerichts über ein Ordnungsmittel zu wehren. Der Betroffene hat das Recht, sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung einzulegen, wie es in §§ 793 und 567 ZPO geregelt ist. Die sofortige Beschwerde ist das zentrale Rechtsmittel im Ordnungsmittelverfahren und erlaubt eine Überprüfung der gerichtlichen Entscheidung durch die nächsthöhere Instanz.

Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde

Die sofortige Beschwerde kann eingelegt werden gegen:

  1. Die Festsetzung eines Ordnungsmittels: Wenn ein Gericht ein Ordnungsgeld oder Ordnungshaft verhängt, kann der Schuldner diese Entscheidung anfechten.
  2. Die Höhe des Ordnungsgeldes: Die Beschwerde ist möglich, wenn der Betroffene der Auffassung ist, dass das festgesetzte Ordnungsgeld unverhältnismäßig hoch ist.
  3. Die Dauer der Ordnungshaft: Wird Ordnungshaft angeordnet, kann auch die Dauer dieser Sanktion angefochten werden.
  4. Die Ablehnung eines Ordnungsmittelantrags: Auch der Gläubiger kann Beschwerde einlegen, wenn sein Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsmittels abgelehnt wurde.

Fristen und Form der sofortigen Beschwerde

Die sofortige Beschwerde muss innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung eingereicht werden. Die Frist ergibt sich aus § 569 Abs. 1 ZPO. Die Beschwerde ist schriftlich einzureichen und muss an das Gericht gerichtet sein, das die angegriffene Entscheidung getroffen hat. Dieses leitet die Beschwerde an die nächsthöhere Instanz weiter.

Die Beschwerdeschrift muss die Gründe darlegen, warum die Entscheidung angefochten wird. Es ist ratsam, eine detaillierte Begründung und gegebenenfalls Beweismittel beizufügen, um die Erfolgsaussichten zu erhöhen.

Inhaltliche Prüfung durch die Beschwerdeinstanz

Das Beschwerdegericht überprüft die Ordnungsmittelentscheidung sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht. Dabei wird geprüft:

  • Ob ein Verstoß gegen die gerichtliche Anordnung vorliegt.
  • Ob die Höhe des Ordnungsgeldes oder die Dauer der Ordnungshaft angemessen und verhältnismäßig ist.
  • Ob die Ablehnung eines Ordnungsmittelantrags durch das Gericht begründet war.

Im Beschwerdeverfahren gilt das Verschlechterungsverbot nach § 528 Satz 2 ZPO entsprechend. Das bedeutet, dass die Beschwerdeinstanz die Situation des Beschwerdeführers nicht verschlechtern darf. Wenn beispielsweise ein Schuldner gegen ein Ordnungsgeld von 10.000 Euro Beschwerde einlegt, darf das Beschwerdegericht das Ordnungsgeld nicht auf 20.000 Euro erhöhen.

Rechtsmittel des Gläubigers

Auch der Gläubiger kann Rechtsmittel einlegen, wenn er mit der Ordnungsmittelentscheidung unzufrieden ist. Dies betrifft insbesondere die Fälle, in denen:

  • Das Gericht einen Ordnungsmittelantrag abgelehnt hat.
  • Das Gericht ein Ordnungsgeld verhängt hat, das der Gläubiger für zu niedrig hält.

Wichtig ist hier der Beschluss des BGH vom 23. November 2023 (Az. I ZB 29/23), in dem klargestellt wurde, dass der Gläubiger keine Beschwerde einlegen kann, wenn er keine konkrete oder ungefähre Größenordnung für das Ordnungsgeld beantragt hat. Ein höheres Ordnungsmittel kann der Gläubiger nur durch ein eigenes Rechtsmittel oder eine Anschlussbeschwerde erwirken.

Besondere rechtliche Aspekte

Verschlechterungsverbot

Das Verschlechterungsverbot schützt den Beschwerdeführer davor, durch das Rechtsmittel schlechter gestellt zu werden. Dies ist für Schuldner von besonderer Bedeutung, da sie nicht befürchten müssen, dass ein eingelegtes Rechtsmittel zu einer Verschärfung der Sanktionen führt.

Anschlussbeschwerde durch den Gläubiger

Will der Gläubiger ein höheres Ordnungsmittel erwirken, kann er sich der Beschwerde des Schuldners anschließen. Die Anschlussbeschwerde nach § 567 Abs. 3 ZPO ermöglicht es dem Gläubiger, eine Anpassung der Sanktionen zu seinen Gunsten zu beantragen.

Rechtsprechung zur Anfechtung von Ordnungsmitteln

  1. BGH, Beschluss vom 23.11.2023, Az. I ZB 29/23
    Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass der Gläubiger keine Beschwerde gegen die Höhe eines Ordnungsgeldes einlegen kann, wenn er bei seinem Antrag keine konkrete Größenordnung für das Ordnungsgeld angegeben hat. Das Gericht entscheidet in solchen Fällen nach eigenem Ermessen.
  2. BGH, Beschluss vom 06.02.2013, Az. I ZB 79/11
    In diesem Fall hat der BGH entschieden, dass der Gläubiger ein höheres Ordnungsmittel nur durch ein eigenes Rechtsmittel oder eine Anschlussbeschwerde geltend machen kann. Das Verschlechterungsverbot gilt dabei auch für den Gläubiger.
  3. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.09.2023, Az. I-20 W 70/23
    Das Oberlandesgericht hat betont, dass die Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der sofortigen Beschwerde von zentraler Bedeutung ist. Die Höhe eines Ordnungsmittels muss stets im Einklang mit der Schwere des Verstoßes und den wirtschaftlichen Verhältnissen des Schuldners stehen.

Gegen die Entscheidung über ein Ordnungsmittel können sowohl der Schuldner als auch der Gläubiger Rechtsmittel einlegen. Die sofortige Beschwerde ermöglicht eine umfassende Überprüfung durch die nächsthöhere Instanz, sowohl hinsichtlich der Feststellung eines Verstoßes als auch der Höhe oder Dauer des Ordnungsmittels. Für den Schuldner ist die Beschwerde ein wirksames Mittel, um sich gegen unangemessen hohe oder unberechtigte Ordnungsmittel zu wehren, während der Gläubiger bei einer unzureichenden Sanktion ebenfalls Rechtsmittel einlegen kann. Wichtig ist, dass die Fristen und formellen Anforderungen strikt eingehalten werden, um das Verfahren erfolgreich durchzuführen.

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