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Online-Shop muss keinen Gastzugang bereitstellen

| Rechtsanwalt Frank Weiß

In der heutigen digitalen Handelslandschaft stehen Online-Händler vor der Entscheidung, ob sie ihren Kunden die Möglichkeit bieten, Bestellungen als Gast aufzugeben oder eine Registrierung für ein Kundenkonto verlangen. Diese Thematik wurde kürzlich durch ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Hamburg vom 27. Februar 2025 (Az.: 5 U 30/24) eingehend beleuchtet. Dieses Urteil liefert wichtige Erkenntnisse für Online-Händler und Verbraucher gleichermaßen.

Hintergrund des Falls

Die Beklagte, ein bedeutender Online-Versandhändler, betreibt neben dem eigenen Versandhandel auch einen Online-Marktplatz, auf dem Drittanbieter ihre Waren anbieten können. Für eine Bestellung auf dieser Plattform ist die Erstellung eines Kundenkontos erforderlich; ein Gastzugang wird nicht angeboten. In der Datenschutzerklärung des Unternehmens wird zudem darauf hingewiesen, dass personenbezogene Daten der Kunden zu Werbezwecken verwendet werden können.

Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen sah in dieser Praxis einen Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), insbesondere gegen den Grundsatz der Datenminimierung gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO. Sie argumentierte, dass die verpflichtende Erstellung eines Kundenkontos zu einer übermäßigen Datenerhebung führe und forderte, dass der Online-Händler auch Bestellungen ohne vorherige Registrierung ermöglicht. Nachdem eine außergerichtliche Einigung nicht erzielt werden konnte, erhob die Verbraucherzentrale Klage vor dem Landgericht Hamburg.

Entscheidung des Landgerichts Hamburg

Das Landgericht Hamburg wies die Klage mit Urteil vom 22. Februar 2024 (Az.: 327 O 250/22) ab. Es stellte fest, dass die Beklagte nicht verpflichtet sei, einen Gastzugang anzubieten, da die erhobenen Daten für die Abwicklung der Bestellungen erforderlich seien und keine gleichwertige Alternative bestehe, die mit weniger Daten auskomme. Zudem wurde die Nutzung der Daten zu Werbezwecken als durch ein berechtigtes Interesse gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO gedeckt angesehen. Gegen dieses Urteil legte die Verbraucherzentrale Berufung beim OLG Hamburg ein.

Entscheidungsgründe des OLG Hamburg

Das OLG Hamburg bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz und wies die Berufung der Verbraucherzentrale zurück. In seiner Urteilsbegründung ging das Gericht detailliert auf mehrere zentrale Punkte ein:

1. Grundsatz der Datenminimierung und Erforderlichkeit der Datenerhebung

Das Gericht betonte, dass der Grundsatz der Datenminimierung gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO verlangt, personenbezogene Daten dem Zweck angemessen und auf das notwendige Maß beschränkt zu verarbeiten. Im vorliegenden Fall sei die Erhebung bestimmter Daten für die Abwicklung von Bestellungen auf dem Marktplatz der Beklagten erforderlich. Hierzu zählen insbesondere:

  • Anrede, Vorname, Nachname, Adresse, E-Mail-Adresse: Diese Daten sind notwendig, um die Bestellung zu bearbeiten, den Versand durchzuführen und die Kommunikation mit dem Kunden zu gewährleisten.
  • Geburtsdatum: Dient der Altersverifikation, insbesondere zur Sicherstellung der Volljährigkeit des Kunden, sowie der Betrugsprävention.
  • Telefonnummer: Wird benötigt, um Liefertermine, insbesondere bei Speditionslieferungen, abzustimmen und ebenfalls zur Betrugsprävention beizutragen.

Das OLG stellte fest, dass diese Daten auch bei einer Gastbestellung erhoben werden müssten, sodass kein signifikanter Unterschied im Umfang der Datenerhebung zwischen einer Gastbestellung und einer Bestellung über ein Kundenkonto besteht. Lediglich das Passwort komme bei der Registrierung hinzu, was jedoch für die Funktionalität des Kundenkontos notwendig sei.

2. Bereitstellung eines Gastzugangs und organisatorische Notwendigkeiten

Das Gericht erkannte an, dass die Beklagte nicht nur eigene Produkte vertreibt, sondern auch als Plattform für Drittanbieter fungiert. Diese Marktplatzstruktur erfordere eine effiziente und standardisierte Abwicklung von Bestellungen, Retouren und Kundenkommunikation. Ein einheitliches Kundenkonto erleichtere diese Prozesse erheblich. Das OLG folgte der Argumentation, dass die Einführung eines Gastzugangs die organisatorischen Abläufe komplizieren und die Effizienz der Bestellabwicklung beeinträchtigen würde. Zudem wurde berücksichtigt, dass die Beklagte Maßnahmen zur Datenminimierung ergriffen hat, wie die automatische Löschung inaktiver Konten nach einer bestimmten Zeitspanne.

3. Nutzung personenbezogener Daten zu Werbezwecken

Hinsichtlich der werblichen Nutzung personenbezogener Daten verwies das OLG auf Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO, der die Verarbeitung von Daten zur Wahrung berechtigter Interessen des Verantwortlichen erlaubt, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte der betroffenen Person überwiegen. Das Gericht stellte fest, dass Direktwerbung grundsätzlich ein berechtigtes Interesse darstellt, wie auch in Erwägungsgrund 47 der DSGVO erwähnt. Entscheidend sei jedoch, dass die betroffenen Personen über ihr Widerspruchsrecht informiert werden und dieses effektiv ausüben können. Im vorliegenden Fall sah das Gericht diese Voraussetzungen als erfüllt an, da die Beklagte in ihrer Datenschutzerklärung transparent über die Datenverarbeitung zu Werbezwecken informierte und den Kunden ein Widerspruchsrecht einräumte.

4. Stellungnahme der Datenschutzkonferenz (DSK)

Die Verbraucherzentrale berief sich auf einen Beschluss der Datenschutzkonferenz (DSK) vom März 2022, der empfiehlt, dass Online-Händler grundsätzlich auch Bestellungen ohne Einrichtung eines Kundenkontos ermöglichen sollten. Das OLG Hamburg wies darauf hin, dass solche Beschlüsse der DSK zwar als Orientierungshilfe dienen können, jedoch keine rechtlich bindende Wirkung entfalten. Im konkreten Fall sah das Gericht aufgrund der spezifischen Umstände des Marktplatzes der Beklagten eine Ausnahme als gerechtfertigt an.

Bedeutung des Urteils für die Praxis von Online-Händlern

Das Urteil des OLG Hamburg vom 27.02.2025 (Az.: 5 U 30/24) hat erhebliche Relevanz für die tägliche Praxis von Online-Händlern und wirft ein Schlaglicht auf den rechtskonformen Umgang mit personenbezogenen Daten im E-Commerce.

1. Keine pauschale Pflicht zum Gastzugang

Das OLG stellt klar: Es besteht keine generelle Verpflichtung für Online-Shops, ihren Kunden eine Gastbestellung zu ermöglichen. Eine solche Pflicht kann auch nicht aus der DSGVO hergeleitet werden – jedenfalls nicht pauschal. Entscheidend ist immer, ob und inwieweit der konkrete Datenverarbeitungsvorgang gerechtfertigt ist und ob die eingesetzten Strukturen – wie etwa ein Kundenkonto – funktional erforderlich sind.

Für Händler bedeutet das: Solange sie schlüssig darlegen können, dass ein Kundenkonto aus organisatorischen, logistischen oder technischen Gründen zwingend erforderlich ist – etwa zur einheitlichen Kommunikation mit Kunden oder zur Steuerung eines komplexen Marktplatzes – dürfen sie auf eine Registrierung bestehen.

2. DSGVO-konformes Handeln ist Voraussetzung

Die Entscheidung ist kein Freifahrtschein, um wahllos Kundendaten zu sammeln. Das OLG betont mehrfach: Die erhobenen Daten müssen notwendig und verhältnismäßig sein. Die Anforderungen der DSGVO – insbesondere:

müssen vollumfänglich eingehalten werden.

Ein kundenfreundliches Datenschutzkonzept, transparente Datenschutzhinweise sowie die Möglichkeit des Widerspruchs (z.B. gegen Werbung) sind essenziell.

3. Berücksichtigung von Marktplatzmodellen

Die Entscheidung differenziert klar zwischen „klassischen Online-Shops“ und sogenannten Marktplatzmodellen, bei denen viele verschiedene Anbieter unter einer einheitlichen Verkaufsplattform organisiert sind.

Das OLG Hamburg erkennt ausdrücklich an, dass bei solchen Marktplätzen organisatorisch und rechtlich andere Anforderungen gelten. Insbesondere ist ein zentrales Kundenkonto hier:

  • notwendig zur Abwicklung von Retouren, da der Endkunde bei Problemen nicht direkt mit dem Drittanbieter kommuniziert,
  • erforderlich für das Management von Garantie- und Gewährleistungsfällen,
  • praktikabel für Rechnungsstellung, Kommunikation und Sendungsverfolgung.

Diese differenzierte Sichtweise ist praxisnah und berücksichtigt wirtschaftliche Realitäten im E-Commerce.

Kritik an der Entscheidung

1. Verbraucherschützer sehen Schwächung von Datenschutzrechten

Die Verbraucherzentrale NRW hatte argumentiert, dass durch die Verpflichtung zur Registrierung mehr personenbezogene Daten erhoben würden als nötig, was den Grundsätzen der DSGVO widerspreche. Sie berief sich u.a. auf:

  • Den Beschluss der Datenschutzkonferenz (DSK) von 2022, in dem Gastzugänge empfohlen werden,
  • Die Grundsätze des datensparsamen Umgangs mit Kundeninformationen,
  • Die Freiheit der Verbraucher, eine anonyme oder pseudonyme Bestellung aufzugeben.

Das OLG Hamburg räumt dieser Sichtweise jedoch keine rechtlich bindende Wirkung ein. Die Richter stellten klar, dass DSK-Beschlüsse keine Gesetzeskraft entfalten, sondern als unverbindliche Leitlinien verstanden werden müssen.

2. Gefahr einer schleichenden Aushöhlung der DSGVO?

Einige Datenschützer kritisieren, dass durch eine zu großzügige Interpretation der „Erforderlichkeit“ nach Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO eine Aushöhlung des Datenschutzrechts droht. Unternehmen könnten mit organisatorischen Argumenten nahezu jede Datenverarbeitung als „erforderlich“ begründen.

Dem tritt das OLG entgegen, indem es verlangt, dass konkrete Gründe für das Fehlen eines Gastzugangs vorliegen müssen. Der Händler muss darlegen können, dass kein gleichwertiges Verfahren mit weniger Datenerhebung existiert.

Handlungsempfehlungen für Online-Händler

1. Datenschutzkonforme Gestaltung der Registrierung

Wenn Sie auf ein Kundenkonto setzen, stellen Sie sicher, dass:

  • nur die notwendigen Daten abgefragt werden,
  • klar und verständlich über die Zwecke der Datenverarbeitung informiert wird,
  • der Kunde sein Widerspruchsrecht einfach ausüben kann,
  • eine Löschroutine für inaktive Konten besteht.

2. Technische Dokumentation und Transparenz

Die Entscheidung zeigt: Es lohnt sich, technische und organisatorische Maßnahmen zur Datenverarbeitung gut zu dokumentieren. Das umfasst etwa:

  • intern begründete Abläufe,
  • definierte Speicherfristen,
  • automatisierte Routinen zur Datenlöschung,
  • Datenschutzfolgeabschätzungen (bei größeren Plattformen).

So können Sie im Streitfall glaubhaft darlegen, dass Sie die DSGVO beachtet haben.

3. Alternativen prüfen und dokumentieren

Auch wenn kein Gastzugang zwingend erforderlich ist, kann es sinnvoll sein, eine freiwillige Option zur Gastbestellung anzubieten – etwa bei kleineren Shops ohne komplexes Marktplatzmodell. Dies steigert die Nutzerfreundlichkeit und kann das Vertrauen der Kunden stärken.

Wenn Sie sich bewusst gegen einen Gastzugang entscheiden, sollten Sie diese Entscheidung gut begründen und dokumentieren – im Zweifel auch unter Zuhilfenahme rechtlicher Beratung.

Fazit

Mit seiner Entscheidung vom 27.02.2025 schafft das OLG Hamburg (Az.: 5 U 30/24) wichtige Rechtssicherheit für Online-Händler: Es besteht kein gesetzlicher Anspruch auf eine Gastbestellung. Händler dürfen ein Kundenkonto verlangen – jedenfalls dann, wenn sie nachweisen können, dass dieses zur Abwicklung notwendig ist.

Gleichzeitig betont das Urteil die Notwendigkeit eines verantwortungsvollen, datenschutzkonformen Umgangs mit Kundendaten. Wer seine Strukturen nachvollziehbar und transparent gestaltet, ist rechtlich auf der sicheren Seite.

Für Verbraucher bedeutet das: Nicht jeder „Komfortverlust“ ist ein Datenschutzverstoß – und nicht jede Registrierung eine unzulässige Datenverarbeitung.

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