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Online-Coaching ohne FernUSG-Zulassung ist unwirksam

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Online-Coachings boomen. Ob Unternehmerwissen, Mindset-Programme oder Business-Bootcamps: Tausende Anbieter versprechen digitalen Erfolg gegen gutes Geld. Doch ein Aspekt wird dabei oftmals sträflich vernachlässigt: die rechtliche Zulassungspflicht nach dem Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG). Wer ohne diese Zulassung agiert, riskiert nicht nur Abmahnungen, sondern die vollständige Nichtigkeit seiner Verträge.

Das zeigt das aufsehenerregende Urteil des Landgerichts Hamburg vom 19.07.2023 (Az.: 304 O 277/22). Es erklärt einen hochpreisigen Online-Coaching-Vertrag mangels FernUSG-Zulassung für nichtig. Ein Fall mit Signalwirkung für die gesamte Branche.

Der Sachverhalt im Detail: Was war passiert?

Die Klägerin ist Anbieterin von Online-Coaching-Dienstleistungen. Sie bot über ihre Webseite ein sechmonatiges Coaching-Programm unter dem Titel "Masterclass" an. Das Ziel dieses Coachings war es, die Teilnehmer in die Lage zu versetzen, ein Online-Geschäft auf Basis von Print-on-Demand-Produkten aufzubauen. Dabei wurde explizit beworben, dass sich das Angebot an angehende Unternehmer richte, die sich neben ihrer Angestelltentätigkeit ein Gewerbe aufbauen wollen. Die Werbung beinhaltete unter anderem Formulierungen wie:

"Möchtest du [Name entfernt] Masterclass bewusst als Unternehmer zum Aufbau deines Online Shops und Gewerbes neben deinem Angestelltenjob kaufen?"

Das Leistungspaket des Coachings umfasste:

  • Einen Zugang zu einem Videokursbereich mit insgesamt 235 Schulungsvideos
  • Gesamtumfang: ca. 40 Stunden Videomaterial
  • Ergänzend fanden alle drei Wochen Live-Zoom-Sitzungen à zwei Stunden statt, die dem Austausch, der Reflexion und der Fragemöglichkeit dienten
  • Dauer: Sechs Monate
  • Gesamtpreis: ca. 6.400 EUR

Der Beklagte meldete sich für das Programm an und schloss einen entsprechenden Vertrag ab. Einige Zeit später widerrief er den Vertrag und verweigerte die Zahlung. Die Klägerin forderte dennoch die Vergütung ein.

Ihre Argumentation:

  • Bei dem Kurs handle es sich nicht um Fernunterricht, sondern um eine Coaching-Maßnahme
  • Durch die Live-Zoom-Calls bestehe ein "persönlicher Kontakt", der dem Fernunterricht entgegenstehe
  • Zudem sei der Beklagte nicht als Verbraucher, sondern als Unternehmer aufgetreten, weshalb das FernUSG keine Anwendung finde

Diese Auffassung teilte das LG Hamburg in keiner Weise.

Die Entscheidungsgründe des LG Hamburg im Detail

Das Landgericht Hamburg kam zu dem Ergebnis, dass der Vertrag gemäß § 7 Abs. 1 i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1 FernUSG nichtig sei. Die Argumentation des Gerichts ist aus rechtlicher Sicht besonders differenziert und praxisrelevant.

a) Der Online-Coaching-Vertrag erfüllt die Merkmale eines Fernunterrichts

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 FernUSG liegt Fernunterricht vor, wenn:

  1. Lehrende und Lernende räumlich getrennt sind
  2. Ein entgeltlicher Vertrag besteht
  3. Ein bestimmter Lehrstoff vermittelt wird
  4. Der Lehrende einen organisatorischen oder didaktischen Einfluss auf den Lernerfolg nimmt

Das Gericht bejaht alle vier Voraussetzungen:

  • Räumliche Trennung: Das Coaching fand ausschließlich online statt. Der Einsatz von Videos, Zoom-Calls und Online-Material erfüllt laut Gericht eindeutig das Kriterium der räumlichen Trennung. Dass per Zoom "live" kommuniziert werden konnte, ändert daran nichts.
  • Entgeltlichkeit: Mit einem Preis von rund 6.400 EUR liegt eine klare Entgeltvereinbarung vor.
  • Zielgerichteter Lehrstoff: Der Kurs hatte ein klar definiertes Ziel: Aufbau eines Online-Business. Die Inhalte waren didaktisch gegliedert und auf ein Lernziel ausgerichtet.
  • Einflussnahme des Lehrenden: Die Anbieterin gestaltete sowohl die Inhalte als auch die Abfolge des Coachings. Sie organisierte Zoom-Calls, stellte Materialien bereit und bot strukturierte Lernschritte an.

b) Live-Zoom-Meetings ändern nichts an der Fernunterrichtseigenschaft

Das Gericht setzte sich mit der Frage auseinander, ob die in regelmäßigen Abständen stattfindenden Zoom-Meetings eine Ausnahme vom Fernunterricht darstellen könnten. Dabei stellte es klar:

"Der Wortlaut des § 1 FernUSG stellt allein auf die räumliche Trennung ab."

Die Möglichkeit der Echtzeit-Kommunikation ändere nichts an der Tatsache, dass Lehrende und Lernende sich nicht am selben Ort befinden.

Das Gericht widerspricht damit teilweise der älteren Literatur und Rechtsprechung, wie etwa dem VG München (Urt. v. 14.09.1988), das bei direktem Kontakt via Videokonferenz von einem Ausschluss des Fernunterrichts ausging.

Unterstützung für die Hamburger Auffassung findet sich hingegen im Beschluss des OLG Köln vom 24.11.2006 (81 Ss-OWi 71/06), wonach eine räumliche Trennung bereits dann angenommen werden kann, wenn weniger als die Hälfte des Unterrichts im klassischen Nahunterricht stattfindet.

c) Verbrauchereigenschaft ist nicht erforderlich

Ein weiterer zentraler Aspekt der Klage war die Frage, ob das FernUSG nur Verbrauchern Schutz bietet. Die Klägerin verwies darauf, dass sich der Beklagte als Unternehmer ausgegeben habe und sich an diesem "Rechtsschein" festhalten lassen müsse.

Das LG Hamburg wies dieses Argument entschieden zurück:

"Die Anwendbarkeit des FernUSG ist nicht an die Verbrauchereigenschaft geknüpft."

Es genüge, dass die Voraussetzungen des FernUSG objektiv vorlägen. Die Schutzwirkung greife unabhängig vom subjektiven Verhalten der Parteien. Auch ein als Unternehmer auftretender Teilnehmer genießt die Schutzwirkung des FernUSG.

Das Gericht verweist dazu auf das OLG Celle (Urt. v. 01.03.2023 – 3 U 85/22), das ebenfalls klarstellt, dass die Rechtsfolgen des FernUSG zwingend und nicht dispositiv sind.

d) Rechtsfolge: Vertrag ist automatisch nichtig

Weil der Vertrag ohne erforderliche Zulassung nach dem FernUSG geschlossen wurde, ist er gemäß § 7 Abs. 1 FernUSG nichtig. Das bedeutet:

  • Es besteht kein Anspruch auf Zahlung
  • Der Vertrag ist von Anfang an ungültig
  • Die Nichtigkeit tritt automatisch kraft Gesetzes ein, ohne dass sie geltend gemacht werden muss
  • Es gibt keine Heilungsmöglichkeit

Rechtliche Einordnung und Konsequenzen

Das Urteil hat erhebliche Konsequenzen für die gesamte Coaching-Branche:

  • Anbieter können keine Zahlungen verlangen, wenn sie keine Zulassung besitzen
  • Bereits gezahlte Beträge müssen ggf. rückerstattet werden
  • Teilnehmer können sich auf die Nichtigkeit berufen, selbst wenn sie nicht widerrufen haben

Handlungsempfehlungen für Anbieter und Teilnehmer

Für Anbieter:

  • Prüfen Sie, ob Ihr Angebot als Fernunterricht eingestuft werden kann
  • Beantragen Sie eine Zulassung bei der ZFU
  • Lassen Sie Ihre Verträge und Werbetexte juristisch prüfen

Für Teilnehmer:

  • Wenn Sie an einem Coaching teilgenommen haben, das ohne Zulassung angeboten wurde, können Sie ggf. Zahlungen verweigern oder rückfordern
  • Lassen Sie den Vertrag durch einen Anwalt überprüfen

Fazit: Ein Urteil mit Signalwirkung

Das Urteil des LG Hamburg setzt ein klares Zeichen: Wer kostenpflichtige Online-Coachings ohne Zulassung gem. FernUSG anbietet, handelt rechtswidrig. Verträge sind nichtig, Zahlungen müssen nicht geleistet werden. Die Entscheidung ist ein mahnender Hinweis an alle Anbieter, die ihre Programme nicht als "Fernunterricht" einstufen wollen – und ein starkes Instrument für Verbraucher und Unternehmer, die sich gegen unqualifizierte Angebote wehren möchten.

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