Zum Hauptinhalt springen

Netflix-Preiserhöhung unwirksam: Rückforderung möglich

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Streamingdienste sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Doch viele Kunden ärgern sich über steigende Preise und fehlende Transparenz. Das Landgericht Köln hat mit Urteil vom 10.04.2025 (Az. 6 S 114/23) nun erstmals in einem bemerkenswerten Urteil entschieden: Netflix darf seine Abo-Preise nicht einseitig erhöhen, wenn Kunden nicht wirksam zugestimmt haben.

Damit sind nicht nur einzelne Preisanpassungen betroffen, sondern grundsätzlich das gesamte System von "Zustimmungen" durch einfachen Klick. Das Urteil hat erhebliche Auswirkungen – rechtlich, wirtschaftlich und verbraucherschutzpolitisch.

Der konkrete Fall: Von 11,99 EUR auf 17,99 EUR

Verlauf der Preiserhöhungen

Ein langjähriger Netflix-Nutzer hatte ursprünglich ein Abonnement für monatlich 11,99 EUR abgeschlossen. In den Jahren 2017 bis 2022 stieg der Preis schrittweise an – zuletzt auf 17,99 EUR monatlich. Das bedeutete:

  • 2017: 11,99 EUR
  • 2022: 17,99 EUR
  • Preisdifferenz: 6,00 EUR
  • Zeitraum: ca. 5 Jahre
  • Gesamter Mehrbetrag: rund 192 EUR

Die "Zustimmung" des Kunden

Netflix informierte den Kunden jeweils per Hinweis im Kundenkonto: "Am [Datum] wird Ihr monatlicher Preis auf [Betrag] erhöht. Wir aktualisieren unsere Preise, um Ihnen noch mehr großartige Unterhaltung zu bieten." Darunter befand sich ein Button: "Preiserhöhung zustimmen".

Wichtig: Ohne Klick konnte der Kunde Netflix nicht weiter nutzen.

Der Kunde argumentierte, er habe keine echte Wahl gehabt. Eine Zustimmung sei erzwungen gewesen. Er klagte daher auf Rückzahlung der Differenzbeträge.

Entscheidungsgründe des LG Köln: Zustimmung nicht freiwillig, AGB unzulässig

Keine wirksame Zustimmung im Sinne des BGB

Nach Ansicht des LG Köln liegt keine wirksame Vertragsänderung gem. §§ 145 ff. BGB vor. Die Zustimmung per Klick war nicht freiwillig:

"Gemessen an den dargestellten Maßstäben stellt aus Sicht des Erklärungsempfängers die Einblendung der Schaltfläche 'Preiserhöhung zustimmen' kein Angebot auf Abschluss eines Änderungsvertrags dar."

Begründung:

  • Die Preisänderung wird als bereits feststehend dargestellt.
  • Der Text impliziert keinen Verhandlungsspielraum.
  • Die Zustimmung ist Voraussetzung für weitere Nutzung – das ist faktischer Zwang.

Die Richter betonen, eine Vertragsänderung erfordere beiderseitige Willenserklärungen. Diese müssten freiwillig und ernst gemeint sein. Ein bloßes "Abnicken" reiche nicht aus.

Unwirksame AGB-Klausel

Netflix hatte sich in den AGB ein einseitiges Preisänderungsrecht vorbehalten. Diese Klausel wurde vom LG Köln als unwirksam gem. § 307 BGB eingestuft.

"Die Klausel benachteiligt den Nutzer unangemessen, weil sie nur Preiserhöhungen, nicht aber Preissenkungen bei sinkenden Kosten vorsieht."

Problematisch laut Gericht:

  • Einseitigkeit: Nutzer tragen allein das Risiko steigender Kosten.
  • Intransparenz: keine konkreten Parameter für Preisänderungen.
  • Unverbindlichkeit: Kunden haben keine effektive Möglichkeit zur Einflussnahme.

Rechtlicher Hintergrund: AGB, Einwilligung und Änderungsverträge

Vertragsänderung im deutschen Recht

Eine Vertragsänderung erfordert:

  1. Angebot einer Partei
  2. Annahme der anderen Partei
  3. Übereinstimmenden Willen zur Änderung des bestehenden Vertrags

Diese Voraussetzungen waren im Netflix-Fall nicht erfüllt, da:

  • Das "Angebot" gar kein echtes Angebot war
  • Die "Annahme" unter Druck erfolgte

AGB-Kontrolle gem. §§ 305 ff. BGB

Klauseln, die ein unbegrenztes Änderungsrecht einräumen, sind laut ständiger Rechtsprechung unwirksam, wenn:

  • sie nur zu Lasten des Kunden gehen,
  • kein sachlicher Grund für die Anpassung genannt ist,
  • keine Begrenzung oder Transparenz vorliegt.

Was bedeutet das Urteil für andere Netflix-Kunden?

Anspruch auf Rückzahlung

Wer in den letzten Jahren unter denselben Bedingungen einer Preiserhöhung "zugestimmt" hat, kann ebenfalls Rückzahlung verlangen.

Voraussetzungen:

  • Abo mit Preisänderung zwischen 2017 und 2022
  • Zustimmung über "Preiserhöhung zustimmen"-Button
  • Kein ausdrücklicher, freiwilliger Änderungsvertrag

Achtung: Rückforderungen verjähren regulär nach 3 Jahren zum Jahresende (§ 195, 199 BGB).

Was bedeutet das Urteil für Netflix und die Branche?

Mögliche Rückzahlungsverpflichtungen

Je nach Zahl der betroffenen Nutzer drohen Netflix Rückforderungen in Millionenhöhe. Allein bei 1 Million betroffenen Nutzern könnten dies theoretisch bis zu 192 Mio. EUR sein.

Auswirkungen auf die Vertragsgestaltung

Auch andere Anbieter wie Spotify, Amazon Prime oder Disney+ nutzen ähnliche Methoden zur Preisänderung. Sie müssen ihre AGB und Opt-in-Verfahren überdenken.

Fazit: Klare Grenzen für einseitige Preiserhöhungen

Das Urteil des LG Köln schafft dringend nötige Rechtssicherheit im digitalen Verbraucherschutz. Es zeigt:

  • Preisänderungen brauchen eine freiwillige, informierte Zustimmung
  • AGB müssen klar, transparent und ausgewogen sein
  • Kunden dürfen nicht durch technische Gestaltung zur Zustimmung gezwungen werden

Ansprechpartner

Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Andere über uns

WEB CHECK SCHUTZ

Gestalten Sie Ihre Internetseite / Ihren Onlineshop rechts- und abmahnsicher.

WEB CHECK Schutzpakete der Anwaltskanzlei Weiß & Partner

Erfahren Sie mehr über die Schutzpakete der Anwaltskanzlei Weiß & Partner für die rechtssichere Gestaltung Ihrer Internetpräsenzen.

Cyber-Sicherheit

Webpräsenz der Allianz für Cyber-Sicherheit

Aktuelles

| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Wir haben Kenntnis von betrügerischen urheberrechtlichen Abmahnungen erlangt, die den Namen der Kanzlei Hausfeld missbrauchen. Diese Fake-Abmahnungen zielen gezielt auf Social-Med…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Ein Klick – und das ganze Leben steht Kopf. Laura (26) bekommt eines Morgens mehrere beunruhigende Nachrichten von Freunden: Intime Fotos von ihr kursieren auf Facebook. Aufgenomm…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Die identifizierende Verdachtsberichterstattung gehört zu den sensibelsten Bereichen des Medienrechts. Wird über einen konkreten Verdacht öffentlich berichtet und eine Person erke…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
In Zeiten digitaler Arbeitsprozesse stellt sich zunehmend die Frage, wie weit der Zugriff von Arbeitgebern auf dienstlich bereitgestellte Kommunikationsmittel reichen darf – insbe…