Mithaftung von YouTube nur bei leicht erkennbarer Rechtsverletzung eines Videos

Stellen Sie sich vor, Sie spielen vor Jahren in einem Kurzfilm mit, der sensible Szenen – etwa Nacktdarstellungen – enthält. Sie geben Ihre Zustimmung, dass dieser Film lediglich auf Festivals gezeigt werden darf. Zehn Jahre später taucht das Video plötzlich auf YouTube auf – öffentlich zugänglich für jedermann.
Genau so erging es der Klägerin im Fall vor dem Landgericht Köln (Az. 14 O 20/22). Sie klagte nicht nur gegen den Regisseur, sondern auch gegen YouTube selbst. Doch während die Klage gegen den Regisseur erfolgreich war, wies das Gericht die Klage gegen YouTube ab – und das aus gutem Grund.
Die Ausgangslage – Was war passiert?
Die Klägerin war Darstellerin in einem Kurzfilm, produziert von dem Beklagten zu 2) – dem Regisseur. Sie behauptete, der Film habe ausschließlich auf Festivals gezeigt werden dürfen, eine Veröffentlichung auf Online-Plattformen wie YouTube sei nicht vereinbart worden. Dennoch wurde das Video veröffentlicht – ausgerechnet mit Szenen, in denen sie nackt zu sehen war.
Die Klägerin forderte daraufhin von YouTube (Beklagte zu 1)) die Löschung. YouTube leitete den Hinweis an den Regisseur weiter. Dieser widersprach der Darstellung und erklärte, es habe keine Beschränkung auf Festival-Vorführungen gegeben. YouTube beließ das Video daraufhin auf der Plattform. Die Klägerin klagte.
Die gerichtliche Bewertung
Das LG Köln nahm eine differenzierte rechtliche Abwägung vor:
✅ Klage gegen den Regisseur – erfolgreich
Das Gericht stellte klar: Der Regisseur konnte nicht nachweisen, dass er die Rechte zur Online-Veröffentlichung des Films von der Klägerin erhalten hatte. Damit hatte er gegen das Urheberrecht der Klägerin als ausübende Künstlerin verstoßen (§ 77, § 78 UrhG).
❌ Klage gegen YouTube – abgewiesen
Doch bei YouTube sah das Gericht keine Pflichtverletzung. Der Grund: Die Rechtsverletzung war für YouTube nicht ohne weiteres erkennbar.
Wann haftet YouTube eigentlich?
Die Grundregel laut LG Köln:
YouTube haftet nur, wenn die Rechtsverletzung auf einen konkreten Hinweis hin klar und ohne tiefergehende rechtliche Prüfung erkennbar ist.
Das Gericht bezieht sich dabei auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 22.06.2021 – C-682/18 – "YouTube und Cyando") und formuliert klare Kriterien:
- Der Hinweis muss konkret und zweifelsfrei sein.
- Die Rechtsverletzung muss unschwierig feststellbar sein.
- Der Diensteanbieter soll nicht als "Online-Schiedsrichter" agieren müssen.
Warum YouTube im konkreten Fall nicht haften musste
Die Klägerin hatte ihre Rechte geltend gemacht – doch aus Sicht des Gerichts nicht überzeugend genug:
- Zwar sei sie als Mitwirkende im Abspann des Films genannt – das belege ihre Beteiligung.
- Doch sie konnte nicht ausreichend darlegen, dass die Nutzungsrechte für eine Online-Veröffentlichung beim Regisseur nicht lagen.
- Umgekehrt greift bei Filmwerken eine gesetzliche Vermutung zugunsten des Herstellers (§ 92 Abs. 1 UrhG): Wer ein Filmwerk produziert, darf es nutzen – es sei denn, etwas anderes ist klar vereinbart worden.
Das Gericht stellte fest:
„Die Klägerin hätte YouTube in die Lage versetzen müssen, die fehlende Berechtigung des Regisseurs unschwer und ohne rechtliche Prüfung zu erkennen. Das war hier nicht der Fall.“
Ein lapidarer Hinweis genügt nicht. YouTube durfte sich auf die Stellungnahme des Regisseurs verlassen. Dass diese später im Prozess widerlegt wurde, ändere nichts – YouTube kann schließlich nur mit den Informationen entscheiden, die ihm vorliegen.
Keine Schiedsrichterrolle für Plattformen
Ein zentraler Gedanke des Urteils ist die Vermeidung von „Overblocking“:
- Plattformen wie YouTube sollen nicht aus Angst vor Mithaftung bei jedem Hinweis Inhalte sofort löschen.
- Sonst drohe eine Gefährdung der Meinungs- und Informationsfreiheit.
"Diensteanbieter sollen keine komplizierten Rechtsfragen entscheiden müssen."
Das Urteil schützt also nicht nur Plattformen, sondern auch die Nutzerfreiheit im Netz. Es wahrt das Gleichgewicht zwischen Schutz der Persönlichkeitsrechte und der Meinungsfreiheit.
Bedeutung für Urheber und Plattformbetreiber
Für Plattformen wie YouTube:
- Haftung besteht nur bei eindeutiger Rechtsverletzung, erkennbar auf den ersten Blick.
- Unklare Rechtslagen berechtigen nicht zur sofortigen Sperrung.
- Es genügt eine prüfbare Stellungnahme des Uploaders.
Für Urheber und Mitwirkende:
- Sie müssen bei Beschwerden konkrete Nachweise liefern:
- Wer genau hat welche Rechte?
- Welche Einschränkungen wurden vertraglich vereinbart?
- Warum liegt eine klare Rechtsverletzung vor?
Je konkreter und nachvollziehbarer die Angaben sind, desto eher wird eine Plattform reagieren (müssen).
Fazit: Kein Freifahrtschein für Urheber – aber auch kein Haftungsautomatismus für Plattformen
Das Urteil des LG Köln (Az. 14 O 20/22) stärkt die Rechtssicherheit im digitalen Raum:
- YouTube haftet nicht automatisch, wenn Rechteinhaber einen Verstoß behaupten.
- Erst wenn eine Rechtsverletzung klar und offensichtlich erkennbar ist, besteht eine Löschpflicht – und damit eine Mithaftung.
- Unklare, widersprüchliche oder schwer prüfbare Hinweise reichen nicht aus.
Diese Rechtsprechung stellt sicher, dass Plattformen nicht aus übertriebener Vorsicht Inhalte blockieren, sondern weiterhin eine Plattform für freie Meinungsäußerung bleiben – ohne dabei die Rechte von Urhebern zu ignorieren.
Handlungsempfehlung für Betroffene
Wer als Urheber, Darsteller oder Künstler gegen eine unerlaubte Online-Nutzung vorgehen will, sollte Folgendes beachten:
- Sammeln Sie Beweise (Verträge, E-Mails, Vereinbarungen).
- Formulieren Sie Hinweise an Plattformen klar und juristisch nachvollziehbar.
- Lassen Sie sich rechtlich beraten, bevor Sie pauschale Beschwerden einreichen.
- Im Zweifelsfall: Klage direkt gegen den Verletzer, nicht gegen die Plattform.
Ansprechpartner
Alexander Bräuer
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