Missbräuchliche Geltendmachung von Vertragsstrafen

Vertragsstrafen sind im Wettbewerbsrecht ein weitverbreitetes Mittel zur Durchsetzung von Unterlassungserklärungen. Doch was passiert, wenn die Geltendmachung dieser Vertragsstrafen selbst rechtsmissbräuchlich erfolgt? Mit dieser Frage beschäftigte sich das Oberlandesgericht (OLG) Köln in seinem Urteil vom 21. Juni 2023 (Az. 6 U 147/22) und wies die Klage eines Wettbewerbsverbands auf Zahlung einer Vertragsstrafe zurück. Die Entscheidung ist nicht nur praxisrelevant, sondern auch ein markanter Beitrag zur Frage, wie weit § 242 BGB bei der Kontrolle von Vertragsstrafen greift.
Der Sachverhalt im Überblick
Der beklagte Onlinehändler war im Jahr 2019 vom IDO Interessenverband für das Rechts- und Finanzconsulting deutscher Online-Unternehmen e.V. wegen angeblicher Verstöße gegen Vorschriften im Fernabsatzrecht abgemahnt worden. Hintergrund war ein mutmaßlicher Verstoß gegen Informationspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr, wie sie das Wettbewerbsrecht für Onlinehändler vorsieht. Der Händler gab daraufhin eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab, um ein Gerichtsverfahren zu vermeiden. Die Erklärung enthielt eine Vertragsstrafenklausel, wonach der IDO im Verletzungsfall eine Vertragsstrafe nach billigem Ermessen festsetzen durfte, welche gerichtlich auf Angemessenheit überprüft werden könne.
Im Februar 2020 rügte der Verband sodann einen Verstoß gegen die abgegebene Unterlassungserklärung und verlangte die Zahlung einer Vertragsstrafe i.H.v. 3.500 Euro. Der Händler wies die Forderung zurück und berief sich auf mehrere Gesichtspunkte:
- Die Abgabe der Unterlassungserklärung sei durch arglistige Täuschung erschlichen worden.
- Hilfsweise habe er die Unterlassungserklärung gekündigt.
- Vor allem aber sei die Geltendmachung der Vertragsstrafe rechtsmissbräuchlich i.S.d. § 242 BGB.
Das Landgericht Bonn (14 O 55/20) gab der Klage des IDO in erster Instanz statt. Die Berufung des Händlers beim OLG Köln war jedoch erfolgreich.
Die Entscheidung des OLG Köln im Detail
1. Keine erfolgreiche Anfechtung oder Kündigung der Unterlassungserklärung
Das OLG Köln setzte sich zunächst mit der Frage auseinander, ob die abgegebene Unterlassungserklärung durch eine arglistige Täuschung des Verbandes zustande gekommen sein könnte. Dies wurde verneint. Zwar kann eine arglistige Täuschung auch durch Unterlassen vorliegen, jedoch war nach Ansicht des Gerichts nicht feststellbar, dass der Verband den Beklagten aktiv über seine innere Struktur oder seine Zielsetzung getäuscht hatte. Auch ein Rücktritt oder eine Kündigung gem. § 314 BGB änderte daran nichts.
2. Rechtsmissbräuchliche Geltendmachung der Vertragsstrafe gem. § 242 BGB
Der entscheidende Punkt war jedoch die Frage, ob der Verband die Vertragsstrafe rechtsmissbräuchlich geltend gemacht hatte. Das OLG bejahte dies mit ausdrücklichem Verweis auf den allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB. Dabei wies der Senat darauf hin, dass die Grundsätze zur rechtsmissbräuchlichen Abmahnung aus § 8c UWG auch im Rahmen der Vertragsstrafen Anwendung finden können.
3. Die Indizien für rechtsmissbräuchliches Verhalten im Einzelnen
a) Struktur und Zielrichtung des Verbandes
Der IDO Verband hatte im relevanten Zeitraum rund 2.750 Mitglieder. Davon waren jedoch lediglich 43 aktive Mitglieder mit Stimmrecht. Der Rest bestand aus sogenannten passiven Mitgliedern, die online beitragsfrei aufgenommen wurden. Diese Mitgliederstruktur ermöglichte es dem Verband, durch eine große Zahl an "Mitgliedern" seine Klagebefugnis gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG zu behaupten, ohne dass eine ernsthafte vereinsinterne Kontrolle stattfand.
b) Finanzielle Interessen im Vordergrund
Das Gericht stellte fest, dass der IDO Verband erhebliche Einnahmen aus Abmahntätigkeiten erzielte. Im Jahr 2020 sollen rund 3,2 Mio. Euro eingenommen worden sein. Davon flossen rund 1,4 Mio. Euro an lediglich sechs Personen, darunter Vorstandsmitglieder und deren Familienangehörige. Dies spreche gegen eine gemeinnützige Zielverfolgung und stütze die Annahme eines kommerziellen Interesses.
c) Selektive Verfolgung von Wettbewerbsverstoßen
Der IDO unterließ es regelmäßig, gegen Wettbewerbsverstöße von Mitgliedern vorzugehen, obwohl deren Verhalten objektiv ebenso rechtswidrig war wie das Verhalten der abgemahnten Nicht-Mitglieder. Dieses selektive Vorgehen wurde vom OLG als weiteres Indiz für eine rechtsmissbräuchliche Praxis gewertet.
d) Weit gefasste Unterlassungserklärung
Der Verband hatte dem Beklagten eine Unterlassungserklärung vorgelegt, die sich auf Verstöße im gesamten Fernabsatzhandel erstreckte, obwohl der konkrete Vorwurf nur den Onlinehandel betraf. Diese Überdehnung der Reichweite diente ersichtlich dem Zweck, die Wahrscheinlichkeit eines Verstoßes und damit einer Vertragsstrafe zu erhöhen.
e) Kaum gerichtliche Durchsetzung von Verstoßen
Während der Verband tausende Abmahnungen aussprach (z.B. 3.520 im Jahr 2020), war der Anteil der gerichtlichen Verfolgung dieser Verstöße auffallend gering (528 Klagen). Dies belege eine Taktik der massenhaften Generierung von Vertragsstrafequellen ohne ernsthafte gerichtliche Klärung.
4. Rechtsdogmatische Einordnung
Das OLG betonte, dass die Geltendmachung einer Vertragsstrafe nicht dem Überprüfungsmaßstab von § 8c UWG unterliegt, sondern nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen ist. Dabei komme dem Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entscheidende Bedeutung zu.
Die Beurteilung erfolgt im Rahmen des Freibeweises, d.h. ohne strikte Beweisregeln. Es obliegt zunächst dem Beklagten, substantiierte Tatsachen zur Missbrauchsannahme vorzutragen. Wird dadurch die für die Anspruchsberechtigung eines Verbands sprechende Vermutung erschüttert, trifft diesen eine sekundäre Darlegungslast, um die Ernsthaftigkeit seiner Zielverfolgung zu belegen. Diese Darlegung war dem IDO im konkreten Fall nicht gelungen.
Fazit und praktische Bedeutung
Die Entscheidung des OLG Köln ist von erheblicher Bedeutung für das Lauterkeitsrecht. Sie zeigt, dass Gerichte auch bei der Geltendmachung von Vertragsstrafen eine Rechtsmissbrauchskontrolle durchführen können und müssen. Unternehmen, die mit Vertragsstrafe-Forderungen konfrontiert werden, sollten daher genau prüfen (lassen), ob der Fordernde rechtsmissbräuchlich handelt.
Für Unternehmen bedeutet dies konkret:
- Vertragsstrafenforderungen sollten stets kritisch hinterfragt werden.
- Ein Rechtsmissbrauchseinwand ist auch bei anerkannten Unterlassungserklärungen möglich.
- Eine gute Dokumentation zur Struktur und Praxis des abmahnenden Verbandes kann entscheidend sein.
Für Wettbewerbsverbände ergibt sich:
- Die bloße formale Erfüllung der Voraussetzungen des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG reicht nicht.
- Transparenz, Gemeinnützigkeit und Gleichbehandlung sind Grundpfeiler legitimer Verfolgung.
Ansprechpartner
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