Zum Hauptinhalt springen

Meta darf Vereins-Webseite nicht ohne Angabe von Gründen einfach sperren

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Die sozialen Netzwerke sind die digitalen Öffentlichkeitsräume unserer Zeit. Für gemeinnützige Vereine, Unternehmen, politische Gruppierungen oder Kultureinrichtungen ist Facebook längst ein unverzichtbares Instrument, um Veranstaltungen anzukündigen, Projekte zu bewerben oder mit der Öffentlichkeit in Kontakt zu treten. Umso schwerwiegender ist es, wenn dieser Kommunikationskanal ohne nachvollziehbare Gründe und ohne vorherige Anhörung abrupt abgeschnitten wird.

Genau das passierte der Filmwerkstatt Düsseldorf e.V. Ende 2021. Der Verein, der sich seit vielen Jahren für Filmkultur und öffentliche Filmvorführungen engagiert, wurde auf Facebook plötzlich gesperrt. Vorausgegangen war die Veröffentlichung eines Szenenbilds aus einem FSK-12-Film. Doch statt einer fairen Aufklärung des Vorwurfs folgte eine Sperrung ohne jede Möglichkeit zur Stellungnahme. Der Verein klagte – und gewann.

Am 02. April 2025 entschied das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf in einem wegweisenden Urteil (Az.: VI-U (Kart) 5/24), dass Meta Platforms Ireland Ltd. als marktbeherrschendes Unternehmen nicht berechtigt ist, eine Seite wie die der Filmwerkstatt ohne sachlichen Grund und ohne vorherige Anhörung zu sperren. Das Urteil hat weitreichende Folgen für den Umgang marktstarker Plattformen mit ihren Nutzern und setzt ein deutliches Zeichen gegen digitale Willkür.

1. Der Sachverhalt im Detail: Wie alles begann

Die klagende Partei ist die Filmwerkstatt Düsseldorf e.V., ein gemeinnütziger Verein, der seit Jahrzehnten im Bereich der unabhängigen Filmkultur tätig ist. Die Filmwerkstatt betrieb auf Facebook eine Seite, über die sie Veranstaltungen und Filmvorführungen bewarb. Diese Seite war zentraler Bestandteil ihrer Öffentlichkeitsarbeit und diente zugleich als Archiv und Informationsquelle für Mitglieder und Interessierte.

Im November 2021 postete der Verein auf seiner Facebook-Seite ein Bild aus einem Film mit einer FSK-12-Freigabe. Nur kurze Zeit später wurde die gesamte Seite ohne Vorwarnung von Meta gesperrt. Auf Nachfrage erhielt der Verein lediglich eine pauschale Mitteilung, dass ein Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards vorgelegen habe. Konkrete Hinweise zu Art, Umfang oder Inhalt des vermeintlichen Verstoßes gab es nicht. Auch eine echte Beschwerdemöglichkeit wurde nicht angeboten. Die Kommunikation mit Meta blieb oberflächlich und intransparent.

Trotz mehrerer Versuche, den Sachverhalt zu klären und die Seite wieder online zu bringen, blieb Meta unkooperativ. Erst nach Monaten wurde die Seite reaktiviert – ohne weitere Erklärung. Der Verein sah sich jedoch weiterhin in seinem Recht verletzt und erhob Klage auf Unterlassung, um künftige willkürliche Sperren zu verhindern.

2. Die prozessuale Ausgangslage: Zuständigkeit deutscher Gerichte

Meta berief sich in ihrer Verteidigung zunächst auf die eigenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), die für Geschäftskunden einen ausschließlichen Gerichtsstand in Irland vorsehen. Da es sich bei der Filmwerkstatt nicht um einen Verbraucher, sondern um eine juristische Person handelt, argumentierte Meta, dass deutsche Gerichte nicht zuständig seien.

Das OLG Düsseldorf wies diesen Einwand jedoch zurück. Zur Begründung verwies das Gericht auf Art. 7 Nr. 2 der Brüssel Ia-Verordnung (Brüssel I bis-VO). Danach ist für Klagen aus unerlaubten Handlungen das Gericht des Ortes zuständig, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist. Im vorliegenden Fall habe die Filmwerkstatt einen deliktischen Anspruch geltend gemacht, nämlich den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Meta.

Das Gericht führte aus:

"Entscheidend für die Abgrenzung ist, ob ein gesetzlicher Anspruch geltend gemacht wird, der unabhängig von einem Vertragsverhältnis zwischen den Parteien besteht. So verhält es sich im Streitfall."

Da das Klagebegehren auf einen Verstoß gegen das deutsche Kartellrecht gestützt war, sei die Anwendung der AGB-Regelung zum Gerichtsstand unzulässig. Das OLG bejahte somit seine eigene Zuständigkeit.

3. Kern der Entscheidung: Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung

Im Mittelpunkt der Entscheidung stand die Frage, ob Meta seine marktbeherrschende Stellung im Sinne des § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 GWB missbraucht hatte. Die Antwort des OLG: Ja.

Meta sei auf dem Markt für soziale Netzwerke in Deutschland marktbeherrschend. Das Gericht stellte klar, dass – gerade im Hinblick auf öffentliche Kommunikation und Reichweite – eine Facebook-Seite für viele Organisationen von erheblicher Bedeutung sei. Wer diesen Zugang ohne triftigen Grund verwehrt, handle missbräuchlich.

"In der Sperrung der Facebook-Seite des Klägers ohne vorherige oder unverzügliche Angabe von Gründen und/oder Gelegenheit zur Stellungnahme liegt ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung der Beklagten in Form eines Behinderungsmissbrauchs."

Es sei nicht entscheidend, ob ein Verstoß gegen Gemeinschaftsstandards tatsächlich vorgelegen habe. Vielmehr komme es darauf an, ob Meta die Sperre ohne transparente, faire und nachvollziehbare Verfahren ausgesprochen habe. Die Antwort war aus Sicht des Gerichts eindeutig negativ.

Die Filmwerkstatt wurde durch die plötzliche Sperre in ihrer Tätigkeit massiv behindert, ohne die Möglichkeit, sich zu erklären oder die Hintergründe zu erfahren. Das sei kartellrechtlich nicht zulässig.

4. Wiederholungsgefahr trotz Reaktivierung der Seite

Meta hatte im Verlauf des Verfahrens argumentiert, die Seite sei zwischenzeitlich wieder freigeschaltet worden – eine Wiederholungsgefahr bestehe daher nicht mehr. Doch das OLG sah das anders:

"Die bloße Reaktivierung der Seite lässt die Wiederholungsgefahr nicht entfallen, solange die Beklagte an ihrer Praxis festhält, Sperren ohne vorherige Anhörung und ohne Begründung auszusprechen."

Somit hatte der Verein weiterhin ein rechtlich geschütztes Interesse daran, eine entsprechende Unterlassung zu verlangen. Die Wiederholungsgefahr ist für den kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch eine zentrale Voraussetzung – und war hier unzweifelhaft gegeben.

5. Auswirkungen auf die Praxis: Was bedeutet das Urteil?

Die Entscheidung hat weitreichende Bedeutung für die digitale Grundversorgung durch soziale Netzwerke. Plattformbetreiber wie Meta, die eine marktbeherrschende Stellung innehaben, dürfen ihre Nutzer nicht willkürlich ausschließen. Es braucht:

  • Einen klaren, nachvollziehbaren Grund für jede Sperre,
  • Ein rechtliches Gehör vor oder unmittelbar nach der Maßnahme,
  • Ein wirksames Beschwerdeverfahren, das eine Überprüfung erlaubt.

Gerade für kleinere Organisationen oder Initiativen, die keine eigenen juristischen Abteilungen haben, ist dieses Urteil eine wichtige Stärkung ihrer Position gegenüber Plattformgiganten.

6. Der Gerichtsstand Irland: Rechtswidrig bei Kartellklagen

Die Entscheidung rückt auch die AGB-Klauseln von Meta in ein kritisches Licht. Dass alle Nutzerklagen gegen Meta in Irland geführt werden sollen, erschwert effektiven Rechtsschutz. Das OLG Düsseldorf betont, dass dies insbesondere bei kartellrechtlichen Klagen unzulässig ist:

"Kartellrechtliche Ansprüche können nicht durch AGB-Klauseln der gerichtlichen Zuständigkeit im Inland entzogen werden."

Diese Feststellung hat Signalwirkung – nicht nur für Meta, sondern auch für andere große Plattformen mit ähnlichen AGB-Konstruktionen.

Fazit: Plattformen brauchen rechtsstaatliche Schranken

Das OLG Düsseldorf hat mit seinem Urteil ein klares Zeichen gesetzt: Digitale Plattformbetreiber müssen ihre marktbeherrschende Stellung verantwortungsvoll einsetzen. Sperrungen ohne nachvollziehbare Begründung, ohne Anhörung und ohne echte Rechtsmittel verstoßen gegen deutsches Kartellrecht.

Für alle Organisationen, die soziale Netzwerke zur Öffentlichkeitsarbeit nutzen, ist dieses Urteil ein Lichtblick. Es bestätigt: Auch im Internet gelten rechtsstaatliche Grundprinzipien. Willkür hat keinen Platz. Und Nutzer, die sich unrechtmäßig behandelt fühlen, haben das Recht, sich zu wehren – mit Erfolg.

Ansprechpartner

Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Andere über uns

WEB CHECK SCHUTZ

Gestalten Sie Ihre Internetseite / Ihren Onlineshop rechts- und abmahnsicher.

WEB CHECK Schutzpakete der Anwaltskanzlei Weiß & Partner

Erfahren Sie mehr über die Schutzpakete der Anwaltskanzlei Weiß & Partner für die rechtssichere Gestaltung Ihrer Internetpräsenzen.

Cyber-Sicherheit

Webpräsenz der Allianz für Cyber-Sicherheit

Aktuelles

| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Im Zeitalter digitaler Bewertungen auf Plattformen wie Google, Jameda, Kununu oder Trustpilot ist der gute Ruf eines Unternehmens oder Freiberuflers angreifbarer denn je. Negative…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Warum ist das Thema „Trennungsgebot im Werberecht“ aktuell und relevant? Das Werberecht erlebt durch die Digitalisierung der Medienwelt eine regelrechte Renaissance. Nie zuvor wu…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
In Zeiten des digitalen Handels steht eines fest: Wer günstiger ist, gewinnt. Das gilt auch – und besonders – für den Arzneimittelmarkt. Gerade Apotheken achten beim Einkauf versc…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Die Werbung mit prominenten Gesichtern kann extrem wirksam sein – aber auch gefährlich, wenn sie ohne Erlaubnis erfolgt. Das hat das Landgericht Köln mit seinem Urteil zur Testimo…