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Marktplatz haftet für Urheberrechtsverstoß ab Kenntnis

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Online-Marktplätze wie Amazon, eBay, Etsy oder Rakuten ermöglichen Drittanbietern, Produkte über die Infrastruktur der Plattform zu vertreiben. Mit wenigen Klicks lassen sich Bilder, Produktbeschreibungen und Werbetexte hochladen – oft ohne Kontrolle durch die Plattform selbst. Was aber, wenn diese Inhalte Urheberrechte verletzen?

Diese Frage hat das Oberlandesgericht Nürnberg in seinem Urteil vom 1. August 2023 (Az. 3 U 2910/22) mit besonderer Schärfe beantwortet: Ein Online-Marktplatzbetreiber kann für Urheberrechtsverletzungen durch Drittanbieter haftbar sein – und zwar als Täter, nicht bloß als Störer – wenn er von der Verletzung Kenntnis erlangt, aber untätig bleibt.

 

 

Der Fall: Manhattan Bridge und die Folgen

Was war passiert?

Ein Fotograf hatte ein urheberrechtlich geschütztes Foto der bekannten Manhattan Bridge angefertigt. Mehrere Händler auf der Handelsplattform Rakuten nutzten dieses Bild ohne seine Erlaubnis für Produktwerbung. Der Fotograf mahnte Rakuten wegen eines konkreten Angebots ab. Rakuten entfernte das monierte Angebot – aber unterließ es, die Plattform auf andere gleichartige Verstöße zu überprüfen oder Vorsorge zu treffen.

In der Folge wurde das gleiche Bild erneut von anderen Verkäufern verwendet. Daraufhin klagte der Urheber auf Unterlassung, Schadensersatz und Erstattung der Abmahnkosten.

Rechtslage vor der Entscheidung: Von Störer- zur Täterhaftung

a) Früher: Störerhaftung mit engen Grenzen

Bis vor wenigen Jahren war die sogenannte Störerhaftung das Standardmodell für die Verantwortlichkeit von Plattformbetreibern. Sie griff dann, wenn der Betreiber zwar nicht selbst gehandelt hatte, aber in irgendeiner Weise zur Rechtsverletzung beigetragen hatte (z. B. durch Bereitstellung der Infrastruktur). Eine Haftung war dann nur auf Unterlassung gerichtet – kein Schadensersatz.

b) Wandel durch BGH und EuGH

Insbesondere durch die Rechtsprechung des BGH (YouTube II, GRUR 2022, 1021) und des EuGH (YouTube/Cyando, C-682/18 & C-683/18) wurde der Weg zur Täterhaftung von Intermediären geöffnet. Diese Entscheidungen machten deutlich:

Wer von einer konkreten Rechtsverletzung erfährt, muss alles Zumutbare unternehmen, um weitere gleichartige Verletzungen zu verhindern. Tut er das nicht, haftet er nicht mehr nur als Störer, sondern als Täter – mit allen Konsequenzen.

Die Entscheidung des OLG Nürnberg (3 U 2910/22)

a) Ausgangspunkt: Plattform kennt die Verletzung

Das OLG Nürnberg stellte klar: Spätestens mit der Abmahnung war Rakuten die konkrete Urheberrechtsverletzung bekannt. Ab diesem Zeitpunkt bestand eine rechtliche Verkehrspflicht zur Verhinderung weiterer identischer Verstöße.

b) Verletzung der Prüfpflicht: Keine wirksame Reaktion

Rakuten löschte zwar das betroffene Angebot, ergriff aber keine weiteren Maßnahmen, um zu prüfen, ob andere Anbieter dasselbe Bild verwendeten, oder um diese Nutzung zu unterbinden. Diese Untätigkeit sah das Gericht als ausreichenden Anknüpfungspunkt für eine Täterhaftung.

c) Rechtsfolge: Täterhafte Verantwortlichkeit

Das OLG bejahte die vollumfängliche Haftung von Rakuten als Täter nach § 97 Abs. 2 UrhG i.V.m. § 15 UrhG:

  • Unterlassung
  • Auskunft
  • Schadensersatz (6.675 Euro)
  • allerdings keine Abmahnkosten, da die Abmahnung selbst erst die Kenntnis begründete

d) Schadenshöhe: Lizenzanalogie + 50 % Zuschlag

Der Fotograf machte den Schaden im Wege der Lizenzanalogie geltend. Besonders deutlich: Das OLG gewährte einen 50 % Zuschlag, weil keine Urhebernennung erfolgt war und die Plattform in erheblicher Weise untätig geblieben war.

Die drei Fallgruppen der Täterhaftung laut OLG Nürnberg

Das Gericht differenziert drei Konstellationen, in denen ein Intermediär als Täter haftet:

  1. Kenntnis von allgemeinen Rechtsverletzungen
    • Plattform weiß, dass regelmäßig Rechtsverstöße stattfinden, unternimmt aber nichts
    • Beispiel: Keine Filter, keine Stichproben, kein Abuse-Handling
  2. Förderung der Nutzung durch Geschäftsmodell
    • Der Betreiber profitiert in besonderem Maße, z. B. durch Werbung, Provision oder durch automatisierte Übernahme von Inhalten (Bildern etc.)
  3. Konkrete Kenntnis + keine Reaktion
    • Wie hier: Ein konkreter Verstoß wird mitgeteilt, aber weitere gleichartige Verstöße nicht verhindert

Auswirkungen für Plattformbetreiber

Plattformbetreiber müssen sich auf eine deutlich strengere Haftungspraxis einstellen. Entscheidend ist:

  • Schon ein einzelner Hinweis kann eine Prüfungspflicht auslösen
  • Es genügt nicht, nur das betroffene Angebot zu löschen
  • Vielmehr muss systematisch geprüft werden, ob andere Angebote identisch oder ähnlich rechtsverletzend sind

Technische und organisatorische Maßnahmen könnten z. B. sein:

  • Einsatz von Bilderkennungssoftware
  • Sperrlisten für urheberrechtlich geschützte Werke
  • Manuelle Prüfungen bei Verdachtsmomenten
  • Integration von Upload-Filtern (z. B. hashbasierte Abgleiche)
  • Implementierung eines wirksamen Notice-and-Takedown-Systems

Für Rechteinhaber: Stärkeres Durchsetzungsinstrument

Die Entscheidung ist eine gute Nachricht für Urheber:

  • Sie können gezielt Plattformbetreiber in Anspruch nehmen
  • Bei Untätigkeit trotz Hinweis besteht nicht nur Unterlassungs-, sondern auch Schadensersatzanspruch
  • Das Urteil stärkt die Durchsetzung auch gegen größere Plattformen, die sich bislang oft hinter der Störerhaftung „versteckt“ haben

Fazit: 

Das Urteil des OLG Nürnberg setzt einen klaren Akzent in der Rechtsprechung: Online-Marktplätze können nicht mehr wegsehen, wenn sie auf eine Rechtsverletzung hingewiesen werden. Tun sie es doch, begeben sie sich in die volle Täterhaftung – mit weitreichenden finanziellen Konsequenzen.

Für Plattformen bedeutet das: Compliance ist Pflicht.
Für Urheber: Mehr Chancen auf effektive Rechtsdurchsetzung.

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