Kein Löschungsanspruch gegen negative Online-Bewertungen bei faktischer Firmen-Fortführung

Online-Bewertungen entscheiden mit darüber, ob Kunden Vertrauen in ein Unternehmen fassen. Fällt das Urteil negativ aus, kann das erhebliche Auswirkungen auf den wirtschaftlichen Erfolg haben. In der anwaltlichen Praxis stellt sich daher immer wieder die Frage: Kann ein Unternehmen gegen negative Online-Bewertungen vorgehen, wenn diese sich auf einen Vorgängerbetrieb beziehen? Besonders heikel wird es, wenn eine neue Gesellschaft zwar formal nicht identisch mit dem Altunternehmen ist, aber dessen Geschäftsbetrieb inhaltlich nahezu unverändert fortführt.
Das Landgericht Fulda hatte sich in seinem Urteil vom 30.11.2024 (Az.: 3 O 92/24) mit genau dieser Konstellation zu befassen und traf eine bemerkenswerte Entscheidung: Kein Anspruch auf Löschung negativer Online-Bewertungen bei faktischer Unternehmensfortführung. Die Begründung ist detailliert und für Unternehmen, die Domains oder Geschäftsinhalte übernehmen, von erheblicher praktischer Relevanz.
Sachverhalt: Was war passiert?
Die Klägerin ist ein Unternehmen im Bereich Wintergartenbau. Sie wurde nach der Insolvenz der "NW-GmbH" gegründet und übernahm im Zuge eines Asset-Deals unter anderem die Domain der NW-GmbH. Auf dieser Domain befanden sich diverse ältere, teilweise sehr kritische Bewertungen und Kommentare ehemaliger Kunden der NW-GmbH – etwa über mangelhafte Bauausführungen, schleppende Kommunikation oder ausstehende Gewährleistungsarbeiten. Diese Bewertungen erschienen weiterhin in den Suchergebnissen der beklagten Suchmaschinenbetreiberin, insbesondere bei Google.
Die Klägerin argumentierte, sie sei ein neues, rechtlich selbstständiges Unternehmen und habe mit den damaligen Sachverhalten nichts zu tun. Sie sei keine Rechtsnachfolgerin der NW-GmbH. Es sei unzumutbar, dass negative Bewertungen, die sich nicht auf ihre eigene Leistung, sondern auf eine dritte (mittlerweile insolvente) Gesellschaft bezögen, weiter auffindbar seien und damit ihre Reputation schädigten. Sie verlangte deshalb die vollständige Löschung dieser Bewertungen aus dem Suchindex.
Die Beklagte, eine große internationale Suchmaschinenbetreiberin, wies dieses Ansinnen zurück. Sie verwies darauf, dass die Klägerin den Geschäftsbetrieb der NW-GmbH faktisch fortführe und es aus Sicht der Öffentlichkeit keinerlei Abgrenzung gebe. Die Bewertungen seien weiterhin von öffentlichem Interesse.
Die Klägerin erhob daraufhin Klage zum Landgericht Fulda. Ihr Ziel: Die Löschung aller älteren Bewertungen, die sich auf die NW-GmbH bezogen.
Entscheidungsgründe des LG Fulda (Urt. v. 30.11.2024 – Az.: 3 O 92/24)
Das Landgericht wies die Klage vollumfänglich ab. Die Kernbegründung: Auch wenn die Klägerin formaljuristisch keine Rechtsnachfolgerin sei, müsse sie sich die negativen Bewertungen dennoch zurechnen lassen, da sie den Geschäftsbetrieb faktisch fortführe.
1. Keine Rechtsnachfolge, aber faktische Fortführung
Die Richter stellten zunächst klar, dass die Klägerin durch den abgeschlossenen Asset-Deal zwar keine rechtliche Nachfolge der NW-GmbH angetreten habe. Der Vertrag sah ausdrücklich keine Haftungsübernahme vor. Dennoch sei entscheidend, wie die außenstehenden Kunden und die Öffentlichkeit die neue Gesellschaft wahrnehmen. Hier ergab die Beweisaufnahme und die vom Beklagten vorgetragenen Indizien ein deutliches Bild:
- Identische Adresse: Die Klägerin betreibt ihr Unternehmen von denselben Räumlichkeiten aus, in denen auch die NW-GmbH tätig war.
- Identische Telefonnummer: Die Telefonnummer im Impressum ist dieselbe wie die, die vormals von der NW-GmbH verwendet wurde.
- Identischer Unternehmensgegenstand: Beide Unternehmen beschäftigten sich mit dem Bau von Wintergärten.
- Domainübernahme: Die Domain – und damit das digitale Aushängeschild der NW-GmbH – wurde ohne Weiteres von der Klägerin weiter genutzt.
Die Richter betonten, dass ein „Rückzug auf formaljuristische Argumente“ nicht genüge, wenn im täglichen Geschäftsverkehr eine faktische Kontinuität bestehe. Der Nutzer der Suchmaschine könne und müsse die neue Gesellschaft in diesen Konstellationen mit dem Altunternehmen assoziieren dürfen.
2. Zentrale Rolle des Geschäftsführers in beiden Unternehmen
Ein weiterer, entscheidender Aspekt war die Personalie des Geschäftsführers:
- Er war früher bei der NW-GmbH tätig – zunächst als offizieller Geschäftsführer und Gesellschafter, später lediglich als Gesellschafter, aber weiterhin als faktisch prägende Person in Erscheinung getreten.
- Nun ist er auch der offizielle Geschäftsführer der Klägerin.
- In den Bewertungen wird er explizit als Ansprechpartner für Reklamationen und als Verhandlungspartner genannt.
Das Gericht stellte klar: Bewertungen, die sich auf eine konkrete Person beziehen, die im neuen Unternehmen weiterhin geschäftlich bestimmend tätig ist, können nicht als rein vergangenheitsbezogen bewertet werden. Das berechtigte Informationsinteresse potenzieller Kunden, die sich über die Zuverlässigkeit des Unternehmens informieren wollen, beziehe sich gerade auf diese Kontinuität.
3. Wer mit der Vergangenheit wirbt, muss sie sich zurechnen lassen
Ein dritter zentraler Aspekt war die eigene Darstellung der Klägerin in der Öffentlichkeit:
- Sie verwies an mehreren Stellen im Netz auf die langjährige Erfahrung im Wintergartenbau – ohne klarzustellen, dass diese Erfahrung aus einem anderen Unternehmenskontext stamme.
- Die Übernahme der positiven Referenzen erfolgte bewusst.
Wer jedoch das Vertrauen der Kunden durch Rückgriff auf alte Kundenprojekte gewinnen wolle, müsse sich in gleicher Weise auch die negativen Erfahrungen zurechnen lassen, so das Gericht. Es könne nicht sein, dass ein Unternehmen sich selektiv nur auf die positiven Aspekte der Unternehmenshistorie beziehe, während es sich gleichzeitig den negativen entziehe.
4. Kein Überwiegen des Persönlichkeitsrechts
Abschließend stellte das LG Fulda fest, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin nicht verletzt sei. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung müsse in diesem Fall hinter dem öffentlichen Interesse an einer wahrheitsgemäßen Berichterstattung zurücktreten. Es handele sich bei den Bewertungen weder um Schmähkritik noch um unwahre Tatsachenbehauptungen, sondern um zulässige äußerungsrechtliche Inhalte im Rahmen des Art. 5 GG.
Juristische Bewertung und Konsequenzen
Das Urteil stellt klar: Eine faktische Fortführung des Geschäftsbetriebs hat zur Folge, dass auch die Reputationswirkungen des Vorgängerunternehmens fortwirken. Die Abgrenzung kann nicht allein über die rechtliche Struktur (z. B. GmbH-Neugründung, Asset-Deal) erfolgen, sondern muss durch äußerliche, organisatorische und kommunikative Veränderungen belegt werden.
Der Fall zeigt exemplarisch:
- Der Kauf einer Domain mit Bewertungshistorie birgt erhebliche rechtliche und wirtschaftliche Risiken.
- Wer personell, organisatorisch und äußerlich mit einem alten Unternehmen eng verwoben ist, wird sich an dessen Online-Reputation messen lassen müssen.
- Das allgemeine Persönlichkeitsrecht bietet in solchen Konstellationen keinen umfassenden Schutz gegen berechtigte Kritik.
Handlungsempfehlungen für die Praxis
1. Due Diligence bei Domain- und Asset-Deals
Vor dem Erwerb von Domains oder wesentlichen Betriebsmitteln sollte eine umfassende Analyse durchgeführt werden:
- Welche Bewertungen sind vorhanden?
- Wer ist namentlich in Bewertungen genannt?
- Gibt es Einträge in Bewertungsportalen, Foren oder sozialen Netzwerken?
2. Klare Trennung schaffen
Wenn eine Neugründung erfolgt, sollte dies klar nach außen kommuniziert werden:
- Neuer Unternehmensname
- Wechsel der Adresse und Kontaktdaten
- Andere Website, andere Domain
- Eindeutiger Hinweis auf fehlende Rechtsnachfolge
3. Reputation aktiv managen
Die Reaktion auf bestehende Bewertungen ist entscheidend:
- Aktiv auf Bewertungen reagieren und um Aufklärung bemühen
- Neue positive Bewertungen generieren
- Bewertungsmanagement professionell aufsetzen
4. Juristische Beratung einholen
Eine fundierte Einschätzung der Rechtslage durch spezialisierten Rechtsbeistand ist dringend zu empfehlen. Denn nicht jede Bewertung ist zulässig. Gerade bei öffentlichen Schmähungen oder falschen Tatsachenbehauptungen besteht sehr wohl ein Löschungsanspruch.
Fazit: Ein deutliches Signal an Unternehmer
Die Entscheidung des LG Fulda liefert ein deutliches Signal: Die digitale Reputation eines Unternehmens endet nicht mit der Insolvenz oder der formalen Neugründung. Wer in der Öffentlichkeit als Fortführung eines bekannten Betriebs erscheint – sei es durch Adresse, Personal oder Domain – muss mit einer Übertragung der Bewertungslandschaft rechnen. Das gilt für positive wie für negative Inhalte.
Die Entscheidung sensibilisiert für ein wichtiges Thema im Spannungsfeld von digitaler Sichtbarkeit und unternehmerischer Verantwortung. Unternehmen sollten sich der Risiken bewusst sein und frühzeitig Überlegungen anstellen, wie sie sich rechtssicher und reputationsschonend aufstellen können.
Ansprechpartner
Frank Weiß
Frank Weiß
Andere über uns
WEB CHECK SCHUTZ
Gestalten Sie Ihre Internetseite / Ihren Onlineshop rechts- und abmahnsicher.
Erfahren Sie mehr über die Schutzpakete der Anwaltskanzlei Weiß & Partner für die rechtssichere Gestaltung Ihrer Internetpräsenzen.