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Lidl muss Elektrokleingeräte auch ohne Neukauf zurücknehmen

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Einleitung: Elektroschrott, Verbraucherschutz und die Verantwortung des Handels

Alte Kopfhörer, defekte Ladegeräte, ausgediente Rasierer: Jeder Haushalt produziert regelmäßig Elektroschrott – und steht dann vor der Frage: Wohin damit? Seit 2022 verpflichtet das Elektro- und Elektronikgerätegesetz (ElektroG) große Händler dazu, bestimmte Altgeräte kostenlos zurückzunehmen – auch ohne Neukauf. Doch was in der Theorie wie eine Selbstverständlichkeit klingt, scheitert in der Praxis oft an der Umsetzung.

Ein aktuelles Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz (Az.: 9 U 1090/24 – Urteil vom 11. Februar 2025) bringt nun Klarheit. Die Richter entschieden: Lidl muss Elektrokleingeräte bis 25 cm auch ohne Neukauf zurücknehmen – und die Weigerung stellt einen Wettbewerbsverstoß dar.

1. Der Sachverhalt – Was ist passiert?

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), bekannt für ihre strategischen Klagen zum Umwelt- und Verbraucherschutz, führte im Rahmen eines Marktchecks Testbesuche in zwei Lidl-Filialen durch. In beiden Fällen versuchten Testpersonen, Elektrokleingeräte wie Kopfhörer und Ladegeräte zur Entsorgung abzugeben. Die Verkaufsfläche der Filialen lag jeweils über 800 m² über der gesetzlichen Grenze, ab der Händler zur Rücknahme verpflichtet sind.

Doch in beiden Filialen wurde die Rücknahme verweigert – mit der Begründung, ein Neukauf sei Voraussetzung für die Entgegennahme. Die DUH sah hierin einen Verstoß gegen das ElektroG sowie einen unlauteren Wettbewerbsvorteil gegenüber rechtstreu handelnden Mitbewerbern – und reichte Klage ein.

Das Landgericht Mainz (Az. 5 HK O 15/23) wies die Klage zunächst ab. Doch das OLG Koblenz gab der Berufung der DUH in vollem Umfang statt.

2. Die Rechtslage – Rücknahmepflichten nach dem Elektrogesetz (§ 17 ElektroG)

a) Wer ist rücknahmepflichtig?

Nach § 17 Abs. 1 ElektroG gilt:

„Vertreiber mit einer Verkaufsfläche für Elektro- und Elektronikgeräte von mindestens 400 m² sind verpflichtet, Altgeräte unentgeltlich zurückzunehmen.“

Lebensmitteleinzelhändler wie Lidl fallen unter diese Regelung, sofern sie Elektrogeräte mehrmals im Jahr im Sortiment führen (z.B. als Aktionsware) und eine Verkaufsfläche über 800 m² aufweisen.

b) Wann muss zurückgenommen werden – auch ohne Neukauf?

Bei Altgeräten mit einer Kantenlänge unter 25 cm (z.B. Rasierer, elektrische Zahnbürsten, Mobiltelefone, Fernbedienungen etc.) besteht eine unbedingte Rücknahmepflicht, d.h. auch ohne Neukauf. (§ 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ElektroG)

Ein Neukauf ist nur bei größeren Geräten (z.B. Fernsehern, Kühlschränken) Rücknahmevoraussetzung (§ 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ElektroG).

3. Die Entscheidung des OLG Koblenz im Detail

a) Wettbewerbsverstoß durch Unterlassen einer Marktverhaltensregel

Das OLG stellt fest, dass Lidl durch die Weigerung, Altgeräte entgegenzunehmen, gegen § 3a UWG verstoßen hat:

„Die Vorschrift des § 17 ElektroG ist eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG. Verstöße hiergegen sind zugleich lauterkeitsrechtlich relevant.“

b) Kein Rechtsmissbrauch der DUH

Lidl warf der DUH vor, systematisch durch Testkäufe Abmahnungen zu generieren – ein Vorwurf, der regelmäßig in Verfahren gegen Verbraucherschutzorganisationen erhoben wird.

Doch das OLG stellt klar: Die DUH handelte nicht rechtsmissbräuchlich. Es liege ein legitimes Testverhalten vor, das gerade dazu diene, Verstöße gegen Umweltvorgaben aufzudecken.

c) Glaubwürdigkeit der Aussagen – Testkäufer vs. Mitarbeiterin

Die Aussagen der DUH-Testkäufer wurden vom OLG als glaubhaft und detailliert geschildert angesehen. Die von Lidl benannte Mitarbeiterin hingegen konnte sich an den Vorfall nicht mehr erinnern. Das Gericht legt ausführlich dar, dass es daher den Angaben der DUH folgt.

4. Begründung des Gerichts – Umwelt- und Verbraucherschutz im Mittelpunkt

Das Urteil liest sich wie eine Verteidigungsschrift für den Gesetzgeber:

„§ 17 ElektroG dient mithin dazu, dem Verbraucher eine möglichst einfache, ortsnahe und kostenlose Rückgabe der Altgeräte zu ermöglichen.“

„Da nach dem Willen des Gesetzgebers davon auszugehen ist, dass Verbraucher den Lebensmittelhandel regelmäßig zur Deckung des täglichen Bedarfs aufsuchen, wird den Endnutzern auf diese Weise die Rückgabe von Elektronikaltgeräten erleichtert […]“

Ziel ist es, Elektroschrott nicht in grauen Tonnen oder illegaler Entsorgung verschwinden zu lassen, sondern durch einfache Wege der geordneten Verwertung zuzuführen.

5. Auswirkungen in der Praxis – Was bedeutet das Urteil für den Einzelhandel?

a) Verpflichtung zur Rücknahme – auch ohne Kaufnachweis

Händler mit mehr als 800 m² Verkaufsfläche, die Elektrogeräte im Sortiment haben, müssen

  • Elektrokleingeräte bis 25 cm jederzeit annehmen,
  • keinen Kaufbeleg verlangen,
  • keine Rücknahme verweigern, weil kein Neukauf stattfindet.

b) Notwendigkeit von Schulungen und interner Organisation

Ein zentrales Problem in der Praxis: Unzureichend geschultes Personal. Das OLG betont: Händler müssen ihre Beschäftigten aktiv und korrekt über die Rücknahmepflicht informieren.

Verstöße durch Mitarbeiter können dem Unternehmen zugerechnet werden (§ 8 Abs. 2 UWG).

6. Gesellschaftliche Bedeutung – Rücknahmepflicht als Baustein der Kreislaufwirtschaft

Das Urteil stärkt das ElektroG als umweltpolitisches Steuerungsinstrument:

  • Sammelziele für Altgeräte sollen erreicht werden (65 % des Durchschnittsgewichts der in Verkehr gebrachten Geräte).
  • Illegale Entsorgung in Haushaltsmüll oder auf Deponien soll eingedämmt werden.
  • Ressourcenrückgewinnung aus Altgeräten wird gefördert.

Je einfacher die Rückgabe ist, desto eher nehmen Verbraucher daran teil – ein Prinzip, das der Gesetzgeber erkannt und das das OLG in seiner Urteilsbegründung voll unterstützt.

7. Juristische Bewertung – Ein Urteil mit Signalwirkung

a) Präzedenzwirkung

Das Urteil hat über den Einzelfall hinaus Bedeutung. Es stellt klar:

  • Die Rücknahmepflicht ist nicht nur theoretisch, sondern praktisch durchsetzbar.
  • Verstöße sind wettbewerbsrechtlich abmahnfähig.
  • Die DUH darf testen und Verstöße gerichtlich verfolgen.

b) Verfassungs- und unionsrechtliche Konformität

Das OLG bestätigt ausdrücklich: § 17 ElektroG ist verfassungsgemäß und mit EU-Recht vereinbar (insb. Richtlinie 2012/19/EU über Elektro- und Elektronik-Altgeräte).

8. Fazit – Ein Weckruf für den Handel, ein Erfolg für Verbraucher und Umwelt

Mit klaren Worten und konsequenter Argumentation hat das OLG Koblenz ein Urteil gefällt, das in vielerlei Hinsicht wegweisend ist. Es verpflichtet große Handelsunternehmen wie Lidl zur Verantwortung und schützt dabei nicht nur das Recht der Verbraucher, sondern auch das ökologische Gleichgewicht.

Für Verbraucher bedeutet das Urteil: Kein Umweg mehr zur Entsorgungsstation – Elektrokleingeräte können bequem beim nächsten Einkauf abgegeben werden.

Für Händler bedeutet es: Es reicht nicht, gesetzliche Pflichten auf dem Papier zu erfüllen – sie müssen auch gelebt und organisiert werden.

Für die Umwelt bedeutet es: Mehr Altgeräte in den Recyclingkreislauf – weniger Ressourcenverschwendung und illegale Entsorgung.

Sie sind Händler, Hersteller oder Verbraucher und haben Fragen zur Rücknahmepflicht oder zu Ihren Rechten?

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