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LIDL muss auch zerdrückte Pfanddosen zurücknehmen

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Die Rückgabe von Einwegpfandverpackungen gehört zum Alltag vieler Verbraucher. Doch was passiert, wenn eine Pfanddose deformiert ist? Müssen Supermärkte diese dennoch annehmen? Das Oberlandesgericht Stuttgart hat in einem vielbeachteten Urteil klargestellt: Ja – auch zerdrückte Dosen mit sichtbarem Pfandlogo und lesbarem Barcode müssen zurückgenommen werden.

Das Verfahren richtete sich gegen den Discounter LIDL, der sich weigerte, deformierte Dosen zurückzunehmen. Was als scheinbar banaler Einzelfall begann, mündete in einem grundsätzlichen verbraucherrechtlichen Urteil, das die Pflichten von Handelsunternehmen beim Pfandsystem deutlich betont.

 

 

Der zugrunde liegende Sachverhalt

Ausgangspunkt war ein Vorfall in einer Filiale von LIDL am 27. Mai 2021. Ein Verbraucher hatte dort versucht, zwei verformte, aber restentleerte Einwegpfanddosen zurückzugeben. Diese waren deutlich mit dem Pfandlogo gekennzeichnet und wiesen jeweils eine lesbare EAN (also einen Barcode) auf.

Dennoch verweigerte das Verkaufspersonal – nach einem Fehlschlag des Rücknahmeautomaten – die Annahme der beiden Dosen. Die Mitarbeiter erklärten, die Gebinde seien zu stark deformiert. Eine manuelle Erfassung und Rücknahme erfolgte nicht. Der Kunde ging daraufhin zur Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, die LIDL abmahnte – und letztlich klagte.

Die Verbraucherzentrale sah in der Weigerung einen klaren Rechtsverstoß. Nach ihrer Ansicht ist der Händler gesetzlich zur Rücknahme aller pfandpflichtigen Einweggetränkeverpackungen verpflichtet, sofern die Zuordnung zum Pfandsystem möglich ist – unabhängig vom äußeren Zustand der Verpackung.

Erste Instanz: Das Landgericht Stuttgart gibt der Klage statt

Bereits das Landgericht Stuttgart teilte diese Auffassung. Es stellte fest, dass die beiden Dosen eindeutig dem Pfandsystem zuzuordnen waren, da sowohl das Pfandlogo als auch die Barcodes klar erkennbar gewesen seien. LIDL hätte sie deshalb zurücknehmen und den Pfandbetrag auszahlen müssen.

Die Beklagte – also LIDL – legte gegen das Urteil Berufung zum OLG Stuttgart ein. Sie argumentierte, es handle sich um ein Versehen im Einzelfall. Die Pfanddosen seien so stark beschädigt gewesen, dass keine ordnungsgemäße Rücknahme möglich gewesen sei. Zudem sei nicht erkennbar gewesen, ob es sich tatsächlich um pfandpflichtige Gebinde gehandelt habe.

Die Entscheidung des OLG Stuttgart: Auch beschädigte Dosen müssen zurückgenommen werden

Das OLG Stuttgart bestätigte mit Urteil vom 15.06.2023 – Az.: 2 U 32/22 die erstinstanzliche Entscheidung – und machte in seiner Begründung deutlich, dass Handelsunternehmen wie LIDL nicht beliebig Kriterien erfinden dürfen, um die Rücknahme zu verweigern.

1. Gesetzliche Grundlage: § 31 Abs. 1 VerpackG

Zentrale Norm für die Entscheidung war § 31 Abs. 1 des Verpackungsgesetzes (VerpackG). Diese Vorschrift verpflichtet Händler, pfandpflichtige Einweggetränkeverpackungen unabhängig vom Ort der Ausgabe zurückzunehmen.

Das Gericht stellte klar: Der Rücknahmeanspruch gilt nicht nur für unversehrte, sondern auch für deformierte Verpackungen, solange sie dem Pfandsystem zugeordnet werden können. Entscheidend ist also, dass Pfandlogo und EAN erkennbar sind.

Das war hier der Fall – unstreitig waren die beiden Dosen mit Pfandlogo versehen, und die Barcodes waren lesbar.

2. Kein berechtigtes Interesse an „pfleglicher Behandlung“ der Verpackung

LIDL hatte geltend gemacht, man müsse sich darauf verlassen können, dass Pfandverpackungen „pflegeleicht“ zurückgegeben würden. Beschädigte Dosen ließen sich unter Umständen nicht mehr maschinell verarbeiten.

Das OLG ließ dieses Argument nicht gelten:

„Ein Interesse des Unternehmers an einer pfleglichen Behandlung der Pfandsache besteht (...) angesichts der ohnehin anstehenden Zerstörung der Einweggetränkeverpackung nicht.“

Denn: Anders als bei Mehrwegflaschen, bei denen ein funktionierender Kreislauf auf Wiederverwendung basiert, werden Einwegdosen ohnehin vernichtet und recycelt. Es spielt daher keine Rolle, ob sie zerdrückt sind – das Ziel ist nicht Wiederverwendung, sondern Rohstoffgewinnung.

3. Fehlverhalten des Personals ist dem Unternehmen zuzurechnen

LIDL argumentierte weiter, es habe sich allenfalls um ein Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter gehandelt – ein einmaliges Versehen. Auch hier machte das OLG Stuttgart deutlich:
Einzelfall-Versehen entlasten nicht.

Nach § 8 Abs. 2 UWG wird ein Verstoß eines Mitarbeiters dem Unternehmen zugerechnet, selbst wenn es sich um einen Aushilfsjob oder eine geringfügige Beschäftigung handelt.

„Es obliegt dem Unternehmer, sein Personal adäquat zu schulen. Dies gilt auch für geringfügig Beschäftigte.“

Das Gericht betonte ausdrücklich: Wer als Unternehmen bewusst von günstigen Arbeitsmodellen profitiert, muss auch die organisatorischen Risiken tragen. Unwissenheit oder rechtliche Fehleinschätzung einzelner Mitarbeiter kann nicht zu Lasten des Verbrauchers gehen.

4. Spürbarer Wettbewerbsverstoß – auch bei geringem Betrag

LIDL hatte außerdem versucht, die Klage als unverhältnismäßig darzustellen. Immerhin gehe es nur um ein paar Cent Pfand. Das OLG konterte auch dieses Argument deutlich:

„Der gerügte Verstoß ist für den Verbraucher spürbar. Er wirkt sich ohne Weiteres in einem, wenngleich regelmäßig geringen, finanziellen Nachteil aus.“

Mit anderen Worten: Es spielt keine Rolle, wie hoch der konkrete finanzielle Verlust ist – entscheidend ist, dass der Rechtsverstoß prinzipiell geeignet ist, Verbraucherinteressen zu beeinträchtigen. Damit liegt ein spürbarer Wettbewerbsverstoß vor, der einen Unterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 UWG rechtfertigt.

Fazit: Rechte von Verbrauchern deutlich gestärkt

Das Urteil des OLG Stuttgart hat eine klare Signalwirkung für den Handel:
Die Rücknahmepflicht für pfandpflichtige Einwegverpackungen ist strikt und lässt kaum Spielraum. Auch beschädigte oder zerdrückte Dosen müssen zurückgenommen werden, sofern die Identifizierung durch Pfandlogo und Barcode möglich ist.

Unternehmen wie LIDL können sich weder auf Versehen einzelner Mitarbeiter noch auf die optische Unansehnlichkeit der Gebinde berufen. Wer sich nicht an diese Vorgaben hält, verstößt gegen das Verpackungsgesetz – mit wettbewerbsrechtlichen Konsequenzen.

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