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Wettbewerbswidrige Kundenbewertungen auf Hersteller-Website

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Kurzeinleitung – Warum dieses Thema für Unternehmen brisant ist

Kundenbewertungen sind heute das Aushängeschild eines Produkts – oft sogar entscheidender als die Produktbeschreibung selbst. Doch was passiert, wenn in diesen Bewertungen Aussagen stehen, die das Produkt besser darstellen, als es tatsächlich ist? Und was, wenn diese Aussagen gar nicht vom Unternehmen selbst stammen, sondern von Kunden?

Genau hier liegt der spannende Streitpunkt, mit dem sich das Landgericht Frankfurt am Main in einem aktuellen Urteil (Urt. v. 20.12.2024 – Az.: 3-08 O 38/22) auseinandergesetzt hat. Der Fall ist nicht nur juristisch interessant – er zeigt auch, wie schnell ein scheinbar harmloses Bewertungssystem rechtlich zur Falle werden kann.

Der Sachverhalt: Graue Haare, Mandarinenextrakt und zweifelhafte Versprechen

Ein Kosmetikhersteller hatte auf seiner Unternehmenswebsite eine sogenannte Haartinktur mit Mandarinenextrakt angeboten. Beworben wurde das Produkt als „natürliche Alternative bei grauen Haaren“ – die Tinktur sollte angeblich graue Haare reduzieren.

Neben den offiziellen Werbetexten fanden sich auf der Website auch mehrere Kundenbewertungen, darunter Aussagen wie:

  • „Meine Haare haben einen schönen Farbton bekommen ... keinen Ansatz mehr vom Färben“
  • „Ich nutze (…) fast jeden Morgen. Die Wirkung ist nach wenigen Wochen sichtbar. Färben werde ich meine Haare nun nicht mehr.“

Das Problem: Die Wirkung, mit der geworben wurde – also die Reduzierung grauer Haare – konnte wissenschaftlich nicht belegt werden. Ein Verbraucherschutzverband klagte daher auf Unterlassung wegen irreführender Werbung.

Die zentrale Frage: Muss der Hersteller auch für Kundenbewertungen haften?

Im Kern drehte sich der Rechtsstreit um eine juristisch sehr spannende Fragestellung:

Sind irreführende Aussagen in Kundenbewertungen auf der Herstellerwebsite dem Unternehmen rechtlich zuzurechnen – also so, als hätte es diese Aussagen selbst gemacht?

Das Landgericht Frankfurt a.M. beantwortete diese Frage klar mit Ja – und begründete das sehr ausführlich.

Kernaussagen des Urteils – das LG Frankfurt a.M. macht klare Ansagen

1. Zurechnung wegen „Zueigenmachens“ der Kundenäußerungen

Das Gericht stellte fest, dass das Unternehmen die Aussagen nicht einfach nur geduldet, sondern sich inhaltlich zu eigen gemacht hat. Warum?

  • Die Kundenbewertungen wurden prominent und gezielt herausgehoben.
  • Es handelte sich nicht um zufällig dargestellte Meinungen, sondern um besonders positive Auszüge, die außerhalb des Bewertungstools präsentiert wurden – quasi als Testimonial.
  • Die Präsentation wirkte wie eine eigene Werbeaussage des Unternehmens.

Das Gericht formulierte wörtlich:

„Diese sind der Beklagten als eigene Werbehandlungen zuzurechnen.“

Damit schloss sich das LG Frankfurt der bereits bekannten BGH-Rechtsprechung an (BGH GRUR 2020, 543), die betont:

„Zueigenmachen“ liegt vor, wenn ein Unternehmen die inhaltliche Verantwortung für fremde Aussagen übernimmt oder den Anschein erweckt, sich mit ihnen zu identifizieren.

2. Auch das Bewertungssystem selbst kann eine Werbehandlung sein

Das Gericht ging noch einen Schritt weiter: Schon das Einrichten eines eigenen Bewertungssystems auf der Herstellerseite stellt eine bewusste Marketingentscheidung dar. Denn: Das Ziel ist klar – Vertrauen aufbauen durch positive Kundenstimmen.

In der Urteilsbegründung heißt es:

„Wenn die Einrichtung mit dem Zweck geschieht, dass insbesondere positive Bewertungen erwartet werden und damit das Vertrauen in das eigene Produkt beim Verkehrskreis gesteigert werden soll, (…) so liegen die Dinge hier.“

3. Keine Berufung auf Plattform-Rechtsprechung möglich

Das Unternehmen argumentierte, es handle sich doch nur um fremde Kundenmeinungen – wie auf Amazon oder eBay. Aber: Diese Argumentation ließ das Gericht nicht gelten.

Denn: Bei Plattformen wie Amazon hat der Händler keinen Einfluss auf das Bewertungssystem – er kann es weder steuern noch entfernen.

Hier aber liegt die Sache anders:

  • Das Unternehmen betreibt die Seite selbst.
  • Es entscheidet über das Bewertungssystem.
  • Es kann jederzeit eingreifen, moderieren oder deaktivieren.

Daher sah das Gericht eine klare Zurechnungspflicht.

Juristische Bewertung – Warum dieses Urteil ein Weckruf für Unternehmen ist

Das Urteil des LG Frankfurt a.M. ist deutlich, konsequent und für viele überraschend. Die Richter haben den Werbebegriff weit ausgelegt und betont, dass auch Kundenbewertungen auf der eigenen Website als Werbung gelten, wenn sie gezielt eingesetzt oder prominent dargestellt werden.

Diese Einschätzung basiert nicht auf Formalitäten, sondern auf dem Zweck der Darstellung: Wird eine Kundenbewertung strategisch genutzt, um Produkte besser dastehen zu lassen, ist sie keine neutrale Meinung mehr, sondern Teil der Werbebotschaft.

Das rechtliche Herzstück: „Zueigenmachen“

Ob eine fremde Äußerung einem Unternehmen zugerechnet werden kann, hängt maßgeblich davon ab, ob dieses sich die Aussage „zu eigen gemacht“ hat. Das passiert typischerweise dann, wenn:

  • das Unternehmen sie hervorhebt oder herausstellt,
  • sie außerhalb eines üblichen Bewertungstools eingebettet ist,
  • sie gezielt für werbliche Zwecke verwendet wird, z. B. als „Top-Bewertung“ oder „Kundenliebling“.

Im konkreten Fall war genau das geschehen:
Die positiven Bewertungen waren nicht eingebettet in das reguläre Bewertungstool, sondern wie Zitate direkt auf der Produktseite ins Rampenlicht gerückt worden. Genau das genügte dem Gericht, um von einem Zueigenmachen und damit einer vollen Zurechenbarkeit auszugehen.

Folgen für Unternehmen – warum dieses Urteil keine Ausnahme ist

Für Unternehmen, die auf ihren eigenen Websites Kundenbewertungen zulassen oder gar hervorheben, ergibt sich aus diesem Urteil eine klare Konsequenz:

Sie haften für rechtswidrige Inhalte in diesen Bewertungen – als wären es ihre eigenen.

Das bedeutet konkret:

  • Wird ein Produkt durch Bewertungen fälschlich als wirksam, gesundheitsfördernd, heilend, besonders wirksam oder anders überlegen dargestellt – und diese Wirkung kann nicht bewiesen werden –, liegt irreführende Werbung vor.
  • Diese Irreführung kann abgemahnt, verboten oder sogar mit Bußgeldern belegt werden.
  • Der Umstand, dass die Aussagen nicht vom Unternehmen selbst stammen, spielt keine Rolle, wenn sie auf der eigenen Website erscheinen und hervorgehoben werden.

Kritisch ist insbesondere:

  • Wenn einzelne Bewertungen kuratiert und als Zitat in Szene gesetzt werden,
  • wenn Kundenbewertungen außerhalb eines neutralen Tools abgebildet werden,
  • oder wenn der Eindruck entsteht, das Unternehmen identifiziere sich mit dem Inhalt.

Was Unternehmen jetzt tun sollten – 5 klare Handlungsempfehlungen

1. Kundenbewertungen nicht unkommentiert übernehmen
Wer Kundenstimmen auf der eigenen Website nutzt, sollte diese nicht willkürlich oder selektiv darstellen, sondern vollständig und neutral einbinden, z. B. über zertifizierte Bewertungstools (wie Trustpilot, ProvenExpert, Google Reviews).

2. Keine Bewertung „aus dem Kontext reißen“
Besonders positiv klingende Sätze aus Bewertungen sollten nicht separat zitiert oder grafisch hervorgehoben werden – jedenfalls nicht ohne Prüfung auf wettbewerbsrechtliche Unbedenklichkeit.

3. Keine Aussagen zulassen, die medizinische oder heilende Wirkung suggerieren
Gerade im Gesundheits-, Beauty- und Nahrungsergänzungsbereich sind Aussagen über Wirkung heikel. Aussagen wie „macht jünger“, „heilt“, „reduziert graue Haare“ oder „strafft“ sind nur zulässig, wenn sie wissenschaftlich nachweisbar sind.

4. Bewertungssysteme regelmäßig prüfen (Monitoring!)
Ein eigenes Bewertungssystem muss überwacht werden. Unternehmen sind gut beraten, regelmäßig zu prüfen, ob Inhalte irreführend, beleidigend, rechtswidrig oder wettbewerbsverstoßend sind.

5. Im Zweifel: Rechtsberatung einholen, bevor Bewertungen publiziert werden
Nicht jede Kundenmeinung darf ungeprüft veröffentlicht werden. Gerade bei Aussagen zu Wirksamkeit, Gesundheit oder Qualität ist eine rechtliche Prüfung vor der Veröffentlichung empfehlenswert – vor allem, wenn die Bewertung auf der Website besonders in Szene gesetzt werden soll.

Fazit – Kundenbewertungen sind (auch) Werbung

Das Urteil des LG Frankfurt a.M. ist ein deutliches Signal an Unternehmen aller Branchen:

Wer Kundenstimmen auf der eigenen Website veröffentlicht – erst recht prominent –, übernimmt auch die Verantwortung für deren Inhalte.

Diese Verantwortung kann rechtlich sehr weit gehen. Schon der Eindruck, dass ein Unternehmen sich mit einer Bewertung identifiziert, kann ausreichen, um daraus eine eigene Werbeaussage zu machen. Und damit haftet das Unternehmen für irreführende Aussagen genauso, als hätte es sie selbst formuliert.

Kurzum: Kundenbewertungen sind kein rechtsfreier Raum – vor allem nicht, wenn Unternehmen sie bewusst zur Verkaufsförderung einsetzen.

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