Krawattenpflicht für Strafverteidiger

Rechtsanwälte, die ohne den eigentlich obligatorischen weißen Langbinder im Gerichtssaal erscheinen, bleiben seit etlichen Jahren in vielen Fällen von sitzungspolizeilichen Maßnahmen des Gerichts unbehelligt. Einem Großteil der deutschen Richterschaft scheint die Frage, ob ein Anwalt mit oder ohne Krawatte zur Rechtsfindung beiträgt, mittlerweile unerheblich zu erscheinen. In einigen Bundesländern wurde diesem Trend vom Gesetzgeber Rechnung getragen und über die Liberalisierung der einschlägigen Bekleidungsvorschriften beraten. So trat in Baden-Württemberg 2014 eine Amtstrachtverordnung in Kraft, nach der die anwaltliche Krawattenpflicht entfällt.
Allerdings gibt es auch immer wieder Richter, die durch das Nichtanlegen des weißen Stoffstreifens die Würde des Gerichts verletzt sehen und dementsprechend Anwälte von der betreffenden Sitzung ausschließen oder sie als nichtanwesend klassifizieren.
So hatte ein Vorsitzender Richter einer Strafkammer am Landgericht München II am 10. August 2011 einen Starnberger Verteidiger, der in Robe und weißem Hemd, aber krawattenlos bei einer Hauptverhandlung vor Gericht erschienen war, mehrmals aufgefordert, seine Berufstracht durch eine weiße Krawatte zu vervollständigen. Der Anwalt weigerte sich. Daraufhin wurde der Anwalt als Verteidiger zurückgewiesen. Gegen diese Zurückweisung legte der Anwalt Beschwerde beim Oberlandesgericht München ein. Die Münchener OLG-Richter wiesen die Beschwerde des Anwalts ab. Dabei stellten sie unter anderem auf § 176 Gerichtsverfassungsgesetz ab, wonach die Aufrechterhaltung der Ordnung während der Sitzung dem Vorsitzenden Richter obliegt. Nach in Bayern herrschendem Gewohnheitsrecht sei, so die OLG-Richter, das Anlegen von Weiß-Langbindern auch für Anwälte verbindlich. Unerheblich in diesem Zusammenhang sei, dass die berufsständischen Vorschriften für Rechtsanwälte beim Erscheinen vor einem Strafgericht lediglich das Anlegen einer Robe als Berufstracht vorgeben (§ 20 BerufsO für Rechtsanwälte).
Mit dieser Entscheidung mochte sich der betroffene Anwalt nicht abfinden. Er legte beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde ein. Der Jurist sah seine grundgesetzlichen Rechte aus Art. 3 GG (Gleichheitsgebot), Art. 12 GG (Freie Berufsausübung) und Art. 20 III GG (Bindung der rechtsprechenden Gewalt an Gesetz und Recht) verletzt.
Die obersten deutschen Richter sahen aber die Voraussetzungen für die Annahme der Beschwerde als nicht gegeben an und wiesen den Beschwerdeantrag des Anwalts unanfechtbar ab. Sie hielten den Antrag in Hinsicht auf eine Verletzung von grundgesetzlichen Rechten des Anwalts aus Art. 3 und Art. 20 für unzulässig, weil nicht hinreichend begründet.
In Hinsicht auf eine mögliche Verletzung des Grundrechts auf freie Berufsausübung (Art. 12 GG) durch die Abweisung in der Sitzung wegen fehlender Krawatte sahen die Bundesverfassungsrichter dagegen Zulässigkeit und Begründetheit zunächst für gegeben an. Allerdings lehnten die Richter dennoch die Beschwerde ab, weil sie nicht erkennen konnten, dass der angestrebten Entscheidung grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukomme (Art. 93 a II GG). Art. 93 a GG stelle aber die Voraussetzung für die Annahme einer Verfassungsbeschwerde dar.
In der Begründung zu der bei Anwälten zu teilweise empörten Reaktionen führenden Entscheidung räumte das Gericht ein, dass die sitzungspolizeiliche Maßnahme des LG-Vorsitzenden als rechtlich bedenklich und überzogen erscheinen mag. Die aber lediglich geringe Eingriffsintensität aufweisende und dadurch mit früherer BVerfG-Rechtsprechung in Einklang stehende Maßnahme habe das Grundrecht des Anwalts nicht in einer Weise beschränkt, die sein Recht auf freie Berufsausübung in existenzieller und damit Verfassungsbeschwerde begründenden Weise beeinträchtigt habe. Zumal der Verteidiger vom Gericht zu einem neuen Hauptverhandlungstermin geladen worden sei. Dem Verteidiger sei unter anderem hinsichtlich der Interessen seines Mandanten auch durchaus zuzumuten, in Zukunft eine Krawatte anzulegen.
BVerfG, Beschluss v. 13.03.2013, Az. 1 BvR 210/12
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