Kerngleichheit beim Unterlassungsanspruch: Die Kerntheorie

Stellen Sie sich vor, ein Unternehmen wird gerichtlich dazu verurteilt, eine irreführende Werbeanzeige nicht mehr zu verbreiten. Doch anstatt die Praxis einzustellen, passt es den Werbetext nur leicht an, ändert die Farbgebung und verschiebt das Logo – die Kernaussage bleibt jedoch dieselbe. Darf das Unternehmen sich nun auf eine vermeintlich neue Darstellung berufen, um das Verbot zu umgehen? Genau hier greift die Kerntheorie, ein zentrales Prinzip des deutschen Rechts, das sicherstellt, dass der Sinn und Zweck eines gerichtlichen Unterlassungstitels nicht durch minimale Änderungen ausgehöhlt wird.
Die Kerntheorie spielt insbesondere im Wettbewerbsrecht, Urheberrecht und Markenrecht eine entscheidende Rolle. Sie stellt sicher, dass ein Verbot nicht nur für die konkret untersagte Handlung gilt, sondern auch für solche, die im Kern den gleichen rechtswidrigen Charakter aufweisen. Doch wo liegen die Grenzen dieses Ansatzes? Wann ist eine Abwandlung noch kerngleich, und wann handelt es sich um eine völlig neue Handlung, die nicht mehr unter das Verbot fällt?
In diesem Beitrag werfen wir einen detaillierten Blick auf die verfassungsmäßigen Grundlagen, die Reichweite und die Grenzen der Kerntheorie. Anhand einschlägiger Gerichtsurteile und praxisnaher Beispiele zeigen wir, wie die Rechtsprechung mit der Herausforderung umgeht, einerseits Rechtsverstöße wirksam zu unterbinden und andererseits sicherzustellen, dass Unternehmen nicht unverhältnismäßig in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt werden. Ob Sie als Jurist, Unternehmer oder Interessierter tiefer in die Materie eintauchen möchten – dieser Artikel gibt Ihnen ein umfassendes Verständnis darüber, warum die Kerntheorie ein unverzichtbares Instrument zur Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen ist.
Das Wichtigste in Kürze:
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Kerntheorie als Schutz vor Umgehung: Die Kerntheorie verhindert, dass durch minimale Änderungen eine gerichtliche Unterlassungsverfügung umgangen wird. Auch leicht abgewandelte, aber inhaltlich gleichartige Verstöße fallen unter das Verbot.
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Relevanz in verschiedenen Rechtsgebieten: Besonders im Wettbewerbs-, Urheber- und Markenrecht sorgt die Kerntheorie für eine effektive Durchsetzung von Verboten, indem sie sicherstellt, dass nicht nur identische, sondern auch kerngleiche Handlungen untersagt bleiben.
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Grenzen und rechtliche Klarheit: Ein Unterlassungstitel muss klar formuliert sein, damit Betroffene genau wissen, welche Handlungen unzulässig sind. Gleichzeitig darf die Auslegung nicht zu weit gehen, um eine unverhältnismäßige Einschränkung der Handlungsfreiheit zu vermeiden.
Grundlagen und Grenzen der Kerntheorie
Inhalt der Kerntheorie
Beschränkung auf konkrete Verletzungsform
Beispiele für kerngleiche Verstöße
Grundlagen und Grenzen der Kerntheorie
Die Kerntheorie hat im deutschen Recht eine erhebliche Bedeutung, insbesondere bei der Auslegung von Unterlassungstiteln und der Frage, wie weit deren Schutzbereich reicht. Sie stellt sicher, dass das Verbot von Rechtsverletzungen nicht nur exakt identische Taten umfasst, sondern auch solche, die im Kern den gleichen rechtlichen Schaden verursachen, selbst wenn sie in Details variieren. Diese Theorie ist besonders relevant im Wettbewerbsrecht, im Urheberrecht und in anderen Bereichen, in denen es um die Verhinderung unlauterer Praktiken geht. Um die Kerntheorie zu verstehen, muss man sich zunächst mit ihren verfassungsmäßigen Grundlagen sowie ihren Grenzen beschäftigen.
Verfassungsmäßige Grundlagen der Kerntheorie
Ein zentrales Element der Kerntheorie ist der allgemeine Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG, der als Verbot objektiver Willkür fungiert. Dieser verpflichtet die Rechtsprechung dazu, Entscheidungen zu treffen, die sich auf nachvollziehbare und sachliche Erwägungen stützen. Wird jedoch ein Unterlassungsgebot oder eine Unterlassungserklärung in einer Art und Weise ausgelegt, die sachfremd oder willkürlich erscheint, kann dies gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen. Ein Beispiel hierfür ist der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 13. April 2022 (1 BvR 1021/17), in dem das Gericht klarstellte, dass ein Richterspruch dann als willkürlich angesehen wird, wenn er unter keinem rechtlichen Aspekt mehr vertretbar ist (BVerfG, Beschluss vom 13.04.2022, Tz. 17):
Gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Ausprägung als Verbot objektiver Willkür (Art. 3 Abs. 1 GG) verstößt ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher – ohne dass es auf schuldhaftes Handeln ankäme – der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht.
Die Kerntheorie ist jedoch in der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH anerkannt. Sie beruht auf der Erkenntnis, dass der Schutzumfang eines Unterlassungsgebots nicht nur die exakt verbotene Handlung umfasst, sondern auch solche, die zwar im Detail abweichen, aber dennoch den „Kern“ der ursprünglichen Rechtsverletzung weitertragen. Diese Auslegung ermöglicht eine effektivere Durchsetzung von Unterlassungsansprüchen und schützt vor einer Umgehung des Rechts durch subtile Abweichungen der Verhaltensweisen. In diesem Zusammenhang heißt es im Beschluss des BVerfG vom 13.04.2022:
Es ist unbedenklich, bei der Auslegung eines Unterlassungstitels die in ständiger fachgerichtlicher Rechtsprechung entwickelte ‚Kerntheorie’ zur Anwendung zu bringen, wonach der Schutzumfang eines Unterlassungsgebots dem Schuldner erkennbar nicht nur die Verletzungsfälle, die mit der verbotenen Form identisch sind, sondern auch solche kerngleichen Verletzungshandlungen umfassen kann, in denen ungeachtet etwaiger Abweichungen im Einzelnen das Charakteristische der ursprünglichen Verletzungshandlung zum Ausdruck kommt.
In diesem Kontext wird die Kerntheorie als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen, da sie der praktischen Notwendigkeit dient, ein Unterlassungsgebot nicht nur auf identische Verletzungshandlungen zu beschränken, sondern auch auf solche, die im Kern denselben Schaden anrichten (BVerfG, Beschluss vom 13.04.2022). Eine Einschränkung des Schutzbereichs nur auf exakt gleich gelagerte Fälle würde in vielen Fällen die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs erheblich erschweren und dem Schutz des betroffenen Rechts nicht gerecht werden.
Grenzen der Kerntheorie
Trotz ihrer praktischen Relevanz gibt es jedoch Grenzen für die Anwendung der Kerntheorie, die vor allem durch den Grundsatz der Bestimmtheit und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des Rechtsrahmens bestimmt werden.
1. Bestimmtheitsgebot
Das Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) verlangt, dass ein Unterlassungsgebot so formuliert sein muss, dass der betroffenen Partei klar ersichtlich ist, welche Verhaltensweisen verboten sind. Eine zu weite oder unklare Auslegung des Verbots kann dazu führen, dass die betroffene Person nicht mehr eindeutig erkennen kann, was konkret von ihr verlangt wird, und somit einer unverhältnismäßigen Einschränkung ihrer Handlungsfreiheit unterworfen wird. Im Falle der Auslegung eines Unterlassungstitels muss daher stets erkennbar sein, welche Handlungen erfasst werden und welche nicht. Anderenfalls könnte der Unterlassungsschuldner in der Praxis dazu gezwungen sein, auch solche Handlungen zu unterlassen, die in keinem rechtlichen Sinne als Verletzung des ursprünglichen Verbots anzusehen sind. Das wäre nicht nur unbillig, sondern auch verfassungsrechtlich problematisch (BVerfG, Beschluss vom 13.04.2022):
Stets muss im Vollstreckungsverfahren erkennbar sein, welche Verhaltensweisen vom Verbot erfasst und welche ausgenommen sind. Anderenfalls ist der Betroffene dem Druck ausgesetzt, zur Vermeidung einer Vollstreckungsmaßnahme nach § 890 ZPO auch Verhaltensweisen zu unterlassen, die unbedenklich sind.
Ein weiteres Beispiel aus der Praxis ist der Fall des BGH-Urteils vom 6. Februar 2013 (I ZB 79/11), in dem es um die Reichweite von Umsatzangaben ging. Der BGH stellte fest, dass eine allzu weite Auslegung des Verbots im Vollstreckungsverfahren nicht zulässig ist, wenn dies nicht ausdrücklich Teil des Erkenntnisverfahrens war. Es muss klar erkennbar sein, welche Verhaltensweisen unter das Verbot fallen:
Eine allzu weite Auslegung des Verbots im Vollstreckungsverfahren ist unzulässig, wenn dies nicht ausdrücklich im Erkenntnisverfahren als Teil des Titelinhalts geregelt wurde. Es muss klar erkennbar sein, welche Handlungen unter das Verbot fallen.
2. Verhältnismäßigkeit
Ein weiteres zentrales Grenzen der Kerntheorie ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der besagt, dass das verfolgte Ziel (z. B. der Schutz vor Wettbewerbsverstößen oder Urheberrechtsverletzungen) in einem angemessenen Verhältnis zu den Maßnahmen stehen muss, die ergriffen werden, um dieses Ziel zu erreichen. Das bedeutet, dass ein Unterlassungsgebot nicht zu weit gefasst sein darf, sodass es unverhältnismäßig in die Rechte des Betroffenen eingreift. Eine zu weit gefasste Auslegung könnte den Schuldner über Gebühr in seinen Rechten beschränken, was zu einer Überdehnung der Kerntheorie führen würde.
Das BVerfG hat in mehreren Entscheidungen betont, dass der Schutzbereich eines Unterlassungsgebots nicht beliebig erweitert werden darf (BVerfG, Beschluss vom 13.04.2022):
Ungeachtet der Auswirkungen des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebots findet eine Auslegung ihre Grenze aber jedenfalls dann, wenn dem Titel im Wege der Auslegung ein Umfang zugemessen wird, der nicht zumindest implizit Gegenstand des Erkenntnisverfahrens war.
Der BGH hat in diesem Zusammenhang klargestellt, dass die Auslegung eines Titels nicht dazu führen darf, dass dem Unterlassungsschuldner im Vollstreckungsverfahren eine Handlung untersagt wird, die im konkreten Fall nicht Teil des ursprünglichen Erkenntnisverfahrens war (BGH, Beschluss vom 3. April 2014, I ZB 42/11):
Die Auslegung eines Unterlassungstitels ist nur dann zulässig, wenn sie in der konkreten Fallgestaltung dem Ziel des Unterlassungsanspruchs dient, ohne den Anwendungsbereich unangemessen auszudehnen.
3. Klarheit in der Auslegung
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Klarheit bei der Auslegung des Unterlassungstitels. Ein Titel muss so formuliert sein, dass für den Unterlassungsschuldner eindeutig erkennbar ist, welche Handlungen untersagt sind. Ansonsten könnte der Betroffene gezwungen sein, Handlungen zu unterlassen, die er nicht als rechtswidrig erkennt, was wiederum eine Verletzung seiner Rechtsstaatlichkeit darstellen würde (BVerfG, Beschluss vom 4. Dezember 2006, 1 BvR 1200/04):
Der Titel muss so formuliert sein, dass für den Unterlassungsschuldner erkennbar ist, welche Verhaltensweisen verboten sind. Andernfalls könnte der Schuldner gezwungen werden, Handlungen zu unterlassen, die er nicht als rechtswidrig erkennt.
Fazit
Die Kerntheorie stellt ein wirksames Instrument zur Durchsetzung von Unterlassungsgeboten dar, da sie die praktische Umsetzung von Verboten erleichtert und vor einer Umgehung des Rechts schützt. Allerdings muss die Auslegung stets in Einklang mit den verfassungsmäßigen Prinzipien der Bestimmtheit und der Verhältnismäßigkeit stehen. Wird ein Unterlassungstitel zu weit ausgelegt, ohne dass dies im Erkenntnisverfahren erkennbar war, so kann dies die Rechtsstaatlichkeit gefährden. Ein korrekt formulierter Titel gewährleistet, dass die Rechte des Unterlassungsschuldners respektiert werden und gleichzeitig der effektive Schutz des betroffenen Rechts gewahrt bleibt.
Inhalt der Kerntheorie
Die Kerntheorie befasst sich mit der Reichweite von gerichtlichen Unterlassungsgeboten und geht davon aus, dass ein Unterlassungstitel nicht nur die genaue Wiederholung der im Urteil benannten Handlung verbietet, sondern auch alle weiteren Handlungen, die im „Kern“ die gleiche rechtswidrige Wirkung haben wie die verbotene Handlung. Dabei spielt die präzise Bestimmung des „Kerns“ der verbotenen Handlung eine zentrale Rolle. Die Kerntheorie soll verhindern, dass ein Täter durch leicht abgewandelte Handlungen dem Verbot eines Unterlassungstitels entgehen kann.
In der Praxis bedeutet dies, dass ein Unterlassungstitel nicht nur auf exakt identische, sondern auch auf ähnliche, jedoch mit der verbotenen Handlung im Kern gleichartige Verhaltensweisen angewendet werden kann. Der „Kern“ einer Handlung bezieht sich auf die wesentlichen Merkmale, die die verbotene Handlung ausmachen. Sofern eine Handlung im „Kern“ mit der untersagten Handlung übereinstimmt, kann dies auch dann als Zuwiderhandlung gegen den Unterlassungstitel gewertet werden, wenn sie in Details oder Formulierungen abweicht. Das Ziel der Kerntheorie ist es, dem Schuldner zu verbieten, durch geringfügige Änderungen der Handlung weiterhin die gleiche rechtswidrige Wirkung zu erzielen.
Wichtig ist, dass die Kerntheorie nicht unbegrenzt auf alle Handlungen angewendet werden kann, sondern immer nur auf solche, die tatsächlich den „Kern“ der ursprünglichen verbotenen Handlung erfassen. Dies verlangt eine exakte und präzise Auslegung des Unterlassungstitels, um festzulegen, welche Handlungen als kerngleich zu betrachten sind.
BGH und die Reichweite des Unterlassungsgebots
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 3. April 2014 (I ZB 42/11) stellt einen wichtigen Grundsatz dar, der die Reichweite des Unterlassungsgebots unter der Kerntheorie präzisiert. Der BGH entschied, dass das Verbot nicht nur die genaue Handlung erfasst, die im Urteil beschrieben wird, sondern auch alle anderen Handlungen, die „im Kern“ dieselbe Rechtsverletzung darstellen. Der BGH führte in diesem Fall aus:
Das in einem Unterlassungstitel ausgesprochene Verbot erfasst über die mit der verbotenen Form identischen Handlungen hinaus auch im Kern gleichartige Abwandlungen, in denen das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt.
Diese Feststellung verdeutlicht, dass die Kerntheorie es ermöglicht, ein Unterlassungsgebot weit über die konkret benannte Verletzungsform hinaus anzuwenden. Die zentrale Frage ist dabei immer, ob die abgewandelte Handlung das „Charakteristische“ der ursprünglichen Handlung bewahrt und damit als eine „kernsame“ Verletzung des Unterlassungstitels gilt.
Weitere Urteile zur Kerntheorie
Ein weiteres bedeutendes Urteil ist das des OLG Frankfurt vom 5. Juni 2018 (6 W 43/18). In diesem Fall bestätigte das OLG Frankfurt die Auslegung der Kerntheorie, dass nicht nur die exakt gleiche Verletzungsform, sondern auch Varianten derselben, die den „Kern“ der verbotenen Handlung tragen, vom Unterlassungstitel erfasst werden. Es geht also darum, dass der Unterlassungstitel nicht nur die in den Entscheidungsgründen explizit benannte Handlung betrifft, sondern alle Handlungen, die wesentliche Merkmale dieser Handlung teilen.
Diese Auffassung wurde auch vom Kammergericht Berlin in mehreren Entscheidungen bekräftigt, wie etwa in seinem Beschluss vom 25. März 2021 (5 W 1135/20). Auch hier wurde klargestellt, dass der Unterlassungstitel Handlungen erfasst, die im Wesentlichen das gleiche wie die verbotene Handlung darstellen, auch wenn sie in ihrer äußeren Form abweichen.
Der BGH in „Bioäquivalenz-Werbung“ – 1989
Ein sehr prägendes Urteil für die Kerntheorie stammt aus dem Jahr 1989. Der BGH entschied im Fall „Bioäquivalenz-Werbung“ (I ZR 85/87), dass aus einem Unterlassungstitel nicht nur gegen Verstöße in der konkret titulierten Form vorgegangen werden kann, sondern auch gegen abgewandelte Handlungen, die im Kern gleich sind. Der BGH stellte fest, dass es sich bei der Bestimmung des „Kerns“ der verbotenen Handlung nicht um eine rein formale Frage handelt, sondern darum, das wesentliche, für die Entscheidung maßgebliche rechtliche Charakteristikum der ursprünglichen Handlung zu ermitteln.
Zwar kann aus einem Unterlassungstitel gegen Verstöße nicht nur in der konkret titulierten Verletzungsform, sondern auch in Abwandlungen vorgegangen werden, wenn in diesen das Charakteristische, der "Kern", der titulierten Form zum Ausdruck kommt, da es sich hierbei nur darum handelt, ein im "Kern" feststehendes und bei dessen sachgerechter Auslegung auch die abweichende Handlung bereits umfassendes Verbot auf letztere anzuwenden.
Das Urteil verdeutlicht die Bedeutung der „Kernidentität“: Auch wenn eine Handlung in ihrer äußeren Form anders gestaltet ist, kann sie dennoch gegen den Unterlassungstitel verstoßen, wenn sie den wesentlichen „Kern“ der ursprünglich verbotenen Handlung widerspiegelt.
Auslegung des Unterlassungstitels
Ein zentrales Element der Kerntheorie ist die Auslegung des Unterlassungstitels. Der Titel muss eindeutig formuliert sein, um die Rechtskraft und die Vollstreckbarkeit zu gewährleisten. Das bedeutet, dass die Formulierung des Titels klar und verständlich aufzeigt, welche Handlungen genau untersagt sind und wie weit das Verbot reicht. Ist der Titel zu vage oder unpräzise formuliert, kann dies die Durchsetzung des Unterlassungsgebots erschweren.
Entscheidungen zeigen, dass zur Auslegung des Titels nicht nur die Urteilsformel, sondern auch die Tatbestandsmerkmale und Entscheidungsgründe herangezogen werden können. Eine zu weit gefasste Auslegung des Titels – etwa durch eine rein analoge Anwendung des Verbots auf nicht hinreichend geprüfte neue Varianten – wird jedoch aufgrund des strafähnlichen Charakters der Ordnungsmittel des § 890 ZPO abgelehnt.
Ob eine Handlung eine Zuwiderhandlung gegen ein gerichtliches Verbot darstellt, bestimmt sich nach der durch Auslegung zu ermittelnden Reichweite des Unterlassungstitels. Dabei ist von der Urteilsformel auszugehen. Zu deren Auslegung können aber auch Tatbestand und Entscheidungsgründe herangezogen werden.
Es wird betont, dass die Auslegung des Titels stets zu Lasten des Titelinhabers gehen sollte, wenn der Titel unklar formuliert wurde. Der Titelinhaber trägt die Verantwortung für eine präzise Formulierung und ist verpflichtet, so zu formulieren, dass die Reichweite des Verbots klar erkennbar und ohne Unklarheiten in der Vollstreckung angewendet werden kann.
Ausweitung des Unterlassungsgebots auf verschiedene Schutzrechte
Ein weiteres wichtiges Element der Kerntheorie ist die Frage, inwieweit ein Unterlassungstitel auf die Verletzung verschiedener Schutzrechte ausgeweitet werden kann. Der BGH entschied im Fall „Restwertbörse II“ (BGH, Beschl. v. 3. April 2014, I ZB 42/11) beispielsweise, dass die Verletzung eines bestimmten Schutzrechts nicht nur die Vermutung der Wiederholungsgefahr für dieses spezielle Schutzrecht begründet, sondern auch für andere Schutzrechte, wenn die Verletzungshandlungen trotz der unterschiedlichen Schutzrechte im Kern gleichartig sind. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die verletzten Schutzrechte bereits Gegenstand des Erkenntnisverfahrens waren. Dies bedeutet, dass ein Unterlassungstitel nicht einfach auf Schutzrechte ausgedehnt werden kann, die nicht bereits im vorhergehenden Verfahren behandelt wurden.
Die Verletzung eines bestimmten Schutzrechts kann die Vermutung der Wiederholungsgefahr nicht nur für Verletzungen desselben Schutzrechts, sondern auch für Verletzungen anderer Schutzrechte begründen, soweit die Verletzungshandlungen trotz Verschiedenheit der Schutzrechte im Kern gleichartig sind.
Einschränkung der Kerntheorie
Die Kerntheorie hat ihre Grenzen. Sie gestattet keine Ausweitung des Unterlassungstitels auf Schutzrechte, die nicht im Erkenntnisverfahren behandelt wurden oder die noch nicht existierten. So stellte der BGH im Fall „Markenparfümverkäufe“ fest, dass ein Unterlassungsanspruch nicht auf Marken ausgeweitet werden kann, die nicht bereits in das Verfahren einbezogen wurden, selbst wenn diese Marken in ihrer rechtlichen Natur „ähnlich“ zu den in das Verfahren einbezogenen Marken sind.
Fazit
Die Kerntheorie stellt sicher, dass die Wirksamkeit eines Unterlassungstitels über das bloße Verbot der exakt gleichen Handlung hinausgeht. Sie schützt den Gläubiger davor, dass der Schuldner durch leichte Veränderungen der Handlung der Rechtskraft eines Urteils entgeht. Gleichzeitig stellt die Kerntheorie sicher, dass der Titel so präzise formuliert wird, dass nur solche Handlungen als Zuwiderhandlungen gelten, die den „Kern“ der verbotenen Handlung treffen. Die Auslegung des Unterlassungstitels ist dabei von entscheidender Bedeutung, da eine zu weitgehende oder unpräzise Formulierung die Durchsetzbarkeit und die Vollstreckung des Titels gefährden kann.
Die Kerntheorie trägt somit zu einer besseren Rechtssicherheit bei und gewährleistet, dass die gerichtliche Verurteilung in allen wesentlichen Punkten durchsetzbar ist, auch wenn der Schuldner versucht, das verbotene Verhalten leicht abzuändern.
Beschränkung auf konkrete Verletzungsform
Die Beschränkung auf eine konkrete Verletzungsform im Rahmen von Unterlassungstiteln ist ein zentrales Thema im Wettbewerbsrecht. Es stellt sich dabei die Frage, in welchem Umfang solche Titel auch Verletzungsformen umfassen, die von der ursprünglich titulierten Handlung nur geringfügig abweichen, aber dennoch im Kern gleichwertig sind.
Im Folgenden wird die relevante Rechtsprechung dazu zitiert und in ihren wesentlichen Aspekten zusammengefasst:
1. BGH, Beschluss vom 29.9.2016, I ZB 34/15, Tz. 35
Der Bundesgerichtshof stellt in diesem Beschluss fest, dass der Gläubiger nicht verpflichtet ist, einen abstrakten Antrag zu stellen, der von der konkreten Verletzungsform losgelöst ist. Vielmehr ist es zulässig und oft empfehlenswert, die konkrete Verletzungsform in den Antrag aufzunehmen. Diese Formulierung stellt jedoch keinen Verzicht auf die Unterlassung „kerngleicher“ Verletzungen dar.
Begehrt der Gläubiger einen Titel, der auch kerngleiche Verletzungshandlungen erfassen soll, ist er nicht gehalten, einen von der konkreten Verletzungshandlung losgelösten abstrakten Antrag zu stellen. Vielmehr kann er [...] die konkrete Verletzungshandlung in seinen Antrag aufnehmen [...]
Dies verdeutlicht, dass mit einem Antrag auf Unterlassung der konkreten Verletzungsform nicht zwingend auf ähnliche oder abgewandelte Handlungen verzichtet wird.
2. BGH, Urteil vom 22.10.2009, I ZR 58/07, Tz. 12 – Klassenlotterie
In dieser Entscheidung stellt der BGH fest, dass ein Verbot, das eng auf die konkrete Verletzungshandlung beschränkt ist, durch Auslegung auch auf ähnliche, aber nicht identische Handlungen erweitert werden kann, wenn sie den gleichen wettbewerbswidrigen „Kern“ der ursprünglichen Handlung aufweisen.
Ist das begehrte Verbot eng auf die konkrete Verletzungshandlung beschränkt, sind einer erweiternden Auslegung des Unterlassungsantrags und dementsprechend auch der Urteilsformel im Hinblick auf den Sanktionscharakter der Ordnungsmittel des § 890 ZPO enge Grenzen gezogen. Ein gerichtliches Verbot, das auf die konkrete Verletzungshandlung bezogen ist, erfasst in der Regel allerdings im Wege der Auslegung auch kerngleiche Verstöße.
Damit wird klargestellt, dass ein Verbot nicht nur identische Verstöße umfasst, sondern auch solche, die in ihrer Form vom ursprünglichen Verstoß abweichen, aber den gleichen wettbewerbswidrigen Charakter aufweisen.
3. BGH, Beschluss vom 3.4.2014, I ZB 42/11, Tz. 11 – Reichweite des Unterlassungsgebots
In dieser Entscheidung präzisiert der BGH, dass auch bei einer Beschränkung des Unterlassungstitels auf eine konkrete Verletzungsform „kerngleiche“ Verstöße mit erfasst werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die abstrakte Formulierung der Merkmale der verbotenen Handlung den Kreis der erfassten Varianten näher bestimmt.
Das in einem Unterlassungstitel ausgesprochene Verbot erfasst über die mit der verbotenen Form identischen Handlungen hinaus auch im Kern gleichartige Abwandlungen, in denen das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt.
Der BGH stellt somit klar, dass die Titelauslegung auch solche Varianten umfasst, die im Kern die gleiche wettbewerbswidrige Handlung darstellen.
4. OLG Frankfurt, Beschluss vom 9.11.2017, 6 W 96/17, II.1
Das OLG Frankfurt erklärt, dass auch bei einem Verbot, das sich auf eine konkrete Verletzungsform bezieht, auch Abwandlungen erfasst werden, die den „Kern“ der ursprünglichen Handlung bewahren.
Der Verbotsumfang eines gerichtlichen Titels beschränkt sich nicht auf das beschriebene Verbot, sondern erfasst auch unwesentliche Abwandlungen, die den Kern der Verletzungshandlung unberührt lassen. [...]
Hier wird die „Kernbereichslehre“ betont, wonach der Titel auch Abwandlungen umfassen muss, die den wettbewerbsrechtlich relevanten „Kern“ nicht verändern.
5. OLG München, Beschluss vom 27.4.2010, 29 W 1209/10
Das OLG München hebt hervor, dass ein Verbot, das auf konkrete Verletzungshandlungen Bezug nimmt, auch solche Abwandlungen umfasst, die den „Kern“ der ursprünglichen Handlung bewahren, selbst wenn diese in ihrer Ausführung unterschiedlich sind.
Ein Verbotstenor, der lediglich zwei konkrete Verletzungshandlungen wiedergibt, ist nicht nur auf die konkret formulierte Verletzungsform beschränkt, sondern umfasst auch Abwandlungen, wenn in ihnen das Charakteristische, der 'Kern', der titulierten Form zum Ausdruck kommt.
Dies bekräftigt den Grundsatz, dass der Unterlassungstitel nicht nur identische Verstöße, sondern auch ähnliche Verstöße mit erfasst.
6. OLG Hamburg, Beschluss vom 26.2.2009, 3 W 175/08
In dieser Entscheidung wird die Kerntheorie weiter konkretisiert. Das OLG Hamburg stellt fest, dass unter den Titel nicht nur identische Verstöße fallen, sondern auch solche, die den „wettbewerbswidrigen Kern“ der ursprünglichen Handlung bewahren, auch wenn sie in ihrer Ausführung variieren.
Von einem Unterlassungstitel, der eine konkrete Wettbewerbshandlung verbietet, werden auch solche Abwandlungen erfasst, die die konkrete Verletzungsform, die Gegenstand des Verbots ist, lediglich kosmetisch verändern, den Gesamteindruck der als wettbewerbswidrig untersagten Werbung aber nicht berühren.
Hier wird deutlich, dass die Grenze zur Kerngleichheit dann überschritten ist, wenn die Änderung der Handlung den wettbewerbsrechtlich relevanten Kern so verändert, dass die Maßnahme im Gesamteindruck nicht mehr der ursprünglichen Handlung entspricht.
7. OLG Düsseldorf, Urteil vom 7.5.2015, I-15 U 15/15, Tz. 26
Das OLG Düsseldorf präzisiert, dass kerngleiche Handlungen diejenigen sind, die im Wesentlichen denselben wettbewerbswidrigen Charakter wie die ursprüngliche Handlung aufweisen. Dies wird etwa bei der Änderung eines Werbetextes oder der Größe einer Werbeanzeige deutlich.
Als kerngleich werden Handlungen angesehen, die mit der konkreten Verletzungsform im Kern wesensgleich sind, in denen also das Charakteristische der Verletzungshandlung zum Ausdruck kommt.
Diese Definition von „kerngleich“ betont, dass auch Änderungen, die keine wesentlichen inhaltlichen Veränderungen aufweisen, weiterhin unter den Titel fallen.
8. OLG Frankfurt, Beschluss vom 5.6.2018, 6 W 43/18, II.1
Das OLG Frankfurt bekräftigt in dieser Entscheidung, dass der Kernbereich eines Unterlassungstitels auch geringfügige Abweichungen umfasst, solange sie den „Charakter“ der verbotenen Handlung bewahren.
Der Verbotsbereich eines auf eine konkrete Verletzungsform bezogenen Unterlassungstitels beschränkt sich nicht auf die konkrete Verletzungsform. Er erstreckt sich vielmehr auf kerngleiche Verletzungshandlungen, also Abwandlungen der konkreten Verletzungsform, in denen das Charakteristische des titulierten Verbots zum Ausdruck kommt.
Diese Entscheidung unterstreicht, dass der Unterlassungstitel auch dann die gleichen wettbewerbsrechtlichen Auswirkungen hat, wenn die Handlung nur minimal verändert wurde.
Zusammenfassung
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein Unterlassungstitel, der auf eine konkrete Verletzungsform abzielt, in der Regel auch kerngleiche Verletzungsformen erfasst. Die Kerntheorie spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Diese besagt, dass Abweichungen von der ursprünglichen Form der wettbewerbswidrigen Handlung dann nicht mehr unter den Titel fallen, wenn sie den wettbewerbsrechtlich relevanten „Kern“ der verbotenen Handlung signifikant verändern. Geringfügige Abweichungen, die den „Kern“ unverändert lassen, werden jedoch ebenfalls erfasst, um einer Umgehung des Unterlassungstitels vorzubeugen.
Beispiele für kerngleiche Verstöße:
1. Werbung mit identischem Inhalt in unterschiedlichem Medium
Beispiel: Ein Unternehmen hat in der Vergangenheit eine Werbung für ein Produkt in einem Printmagazin veröffentlicht, die vom Gericht als wettbewerbswidrig beurteilt wurde. Der Unterlassungstitel verbietet es, diese konkrete Werbung in diesem Magazin oder einer vergleichbaren Form zu verbreiten. Wenn das Unternehmen diese gleiche Werbung jedoch auf seiner Website oder in einer TV-Werbung veröffentlicht, stellt dies einen kerngleichen Verstoß dar, da der wettbewerbswidrige Inhalt der Werbung (z. B. falsche oder irreführende Angaben) weiterhin beibehalten wird.
Beispiel aus der Rechtsprechung:
- BGH, Urteil vom 19. Mai 2010, I ZR 177/07 - Folienrollos, Tz. 17: Auch wenn die Werbung von einem Printformat auf digitale Medien übertragen wird, bleibt der wettbewerbswidrige Inhalt (z. B. unzulässige Produktwerbung) bestehen und wird von dem Unterlassungstitel erfasst.
2. Änderung der Größe einer Werbeanzeige
Beispiel: Ein Unternehmen hat in einer Werbeanzeige eine irreführende Preisangabe gemacht, die zu einem wettbewerbswidrigen Verhalten führte. Der Unterlassungstitel verbietet es, diese irreführende Preisangabe in der gleichen Form zu wiederholen. Wenn das Unternehmen jedoch die Größe der Anzeige oder das Layout ändert, die Preisangabe aber unverändert bleibt, stellt dies ebenfalls einen kerngleichen Verstoß dar. Der Kern der wettbewerbswidrigen Handlung (die irreführende Preisangabe) bleibt unverändert.
Beispiel aus der Rechtsprechung:
- OLG Düsseldorf, Urteil vom 7. Mai 2015, I-15 U 15/15, Tz. 26: Abwandlungen der Anzeige, wie eine Änderung der Größe oder Platzierung, die den „Kern“ der wettbewerbswidrigen Preisangabe nicht beeinflussen, fallen unter den Unterlassungstitel.
3. Änderung eines Werbetextes ohne inhaltliche Veränderung
Beispiel: Ein Unternehmen hat in einer Werbekampagne eine unzulässige, wettbewerbswidrige Aussage über die Qualität seines Produkts gemacht. Das Unterlassungstitel verbietet es, diese unzulässige Werbung erneut zu verwenden. Wenn das Unternehmen den Wortlaut des Werbetextes nur leicht ändert, ohne die grundlegende irreführende Aussage zu verändern (z. B. durch Umformulierung oder Synonymverwendung), bleibt der wettbewerbswidrige Inhalt erhalten, und es handelt sich um einen kerngleichen Verstoß.
Beispiel aus der Rechtsprechung:
- OLG Hamburg, Beschluss vom 26. Februar 2009, 3 W 175/08: Eine bloße Änderung des Werbetextes ohne inhaltliche Veränderung, die den wettbewerbsrechtlich relevanten „Kern“ der Werbung nicht anfasst, führt zu einem kerngleichen Verstoß.
4. Produktverpackung in leicht veränderter Form
Beispiel: Ein Unternehmen verkauft ein Produkt in einer Verpackung, die gegen die Vorschriften zum irreführenden Markenschutz verstößt, z. B. durch die Verwendung von unzulässigen Symbolen oder eine täuschende Gestaltung. Ein Unterlassungstitel verbietet es, das Produkt in dieser Verpackung zu verkaufen. Wenn das Unternehmen die Verpackung lediglich verändert, z. B. das Design leicht anpasst oder die Farbe ändert, aber das irreführende Element beibehält, stellt dies ebenfalls einen kerngleichen Verstoß dar.
Beispiel aus der Rechtsprechung:
- BGH, Beschluss vom 3. April 2014, I ZB 42/11, Tz. 11 - Reichweite des Unterlassungsgebots: Der BGH stellt fest, dass auch Abwandlungen der Verpackung, in denen das „Charakteristische“ des verbotenen Verhaltens weiterhin zum Ausdruck kommt, erfasst werden.
5. Verkauf von Produkten in leicht abgewandelter Form
Beispiel: Ein Unternehmen vertreibt ein Produkt mit einer wettbewerbswidrigen Eigenschaft (z. B. unzulässige gesundheitliche Aussagen über ein Nahrungsergänzungsmittel). Der Unterlassungstitel verbietet es, dieses spezifische Produkt zu verkaufen. Wenn das Unternehmen das Produkt minimal verändert (z. B. durch die Änderung des Namens oder der Verpackung), die unzulässige Aussage aber bestehen bleibt, handelt es sich um einen kerngleichen Verstoß, da der wettbewerbswidrige Charakter des Produkts erhalten bleibt.
Beispiel aus der Rechtsprechung:
- BGH, Urteil vom 22. Oktober 2009, I ZR 58/07, Tz. 12 - Klassenlotterie: Auch wenn sich das Produkt äußerlich verändert, bleibt der wettbewerbswidrige Kern (z. B. die unzulässige Werbung) bestehen und fällt unter das Verbot.
6. Änderung der Softwareversion bei wettbewerbswidrigem Verhalten
Beispiel: Ein Softwareunternehmen wird verurteilt, eine Funktion, die gegen das Urheberrecht verstößt, zu entfernen. Der Unterlassungstitel bezieht sich auf die spezifische Version der Software. Wenn das Unternehmen lediglich eine neue Version der Software veröffentlicht, aber die problematische Funktion in ähnlicher Form beibehält, handelt es sich um einen kerngleichen Verstoß, da das wesentliche wettbewerbswidrige Element weiterhin besteht.
Beispiel aus der Rechtsprechung:
- OLG Frankfurt, Beschluss vom 5. Juni 2018, 6 W 43/18: Das OLG Frankfurt bestätigt, dass auch bei Änderungen an der Version der Software, solange der wettbewerbswidrige Inhalt (hier die Funktion) erhalten bleibt, der Verstoß weiterhin unter den Titel fällt.
7. Änderung der Domain oder URL bei wettbewerbswidrigem Inhalt
Beispiel: Ein Unternehmen betreibt eine Website mit wettbewerbswidrigen Inhalten, z. B. durch unzulässige Werbung oder irreführende Informationen. Ein Gericht verbietet dem Unternehmen, diese Website unter der jeweiligen Domain weiter zu betreiben. Wenn das Unternehmen nach der Entscheidung einfach eine neue Domain registriert und die gleichen wettbewerbswidrigen Inhalte dort erneut veröffentlicht, handelt es sich um einen kerngleichen Verstoß, da der wettbewerbswidrige Inhalt weiterhin besteht.
Beispiel aus der Rechtsprechung:
- BGH, Urteil vom 29. September 2016, I ZB 34/15, Tz. 35: Der BGH stellte klar, dass der Unterlassungstitel auch dann gilt, wenn das Unternehmen lediglich die Domain oder URL ändert, aber der wesentliche wettbewerbswidrige Inhalt bleibt.
8. Verwendung eines identischen Logos in leicht veränderter Form
Beispiel: Ein Unternehmen wird verurteilt, ein bestimmtes Logo zu verwenden, das eine unzulässige Ähnlichkeit mit einem anderen Markenzeichen aufweist. Das Unternehmen ändert das Design des Logos nur geringfügig (z. B. durch eine Veränderung der Schriftart oder Farbgestaltung), aber der „Charakter“ des Logos, der die wettbewerbswidrige Verwechslungsgefahr hervorruft, bleibt bestehen. Dies stellt einen kerngleichen Verstoß dar.
Beispiel aus der Rechtsprechung:
- OLG Frankfurt, Beschluss vom 22. November 2017, 6 W 95/17: Auch eine minimale Änderung eines Logos fällt unter den Unterlassungstitel, wenn der wettbewerbswidrige Charakter des Logos im Kern unverändert bleibt.
9. Änderung der Verkaufsplattform
Beispiel: Ein Unternehmen wird verurteilt, bestimmte Produkte nicht mehr auf einer Online-Plattform zu verkaufen, die gegen Wettbewerbsrecht verstößt (z. B. unzulässige Preisangaben oder irreführende Produktbeschreibungen). Wenn das Unternehmen dasselbe Produkt in der gleichen Art und Weise über eine andere Verkaufsplattform vertreibt (z. B. auf einer anderen E-Commerce-Website oder in einem Online-Shop), handelt es sich um einen kerngleichen Verstoß, wenn der wettbewerbswidrige Charakter der Werbung und der Preisangabe unverändert bleibt.
Beispiel aus der Rechtsprechung:
- BGH, Urteil vom 3. April 2014, I ZB 42/11, Tz. 11: Auch wenn die Verkaufsplattform geändert wird, bleibt der „wettbewerbswidrige Kern“ der Handlungen, wie die unzulässige Preisangabe, bestehen, sodass dies unter den Unterlassungstitel fällt.
10. Abwandlung eines Produktnamens bei wettbewerbswidrigem Inhalt
Beispiel: Ein Unternehmen hat ein Produkt unter einem Namen verkauft, der gegen Namensschutzrechte verstößt. Der Unterlassungstitel verbietet die Verwendung dieses Namens. Wenn das Unternehmen den Namen nur geringfügig abwandelt (z. B. durch Hinzufügen eines weiteren Begriffs oder Ändern der Schreibweise), aber die wettbewerbswidrige Wirkung des Namens, etwa durch Verwechslungsgefahr mit einem eingetragenen Markennamen, nicht beseitigt wird, handelt es sich um einen kerngleichen Verstoß.
Beispiel aus der Rechtsprechung:
- BGH, Urteil vom 22. Oktober 2009, I ZR 58/07, Tz. 12 – Klassenlotterie: Ein leicht veränderter Produktname, der die gleiche wettbewerbswidrige Wirkung hat, fällt weiterhin unter den Unterlassungstitel.
11. Verwendung eines ähnlichen Produkts mit demselben wettbewerbswidrigen Verhalten
Beispiel: Ein Unternehmen stellt ein Produkt her, das gegen urheberrechtliche Vorschriften verstößt, und wird verurteilt, dieses spezifische Produkt nicht mehr zu vertreiben. Das Unternehmen bringt nun ein ähnliches Produkt auf den Markt, das in seiner Grundstruktur und Funktionsweise nahezu identisch ist, jedoch in einigen unbedeutenden Details verändert wurde. Solange das wettbewerbswidrige Verhalten (z. B. die unzulässige Nutzung von urheberrechtlich geschütztem Material) im neuen Produkt weiterhin vorhanden ist, handelt es sich um einen kerngleichen Verstoß.
Beispiel aus der Rechtsprechung:
- OLG Hamburg, Beschluss vom 26. Februar 2009, 3 W 175/08: Ein ähnliches Produkt, das denselben urheberrechtlichen Verstoß wie das ursprüngliche Produkt aufweist, fällt unter den Unterlassungstitel, auch wenn es geringfügig verändert wurde.
12. Anpassung des Designs bei wettbewerbswidrigem Verhalten
Beispiel: Ein Unternehmen wird verurteilt, eine bestimmte Produktverpackung nicht mehr zu verwenden, weil sie gegen die Vorschriften zum Markenschutz verstößt. Das Unternehmen ändert das Design der Verpackung leicht, indem es z. B. die Farbgebung oder das Layout der Texte anpasst, behält aber das ursprüngliche Designmotiv bei, das die wettbewerbswidrige Wirkung auslöst. In diesem Fall handelt es sich um einen kerngleichen Verstoß, da der wettbewerbswidrige Kern (die Täuschung der Verbraucher durch das Design) erhalten bleibt.
Beispiel aus der Rechtsprechung:
- BGH, Urteil vom 19. Mai 2010, I ZR 177/07, Tz. 17 – Folienrollos: Das Gericht betont, dass Änderungen am Design, die den wettbewerbswidrigen Kern der Verpackung unverändert lassen, unter den Unterlassungstitel fallen.
13. Verwendung eines ähnlichen Geschäftsmodells
Beispiel: Ein Unternehmen nutzt unzulässige Geschäftspraktiken, etwa unzulässige Werbetechniken oder unfaire Preisgestaltung, und wird verurteilt, diese Praktiken einzustellen. Das Unternehmen ändert daraufhin nur geringe Aspekte des Geschäftsmodells (z. B. durch Anpassung der Vertriebswege oder leichte Modifikation der Preisstruktur), aber der wettbewerbswidrige Kern der Praktiken bleibt weiterhin bestehen. Dies stellt einen kerngleichen Verstoß dar.
Beispiel aus der Rechtsprechung:
- OLG Naumburg, Beschluss vom 12. Oktober 2006, 10 W 65/06: Auch eine geringfügige Änderung des Geschäftsmodells, wenn der wettbewerbswidrige Kern der Praktiken erhalten bleibt, fällt unter den Unterlassungstitel.
14. Verwendung eines ähnlichen Produkts mit abgewandeltem Vertriebskanal
Beispiel: Ein Unternehmen wurde verurteilt, eine bestimmte Art von Produkt nicht mehr über den Direktvertrieb zu verkaufen, weil der Vertrieb wettbewerbswidrig war (z. B. durch unlautere Verkaufspraktiken). Das Unternehmen beginnt nun, dasselbe Produkt über eine andere Plattform oder durch einen anderen Vertriebskanal (z. B. über Drittanbieter oder Online-Marktplätze) zu vertreiben, wobei die wettbewerbswidrigen Verkaufspraktiken unverändert bleiben. Dies stellt einen kerngleichen Verstoß dar.
Beispiel aus der Rechtsprechung:
- OLG Düsseldorf, Urteil vom 7. Mai 2015, I-15 U 15/15, Tz. 26: Der BGH bestätigt, dass Änderungen des Vertriebskanals, solange die wettbewerbswidrigen Praktiken weiterhin bestehen, den Unterlassungstitel nicht umgehen können.
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