Zum Hauptinhalt springen

Keine Urheberrechtsverletzung durch Adblock Plus

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Seit Jahren sorgt der Werbeblocker Adblock Plus für hitzige Diskussionen zwischen Nutzern, Verlagen und Juristen. Während Millionen Internetnutzer die Software nutzen, um lästige Werbung auszublenden, beklagen Verlagshäuser empfindliche Einnahmeverluste. Die rechtliche Auseinandersetzung hat mehrere Runden durchlaufen – nun liegt ein bemerkenswertes Urteil des OLG Hamburg vor.

Mit Urteil vom 24.08.2023 (Az. 5 U 20/22) hat das OLG klargestellt: Der Einsatz von Adblock Plus stellt keine Verletzung urheberrechtlich geschützter Computerprogramme dar. 

Hintergrund: Der langjährige Streit um Adblock Plus

Bereits seit etwa 2015 versuchen zahlreiche Verlagshäuser, juristisch gegen den Anbieter des Werbeblockers Adblock Plus, die Eyeo GmbH, vorzugehen. Nachdem der Bundesgerichtshof 2018 entschied, dass Adblock Plus nicht wettbewerbswidrig sei, verlagerten Kläger ihre Strategie auf das Urheberrecht. Die Argumentation: Webseiten seien als urheberrechtlich geschützte Computerprogramme zu qualifizieren, in die durch Adblock Plus in rechtswidriger Weise eingegriffen werde.

Im konkreten Fall vor dem OLG Hamburg klagte ein großes Verlagshaus gegen die Eyeo GmbH – mit dem Ziel, den Vertrieb und die Nutzung von Adblock Plus untersagen zu lassen.

Der Sachverhalt: Wie funktioniert Adblock Plus – und was wirft die Klägerin vor?

Technische Funktionsweise von Adblock Plus

Adblock Plus ist eine Browser-Erweiterung, die Nutzern ermöglicht, Werbeinhalte auf Webseiten gezielt auszublenden. Dabei wird:

  • Der Browserinhalt nicht serverseitig verändert.
  • Die HTML-Datei der Webseite vollständig geladen, einschließlich aller Skripte.
  • Nach dem Laden wird über Filterregeln im DOM (Document Object Model) verhindert, dass bestimmte Elemente dargestellt werden.

Das betrifft insbesondere:

  • Banneranzeigen
  • Pop-ups
  • Skripte von Werbenetzwerken
  • Tracking-Pixel

Diese Inhalte werden entweder blockiert oder visuell ausgeblendet, indem Adblock Plus in den DOM-Knotenbaum, die CSSOM oder den Render Tree eingreift – ausschließlich auf Seiten des Nutzers.

Vorwurf der Klägerin

Die Klägerin war der Ansicht, dass durch Adblock Plus eine Umarbeitung oder Vervielfältigung ihres urheberrechtlich geschützten Programmcodes erfolge. Die wesentlichen Argumente waren:

  • Die Webseiten seien als Computerprogramme nach § 69a UrhG geschützt.
  • Adblock Plus verändere diese Programme.
  • Die Software der Beklagten wirke gemeinsam mit dem Nutzer als Mittäter.

Gefordert wurde ein Verbot des Vertriebs von Adblock Plus sowie Schadensersatz.

Die Entscheidung des OLG Hamburg: Kein Eingriff in das Urheberrecht

Das Oberlandesgericht Hamburg wies die Klage vollständig ab. Die Kernaussage:

Der Einsatz von Adblock Plus verletzt nicht das Urheberrecht.

Keine urheberrechtlich geschützten Computerprogramme (§ 69a UrhG)?

Das Gericht ließ offen, ob die Webseiten als Ganzes unter den Schutz von § 69a UrhG fallen.

Gründe für die Zweifel:

  • Webseiten bestehen aus vielen einzelnen Elementen (HTML, CSS, JavaScript, PHP), die technisch voneinander getrennt sind.
  • Viele dieser Elemente stammen nicht von der Klägerin selbst, sondern von Drittanbietern (z. B. externe Bibliotheken).
  • Für einen Programmschutz nach § 69a UrhG bedarf es komplexer, schöpferischer Gestaltung – bloße technische Standardlösungen reichen nicht.

„Indes bestehen moderne Webseiten aus einer Vielzahl von technisch voneinander klar abgegrenzten Einzelelementen […] In diesen Fällen kann den betreffenden Komponenten durchaus Urheberrechtsschutz zukommen.“

Fazit: Ob ein urheberrechtlicher Schutz überhaupt vorliegt, ist zweifelhaft, wurde aber nicht abschließend entschieden, da es auf diese Frage nicht entscheidend ankam.

Keine Umarbeitung i.S.d. § 69c Nr. 2 UrhG

Selbst wenn man von einem Schutz ausgeht, verneinte das Gericht eine Umarbeitung im Sinne des § 69c Nr. 2 UrhG.

„Die im Anschluss an das Speichern des Webseitenprogramms erfolgenden Vorgänge […] stellen keine Umarbeitung im Sinne des § 69c Nr. 2 UrhG dar.“

Warum?

  • Adblock Plus verändert nicht den übermittelten Code (HTML, JavaScript usw.).
  • Stattdessen werden nachträglich, im Browser, temporäre Datenstrukturen manipuliert (DOM, CSSOM, Render Tree).
  • Diese Strukturen sind nicht Teil der Programmsubstanz – sie entstehen erst im Browser zur Darstellung.

„Die Substanz der seitens der Klägerin bereitgestellten Dateien (u.a. HTML-Datei) bleibt unberührt.“

Keine Vervielfältigung i.S.d. § 69c Nr. 1 UrhG

Auch eine unberechtigte Vervielfältigung liegt nicht vor. Nutzer rufen Webseiten bewusst und freiwillig auf. Dabei akzeptieren sie, dass der Code temporär im RAM ihres Geräts gespeichert wird – eine technisch notwendige Handlung.

„Es liegt […] keine unberechtigte Vervielfältigung im Sinne des § 69c Nr. 1 UrhG vor.“

Die Darstellung der Webseite erfolgt im Rahmen der bestimmungsgemäßen Benutzung nach § 69d Abs. 1 UrhG.

Keine Mittäterschaft der Eyeo GmbH

Ein weiterer Punkt der Klage war der Vorwurf, die Beklagte sei Mittäterin der mutmaßlichen Rechtsverletzung.

Auch hier widersprach das Gericht:

„Die Beklagten sind nicht – gemeinsam mit dem jeweiligen Nutzer – Mittäter einer Urheberrechtsverletzung.“

Warum?

  • Die Beklagte stellt lediglich eine technische Möglichkeit zur Verfügung.
  • Die Entscheidung, Werbung zu blockieren, trifft ausschließlich der Nutzer.
  • Es liegt eine individuelle, zustimmungsfreie Konfiguration vor – keine gezielte Schädigung.

Das Gericht unterstrich: Nutzer sind nicht verpflichtet, eine Webseite so zu konsumieren, wie es der Betreiber wünscht.

„Eine Pflicht, Inhalte auf eine bestimmte Art zu rezipieren, besteht nicht.“

Bedeutung des Urteils

Für Nutzer:

  • Der Einsatz von Adblock Plus ist rechtlich zulässig.
  • Keine Gefahr zivilrechtlicher oder strafrechtlicher Ansprüche wegen Urheberrechtsverletzung.
  • Nutzer behalten Kontrolle über die Darstellung von Inhalten in ihrem Browser.

Für Anbieter von Adblockern:

  • Das Urteil stärkt die Rechtssicherheit.
  • Keine urheberrechtliche Haftung für technische Filtersoftware.
  • Keine Mittäterschaft an Nutzerverhalten.

Für Verlage:

  • Urheberrecht bietet keinen Hebel, um Werbeblocker zu verbieten.
  • Es besteht ein dringender Innovationsbedarf, um alternative Monetarisierungsstrategien zu entwickeln.
  • Der Fokus sollte auf nicht-invasiver Werbung und Nutzerbindung liegen – nicht auf juristischen Verboten.

Ausblick: Revision beim Bundesgerichtshof?

Das OLG Hamburg hat die Revision zum BGH zugelassen. Es bleibt abzuwarten, ob der Bundesgerichtshof diese klare Linie bestätigt oder neue Maßstäbe zur urheberrechtlichen Bewertung dynamisch generierter Inhalte im Browser setzt.

Bis dahin gilt: Adblock Plus ist legal – zumindest nach aktueller OLG-Rechtsprechung.

Fazit

Das Urteil des OLG Hamburg setzt ein wichtiges Zeichen für die digitale Selbstbestimmung der Nutzer. Der Einsatz von Werbeblockern wie Adblock Plus stellt weder eine Umarbeitung noch eine Vervielfältigung urheberrechtlich geschützter Programme dar. Die Beklagte, Eyeo GmbH, ist nicht Mittäterin – sie ermöglicht lediglich eine individuelle Konfiguration der Anzeige von Webseiten.

Die Entscheidung zeigt auch: Das Urheberrecht ist kein Allzweckinstrument, um Geschäftsmodelle gegen unliebsames Nutzerverhalten zu schützen. Der digitale Markt verlangt nach innovativen, nutzerfreundlichen Lösungen – nicht nach juristischen Barrieren.

Ansprechpartner

Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Andere über uns

WEB CHECK SCHUTZ

Gestalten Sie Ihre Internetseite / Ihren Onlineshop rechts- und abmahnsicher.

WEB CHECK Schutzpakete der Anwaltskanzlei Weiß & Partner

Erfahren Sie mehr über die Schutzpakete der Anwaltskanzlei Weiß & Partner für die rechtssichere Gestaltung Ihrer Internetpräsenzen.

Cyber-Sicherheit

Webpräsenz der Allianz für Cyber-Sicherheit

Aktuelles

| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Wir haben Kenntnis von betrügerischen urheberrechtlichen Abmahnungen erlangt, die den Namen der Kanzlei Hausfeld missbrauchen. Diese Fake-Abmahnungen zielen gezielt auf Social-Med…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Ein Klick – und das ganze Leben steht Kopf. Laura (26) bekommt eines Morgens mehrere beunruhigende Nachrichten von Freunden: Intime Fotos von ihr kursieren auf Facebook. Aufgenomm…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Die identifizierende Verdachtsberichterstattung gehört zu den sensibelsten Bereichen des Medienrechts. Wird über einen konkreten Verdacht öffentlich berichtet und eine Person erke…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
In Zeiten digitaler Arbeitsprozesse stellt sich zunehmend die Frage, wie weit der Zugriff von Arbeitgebern auf dienstlich bereitgestellte Kommunikationsmittel reichen darf – insbe…