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Kein Vertrag bei unbeabsichtigtem Klick

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Immer häufiger werden Verträge im Internet abgeschlossen – schnell, bequem und rechtlich bindend. Ein Klick auf einen Button genügt. Doch was passiert, wenn ein solcher Klick aus Versehen erfolgt oder gar nicht vom Nutzer selbst stammt? Muss man dann trotzdem zahlen?

Mit dieser Frage hatte sich das Amtsgericht München in einem besonders praxisnahen Fall zu befassen. Im Mittelpunkt stand eine Patientin, die online angeblich eine kieferorthopädische Behandlung beauftragt hatte – obwohl sie selbst nie auf „Jetzt zahlungspflichtig bestellen“ geklickt hatte. Die Entscheidung (Urt. v. 23.10.2024 – 231 C 18392/24) fiel zugunsten der Verbraucherin – und hat über den konkreten Fall hinaus große Bedeutung für den Online-Vertragsverkehr.

Der Hintergrund: Eine E-Mail, ein Klick – und plötzlich ein Vertrag?

Die Geschichte beginnt mit einem ganz gewöhnlichen Zahnarztbesuch:
Am 20. Oktober 2022 stellte sich eine Münchnerin in einer Zahnklinik vor, um sich zu einer kieferorthopädischen Behandlung beraten zu lassen. Sie litt unter einem Schiefstand im Unterkiefer. Die Klinik empfahl eine Korrektur mittels sogenannter Aligner – durchsichtige Zahnschienen, die individuell angefertigt werden und Zahnfehlstellungen schrittweise beheben sollen.

Im Rahmen dieses Termins wurde ein Scan des Zahnstatus durchgeführt, auf dessen Grundlage ein Behandlungsplan erstellt wurde. Nur wenige Tage später – am 25. Oktober 2022 – erhielt die Patientin eine E-Mail der Zahnklinik. Darin befand sich ein personalisierter Link, über den sie ihren Behandlungsplan sowie das dazugehörige Angebot abrufen konnte.

Die Weiterleitung an eine brasilianische Freundin – und ein folgenschwerer Klick

Bevor sie sich für oder gegen die Behandlung entschied, wollte sich die Frau eine zweite Meinung einholen. Sie leitete daher die E-Mail mit dem Link an eine befreundete Zahnärztin in Brasilien weiter, um sich dort fachkundig beraten zu lassen.

Was dann geschah, ist nicht vollständig rekonstruierbar – aber unstreitig:
Noch am selben Tag erhielt die Patientin eine Bestätigungsemail, wonach die Behandlung gestartet sei. Am Folgetag folgte eine Rechnung über 1.790 Euro. Die Klinik war überzeugt, dass mit dem Klick auf den Link und dem anschließenden Betätigen des Buttons „Jetzt zahlungspflichtig bestellen“ ein verbindlicher Vertrag zustande gekommen sei.

Die Patientin reagierte umgehend: Sie schrieb der Klinik, dass sie keine Bestellung ausgelöst habe und keinen Vertrag abschließen wollte. Die Zahlung verweigerte sie.

Die rechtliche Auseinandersetzung: Wer trägt die Verantwortung?

Die Zahnklinik trat ihre angebliche Forderung an ein Abrechnungsunternehmen ab. Dieses klagte daraufhin vor dem Amtsgericht München gegen die Patientin auf Zahlung.

Die zentrale Frage:
War durch die Nutzung des Links und das Klicken auf „Jetzt zahlungspflichtig bestellen“ tatsächlich ein wirksamer Behandlungsvertrag zwischen der Patientin und der Klinik zustande gekommen?

Die Klägerin behauptete, die Patientin selbst habe den Klick ausgelöst. Alternativ habe die brasilianische Freundin als Stellvertreterin gehandelt. Beides stritt die Beklagte ab.

Die Entscheidung des Amtsgerichts München

Das Amtsgericht München wies die Klage ab. Es sah keinen Nachweis eines wirksamen Vertragsschlusses – weder durch eigenes Handeln der Beklagten noch durch wirksame Vertretung. Das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig.

Im Einzelnen führte das Gericht aus:

1. Kein Beweis für eigenhändigen Klick der Beklagten

Der Klägerin gelang es nicht, den Beweis zu führen, dass die Beklagte persönlich den Bestellbutton betätigt hatte. Es lagen weder technische noch inhaltliche Nachweise vor:

  • Keine IP-Adresse, die dem Anschluss der Beklagten zugeordnet werden konnte.
  • Keine Authentifizierung, etwa durch Login, TAN oder Ähnliches.
  • Der Link war nicht passwortgeschützt – jede Person mit Zugriff auf die E-Mail konnte die Bestellung auslösen.

Die bloße Tatsache, dass ein Klick erfolgt sei, reichte dem Gericht nicht. Der Zugang zum Bestellprozess war völlig ungesichert – und damit offen für Dritte.

„Die Klägerseite legte weder dar, dass der Bestellbutton von der IP-Adresse der Beklagten betätigt wurde, noch, dass die Beklagte sich in irgendeiner Weise authentifizierte.“

2. Keine wirksame Stellvertretung durch die Freundin

Auch eine Vertretung durch die brasilianische Freundin schied aus:

  • Die Freundin handelte ohne ausdrückliche oder konkludente Vollmacht.
  • Aus der E-Mail war für einen objektiven Dritten nicht erkennbar, dass sie zum Vertragsschluss ermächtigt worden war.
  • Es lag kein erkennbarer Rechtsbindungswille vor – die Bekannte wollte sich lediglich den Plan anschauen, nicht bestellen.

Das Gericht bewertete die Weiterleitung der E-Mail als bloßen Informationsaustausch – nicht als Bevollmächtigung im Sinne des § 164 BGB.

„In der Weiterleitung ist […] auch für einen objektiven Empfänger keine Vollmachtserteilung erkennbar.“

3. Kein Vertrag – und selbst wenn: Anfechtung wegen Irrtums

Selbst wenn man unterstellte, dass durch die Freundin ein Vertrag im Namen der Patientin zustande gekommen sei, wäre dieser anfechtbar gewesen:

  • Die Patientin habe binnen zwei Stunden nach Erhalt der Bestätigungs-E-Mail erklärt, dass sie keinen Vertrag wollte.
  • Das Gericht sah darin eine wirksame Anfechtung wegen Inhaltsirrtums nach § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB.
  • Folge: Der Vertrag wäre gemäß § 142 BGB als von Anfang an nichtig anzusehen.

„Die Beklagte hätte jedenfalls mit der E-Mail […] zum Ausdruck gebracht, dass sie von dem Vertrag Abstand nehmen möchte.“

Rechtliche Bewertung: Was bedeutet das Urteil?

Das Amtsgericht München erinnert mit seiner Entscheidung an zentrale Grundsätze des deutschen Vertragsrechts – auch im digitalen Raum:

  • Ein wirksamer Vertrag erfordert eine eindeutige Willenserklärung des Vertragspartners.
  • Wer behauptet, ein Vertrag sei durch eine digitale Erklärung zustande gekommen, trägt die Darlegungs- und Beweislast.
  • Die Anforderungen an die Identifizierbarkeit und Authentifizierung sind hoch – besonders bei kostenpflichtigen Leistungen.
  • Eine Vertretung ohne Vollmacht führt zu keinem Vertrag.
  • Eine schnelle Reaktion mit ausdrücklicher Ablehnung kann zur erfolgreichen Anfechtung führen.

Praxisfolgen für Verbraucher

Wenn Sie eine E-Mail mit einem Bestelllink weiterleiten, haften Sie nicht automatisch für die Folgen eines Klicks durch Dritte. Entscheidend ist, ob erkennbar war, dass der Empfänger mit Ihrer Zustimmung handelt – und ob Sie selbst eine Willenserklärung abgegeben haben.

Wichtig ist jedoch: Reagieren Sie schnell!
Wenn Sie bemerken, dass ein Vertrag ohne Ihren Willen zustande kam, sollten Sie umgehend widersprechen – und gegebenenfalls die Anfechtung erklären.

Praxisfolgen für Anbieter

Unternehmen, die Online-Verträge anbieten, müssen darauf achten:

  • Sichern Sie den Bestellprozess technisch ab – z. B. durch Login, Zwei-Faktor-Authentifizierung oder persönliche Codes.
  • Stellen Sie klar, wer tatsächlich klickt – IP-Adressen, Zeitstempel und Bestätigungsmails helfen bei der Beweisführung.
  • Verlassen Sie sich nicht auf einen bloßen Klick – der Wille zur rechtsverbindlichen Erklärung muss eindeutig sein.

Fazit: Kein Vertrag ohne klaren Nachweis

Die Entscheidung des Amtsgerichts München stellt klar:
Ein Vertrag setzt nicht nur einen Klick voraus, sondern eine nachweisbare, ernsthafte Erklärung des Willens zum Vertragsschluss – und zwar durch die richtige Person. Fehlt es daran, bleibt es beim Grundsatz: Kein Vertrag ohne Konsens.

Dieses Urteil schützt Verbraucher vor digitalen Schnellschüssen – und erinnert Anbieter daran, wie wichtig sorgfältige Dokumentation ist. In einer Zeit, in der Online-Vertragsabschlüsse zum Alltag gehören, setzt das AG München damit ein deutliches Signal: Auch im Internet gilt das Vertragsrecht – und das beginnt beim Willen, nicht beim Klick.

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