Kein Rechtsmissbrauchs-Indiz bei einmaliger überhöhter Vertragsstrafe

Wettbewerbsrechtliche Auseinandersetzungen sind häufig von der Frage geprägt, ob Abmahnungen und Vertragsstrafen fair und rechtmäßig sind – oder ob sie in Wahrheit rechtsmissbräuchlich erhoben werden. Der Vorwurf: Nicht der faire Wettbewerb, sondern die Geltendmachung von Vertragsstrafen als Geschäftsmodell stünde im Mittelpunkt.
Das OLG Nürnberg hatte sich in einem aktuellen Fall mit dieser Frage auseinanderzusetzen – und kam zu einem differenzierten Ergebnis: Eine einmalig geforderte, möglicherweise überhöhte Vertragsstrafe stellt für sich genommen noch kein Indiz für Rechtsmissbrauch i.S.d. § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG dar.
Der rechtliche Rahmen: Wann ist eine Vertragsstrafe rechtsmissbräuchlich?
Der § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG nennt explizit folgende Konstellation als Indiz für einen missbräuchlichen Unterlassungsanspruch:
Eine missbräuchliche Geltendmachung ist im Zweifel anzunehmen, wenn der Gläubiger offensichtlich überhöhte Vertragsstrafen vereinbart oder fordert.
Ziel dieser Regelung ist es, Abmahnungen auf Grundlage überzogener Sanktionen zu unterbinden, die nicht mehr dem Schutz des fairen Wettbewerbs dienen, sondern wirtschaftlichen Interessen des Gläubigers – etwa durch Einschüchterung, massenhafte Geltendmachung oder systematische Vertragsstrafenerwirtschaftung.
Doch was, wenn nur eine einzige Vertragsstrafe gefordert wird – diese aber recht hoch ausfällt?
Der Sachverhalt: Unterlassungserklärung mit hoher Vertragsstrafe
Im Zentrum des Falles steht eine wettbewerbsrechtliche Auseinandersetzung zwischen zwei Unternehmen. Die Verfügungsklägerin hatte die Verfügungsbeklagte wegen eines Wettbewerbsverstoßes abgemahnt und verlangte die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung.
Die Klägerin legte der Abmahnung eine vorformulierte Unterlassungserklärung bei, in der sich die Beklagte für den Fall zukünftiger Verstöße zur Zahlung einer Vertragsstrafe verpflichten sollte.
Dabei enthielt die vorformulierte Erklärung zwei besondere Regelungen:
- Verzicht auf die Einrede der natürlichen Handlungseinheit:
Die Beklagte sollte sich verpflichten, nicht geltend zu machen, dass mehrere einzelne Verstöße (z. B. bei dauerhaft online geschalteter Werbung) als ein einheitlicher Verstoß zu werten seien. - Wöchentliche Aufspaltung bei Dauerhandlungen:
Zudem sollte jede angefangene Woche, in der ein Wettbewerbsverstoß (z. B. durch eine Werbeanzeige im Internet) fortbesteht, als eigenständiger Verstoß gewertet werden – mit jeweils eigener Vertragsstrafe.
Die Beklagte sah hierin ein rechtsmissbräuchliches Verhalten, insbesondere eine systematische Überhöhung der Vertragsstrafenforderung.
Die Entscheidung des OLG Nürnberg
Das OLG Nürnberg wies den Einwand des Rechtsmissbrauchs zurück. Die Richter begründeten ihre Entscheidung mit einer umfassenden Einzelfallabwägung, die in mehreren Stufen erfolgte.
a) Maßstab: Wann liegt ein Rechtsmissbrauch vor?
Das Gericht stellte klar:
Ein Missbrauch im Sinne von § 8c UWG setzt voraus, dass das Verhalten des Anspruchstellers nicht in erster Linie dem Schutz des Wettbewerbs dient, sondern eigene wirtschaftliche Interessen verfolgt werden – etwa durch willkürliche Vertragsstrafen oder massenhafte Abmahnungen.
Einmalige Vorgänge reichen dazu in der Regel nicht aus, sondern es braucht ein systematisches, strukturelles Vorgehen.
b) Einrede der natürlichen Handlungseinheit – nicht per se missbräuchlich
Die Verfügungsklägerin hatte verlangt, dass die Beklagte auf die Einrede der natürlichen Handlungseinheit verzichtet. Das bedeutet, dass mehrere ähnlich gelagerte Verstöße (z. B. identische Werbeanzeigen über Tage) nicht mehr zu einem einheitlichen Geschehen zusammengefasst werden dürfen.
Das OLG stellt hierzu klar:
- In Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) wäre eine solche Klausel unzulässig, weil sie gegen § 307 BGB verstößt.
- In einer individuellen Vereinbarung (wie im konkreten Fall) ist sie aber zulässig.
Entscheidend sei, dass kein Zwang zur Annahme der Unterlassungserklärung bestand und die Parteien die Bedingungen frei verhandeln konnten.
Fazit: Der Verzicht auf die Einrede der natürlichen Handlungseinheit stellt kein Indiz für Rechtsmissbrauch dar.
c) Wöchentliche Aufspaltung bei Dauerhandlungen – kritisch, aber zulässig
Kritischer sah das Gericht die Klausel zur wöchentlichen Aufspaltung von Dauerverstößen:
Jede Woche, in der der Verstoß andauert, soll als eigenständige Zuwiderhandlung mit eigener Vertragsstrafe gelten.
Das OLG sah darin durchaus ein gewisses Missbrauchspotenzial. Denn bei Dauerverstößen – etwa bei vergessener Werbung im Internet – könnte die Vertragsstrafe durch einfache Aufsummierung unverhältnismäßig steigen.
Allerdings relativierte das Gericht diese Sorge:
- § 13a UWG erlaubt es, bei der Höhe der Vertragsstrafe die Dauer der Verletzungshandlung zu berücksichtigen.
- Zudem wurde die Vertragsstrafe hier nach dem sogenannten Hamburger Brauch vereinbart:
- Die genaue Höhe wird im Einzelfall vom Gläubiger nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) bestimmt.
- Der Schuldner hat ein gerichtliches Kontrollrecht (§ 315 Abs. 3 BGB), falls das Ermessen überschritten wird.
Fazit: Auch wenn die Vertragsgestaltung streng erscheint, ist sie nicht rechtsmissbräuchlich, solange der Schuldner gerichtlich überprüfen lassen kann, ob die Vertragsstrafe angemessen ist.
d) Die Kernfrage: Ist eine einmalige überhöhte Forderung rechtsmissbräuchlich?
Die entscheidende Aussage des Gerichts:
„Der Verfügungsklägerin kann allenfalls ein Fall der Forderung einer überhöhten Vertragsstrafe vorgeworfen werden. Und eine einzige (offensichtlich) überhöhte Vertragsstrafe ist kein Indiz für einen Missbrauch i.S.v. § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG.“
Das bedeutet: Ein einzelner Ausreißer reicht nicht. Nur wenn mehrere Faktoren zusammenwirken – etwa systematische Überhöhungen, wirtschaftliche Interessen im Vordergrund, zahlreiche Abmahnungen etc. – sei ein Rechtsmissbrauch denkbar.
Bewertung und Auswirkungen in der Praxis
Das Urteil bringt wichtige Klarstellungen für die Praxis des Wettbewerbsrechts:
Aspekt |
Kernaussage des OLG Nürnberg |
Einmalige überhöhte Vertragsstrafe |
Kein Rechtsmissbrauch nach § 8c UWG |
Verzicht auf natürliche Handlungseinheit |
In Individualabrede zulässig |
Aufspaltung von Dauerhandlungen pro Woche |
Nicht per se missbräuchlich, wenn gerichtliche Kontrolle möglich |
Vertragsstrafe nach Hamburger Brauch |
Ermöglicht ausgewogene Interessenwahrung |
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Alexander Bräuer
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