Irreführung durch „Apfelleder“
Der Trend zu „grünen“ Materialien beflügelt kreative Produktnamen. Begriffe wie „Apfelleder“ klingen hochwertig, natürlich und nachhaltig. Das Oberlandesgericht Köln hat nun klargestellt: Wird ein Hundehalsband aus Kunststoff mit „Apfelleder“ beworben, bewertet der durchschnittliche Verbraucher dies als Lederbezug – und zwar in einem Sinne, der über „nur Optik“ hinausgeht. Die Folge: Die Werbung wirkt irreführend. Für Shop-Betreiber ist das Urteil ein deutlicher Hinweis, Produktbezeichnungen kritisch zu prüfen.
Kernaussagen – für die Praxis übersetzt
- Maßstab ist nicht der objektive Wortsinn und nicht, was Sie „eigentlich gemeint“ haben, sondern die Erwartung der angesprochenen Verbraucher.
- Nutzen Sie mehrdeutige Begriffe, müssen Sie sich grundsätzlich alle naheliegenden Bedeutungen zurechnen lassen.
- Irreführungen sind bereits dann geschäftlich relevant, wenn sie Verbraucher zu vorgelagerten Entscheidungen bewegen (z. B. Produktaufruf im Shop).
- Das OLG Köln wertete die Bewerbung eines Kunststoff-Hundehalsbands als „Apfelleder“ als irreführend.
Der Fall
Wer stritt mit wem?
Antragsteller war ein Verband der ledererzeugenden Industrie. Die Antragsgegnerin betrieb einen Onlineshop für Hundezubehör; Geschäftsführer ist ein aus dem Fernsehen bekannter Hundetrainer. Seit 2024 wurden dort Halsbänder und Leinen mit der Bezeichnung „Apfelleder“ angeboten. Tatsächlich bestand das Material aus einem synthetischen Verbund, dem Apfeltrester und Schalenreste zugesetzt werden.
So sah das Angebot im Shop aus
Auf der Übersichtsseite wurden mehrere Produkte etwa mit „Halsband HEXA mit Apfelleder – CyanBlau“ präsentiert. Die Detailseite enthielt unter einem aufklappbaren Bereich („Produktbeschreibung“) Hinweise wie „vegan“, und unter „Produktdetails“ die Angabe „Material: Hexa mit PVC/TPU beschichtet“. In den Warenkorb gelangte man, ohne diese Bereiche öffnen zu müssen. Genau diese Kombination – prominentes „Apfelleder“ oben, erläuternde Hinweise versteckt – prägte den ersten Eindruck.
Vorgerichtlich und erste Instanz
Der Verband mahnte ab, es erfolgte keine Unterlassungserklärung. Das Landgericht Köln wies den Eilantrag zunächst ab. Begründung in Kurzform: Im Gesamtkontext sei erkennbar, dass es sich um ein veganes Ersatzprodukt handele; schon die blaue Farbe des Bandes und die Produktbeschreibung sprächen gegen echtes Leder. Außerdem wecke „Apfelleder“ Neugier und veranlasse Verbraucher, die Beschreibung zu öffnen – dort stehe „vegan“.
Die Wende in der Berufung
Das OLG Köln (6 U 51/25) hob die Entscheidung auf und erließ die begehrte Unterlassungsverfügung. Es bejahte sowohl die Dringlichkeit als auch die Aktivlegitimation des Verbands. Entscheidend war aber die inhaltliche Würdigung: Die konkrete Werbung mit „Apfelleder“ täusche über ein wesentliches Merkmal – die Beschaffenheit des Produkts.
Die Entscheidungsgründe
1) Werbeadressat und Prüfungsmaßstab
Ausgangspunkt ist die Vorstellung des informierten, situationsbedingt aufmerksamen und angemessen verständigen Verbrauchers, der sich für Hundezubehör interessiert. Nicht maßgeblich ist, was der Händler mit „Apfelleder“ bezeichnen wollte; entscheidend ist, was beim Publikum ankommt.
2) Warum „Apfelleder“ als Wortwahl problematisch ist
Das Gericht analysierte den Begriff sprachlich und tatsächlich:
- Wortbildung: In zusammengesetzten Begriffen trägt im Deutschen regelmäßig der letzte Bestandteil die „Grundbedeutung“. Bei „Apfelleder“ ist das Grundwort „Leder“. „Apfel“ wirkt als näherer Zusatz.
- Verkehrsverständnis zu „Leder“: Leder wird im allgemeinen Verständnis als Produkt aus tierischen Häuten/Fellen wahrgenommen, das durch Gerben hergestellt wird.
- Mehrdeutigkeit geht zulasten des Werbenden: Selbst wenn „Apfelleder“ in bestimmten Kreisen als Bezeichnung für eine vegane Lederalternative kursiert, ist diese Bedeutung nicht derart etabliert, dass sie den Verbraucherleitbild prägt. Der Begriff bleibt mindestens mehrdeutig – und diese Mehrdeutigkeit muss sich die Werbende zurechnen lassen.
- Anmutung „natürlich & hochwertig“: Der Zusatz „Apfel“ lässt ein natürliches Ausgangsmaterial erwarten, nicht bloß eine Kunststoffware. Jedenfalls liegt es nahe, dass Verbraucher ein Produkt mit ledertypischen Eigenschaften (Optik, Haptik, Haltbarkeit) vermuten.
Ergebnis: Ein erheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise wird – ausgehend vom prominenten „Apfelleder“ – annehmen, das Produkt bestehe ganz oder teilweise aus Leder oder werde ledertypischen Qualitätsmaßstäben gerecht. Diese Erwartung trifft hier nicht zu.
3) „Aufklärung“ reicht nicht – warum Hinweise tief in der Produktseite nicht helfen
Die Bezeichnung „vegan“ erschien erst nach einem Klick im Bereich „Produktbeschreibung“; die Materialangabe („Hexa mit PVC/TPU beschichtet“) steckte unter „Produktdetails“. Das OLG betonte, dass Verbraucher Produkte in den Warenkorb legen können, ohne diese Abschnitte zu öffnen. Der erste, prägende Eindruck wird durch die plakative Hauptbezeichnung erzeugt. Nachgeschobene Detailinfos – zumal weniger prominent – korrigieren eine initiale Fehlvorstellung regelmäßig nicht zuverlässig. Auch Designmerkmale (z. B. blaue Farbe) oder die Bezeichnung „HEXA“ lösen die Irreführungsgefahr nicht auf.
4) Geschäftliche Relevanz
Die Irreführung war geschäftlich relevant. Es genügt, dass Verbraucher durch den falschen Eindruck veranlasst werden, sich näher mit dem Angebot zu befassen – etwa durch den Klick auf die Produktseite oder den Beginn des Bestellvorgangs. Es braucht keinen tatsächlichen Kauf. Entscheidend ist die Eignung, die Marktentscheidung zu beeinflussen.
5) Verfügungsgrund, Wiederholungsgefahr, Ordnungsmittel
Die Dringlichkeit wurde bejaht; der Verband hatte den Verstoß zeitnah verfolgt. Wiederholungsgefahr war nicht ausgeräumt, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung lag nicht vor. Das Gericht drohte Ordnungsgeld bis 250.000 € (ersatzweise Ordnungshaft) an.
6) Ergebnis
Die Werbung „Apfelleder“ für Hundehalsbänder, die weder vollständig noch teilweise aus Leder bestehen, wurde untersagt.
Was bedeutet das Urteil für Ihre Praxis?
A. Produktbenennungen mit „Leder“-Anklang
- Vermeiden Sie Wortverbindungen mit „Leder“, wenn das Produkt kein Leder enthält.
- Wenn Sie auf eine Optik abstellen möchten, verwenden Sie klare Begriffe: „Lederoptik“, „lederähnliche Oberfläche“, „Kunststoff in Lederprägung“.
- Begriffe wie „veganes Leder“, „Veganleder“, „Apfelleder“, „Kaktusleder“ bergen ein erhöhtes Risiko, weil sie beim Publikum eine Leder-Assoziation auslösen können.
B. „Aufklärung“ sichtbar machen
- Korrigierende Hinweise müssen früh, deutlich und prominent erfolgen. In aufklappbaren Bereichen („Details“) oder nur im Fließtext der Produktbeschreibung bleiben sie leicht unentdeckt.
- Platzieren Sie Materialangaben oberhalb des „In den Warenkorb“-Buttons – klar, lesbar und nicht hinter einem Drop-Down versteckt.
C. Green Marketing ohne Fallstricke
- Nachhaltigkeitsclaims sollten konkret sein („Beschichtung mit Anteil aus Apfeltrester X %“), nicht suggestiv („Apfelleder“).
- Prüfen Sie, ob eine Sensorik-Anmutung (Optik/Haptik) deutlich als solche benannt ist und nicht als Materialangabe missverstanden werden kann.
D. Händler haften auch für Herstellertexte
- Übernehmen Sie Bezeichnungen nicht ungeprüft aus Herstellerkatalogen. Eigenes Risiko bleibt bestehen.
- Passen Sie Listen- und Kachelansichten an: Der erste Blick zählt. Dort entsteht die Erwartung.
Praxis-Checkliste für Shops & Produktseiten
- Beinhaltet der Produktname einen „Leder“-Bezug, obwohl kein Leder enthalten ist? → Umbenennen.
- Stehen Materialangaben gut sichtbar vor dem Warenkorb? → Hervorheben.
- Gibt es mehrdeutige Begriffe („Apfelleder“, „Veganleder“)? → Neutralisieren oder präzisieren („Kunststoffband, Beschichtung mit Apfeltresteranteil“).
- Sind Nachhaltigkeitsaussagen messbar (Anteil, Herkunft, Verarbeitung)? → Zahlen/Fakten statt Fantasiebezeichnungen.
- Stimmen Bilder, Icons, Farben mit dem Material überein, ohne falsche Anmutungen (Patina, Narbung) zu erzeugen? → Abgleich.
Unser Fazit
Die Entscheidung des OLG Köln zeigt, wie streng Gerichte die erste Wahrnehmung einer Produktbezeichnung werten. Wer mit der Aura von Leder spielt, sollte entweder echtes Leder liefern oder die Bezeichnung so wählen, dass beim Publikum keine ledertypische Erwartung entsteht. Verlassen Sie sich nicht auf spätere Aufklärungstexte in Untermenüs – sie kommen oft zu spät.
Ansprechpartner
Alexander Bräuer
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