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Irreführende Werbung: „Fachzentrum für medizinische Haarentfernung“ ohne medizinisch qualifiziertes Personal

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Wer sich für eine dauerhafte Haarentfernung entscheidet, erwartet Sicherheit, Kompetenz und Transparenz. Begriffe wie „medizinisch“ und „Fachzentrum“ vermitteln einen besonderen Qualitätsanspruch. Genau hier setzt das Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 19.08.2025 (Az.: 3 U 562/25) an: Ein Kosmetikstudio darf ohne entsprechend medizinisch qualifiziertes Personal nicht mit „Fachzentrum für medizinische Haarentfernung“ werben. Der Senat bewertet diese Bezeichnung als irreführend – mit spürbaren Folgen für die Praxis.

Kurzüberblick

  • „Fachzentrum für medizinische Haarentfernung“ suggeriert eine besondere medizinische Qualifikation des Personals
  • Medizinisch zugelassene Geräte genügen für diese Bezeichnung nicht
  • Gesundheitsbezogene Werbung unterliegt erhöhten Richtigkeits- und Klarheitsanforderungen
  • Auch bei räumlicher Distanz von rund 70 km kann ein Wettbewerbsverhältnis bestehen
  • Dringlichkeit im Eilverfahren: Der Senat orientiert sich regelmäßig an etwa einem Monat ab belastbarer Kenntnis

Der Sachverhalt – was passiert ist

Die Verfügungsklägerin betreibt bundesweit ein Franchisesystem für dauerhafte Haarentfernung. Die Verfügungsbeklagte führte bis Ende 2024 einen Standort als Franchisenehmerin, schied dann aus und wechselte zu einer konkurrierenden Kette. In ihrem neuen Außenauftritt nutzte sie die Bezeichnung „Fachzentrum für medizinische Haarentfernung“, u.a. auf der Eingangstür. Die verwendeten Laser waren als Medizinprodukte (ohne eigene medizinische Zweckbestimmung) klassifiziert; das Personal war für den Geräteeinsatz zertifiziert, verfügte aber über keine medizinische Ausbildung.

Die Senior-Franchisegeberin mahnte ab. Eine strafbewehrte Unterlassungserklärung wurde nicht abgegeben. In erster Instanz wies das LG Amberg den Eilantrag zurück – u.a. mit der Begründung, die Bezeichnung „medizinisch“ könne sich auch auf die geprüfte Gerätesicherheit beziehen und die Rechtsverfolgung wirke rechtsmissbräuchlich. Gegen diese Entscheidung legte die Franchisegeberin sofortige Beschwerde ein. Vor dem OLG Nürnberg wurde mündlich verhandelt; das Verfahren ging in ein Berufungsurteil über.

Die Entscheidungsgründe des OLG Nürnberg im Detail

1) Irreführung durch „medizinisch“ und „Fachzentrum“

Der Senat sieht mehrere naheliegende Deutungen der Bezeichnung „medizinische Haarentfernung“. Eine davon wäre zwar, dass lediglich geprüfte, sichere Geräte verwendet werden. Ebenso naheliegend ist aber das Verständnis, die Behandlung habe einen medizinischen Charakter: Voruntersuchung, individuelle Beratung unter Berücksichtigung von Hauttyp und Gesundheitszustand, Erkennen pathologischer Befunde sowie eine fachkundige Auswahl verschiedener Methoden (z.B. SWT, Laser, Nadelepilation). In Kombination mit „Fachzentrum“ verdichtet sich beim Publikum die Erwartung, dass vor Ort Personen mit gesteigerter medizinischer Fachkunde tätig sind.

Das Studio setzte zwar zertifiziertes, aber nicht medizinisch ausgebildetes Personal ein. Damit klafft eine Lücke zwischen der Vorstellung des Durchschnittsverbrauchers und der tatsächlichen Leistung. Der Senat ordnet die Aussage als mehrdeutig bzw. unklar ein – beides kann zur Irreführung führen. Entscheidend ist nicht, ob der Werbende Mehrdeutigkeit beabsichtigt. Reicht bereits ein erheblicher Teil des Verkehrs die missverständliche Deutung zugrunde, liegt eine Irreführung nahe.

Der häufig gehörte Einwand „Unsere Geräte sind medizinisch klassifiziert“ trägt nach dieser Entscheidung nicht. Das Adjektiv „medizinisch“ bezieht sich im Gesamteindruck nicht nur auf die Apparatur, sondern auf die Behandlung. Wird damit zugleich ein „Fachzentrum“ beworben, erwartet das Publikum typischerweise besondere Fachkunde. Die bloße Geräte-Zertifizierung genügt nicht, um diese Erwartung zu erfüllen. Im Gegenteil: Wer in dieser Konstellation nur Selbstverständlichkeiten (Geräteprüfung, Zertifikate für den Geräteeinsatz) herausstellt, riskiert eine unzulässige Hervorhebung des Normalen.

2) Gesundheitsbezug: strenge Maßstäbe

Bei gesundheitsbezogenen Aussagen gelten strenge Anforderungen an Richtigkeit und Klarheit. Aussagen, die eine besondere gesundheitliche Qualität oder Unbedenklichkeit nahelegen, beeinflussen die Entscheidung von Kunden erfahrungsgemäß stark. Entsprechend prüft der Senat besonders kritisch, welche Fehlvorstellungen die Kombination aus „medizinisch“ und „Fachzentrum“ beim Publikum hervorruft. Wird eine medizinische Zusatzkompetenz suggeriert, muss diese im Betrieb abgebildet sein – etwa durch medizinisch ausgebildetes Personal und eine strukturierte medizinische Beratung.

3) Wettbewerbsverhältnis trotz 70 km Distanz

Bemerkenswert ist die Bewertung der räumlichen Reichweite. Zwischen dem Standort der Beklagten und einem betriebenen Nürnberger Standort im Franchisesystem der Klägerin liegen gut 70 km. Nach Einschätzung des Senats schreckt diese Entfernung Verbraucher, die Wert auf einen „medizinischen“ Charakter legen, nicht ab. Gerade weil Haarentfernungen regelmäßig mehrere Sitzungen erfordern, sind Kunden bereit, für eine vermeintlich höhere Qualität Aufwand zu betreiben. Das Wettbewerbsverhältnis war daher anzunehmen.

4) Dringlichkeit und „Selbstwiderlegung“

Im Wettbewerbsrecht wird Dringlichkeit vermutet. Sie kann jedoch entfallen, wenn der Antragsteller zu lange zuwartet. Der Senat sieht als groben Richtwert regelmäßig mehr als etwa einen Monat zwischen Kenntnis und Antragstellung als kritisch an. Wichtig ist, ab wann „Kenntnis“ vorliegt. Solange die Beklagte noch Franchisenehmerin war, bestand nach Auffassung des Senats kein zumutbarer Anlass für gerichtliche Schritte. Die maßgebliche Uhr beginnt daher erst zu laufen, wenn die Parteien als echte Wettbewerber gegenüberstehen und belastbare Tatsachen zum Verstoß vorliegen.

5) Kein Rechtsmissbrauch (§ 8c UWG)

Die Beklagte berief sich darauf, die Klägerin habe früher selbst mit „medizinischer Haarentfernung“ geworben. Dies greift nach Ansicht des Senats nicht durch. In Fällen der Irreführung, die zugleich Verbraucherinteressen betrifft, greift der sogenannte „unclean hands“-Einwand regelmäßig nicht. Auch weitere Argumente – etwa eine gezielte „Kleinhaltung“ durch parallele Verfahren – verfangen nicht. Eine konsequente Umstellung der eigenen Außendarstellung (Entfernung des Begriffs „medizinisch“) spricht eher für die Wahrnehmung lauterkeitsrechtlicher Verantwortung.

6) Ergebnis und Reichweite des Verbots

Die Beklagte wurde im Eilverfahren zur Unterlassung der Bezeichnung verurteilt; Ordnungsmittel wurden angedroht, die Kosten beider Instanzen auferlegt und der Streitwert festgesetzt. Wichtig: Das Gericht schließt nicht aus, dass die Bezeichnung in Zukunft zulässig sein kann – etwa wenn tatsächlich medizinisch qualifiziertes Personal beschäftigt wird und die Abläufe den geweckten Erwartungen entsprechen oder hinreichend klarstellend kommuniziert wird. Wie Korrekturen im Einzelnen auszugestalten wären, legt das Gericht nicht fest; dafür ist der Werbende selbst verantwortlich.

Was bedeutet das für die Praxis von Kosmetikstudios?

Dos and Don’ts bei der Begriffswahl

  • Verwenden Sie „medizinisch“ nur, wenn die Leistung medizinisch geprägt ist: strukturierte Anamnese, fachkundige Risikobewertung, Erkennen behandlungsbedürftiger Befunde und medizinisch ausgebildetes Personal
  • „Fachzentrum“ setzt eine besondere fachliche Kompetenz und organisatorische Qualität voraus. Ohne echte Mehrqualifikation wirkt der Begriff überhöht
  • Vermeiden Sie mehrdeutige Kombinationen („medizinisch“ + „Fachzentrum“), wenn das Angebot tatsächlich kosmetisch ausgerichtet ist
  • Weisen Sie nicht bloß auf Selbstverständlichkeiten hin (z.B. „zertifizierte Bediener“), wenn damit ein besonderer Vorteil suggeriert wird

Rechtssichere Alternativen

  • Sachlich-neutral: „Dauerhafte Haarentfernung mit Lasertechnik (Anwendung durch zertifizierte Anwender)“
  • Klarstellende Zusätze können helfen, Missverständnisse zu vermeiden, etwa: „Keine medizinische Behandlung. Keine ärztliche Beratung im Haus.“
  • Falls medizinische Indikationen behandelt werden sollen: entsprechende Qualifikationen aufbauen, Prozesse dokumentieren und transparent kommunizieren

Interne Checks

  • Außendarstellung screenen: Schaufenster, Website, Social Media, Flyer, Buchungsportale
  • Begriffe mit Gesundheitsbezug auf Klarheit prüfen
  • Schulungen und Arbeitsanweisungen zur Kund:innen-Beratung (z.B. Hauttyp, Kontraindikationen, Abbruchkriterien)
  • Beweisvorsorge: Qualifikationsnachweise, Gerätekonformität, Standardprozesse

So reagieren Sie auf eine Abmahnung

  • Fristen ernst nehmen und keine vorschnellen Erklärungen abgeben
  • Aussage und Erscheinungsbild dokumentieren (Screenshots, Fotos, Zeitpunkte)
  • Reichweite prüfen: Wo wird die Bezeichnung überall genutzt?
  • Juristische Ersteinschätzung einholen, Unterlassungserklärung nur angepasst und mit Blick auf Folgekosten abgeben
  • Flankierend die Werbung zügig bereinigen, um weitere Ansprüche zu vermeiden

Häufige Fragen

Darf ein Kosmetikstudio jemals mit „medizinisch“ werben?
Das kommt darauf an, ob der Betrieb tatsächlich medizinisch geprägt ist – insbesondere durch medizinisch ausgebildetes Personal und entsprechende Abläufe. Ohne diese Basis ist die Bezeichnung riskant.

Reicht es, wenn die Geräte „medizinisch“ klassifiziert sind?
Geräteklassifikation allein genügt nicht. Entscheidend ist der Gesamteindruck: Behandlung, Beratung und Qualifikation der handelnden Personen.

Ist „Fachzentrum“ ohne „medizinisch“ unproblematisch?
„Fachzentrum“ kann eigene Erwartungen wecken. Ohne besondere Fachkompetenz oder Struktur kann auch dieser Begriff problematisch sein.

Kann man mit klarstellenden Zusätzen arbeiten?
Klarstellungen können Missverständnisse reduzieren. Ob sie im Einzelfall ausreichen, hängt vom Gesamteindruck ab.

Fazit

Das OLG Nürnberg stärkt den Verbraucherschutz bei gesundheitsnaher Werbung. Wer „medizinisch“ und „Fachzentrum“ kombiniert, setzt hohe Erwartungen an Qualifikation und Behandlungsstandard. Werden diese Erwartungen nicht erfüllt, liegt eine Irreführung nahe. Für Kosmetikstudios empfiehlt sich eine nüchterne, transparente Kommunikation – oder der konsequente Aufbau der Qualifikationen, die die gewählte Bezeichnung trägt.

Sie möchten Ihre Außendarstellung prüfen oder haben eine Abmahnung erhalten? Wir unterstützen Sie pragmatisch und zielorientiert – von der schnellen Risikoanalyse bis zur rechtssicheren Anpassung Ihrer Werbung.

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