Zum Hauptinhalt springen

Influencerin gegen Kontosperre: keine deutsche Zuständigkeit

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Eine Influencerin mit erheblicher Reichweite wird auf einem großen sozialen Netzwerk vorübergehend gesperrt. Sie nutzt ihr Konto gewerblich, zahlt monatliche Gebühren für Zusatzfunktionen und beantragt per einstweiliger Verfügung die sofortige Entsperrung. Das Oberlandesgericht Nürnberg (OLG Nürnberg, Beschl. v. 19.08.2025 - Az.: 3 W 1224/25 Kart)  hat die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte verneint und die sofortige Beschwerde gegen die erstinstanzliche Abweisung als unzulässig zurückgewiesen. Maßgeblich war nach Auffassung des Gerichts, dass es sich nicht um einen deliktischen, sondern um einen vertraglichen Streit handelt, der durch eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten irischer Gerichte überlagert wird.

Der Fall in Kürze

Die Sperre stützte das Netzwerk auf einen behaupteten Verstoß gegen Gemeinschaftsstandards. Die Influencerin argumentierte unter anderem mit kartellrechtlichen Unterlassungsansprüchen und sah sich in ihrer geschäftlichen Tätigkeit beeinträchtigt. Sie wollte vor einem deutschen Gericht vorläufigen Rechtsschutz erlangen. Das OLG Nürnberg bestätigte die erstinstanzliche Abweisung, weil der geltend gemachte Anspruch nach seiner Struktur vertraglich geprägt ist und nicht autonom auf Deliktsrecht (Art. 7 Nr. 2 EuGVVO) gestützt werden kann, ohne die Nutzungsbedingungen auszulegen.

Die Kernaussagen des OLG Nürnberg

Vertraglicher Charakter der Streitigkeit

Zentral ist die Abgrenzung zwischen deliktischen und vertraglichen Ansprüchen. Muss zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Sperre der Vertrag ausgelegt werden, liegt eine vertragliche Streitigkeit vor. Genau das hat der Senat bejaht: Ob eine Sperre zulässig ist, hängt davon ab, welche Rechte und Pflichten die Nutzungsbedingungen vorsehen und ob verfahrensrechtliche Sicherungen (Information, Anhörung, Begründung) eingehalten wurden. Damit scheidet der Deliktsgerichtsstand am Erfolgsort regelmäßig aus.

Kein Deliktsgerichtsstand nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO

Die Influencerin berief sich auf eine unbillige Behinderung nach § 19 GWB. Das genügte dem Gericht nicht, weil die behauptete Behinderung ohne Rückgriff auf den Vertrag nicht bewertbar sei. Zudem fehlte es an schlüssigem Vortrag dazu, dass die Maßnahmen des Netzwerks Marktbeziehungen und Wettbewerbschancen beeinträchtigen. Kartellrecht schützt nicht jede rechtswidrige Vertragsdurchführung, sondern richtet sich auf die Einwirkung auf Märkte.

Kartellrecht als „Überholspur“? Warum hier nicht

Das Gericht macht deutlich: Kartellrecht ist kein Ersatzforum für Vertragsstörungen. Eine Sperre kann wettbewerbsrechtlich relevant werden, wenn sie marktbezogen wirkt oder unbillige Vertragsbedingungen durchsetzt. Bloße Einzelfehler bei der Anwendung von Gemeinschaftsstandards lassen sich hingegen nicht ohne Weiteres in eine kartellrechtliche Behinderung umdeuten. Erforderlich sind konkrete, marktrelevante Auswirkungen.

Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten Irlands

Selbst wenn man Art. 7 Nr. 2 EuGVVO öffnen wollte: Die wirksam einbezogene Gerichtsstandsvereinbarung verwies Streitigkeiten ausschließlich an irische Gerichte. Dies erfasst nach Ansicht des OLG auch eng vertraglich verknüpfte kartellrechtliche Ansprüche. Eine Überraschung liegt nicht nahe, weil Konflikte über Inhalte und Sperren offensichtlich aus der vertraglichen Beziehung entstehen können und in den Nutzungsbedingungen angelegt sind.

Eilverfahren: Erledigung und Verfügungsgrund

Im konkreten Verfahren war die Sperre zwischenzeitlich aufgehoben worden. Der Wiederherstellungsantrag war damit erfüllt. Für weitergehende Unterlassungen bestehen Zweifel am Verfügungsgrund, zumal aufschiebende Klärungen im Hauptsacheverfahren zumutbar erschienen.

Einordnung im Kontext der Rechtsprechung

Die Entscheidung reiht sich in Tendenzen ein, vermeintliche Deliktstatbestände bei Plattformmaßnahmen eng zu fassen, sobald die Vertragsordnung in den Mittelpunkt rückt. Anderslautende Stimmen betonen zwar, dass kartellrechtliche Unterlassungsansprüche grundsätzlich deliktisch eingeordnet werden können. Ausschlaggebend bleibt jedoch, ob sich der Streit ohne Vertragsprüfung entscheiden lässt und ob marktrelevante Effekte substantiiert dargetan sind. Fehlt es daran, führt der Weg nicht zum deutschen Deliktsgerichtsstand.

Praxisfolgen für Creator und Unternehmen

Vor Registrierung: Vertragslage prüfen

Wenn Sie Social-Media geschäftlich nutzen, prüfen Sie AGB und Gerichtsstandsregelungen sorgfältig. Exklusive Gerichtsstände im Ausland sind verbreitet und können den Zugang zu deutschem Rechtsschutz erheblich erschweren. Beachten Sie, dass bei gewerblicher Nutzung der Verbrauchergerichtsstand regelmäßig nicht greift.

Im Fall einer Sperre: Strategie statt Reflex

Sammeln Sie sofort Dokumentation: Sperrmitteilungen, Gründe, zeitliche Abläufe, Einsprüche, Korrespondenz. Argumentieren Sie zuerst vertraglich: Wurden Begründungs- und Anhörungsrechte eingeräumt? Wurde der richtige Standard angewendet? Kartellrecht wird eher dann relevant, wenn allgemeine, marktbezogene Effekte oder unbillige Vertragsbedingungen im Raum stehen – nicht bei isolierten Einzelfehlern.

Einstweiligen Rechtsschutz realistisch angehen

Bei exklusivem Gerichtsstand im Ausland ist es schwierig, in Deutschland ein Eilverfahren zu führen. Art. 35 EuGVVO verlangt eine reale Verknüpfung zum angerufenen Gericht; hier fehlte sie wegen des Sitzes der Antragsgegnerin in Irland, zumal die einstweilige Maßnahme dort zu treffen wäre. Wird die Sperre zügig aufgehoben, kann ein Antrag erledigt sein; spätere Sperren mit anderen Gründen stellen zudem neue Sachverhalte dar.

Wann Kartellrecht eine Option sein kann

Kartellrechtliche Ansprüche kommen eher in Betracht, wenn marktbeherrschende Plattformen unbillige Bedingungen durchsetzen oder strukturell Anbieter in ihren Marktchancen beschneiden. Dann lässt sich die Prüfung losgelöst von der konkreten Vertragsdurchführung führen. Entscheidend ist substantiierter Vortrag zur Marktbeziehung und zu wettbewerbsbezogenen Effekten.

Handlungsempfehlungen für Ihre Praxis

Lassen Sie Nutzungsbedingungen vorab prüfen. Bei geschäftlicher Nutzung lohnt sich eine präventive AGB-Analyse einschließlich Gerichtsstand und anwendbarem Recht.

Etablieren Sie interne Prozesse für Sperrungen: frühzeitig Einspruch, begründete Stellungnahmen, Screenshots, Export der Daten.

Fokussieren Sie im Streitfall zunächst auf vertragliche Rechte (Begründung, Anhörung, Transparenz). Kartellrechtliche Argumente ergänzen die Strategie nur dort, wo marktrelevante Auswirkungen tragfähig dargelegt werden können.

Planen Sie den Rechtsweg realistisch. Ist Irland vereinbart, gehören irische Gerichte zur prozessualen Planung. Für schnelle Abhilfe ist oft plattformeigenes Remedial Management die nächste Stellschraube.

Fazit

Das OLG Nürnberg setzt ein deutliches Signal: Wer Social-Media gewerblich nutzt und eine exklusive Gerichtsstandsvereinbarung akzeptiert, wird Ansprüche gegen Kontosperren regelmäßig nicht vor deutschen Gerichten durchsetzen können. Ohne belastbaren Vortrag zu marktbezogenen Effekten bleibt das Kartellrecht als Abkürzung versperrt. Für Creator und Unternehmen heißt das: Vertragslage kennen, Rechte dokumentieren, den richtigen Rechtsweg wählen.

Ansprechpartner

Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Andere über uns

WEB CHECK SCHUTZ

Gestalten Sie Ihre Internetseite / Ihren Onlineshop rechts- und abmahnsicher.

WEB CHECK Schutzpakete der Anwaltskanzlei Weiß & Partner

Erfahren Sie mehr über die Schutzpakete der Anwaltskanzlei Weiß & Partner für die rechtssichere Gestaltung Ihrer Internetpräsenzen.

Cyber-Sicherheit

Webpräsenz der Allianz für Cyber-Sicherheit

Aktuelles

| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Amazon Prime ist für viele Verbraucher fester Bestandteil des Alltags: schnellere Lieferung, Prime Video, Musik, Gaming, spezielle Angebote. Genau deshalb trifft eine Preiserhöhun…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Wer auf Instagram ästhetische Eingriffe bewirbt, bewegt sich juristisch in einem sensiblen Bereich. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 6. November 2025 (Az…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Preisverleihungen wirken nach außen hin wie reine Würdigungen herausragender Leistungen. Doch was passiert, wenn eine öffentlichkeitswirksame Darstellung den Eindruck vermittelt…
| Rechtsanwalt Frank Weiß | Aktuell
Wer eine Unterlassungserklärung abgibt, verpflichtet sich in der Regel, bestimmte Inhalte künftig nicht mehr zu veröffentlichen und bereits bestehende Spuren vollständig zu beseit…