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In-App-Käufe durch Kind: 33.000,- EUR wirksam

| Rechtsanwalt Frank Weiß

Ein Familienvater überlässt seinem siebenjährigen Sohn ein Tablet, das ursprünglich für betriebliche Zwecke eingerichtet wurde. Auf dem Gerät ist weiterhin sein persönliches Konto bei einer großen Vertriebsplattform für Apps und digitale Inhalte hinterlegt – einschließlich gespeicherter Kreditkarte. Schutzmechanismen wie Kinderkonto, Kaufgenehmigungen, Budget oder gesonderte Authentifizierungsabfragen sind nicht aktiviert.

Was genau passiert ist

Über einen Zeitraum von rund 20 Monaten werden mehr als 1.200 Transaktionen ausgelöst. Die Beträge reichen von Kleinstbeträgen bis zu dreistelligen Einzelkaufen. Insgesamt summiert sich das Volumen auf über 33.000,- EUR – Monat für Monat gehen teils mehrere tausend Euro durch. Die Plattform versendet Quittungen an die hinterlegte E-Mail-Adresse, die Kreditkartenabrechnungen weisen die Belastungen aus. Kontrolliert wird beides nicht.

Die Reaktion des Vaters

Als der Vater die Vorgänge schließlich bemerkt, fordert er die Rückzahlung. Seine Argumentation: Der Sohn sei nicht berechtigt gewesen; die Erklärungen seien ohne Zustimmung erfolgt und daher unwirksam. Vor Gericht verlangt er die Rückabwicklung sämtlicher Käufe.

Die Beklagte Plattform

Die Plattform verweist darauf, dass über ein personalisiertes Konto mit hinterlegtem Zahlungsmittel und gleichförmigem Kaufmuster über viele Monate hinweg eingekauft wurde. Aus Sicht der Anbieterin spricht alles dafür, dass der Kontoinhaber selbst verantwortlich ist oder die Nutzung duldet.

Die Entscheidung des LG Karlsruhe (Urt. v. 24.09.2025 – 2 O 64/23)

Zurechnung über Anscheinsvollmacht

Das Gericht stellt auf die Anscheinsvollmacht ab. Danach muss sich der Kontoinhaber Geschäfte zurechnen lassen, wenn sein Verhalten den Rechtsschein setzt, dass ein Dritter in seinem Namen handeln darf – und der Vertragspartner schutzwürdig auf diese Autorisierung vertrauen kann. Dauer, Häufigkeit und Art der Nutzung spielen dabei eine zentrale Rolle.

Warum der Rechtsschein hier bejaht wurde

Die ungewöhnlich lange Zeitspanne von etwa 20 Monaten, die hohe Zahl von über 1.000 Einzeltransaktionen sowie erhebliche Monatsvolumina begründen aus Sicht des Gerichts einen eindeutigen Rechtsschein. Die Plattform durfte annehmen, dass die Käufe vom Kontoinhaber autorisiert sind. Es handelt sich gerade nicht um eine kurzfristige, vereinzelt gebliebene Fremdverwendung.

Schuldhafte Mitverursachung durch fehlende Kontrolle

Der Vater verstärkte den Rechtsschein, weil er elementare Kontrollen unterließ. Das Gericht hebt hervor, dass Quittungen an die hinterlegte E-Mail-Adresse gesendet wurden und Kreditkartenabrechnungen verfügbar waren, ohne dass reagiert wurde. Hinzu kommt, dass Kinderkonto, Budgetfunktion und Kaufgenehmigungen verfügbar waren, aber nicht genutzt wurden. Dieses Zusammenspiel aus dauerhafter unbeanstandeter Nutzung und unterlassener Aufsicht führt dazu, dass die Erklärungen zivilrechtlich zugerechnet werden.

Minderjährigkeit als Scheinargument

Die Tatsache, dass das Kind sieben Jahre alt war, ändert am Ergebnis nichts. Maßgeblich ist nicht die Geschäftsfähigkeit des Handelnden, sondern der vom Kontoinhaber gesetzte Rechtsschein. Ein beschränkt geschäftsfähiger Minderjähriger kann – vermittelt über den Rechtsschein des Vertretenen – wirksame Erklärungen abgeben, die sich gegen den Volljährigen auswirken. Entscheidend ist hier das Verhalten des Erwachsenen.

Schutzwürdigkeit der Plattform im Massengeschäft

App-Stores sind anonyme Massengeschäfte. Der Anbieter kann regelmäßig nicht prüfen, wer das Endgerät tatsächlich bedient. Personalisiertes Konto, hinterlegte Kreditkarte, gleichförmige Kaufvorgänge, keine Beanstandungen über lange Zeit – unter diesen Umständen ist Vertrauen zulässig. Selbst kinderfreundliche Inhalte zwingen nicht zu der Annahme, es fehlte die Autorisierung.

Abgrenzung zu kurzzeitigen Missbrauchsfällen

Das Gericht grenzt ausdrücklich ab: Kurzzeitige und sofort beanstandete Fremdverwendungen können anders zu beurteilen sein. Hier lag aber eine lang andauernde, intensive Nutzung ohne jede Reaktion vor. Genau diese Konstellation trägt den Rechtsschein.

Internationale Bezüge und anwendbares Recht

Die Plattform hat ihren Sitz im Ausland. Entscheidend ist nicht automatisch das ausländische Recht. Das Gericht wendet deutsches Recht an, weil der Dienst auf den deutschen Markt ausgerichtet ist und die Nutzung in Deutschland erfolgte. Kollisionsrechtliche Vorgaben sprechen in derartigen Konstellationen häufig für die Anwendbarkeit deutschen Rechts.

Vertiefte rechtliche Einordnung

Anscheinsvollmacht und Duldungsvollmacht

Duldungsvollmacht liegt vor, wenn der Vertretene kennt und duldet, dass ein anderer für ihn auftritt. Anscheinsvollmacht greift, wenn der Vertretene zwar keine Kenntnis hat, die Umstände aber bei pflichtgemäßer Sorgfalt erkennbar gewesen wären und der Rechtsschein zurechenbar ist. Die Konstellation der unkontrollierten Dauerverwendung eines App-Store-Kontos durch ein Kind passt typisch in die Anscheinsvollmacht.

„Taschengeldparagraph“ greift hier nicht

Der § 110 BGB hilft in dieser Lage in der Regel nicht. Die Einkäufe wurden nicht aus einem vom Kind frei verfügbaren Taschengeld bezahlt, sondern über die Kreditkarte des Vaters. Die Wirksamkeit folgt hier nicht aus einer eigenen Leistungsbewirkung des Kindes, sondern aus der Zurechnung über Rechtsschein.

AGB und Kontopflichten

Viele Plattform-AGB sehen vor, dass Konten nicht an Dritte überlassen werden dürfen und der Kontoinhaber für alle Vorgänge verantwortlich ist, die über sein Konto laufen. In Verbindung mit aktivierbaren Schutzfunktionen entsteht ein klarer Erwartungsrahmen: Wer das Konto teilt oder ungesichert lässt, trägt das Risiko.

Darlegungs- und Beweisfragen

Im Streitfall müssen Eltern plausibel machen, dass kein Rechtsschein gesetzt wurde und zeitnah reagiert wurde. Lückenlose Belege zu Abrechnungen, Reklamationen und Gerätezugriffen stärken die eigene Position. Schweigen über viele Monate hinweg schwächt sie.

Praktische Konsequenzen

Prävention im Familienalltag

Richten Sie Kinder- oder Familienkonten ein. Aktivieren Sie Kaufgenehmigungen und Budgetgrenzen. Verwenden Sie Guthabenkarten statt Kreditkarten. Trennen Sie strikt zwischen Arbeits-, Privat- und Kinderprofilen. Regelmäßige Kontrolle von E-Mail-Quittungen und Kreditkartenumsätzen deckt Auffälligkeiten früh auf.

Umgang mit überraschenden Abbuchungen

Sperren Sie das Zahlungsmittel, ändern Sie Passwörter, prüfen Sie Geräte- und Kontozugriffe und widersprechen Sie umgehend gegenüber der Plattform. Dokumentieren Sie jede Maßnahme. Je zeitnäher die Reaktion, desto besser die Ausgangslage – insbesondere, wenn es nur vereinzelt zu Käufen kam.

Unternehmensgeräte in der Familie

Wenn dienstliche Geräte privat mitgenutzt werden, steigen die Risiken. Klare Regeln, separate Konten und technische Sperren sind hier besonders wichtig. Ein vermeintlich praktischer Schnellweg für App-Installationen kann sich finanziell rächen.

Häufige Fehlannahmen kurz erklärt

„Weil ein Kind klickt, ist alles nichtig“

So pauschal stimmt das nicht. Entscheidend ist, ob der Erwachsene durch sein Verhalten einen zurechenbaren Rechtsschein gesetzt hat.

„Die Plattform hätte misstrauisch werden müssen“

Ein App-Store darf in anonymen Massengeschäften regelmäßig darauf vertrauen, dass Käufe über ein personalisiertes Konto autorisiert sind – insbesondere bei langandauernden und gleichförmigen Transaktionen ohne Beanstandung.

„Ich habe doch verboten, etwas zu kaufen“

Mündliche Absprachen innerhalb der Familie ersetzen keine technischen Sicherungen. Genehmigungs-Workflows, Budgets und separate Profile sind praxisrelevante Instrumente.

Fazit

Das Urteil des LG Karlsruhe zeigt, wie klassische zivilrechtliche Konzepte im digitalen Alltag wirksam werden. Wer über lange Zeit ein Konto mit hinterlegter Kreditkarte ungesichert lässt und nicht kontrolliert, muss sich die daraus entstehenden Käufe zurechnen lassen. Prävention ist hier die wirksamste Strategie, Streit und Kosten zu vermeiden.

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