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Identifizierbare Verdachtsberichterstattung kann rechtens sein

OLG Karlsruhe, Urteil vom 02.02.2015, Az. 6 U 130/14
| Rechtsanwalt Frank Weiß

Die Berichterstattung über ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren, in der ein Beschuldigter nicht namentlich genannt, aber durch verschiedene genannte Einzelheiten identifizierbar ist, kann zulässig sein. Bei Vergehen, die für die Öffentlichkeit von besonderem Interesse sind, kann das Persönlichkeitsrecht der Beklagten unter Umständen durch die Pressefreiheit überwogen werden. Das hat das Oberlandesgericht Karlsruhe jüngst entschieden. Anders verhält es sich bei namentlicher Nennung der Betroffenen, bei der weit höhere Anforderungen erfüllt sein müssen (OLG Karlsruhe, Urteil vom 02.02.2015, Az. 6 U 130/14).
Anlass für dieses Urteil war ein Berufungsverfahren, in dem ein Zahnarzt gegen die Berichterstattung einer Lokalzeitung vorgehen wollte. Die Zeitung hatte in mehreren Artikeln über das Ermittlungsverfahren gegen einen örtlichen Zahnarzt berichtet, dem vorgeworfen wurde, ohne medizinische Notwendigkeit Zähne gezogen und durch Implantate ersetzt zu haben. Der Fall weitete sich, wohl aufgrund der Berichterstattung, aus, indem weitere Patienten mit demselben Verdacht gegen den Zahnarzt klagten. In einem weiteren Online-Artikel nannte die Zeitung Werbe-Slogans von der Webseite des Zahnarztes, sowie das Gründungsjahr der Praxis, so dass eine Identifizierung des Angeklagten mit Hilfe von Suchmaschinen leicht möglich wurde. Dagegen klagte nun der Zahnarzt auf Unterlassung, da er sich aufgrund der Identifizierbarkeit in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt sah.

Mit der Unterlassungsklage scheiterte er jedoch sowohl vor dem LAG Karlsruhe, als auch im Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht. Die Richter erkannten zwar eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG an, wogen diese aber gegen die Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ab und kamen zu dem Ergebnis, dass die Verletzung nicht rechtswidrig sei.

Die hohe Anzahl der eingegangenen Strafanzeigen gegen den Zahnarzt, die Schwere der Vorwürfe und nicht zuletzt das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient begründete für die Richter ein erhöhtes Interesse der Öffentlichkeit. Dadurch sei eine identifizierende Berichterstattung auch in der Phase des Ermittlungsverfahrens gerechtfertigt worden. Dabei berücksichtigten die Richter auch das Interesse der übrigen lokalen Zahnärzte und das von deren Patienten, den betroffenen Zahnarzt identifizieren zu können. Durch die Berichterstattung über einen nicht zu identifizierenden örtlichen Zahnarzt könne das Vertrauensverhältnis sämtlicher Patienten zu ihren Zahnärzten in der Gegend beeinträchtigt werden.

Das Gericht betonte zudem, die Berichterstattung der Lokalzeitung habe stets den Anforderungen der geltenden Rechtsprechung an eine identifizierende Berichterstattung genügt. Besonders für die Presse gilt eine erhöhte Pflicht zu sorgfältiger Recherche über den Wahrheitsgehalt einer Meldung, bevor sie veröffentlicht wird. Dies umso mehr, je schwerwiegender der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte Dritter ist. Der Umstand, dass im Fall des Zahnarztes sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Landesärztekammer von einem dringenden Tatverdacht ausgingen, berechtigte die Zeitung im Interesse der Öffentlichkeit auf diese Weise zu berichten. Leser, die ein persönliches Interesse hätten, zu erfahren, ob es sich vielleicht um ihren eigenen Zahnarzt handele, hätten somit die Möglichkeit, sich zu informieren, so die Richter. Dabei nahm die Zeitung keine Vorverurteilung des Zahnarztes vor, sondern betonte in sämtlichen Artikeln, dass es sich bisher lediglich um Ermittlungen handelte. Zudem hatten die Journalisten dem Arzt die Möglichkeit eingeräumt, sich zu den Vorwürfen zu äußern, was dieser über seinen Anwalt abgelehnt hatte.

Die Richter erinnerten aber nochmal daran, dass eine namentliche Nennung des Angeklagten dennoch zu weit gegangen wäre. Das ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur in Fällen schwerer Kriminalität oder bei Straftaten, die die Öffentlichkeit in besonderer Weise berühren gestattet (BGHZ 143, 199 = NJW 2000, 1036 juris-Rn. 30).

OLG Karlsruhe, Urteil vom 02.02.2015, Az. 6 U 130/14

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