Horizontale und vertikale Wettbewerbsbeschränkung - Das müssen Sie wissen

Einführung: Warum Wettbewerbsrecht jeden betrifft
Kaum ein Unternehmen, ob Großkonzern oder mittelständischer Betrieb, kommt heute ohne Berührungspunkte mit dem Kartellrecht aus. Und doch haftet diesem Rechtsgebiet oft ein Stigma an: zu kompliziert, zu theoretisch, nur relevant für internationale Megakonzerne. Ein Irrtum – denn Wettbewerbsrecht betrifft jeden, der wirtschaftlich tätig ist.
Egal, ob Sie als Hersteller mit Ihren Vertriebspartnern Preisvorgaben abstimmen möchten, als Händler bestimmte Regionen exklusiv beliefern oder als Dienstleister im lockeren Austausch mit Wettbewerbern über Marktbedingungen sprechen – die Grenze zur Wettbewerbsbeschränkung kann schneller überschritten sein, als man denkt.
Schutz des Wettbewerbs = Schutz der Freiheit
Das Kartellrecht, oft auch als „Wirtschaftsverfassungsrecht“ bezeichnet, dient einem zentralen Ziel: dem Schutz des freien Wettbewerbs. Denn Wettbewerb ist kein Selbstzweck, sondern ein Garant für Innovation, faire Preise und Vielfalt – zum Vorteil von Verbrauchern, Mitbewerbern und der Gesamtwirtschaft.
Zentrale Normen wie § 1 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) und Art. 101 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) stellen daher bestimmte Verhaltensweisen von Unternehmen unter strengen Beobachtungen – insbesondere dann, wenn sie geeignet sind, den Wettbewerb zu verfälschen oder zu verhindern.
Die rechtspolitische Begründung ist einfach: Kein Anbieter darf sich durch illegale Absprachen oder Missbrauch von Marktmacht Vorteile verschaffen, die anderen Marktteilnehmern verwehrt bleiben. Denn das führt langfristig zu weniger Wettbewerb, höheren Preisen und schlechteren Produkten.
Horizontale vs. vertikale Beschränkungen: Was ist der Unterschied?
Ein zentrales Unterscheidungskriterium im Kartellrecht ist das Verhältnis der beteiligten Unternehmen zueinander:
- Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen betreffen Absprachen oder Kooperationen zwischen Unternehmen auf derselben Marktstufe – also typischerweise zwischen direkten Wettbewerbern. Klassische Beispiele sind Preisabsprachen, Gebietskartelle oder verdeckte Informationsabstimmungen.
- Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen dagegen finden zwischen Unternehmen auf unterschiedlichen Marktstufen statt, etwa zwischen einem Hersteller und seinem Händler. Hier geht es beispielsweise um Preisvorgaben, Vertriebsbindungen oder Exklusivvereinbarungen.
Beide Formen können den Wettbewerb empfindlich stören – wenn auch auf unterschiedliche Weise. Während horizontale Absprachen oft unmittelbar marktverzerrend wirken, können vertikale Beschränkungen subtilere, aber ebenso spürbare Effekte auf Angebotsvielfalt, Marktzugang und Preisgestaltung haben.
Rechtlicher Rahmen: Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sowie Art. 101 AEUV
Das Wettbewerbsrecht ruht auf zwei Säulen: dem nationalen Kartellrecht, in Deutschland vor allem dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), und dem europäischen Kartellrecht, insbesondere Art. 101 und 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV).
Beide Normensysteme verfolgen ein gemeinsames Ziel: Wettbewerbsverfälschungen verhindern und faire Marktverhältnisse sichern. Doch sie greifen in unterschiedlichen Situationen – und das Zusammenspiel zwischen nationalem und europäischem Recht ist dabei komplex, aber entscheidend.
Bedeutung des deutschen und europäischen Kartellrechts
Das GWB bildet die zentrale Grundlage für das nationale Kartellrecht in Deutschland. Es regelt u. a.:
- Kartellverbote (§ 1 GWB),
- Missbrauch marktbeherrschender Stellungen (§ 19 GWB),
- Fusionskontrolle (§§ 35 ff. GWB),
- Verfahren und Zuständigkeiten (insb. des Bundeskartellamts),
- sowie zivilrechtliche Schadensersatzansprüche (§ 33a GWB).
Parallel dazu gilt das europäische Kartellrecht, insbesondere in grenzüberschreitenden Sachverhalten oder wenn der sogenannte „Spürbarkeitsschwellenwert“ für den zwischenstaatlichen Handel erreicht wird. Wichtigste Normen sind:
- Art. 101 AEUV (Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen),
- Art. 102 AEUV (Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung).
Beide Systeme greifen also dort, wo der freie Wettbewerb gefährdet wird, entweder im deutschen Binnenmarkt oder auf dem gemeinsamen Binnenmarkt der EU.
Relevante Vorschriften im Überblick
§ 1 GWB ist das deutsche Pendant zu Art. 101 Abs. 1 AEUV und lautet:
„Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.“
Die Norm verbietet z. B.:
- Preisabsprachen,
- Markt- und Gebietsaufteilungen,
- Wettbewerbsverbote,
- und koordinierte Verhaltensweisen mit wettbewerbswidrigem Effekt.
Art. 101 Abs. 1 AEUV ist nahezu gleichlautend, gilt jedoch unionsweit. Seine Wirkung erstreckt sich auf alle Vereinbarungen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten spürbar beeinträchtigen können. Damit ist er von zentraler Bedeutung für grenzüberschreitend tätige Unternehmen.
Beide Normen sehen in Absatz 3 auch Ausnahmen vor – sogenannte Freistellungen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind (z. B. Effizienzgewinne, Verbraucherbeteiligung).
Verhältnis zwischen GWB und EU-Kartellrecht
Die beiden Rechtsordnungen stehen nicht unabhängig nebeneinander, sondern sind ineinandergreifend:
- Vorrang des EU-Kartellrechts: Wenn eine Wettbewerbsbeschränkung den Handel zwischen EU-Mitgliedstaaten spürbar beeinträchtigt, muss das europäische Kartellrecht angewendet werden – nationale Normen dürfen dann nicht entgegenstehen (vgl. Art. 3 VO (EG) Nr. 1/2003).
- Parallelität der Normen: In vielen Fällen sind § 1 GWB und Art. 101 AEUV wortgleich und können parallel angewendet werden – was insbesondere in der Rechtsprechung zur Harmonisierung führt.
- Einheitliche Auslegungspflicht: Deutsche Gerichte und das Bundeskartellamt sind bei der Anwendung von § 1 GWB verpflichtet, die europarechtliche Auslegung von Art. 101 AEUV zu berücksichtigen. Die Urteile des EuGH sind dabei maßgeblich.
- Vollharmonisierung durch EU-Verordnungen: Die Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (Vertikal-GVO) oder die Horizontalleitlinien der EU-Kommission haben direkten Einfluss auf die Bewertung auch rein nationaler Fälle.
Ein Beispiel für die praktische Verzahnung ist die Anwendung der Vertikal-GVO (EU-Verordnung 2022/720), die nicht nur für europäische Sachverhalte gilt, sondern auch in Deutschland Maßstab für die kartellrechtliche Zulässigkeit vertikaler Vereinbarungen ist.
Zwischenfazit:
Wer das Kartellrecht verstehen will, muss national und europäisch denken. Für Unternehmen bedeutet das: Selbst scheinbar lokale Vereinbarungen können unter das EU-Kartellrecht fallen – mit entsprechenden Folgen für die Rechtmäßigkeit und Sanktionen.
Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen – wenn Konkurrenten sich absprechen
Fallgruppen und typische Beispiele
Rechtsprechung & berühmte Kartellfälle
Bußgelder, Schadensersatz & Konsequenzen
Bewertung nach § 1 GWB und Art. 101 Abs. 1 AEUV
Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen – wenn Hersteller und Händler sich einig sind
Typische Fallgruppen vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen
Zulässigkeit und Grenzen
Rechtsprechung & aktuelle Fälle
Schnittstellen und Grauzonen – wenn vertikal auf horizontal trifft
Rechtsfolgen bei Verstößen gegen Wettbewerbsrecht
Compliance & Prävention: Wie Unternehmen sich rechtssicher aufstellen
Fazit: Klare Regeln für fairen Wettbewerb
Anhang
Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen – wenn Konkurrenten sich absprechen
Was sind horizontale Wettbewerbsbeschränkungen?
Wettbewerb lebt vom Gegeneinander – Preis, Qualität, Innovation und Service entscheiden, wer sich auf dem Markt behauptet. Umso gravierender sind Eingriffe in diesen freien Wettbewerb, wenn sie nicht von Marktentwicklungen, sondern von geheimen Absprachen unter Konkurrenten gesteuert werden. Genau hier setzt das Verbot horizontaler Wettbewerbsbeschränkungen an.
Was bedeutet „horizontal“ im Wettbewerbsrecht?
Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen sind Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen zwischen Unternehmen, die auf derselben Marktstufe tätig sind – also in der Regel direkte Wettbewerber.
Diese Unternehmen stehen im Wettbewerb um dieselben Kunden, etwa zwei Autohändler, zwei Möbelhersteller oder zwei Logistikunternehmen.
Im Unterschied dazu betreffen vertikale Wettbewerbsbeschränkungen Vereinbarungen zwischen Unternehmen auf unterschiedlichen Marktstufen – etwa zwischen Hersteller und Großhändler oder zwischen Lieferant und Einzelhändler.
Beispiel zur Abgrenzung:
- Zwei Getränkefirmen sprechen sich über Preise ab → horizontale Beschränkung
- Ein Getränkehersteller schreibt seinen Händlern Verkaufspreise vor → vertikale Beschränkung
Typische Konstellationen horizontaler Wettbewerbsbeschränkungen
Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen gelten im Kartellrecht als besonders schwerwiegend, weil sie direkt das Grundprinzip des Wettbewerbs – das Gegeneinander – aushebeln. Zu den häufigsten Erscheinungsformen zählen:
• Preisabsprachen
Mehrere Unternehmen legen gemeinsam einen Preis oder eine Preisspanne für ihre Produkte oder Dienstleistungen fest. Dadurch wird der Preiswettbewerb vollständig ausgehebelt. Diese Art der Absprache ist in der Regel „per se“ verboten – ohne dass es auf die konkrete Marktwirkung ankommt.
Beispiel aus der Praxis: Das LKW-Kartell (Daimler, MAN, Volvo/Renault, Iveco und DAF) einigte sich über Jahre hinweg auf Bruttolistenpreise. Die Europäische Kommission verhängte 2016 Bußgelder von insgesamt rund 2,9 Milliarden Euro.
• Gebietskartelle und Marktaufteilungen
Wettbewerber teilen sich Märkte oder Regionen auf, um gegenseitige Konkurrenz auszuschließen. Man spricht auch von „Stillhalteabkommen“.
Beispiel: Zwei Bauunternehmen vereinbaren, dass das eine künftig nur im Süden, das andere nur im Norden Angebote abgibt.
• Produktions- und Mengenkartelle
Unternehmen beschließen, ihre Produktion zu begrenzen oder zu koordinieren, um künstlich Verknappung zu erzeugen und die Preise hochzuhalten.
Beispiel: In einem Sektor wird vereinbart, dass alle Teilnehmer maximal 80 % ihrer üblichen Kapazität ausnutzen.
• Informationsaustausch
Auch der Austausch strategisch sensibler Informationen (z. B. über Preise, Mengen, geplante Investitionen) unter Wettbewerbern kann eine horizontale Wettbewerbsbeschränkung darstellen – selbst ohne ausdrückliche Absprache.
Beispiel: Regelmäßiger Austausch über anstehende Preiserhöhungen in Verbandsrunden kann schon als „abgestimmte Verhaltensweise“ gewertet werden.
Zwischenfazit:
Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen stellen einen Kernbereich des Kartellverbots dar. Sie sind besonders gefährlich, weil sie direkt den Preis- und Leistungswettbewerb untergraben – zum Nachteil von Endverbrauchern, Mitbewerbern und der Gesamtwirtschaft. Entsprechend streng sind Gesetzgeber, Behörden und Gerichte bei deren Bewertung.
Fallgruppen und typische Beispiele
Das Wettbewerbsrecht kennt kein „One-Size-Fits-All“-Kartell. Vielmehr gibt es zahlreiche Konstellationen, in denen Konkurrenten wettbewerbswidrig zusammenarbeiten – teils heimlich, teils in scheinbar harmloser Verpackung. Im Folgenden stellen wir die wichtigsten Fallgruppen horizontaler Wettbewerbsbeschränkungen vor – mit Praxisbeispielen und einem Blick in die Rechtsprechung.
1. Preisabsprachen – der „Klassiker“ unter den Kartellen
Preisabsprachen gehören zu den schwerwiegendsten Wettbewerbsverstößen. Dabei vereinbaren Unternehmen einheitliche Preise, Mindestpreise oder Preisuntergrenzen, um den Preiswettbewerb auszuschalten.
Beispiel aus der Praxis:
Im vielbeachteten LKW-Kartell (2004–2011) einigten sich führende Lkw-Hersteller auf abgestimmte Bruttolistenpreise und die Weitergabe von Kosten für neue Abgastechnologien an Kunden. Die EU-Kommission verhängte 2016 Bußgelder in Höhe von rund 2,93 Milliarden Euro – eines der höchsten Kartellbußgelder in der Geschichte der EU.
Rechtliche Bewertung:
Solche Absprachen verstoßen gegen § 1 GWB und Art. 101 Abs. 1 AEUV. Preisabsprachen gelten als sogenannte „harte Kernbeschränkungen“ („hardcore restrictions“) und sind per se verboten – eine Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV ist praktisch ausgeschlossen.
2. Gebietskartelle und Marktaufteilungen
Ein weiteres beliebtes Mittel zur Ausschaltung des Wettbewerbs ist die räumliche Aufteilung von Märkten. Unternehmen vereinbaren, bestimmte Regionen, Kundengruppen oder Projekte nicht gegenseitig zu bedienen – jeder „bleibt in seinem Revier“.
Beispiel:
Im sogenannten Zuckerkartell (2014) einigten sich drei führende deutsche Zuckerproduzenten darauf, in bestimmten Regionen keine aggressiven Preisaktionen durchzuführen. Dadurch sollte der Wettbewerb um Großkunden wie die Getränke- und Süßwarenindustrie unterdrückt werden. Das Bundeskartellamt verhängte Bußgelder von insgesamt über 280 Millionen Euro.
Rechtliche Bewertung:
Marktaufteilungen gelten – wie Preisabsprachen – als harte Wettbewerbsbeschränkungen und sind in der Regel nicht freistellungsfähig.
3. Produktions- oder Angebotsbeschränkungen
Auch eine gemeinsame Reduzierung von Kapazitäten kann den Markt künstlich verknappen – und damit die Preise hochtreiben. In diesen Fällen sprechen Unternehmen Mengenkartelle ab.
Beispiel:
Ein bekanntes Beispiel ist das Zementkartell, das über Jahre hinweg Produktionsmengen abgestimmt und Preissteigerungen koordiniert hatte. Infolge dieser Absprachen verhängte das Bundeskartellamt 2003 Bußgelder von rund 660 Millionen Euro gegen mehrere Zementhersteller.
Rechtliche Bewertung:
Auch diese Form der Beschränkung fällt regelmäßig unter § 1 GWB / Art. 101 AEUV – mit besonders hoher Sanktionierung, da die Verbraucher durch höhere Preise direkt geschädigt werden.
4. Informationsaustausch & „Soft Law“-Kartelle
Nicht jede Wettbewerbsbeschränkung braucht eine schriftliche Vereinbarung. Bereits der Austausch sensibler Informationen kann kartellrechtlich problematisch sein – z. B. über geplante Preiserhöhungen, Rabattaktionen oder Marktstrategien. Hier spricht man von „abgestimmten Verhaltensweisen“ oder „Soft Law“-Kartellen.
Beispiel:
In der Tankstellen-Branche untersuchte das Bundeskartellamt wiederholt Preisanpassungen in sehr engen zeitlichen Abständen, die auf einen systematischen Informationsfluss schließen lassen. Auch wenn kein direkter Beweis für eine Absprache vorliegt, kann ein „stilles Kartell“ durch paralleles Verhalten unter bestimmten Umständen als Verstoß gewertet werden.
Rechtliche Bewertung:
Der EuGH hat in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass bereits der regelmäßige Austausch über wettbewerbsrelevante Parameter eine verbotene abgestimmte Verhaltensweise sein kann – auch ohne formellen Vertrag (vgl. EuGH, Rs. T-Mobile Netherlands, C-8/08).
Fazit:
Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen sind vielfältig und oft schwer zu erkennen – doch ihre Auswirkungen auf den Markt sind massiv. Ob bewusst koordinierte Preisabsprachen oder subtile Informationsabgleiche: die Grenze zum Rechtsverstoß ist schnell überschritten. Entsprechend rigoros gehen Behörden und Gerichte dagegen vor – mit empfindlichen Bußgeldern, zivilrechtlicher Haftung und nachhaltigen Reputationsschäden für betroffene Unternehmen.
Rechtsprechung & berühmte Kartellfälle
Das Wettbewerbsrecht lebt nicht nur von abstrakten Normen, sondern insbesondere von prominenter Rechtsprechung und spektakulären Kartellverfahren, die regelmäßig für Schlagzeilen sorgen. Die folgenden Beispiele zeigen eindrucksvoll, wie unterschiedlich horizontale Wettbewerbsbeschränkungen auftreten können – und welche empfindlichen Sanktionen drohen.
Das Zementkartell – ein Fall für die Geschichtsbücher
Das Zementkartell ist eines der bekanntesten und wirtschaftlich bedeutendsten Kartellverfahren in Deutschland. Zwischen 1991 und 2002 stimmten sich mehrere deutsche Zementhersteller über Produktionsmengen, Marktanteile und Preise ab. Ziel war eine künstliche Marktberuhigung durch gegenseitige Rücksichtnahme – zum Nachteil der Abnehmer, etwa in der Bauindustrie.
Entscheidung:
Das Bundeskartellamt verhängte 2003 Bußgelder in Höhe von insgesamt 660 Millionen Euro – bis dahin das höchste Bußgeld in der Geschichte der Behörde.
Besonderheit:
Erstmals wurde in großem Umfang auch zivilrechtlich Schadensersatz geltend gemacht: Die CDC-Kartellschadensersatzklage (Cartel Damage Claims) wurde europaweit beachtet und trieb die Entwicklung der „Follow-on-Klagen“ weiter voran.
Das LKW-Kartell – Milliardenstrafe auf EU-Ebene
Zwischen 1997 und 2011 koordinierten sich fünf führende Lkw-Hersteller – Daimler, MAN, Volvo/Renault, Iveco und DAF – bei der Festlegung von Bruttolistenpreisen für mittelschwere und schwere Lkw. Zudem tauschten sie Informationen über die Weitergabe von Kosten zur Einhaltung neuer Emissionsstandards aus.
Entscheidung:
Die Europäische Kommission verhängte 2016 Bußgelder in Höhe von rund 2,93 Milliarden Euro – eines der höchsten Kartellbußgelder der EU-Geschichte. MAN kam als Kronzeuge straffrei davon, Daimler musste mit über 1 Milliarde Euro den höchsten Einzelbetrag zahlen.
Besonderheit:
Zahlreiche Unternehmen – von Spediteuren bis Baukonzernen – erhoben Schadensersatzklagen. Der Fall wurde zu einem Lehrbuchbeispiel für europaweite Kartellverfolgung und gerichtliche Geltendmachung von Schäden nach Art. 101 AEUV i. V. m. § 33a GWB.
Das Zuckerkartell – regionale Rücksicht statt Wettbewerb
Zwischen 2004 und 2009 einigten sich die drei führenden Zuckerhersteller in Deutschland – Nordzucker, Südzucker und Pfeifer & Langen – darauf, Preiswettbewerb in bestimmten Regionen und bei bestimmten Kunden zu vermeiden. Ziel war es, sich gegenseitig nicht zu unterbieten und die Marktanteile zu wahren.
Entscheidung:
Das Bundeskartellamt verhängte 2014 Bußgelder in Höhe von insgesamt 280 Millionen Euro. Besonders belastend war die umfangreiche Dokumentation und der E-Mail-Verkehr zwischen den Unternehmen.
Folgen:
Der Fall machte deutlich, dass auch scheinbar nationale oder regionale Kartelle streng geahndet werden – und dass es keine Bagatellgrenze für harte horizontale Beschränkungen gibt.
Bußgelder, Schadensersatz & Konsequenzen
Die rechtlichen Folgen für Unternehmen, die gegen das Kartellverbot verstoßen, sind vielschichtig:
1. Bußgelder durch Kartellbehörden
- Nach § 81 GWB können gegen Unternehmen Bußgelder bis zu 10 % des weltweiten Jahresumsatzes verhängt werden.
- Auch natürliche Personen können mit Geldbußen belegt werden.
2. Zivilrechtliche Schadensersatzklagen
- Nach § 33a GWB besteht ein Anspruch auf Ersatz des durch ein Kartell entstandenen Schadens.
- Die Beweislast wurde durch die 9. GWB-Novelle 2017 erheblich erleichtert (z. B. durch Vermutungswirkung bei Rechtsverstößen).
3. Reputationsschäden
- Kartellverstöße werden regelmäßig öffentlich gemacht (sog. naming & shaming).
- Imageverluste, der Ausschluss von Vergabeverfahren und Vertrauensverlust bei Geschäftspartnern sind häufig die Folge.
4. Interne Konsequenzen
- Compliance-Verstöße können zu organisationsinternen Ermittlungen, Entlassungen und Regressforderungen führen.
Fazit:
Die großen Kartellfälle der vergangenen Jahre zeigen deutlich: Horizontale Wettbewerbsbeschränkungen werden nicht toleriert – weder national noch auf EU-Ebene. Die Behörden verfügen über schlagkräftige Ermittlungsinstrumente, und die Rechtsprechung hat ihre Sanktionspraxis stetig verschärft. Für Unternehmen bedeutet das: Ein effektives Kartellrecht-Compliance-System ist kein Luxus, sondern überlebenswichtig.
Bewertung nach § 1 GWB und Art. 101 Abs. 1 AEUV
Nicht jede Vereinbarung zwischen Wettbewerbern ist automatisch unzulässig – entscheidend ist, ob sie den Wettbewerb spürbar beeinträchtigt. Die rechtliche Bewertung horizontaler Wettbewerbsbeschränkungen erfolgt in der Regel nach § 1 GWB und Art. 101 Abs. 1 AEUV. Diese Vorschriften sind inhaltlich nahezu identisch und bilden den zentralen Maßstab für die Beurteilung kartellrechtswidriger Absprachen.
✅ Voraussetzungen eines Verstoßes
Ein Verstoß gegen § 1 GWB bzw. Art. 101 Abs. 1 AEUV liegt vor, wenn folgende Tatbestandsmerkmale kumulativ erfüllt sind:
- Vereinbarung, Beschluss oder abgestimmte Verhaltensweise
– Auch informelle Absprachen, „Gentlemen’s Agreements“ oder koordinierte Verhaltensweisen ohne schriftlichen Vertrag sind erfasst. - Zwischen Unternehmen
– Der Begriff des Unternehmens ist weit zu verstehen: Er umfasst jede auf wirtschaftliche Tätigkeit gerichtete Einheit – auch Einzelpersonen, Verbände oder Gesellschaften ohne eigene Rechtspersönlichkeit. - Ziel oder Wirkung einer Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs
– Besonders bei harten Kernbeschränkungen wie Preis- oder Gebietsabsprachen kommt es nicht auf die tatsächliche Wirkung an – hier genügt bereits die Zielrichtung. - Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung
– Die Beeinträchtigung muss über eine bloße Bagatelle hinausgehen (siehe unten: De-minimis-Grenzen). - Keine Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 GWB
– Nur wenn bestimmte Effizienzvorteile und Verbraucherbeteiligung vorliegen, kann ein Verstoß ausnahmsweise zulässig sein.
Ausnahme: Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV
Art. 101 Abs. 3 AEUV (sowie § 2 GWB auf nationaler Ebene) ermöglicht eine Ausnahme vom Kartellverbot, wenn bestimmte kumulativ zu erfüllende Voraussetzungen vorliegen:
- Effizienzsteigerung: Die Vereinbarung muss zur Verbesserung der Warenerzeugung oder -verteilung oder zur Förderung des technischen bzw. wirtschaftlichen Fortschritts beitragen.
- Verbraucherbeteiligung: Die Verbraucher müssen an dem entstehenden Nutzen angemessen beteiligt werden – z. B. durch bessere Produkte oder niedrigere Preise.
- Unverzichtbarkeit: Die Wettbewerbsbeschränkung muss unerlässlich sein, um die genannten Vorteile zu erreichen.
- Kein Ausschalten des Wettbewerbs: Die Vereinbarung darf nicht den Wettbewerb für einen wesentlichen Teil des relevanten Marktes ausschalten.
Praxisbezug: In der Realität sind Freistellungen bei harten horizontalen Absprachen (Preis, Gebiet, Mengen) äußerst selten. Sie gelten in der Regel als nicht freistellungsfähig. Anders kann es bei bestimmten Forschung & Entwicklungs-Kooperationen oder technischen Normungsabkommen aussehen.
De-minimis-Grenzen (Bagatellgrenze)
Nicht jede Wettbewerbsbeschränkung ist per se verboten. Die „De-minimis“-Regelung (auch als „Bagatellklausel“ bekannt) führt bestimmte geringfügige Vereinbarungen aus dem Anwendungsbereich des Kartellverbots heraus – trotz formeller Erfüllung des Verbotstatbestands.
Die Europäische Kommission hat hierzu Leitlinien veröffentlicht, die eine Art „Sicherheitszone“ beschreiben:
- Horizontale Vereinbarungen sind nicht spürbar, wenn die beteiligten Unternehmen zusammen nicht mehr als 10 % Marktanteil haben.
- Für vertikale Vereinbarungen gilt eine Grenze von 15 % Marktanteil.
- Diese Grenzen gelten nicht bei „schweren Wettbewerbsbeschränkungen“ (z. B. Preisabsprachen oder Marktaufteilungen) – hier greift das De-minimis-Prinzip nicht.
Achtung: Auch wenn eine Vereinbarung unterhalb dieser Schwelle liegt, kann sie bei klarer Zielrichtung auf Wettbewerbsbeschränkung dennoch untersagt werden – etwa bei Preisabsprachen auf einem ohnehin konzentrierten Markt.
Fazit
Die Beurteilung, ob eine horizontale Vereinbarung kartellrechtswidrig ist, erfordert eine genaue Prüfung von Ziel, Inhalt und Marktstellung der beteiligten Unternehmen. Während harte Kernbeschränkungen nahezu immer verboten sind, gibt es für kooperative Ansätze mit Effizienzgewinnen gewisse Ausnahmen – sofern sie transparent, erforderlich und verbraucherfreundlich ausgestaltet sind. Unternehmen sind daher gut beraten, frühzeitig rechtliche Expertise einzubinden, bevor sie sich auf gemeinsame Maßnahmen mit Wettbewerbern einlassen.
Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen – wenn Hersteller und Händler sich einig sind
Was sind vertikale Wettbewerbsbeschränkungen?
Während horizontale Wettbewerbsbeschränkungen zwischen Konkurrenten stattfinden, handelt es sich bei vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen um Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die auf unterschiedlichen Marktstufen agieren – also typischerweise zwischen Herstellern, Großhändlern und Einzelhändlern.
Beispielhafte Konstellationen:
- Ein Hersteller legt dem Händler eine Mindestverkaufspreisbindung auf.
- Ein Großhändler verpflichtet einen Einzelhändler, nur in einem bestimmten Gebiet tätig zu sein.
- Ein Lieferant verbietet dem Online-Händler, über bestimmte Plattformen (z. B. Amazon Marketplace) zu verkaufen.
Solche Vereinbarungen betreffen nicht den direkten Wettbewerb zwischen Konkurrenten, sondern die Vertriebsstruktur, also den Weg eines Produkts vom Hersteller zum Endkunden. Sie sind daher oft schwerer zu bewerten als klassische Kartelle – und stehen wirtschaftlich in einem anderen Licht.
Warum vertikale Beschränkungen aus ökonomischer Sicht ambivalent sind
Aus ökonomischer Perspektive sind vertikale Wettbewerbsbeschränkungen nicht grundsätzlich schädlich. Im Gegenteil: Sie können in bestimmten Fällen effizienzsteigernd und wettbewerbsfördernd wirken.
✅ Mögliche Vorteile:
- Markenpflege: Hersteller von hochwertigen Produkten möchten sicherstellen, dass ihre Ware nicht unter Wert verramscht wird (Stichwort: „Luxusimage“).
- Investitionssicherheit: Durch exklusive Vertriebsrechte kann ein Händler gezielter in Werbung oder Beratung investieren.
- Vermeidung von Trittbrettfahrern: Preisbindung kann verhindern, dass sich andere Händler auf den Beratungsleistungen eines Anbieters ausruhen und das Produkt billiger anbieten.
- Vermeidung von Doppelmargen-Konflikten: Durch vertikale Preisvorgaben können Hersteller ihre Preisstrategie besser planen.
❌ Mögliche Risiken:
- Einschränkung des Preiswettbewerbs: Vor allem bei Preisbindungen wird der Handlungsspielraum der Händler künstlich begrenzt.
- Marktzutrittshindernisse: Neue Anbieter werden durch Gebietsbeschränkungen oder selektive Vertriebssysteme eventuell ausgeschlossen.
- Verringerung des Verbraucherwohls: Weniger Auswahl, höhere Preise, fehlender Wettbewerb bei Service oder Leistung.
Die Rechtsordnung erkennt diese Ambivalenz: Vertikale Beschränkungen sind nicht grundsätzlich verboten, unterliegen aber engen Grenzen und werden besonders dann kritisch gesehen, wenn sie Preisbindungen oder Marktabschottung bezwecken.
Deshalb unterscheidet die EU-Kommission in der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (Vertikal-GVO, VO (EU) 2022/720) zwischen:
- „Harten Beschränkungen“, die regelmäßig unzulässig sind (z. B. Preisbindung der zweiten Hand),
- und „erlaubten Beschränkungen“, die unter bestimmten Bedingungen zulässig sein können (z. B. Gebiets- oder Kundengruppenbindung bei selektivem Vertrieb).
Fazit:
Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Vertriebsoptimierung und Wettbewerbsverzerrung. Anders als horizontale Absprachen sind sie nicht automatisch unzulässig, können aber dennoch erhebliche kartellrechtliche Risiken bergen, wenn sie den Wettbewerb auf der Handelsstufe oder zum Endkunden hin beeinträchtigen. Eine genaue juristische Prüfung ist hier stets geboten.
Typische Fallgruppen vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen
Vertikale Wettbewerbsbeschränkungen treten in ganz unterschiedlichen Formen auf – von der klassischen Preisbindung bis hin zu modernen Klauseln im Online-Vertrieb. Einige dieser Konstellationen sind besonders relevant, da sie regelmäßig Gegenstand kartellrechtlicher Verfahren sind. Im Folgenden werden die wichtigsten Fallgruppen erläutert.
1. Preisbindung der zweiten Hand (RPM – Resale Price Maintenance)
Die wohl bekannteste und am häufigsten sanktionierte vertikale Beschränkung ist die Preisbindung der zweiten Hand – also die Vorgabe eines festen oder Mindestverkaufspreises, den ein Händler gegenüber Endkunden einhalten muss.
Beispiel:
Ein Elektronikhersteller verpflichtet seine Fachhändler, ein bestimmtes Smartphone nur für mindestens 799 € zu verkaufen – niedrigere Preise werden sanktioniert oder führen zum Ausschluss aus dem Vertriebssystem.
Rechtslage:
- Eine feste oder Mindestpreisbindung ist grundsätzlich unzulässig und stellt eine sogenannte harte Kernbeschränkung dar (Art. 4 lit. a Vertikal-GVO).
- Unverbindliche Preisempfehlungen (UVP) sind zulässig – sofern keine wirtschaftlichen oder psychologischen Druckmittel eingesetzt werden, um sie faktisch durchzusetzen.
- Die rechtlichen Risiken sind hoch, da die Behörden solche Maßnahmen als gezielte Marktsteuerung und Einschränkung des Preiswettbewerbs werten.
Fallbeispiel:
Im Fall ASICS untersagte das Bundeskartellamt (2015) nicht nur Plattformverbote, sondern kritisierte auch versuchte Preissteuerung bei Premium-Laufschuhen.
2. Gebiets- oder Kundengruppenbeschränkungen
Viele Hersteller strukturieren ihren Vertrieb geografisch oder nach Kundengruppen. Das kann im gewissen Rahmen zulässig sein – wenn es keine vollständige Marktabschottung bewirkt.
Beispiel:
Ein Hersteller von Küchengeräten erlaubt einem Händler exklusiv den Vertrieb in Süddeutschland, während ein anderer nur in Norddeutschland tätig sein darf.
Rechtslage:
- Absolute Gebietsschutzklauseln, bei denen kein anderer Händler – auch kein passiver Vertrieb – erlaubt ist, gelten als problematisch.
- Erlaubt sind jedoch:
- Aktive Vertriebseinschränkungen (z. B. Verbot gezielter Werbung in fremden Gebieten),
- selektive Vertriebssysteme, wenn sie objektiv, einheitlich und diskriminierungsfrei sind.
- Passive Verkäufe, etwa durch Online-Bestellungen aus einem anderen Gebiet, dürfen grundsätzlich nicht beschränkt werden.
Fallbeispiel:
Der EuGH (Urteil in der Rechtssache Pierre Fabre, C-439/09) entschied, dass pauschale Internetvertriebsverbote innerhalb eines selektiven Vertriebssystems kartellrechtswidrig sein können.
3. Konkurrenzverbote & Alleinvertriebsbindungen
Ein weiteres häufiges Mittel in Vertriebsverträgen sind Konkurrenzverbote oder sogenannte Exklusivbindungen – etwa wenn ein Händler nur Produkte eines Herstellers vertreiben darf oder ein Gebiet exklusiv zugewiesen bekommt.
Beispiel:
Ein Getränkegroßhändler verpflichtet sich vertraglich, nur Produkte einer bestimmten Brauerei zu führen und keine Konkurrenzware einzukaufen.
Rechtslage:
- Solche Vereinbarungen sind grundsätzlich zulässig, sofern sie den Marktzugang für Dritte nicht unzumutbar behindern.
- Besonders problematisch sind Exklusivbindungen dann, wenn sie mit Marktmacht oder langer Laufzeit verbunden sind (z. B. Knebelverträge).
- Der EuGH verlangt eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, bei der Legitimität und Marktanteile entscheidend sind.
Praxisbezug:
In der Lebensmittelbranche (z. B. Getränke, Backwaren, Spirituosen) sind exklusive Lieferbeziehungen mit Gastronomen oder Ketten häufig – müssen aber regelmäßig kartellrechtlich geprüft werden.
4. Meistbegünstigungsklauseln (MFNs – Most Favoured Nation Clauses)
Ein modernes Thema mit wachsender Bedeutung sind sogenannte Meistbegünstigungsklauseln. Sie verpflichten Händler oder Anbieter, einem Vertragspartner immer die besten Konditionen einzuräumen, die sie auch anderen gewähren.
Beispiel:
Ein Hotel verpflichtet sich gegenüber einem Buchungsportal, dort immer den besten Preis zu bieten – auch günstiger als auf der eigenen Website.
Rechtslage:
- Meistbegünstigungsklauseln können in bestimmten Konstellationen als Wettbewerbsbeschränkung gelten, wenn sie Preiswettbewerb verhindern.
- Besonders weite MFN-Klauseln (z. B. Preisbindung auf allen Vertriebskanälen) sind in Deutschland vom Bundeskartellamt untersagt worden (z. B. gegen HRS und Booking.com).
- Enge MFN-Klauseln (nur auf gleichem Portal) sind teilweise noch erlaubt – aber umstritten.
Fallbeispiel:
Das Oberlandesgericht Düsseldorf (Urt. v. 09.01.2015 – VI-Kart 1/14 (V)) bestätigte die Entscheidung des Bundeskartellamts gegen HRS, wonach die Meistbegünstigungsklausel unzulässig war, da sie den Wettbewerb zwischen Hotelbuchungsportalen beeinträchtigte.
Fazit:
Vertikale Beschränkungen sind häufig Teil komplexer Vertriebsstrategien – doch was wirtschaftlich sinnvoll erscheint, kann rechtlich unzulässig sein. Preisbindungen, Gebietsverträge oder MFN-Klauseln bergen teils hohe Bußgeldrisiken, wenn sie zu einer spürbaren Einschränkung des Wettbewerbs führen. Eine kartellrechtliche Bewertung ist daher unerlässlich – insbesondere bei internationaler Tätigkeit oder strukturiertem Vertriebsnetz.
Zulässigkeit und Grenzen
Die Bewertung vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen ist deutlich komplexer als bei horizontalen Absprachen. Denn nicht jede Vereinbarung zwischen Hersteller und Händler ist automatisch verboten – im Gegenteil: Viele sind unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.
Die entscheidende Grundlage für die kartellrechtliche Bewertung vertikaler Vereinbarungen in der EU (und damit auch in Deutschland) ist die Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (Vertikal-GVO), zuletzt grundlegend reformiert durch die EU-Verordnung 2022/720, die seit dem 1. Juni 2022 gilt.
Vertikal-GVO (EU-Verordnung 2022/720) – die aktuelle Rechtslage
Die Vertikal-GVO schafft Rechtssicherheit für Unternehmen, indem sie bestimmte Vereinbarungen automatisch vom Kartellverbot freistellt, sofern folgende Grundvoraussetzungen erfüllt sind:
- Marktanteilskriterium:
Sowohl Anbieter als auch Abnehmer dürfen auf ihrem jeweiligen Markt nicht mehr als 30 % Marktanteil haben. - Keine harten Wettbewerbsbeschränkungen („Schwarze Klauseln“):
Enthält die Vereinbarung sog. Hardcore-Beschränkungen, greift keine Freistellung – unabhängig vom Marktanteil.
Praxisnutzen:
Solange diese Voraussetzungen erfüllt sind, können viele vertikale Vereinbarungen (z. B. Exklusivverträge, selektive Vertriebssysteme, Kundengruppenbindung) ohne detaillierte Einzelfallprüfung zulässig sein.
Schwarze Klauseln vs. Graue Klauseln (Hardcore vs. Non-hardcore)
Die Vertikal-GVO unterscheidet zwischen unzulässigen „Hardcore-Beschränkungen“ und prüfbedürftigen Einzelregelungen (sog. „Grauzonen“). Diese Einteilung ist für die Praxis enorm wichtig.
Hardcore-Beschränkungen (schwarze Klauseln)
→ Diese führen automatisch zum Wegfall der Freistellung nach der GVO:
- Fest- oder Mindestpreisbindung der zweiten Hand (Art. 4 lit. a)
- Absolute Gebietsabschottung ohne Möglichkeit passiven Verkaufs
- Kundenbindung, die andere Abnehmer vollständig ausschließt
- Kombination exklusiver Gebiete mit Plattformverboten
- Weitreichende Beschränkungen beim Internetvertrieb
Diese Klauseln gelten als „per se“ verboten, weil sie den Wettbewerb in zentralen Bereichen (Preis, Marktzugang) unmittelbar beeinträchtigen.
Sonstige („graue“) Beschränkungen (Non-hardcore)
→ Diese führen nicht automatisch zum Verbot, müssen aber im Einzelfall auf Vereinbarkeit mit Art. 101 Abs. 3 AEUV geprüft werden:
- Wettbewerbsverbote mit zu langer Laufzeit (>5 Jahre)
- Verpflichtungen zu Bezugsexklusivität
- Einschränkungen des Cross-Selling
- Einschränkungen beim Einsatz von Preisvergleichsportalen
Hier kommt es auf Verhältnismäßigkeit, Marktsituation und konkrete Auswirkungen an.
Besonderheiten bei Online-Vertrieb & Plattformverboten
Die neue Vertikal-GVO 2022 trägt der enormen Bedeutung des Online-Handels Rechnung – und hat die Regelungen für Internetvertrieb und Plattformverbote deutlich verschärft und präzisiert.
Wichtige Neuerungen:
- Duale Vertriebssysteme (gleichzeitiger Direktvertrieb des Herstellers) sind grundsätzlich zulässig, aber Informationsaustausch wird strenger geprüft.
- Plattformverbote (z. B. Verbot, auf Amazon oder eBay zu verkaufen) sind nicht automatisch unzulässig, müssen aber differenziert betrachtet werden.
- Selektiver Vertrieb über den eigenen Webshop ist erlaubt – sofern objektive Qualitätsanforderungen vorliegen.
- Zwang zur Nutzung nur eines Online-Marktplatzes (sog. „Single-homing“) kann wettbewerbswidrig sein.
Beispiel: Coty-Urteil (EuGH, Rs. C-230/16)
Der EuGH entschied, dass ein Anbieter von Luxusparfüm seinen autorisierten Händlern den Verkauf über Drittplattformen wie Amazon untersagen darf – wenn das der Markenwahrnehmung dient und verhältnismäßig ist. Das Urteil schuf wichtige Klarheit in Bezug auf selektive Vertriebssysteme im digitalen Raum.
Fazit:
Vertikale Vereinbarungen sind nicht grundsätzlich verboten, aber streng reglementiert. Die neue Vertikal-GVO 2022/720 bringt zwar mehr Flexibilität für Unternehmen, setzt aber auch klare Grenzen, vor allem bei Preisbindungen, Gebietsabschottungen und Plattformverboten. Wer heute Vertriebskanäle gestaltet – insbesondere im Online-Handel – sollte vertragliche Regelungen stets kartellrechtskonform gestalten lassen. Ein Rechtsverstoß kann nicht nur zur Unwirksamkeit der Klausel, sondern auch zu empfindlichen Bußgeldern führen.
Rechtsprechung & aktuelle Fälle
Die rechtliche Beurteilung vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen wurde in den letzten Jahren maßgeblich durch höchstrichterliche Urteile und Entscheidungen des Bundeskartellamts geprägt. Besonders im Fokus: Preisbindung, Plattformverbote und Meistbegünstigungsklauseln. Im Folgenden drei wegweisende Fälle, die die kartellrechtliche Praxis bis heute beeinflussen.
Coty-Urteil (EuGH): Luxusgüter und Plattformverbote
Sachverhalt:
Der Kosmetikkonzern Coty hatte seinen autorisierten Händlern untersagt, Luxusparfums über Drittplattformen wie Amazon oder eBay zu vertreiben. Ein Händler klagte, da er sich in seiner Handelsfreiheit beschränkt sah.
Rechtliche Frage:
Sind Plattformverbote in selektiven Vertriebssystemen kartellrechtswidrig?
Entscheidung:
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied mit Urteil vom 6. Dezember 2017 (Rs. C-230/16), dass Plattformverbote zulässig sein können, wenn:
- ein selektives Vertriebssystem objektiv gerechtfertigt ist (z. B. zum Schutz der Luxusmarke),
- die Maßnahme nicht diskriminierend ist,
- und der Marktzugang nicht unangemessen beschränkt wird.
Bedeutung:
Plattformverbote in bestimmten Vertriebssystemen sind nicht per se unzulässig, sondern können – unter klaren Bedingungen – erlaubt sein. Das Urteil schuf erstmals Rechtssicherheit für hochwertige Markenanbieter.
Booking.com & HRS: Meistbegünstigungsklauseln im Online-Vertrieb
Sachverhalt:
Hotelbuchungsportale wie Booking.com und HRS verlangten von Hotels sogenannte Meistbegünstigungsklauseln (MFNs). Die Hotels sollten auf keinem anderen Kanal niedrigere Preise oder bessere Bedingungen anbieten dürfen – auch nicht auf ihrer eigenen Website.
Rechtliche Frage:
Verstoßen solche MFNs gegen das Kartellverbot, weil sie den Preiswettbewerb zwischen Buchungsplattformen ausschalten?
Entscheidungen:
- Das Bundeskartellamt untersagte 2013 und 2015 sowohl HRS als auch Booking.com die Verwendung weiter MFN-Klauseln.
- Das Oberlandesgericht Düsseldorf (Urt. v. 09.01.2015 – VI-Kart 1/14 (V)) bestätigte das Verbot gegen HRS.
- Auch die „enge“ MFN-Klausel von Booking.com wurde später als wettbewerbswidrig eingestuft.
Bedeutung:
Die Rechtsprechung zeigt: Klauseln, die Unternehmen zur Angebotsparität auf allen Kanälen verpflichten, können den Wettbewerb erheblich behindern – und sind daher oft unzulässig. Besonders im digitalen Vertrieb werden solche Regelungen heute kritisch geprüft.
Entscheidungen des Bundeskartellamts
Das Bundeskartellamt (BKartA) spielt bei der Kontrolle vertikaler Wettbewerbsbeschränkungen eine zentrale Rolle – insbesondere in nationalen Fällen. Einige wichtige Beispiele:
Asics (2015): Plattformverbot & Preisvorgaben
- Das BKartA untersagte Asics, Händlern den Vertrieb über Preisvergleichsportale und Drittplattformen zu verbieten.
- Begründung: Solche umfassenden Verbote schränken den Online-Wettbewerb unverhältnismäßig ein.
- Besonders kritisch war die Kombination aus Plattformverbot und restriktiver Preisgestaltung.
Adidas (Fall 2014/2015): Selektiver Vertrieb
- Adidas hatte Online-Plattformen für bestimmte Produkte verboten.
- Nach Kritik durch das BKartA und der öffentlichen Diskussion gab Adidas das Verbot freiwillig auf.
- Fall zeigt die Grenzen selektiver Vertriebsstrategien, auch ohne förmliches Verfahren.
LEGO (2020): Einflussnahme auf Wiederverkaufspreise
- Das BKartA beobachtete, dass LEGO versuchte, auf die Preise von Online-Händlern Einfluss zu nehmen.
- Es wurde kein Bußgeld verhängt, da das Unternehmen kooperierte und Maßnahmen zur Compliance einleitete.
- Fall unterstreicht die Sensibilität von Preisbindungsthemen im E-Commerce.
Fazit
Die kartellrechtliche Kontrolle vertikaler Beschränkungen ist dynamisch und stark praxisbezogen – gerade im Online-Handel. Die Gerichte und Kartellbehörden unterscheiden fein zwischen zulässiger Vertriebssteuerung und unzulässiger Wettbewerbsbehinderung. Wer Preisbindung, Plattformverbot oder exklusive Vertriebsrechte vertraglich gestalten will, sollte unbedingt kartellrechtliche Expertise einholen, um Rechtsverstöße und Bußgelder zu vermeiden.
Schnittstellen und Grauzonen – wenn vertikal auf horizontal trifft
In der Realität verlaufen die Grenzen zwischen horizontalen und vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen nicht immer klar. Moderne Vertriebsmodelle, E-Commerce und branchenübergreifende Kooperationen führen häufig zu Mischformen, bei denen vertikale Elemente horizontale Wirkungen entfalten – oder umgekehrt.
Diese Schnittstellenfälle bergen besonders hohe kartellrechtliche Risiken, weil Unternehmen hier oft unbeabsichtigt in den Anwendungsbereich des strengen horizontalen Kartellrechts geraten. Drei Konstellationen stehen dabei besonders im Fokus:
1. Duale Vertriebssysteme – Konkurrenz auf zwei Kanälen
Viele Hersteller setzen heute auf sogenannte duale Vertriebssysteme:
Sie verkaufen ihre Produkte sowohl direkt an Endkunden (z. B. über einen eigenen Webshop) als auch über unabhängige Händler. Damit befinden sich Hersteller und Händler gleichzeitig in einem vertikalen und horizontalen Verhältnis – nämlich als Vertragspartner und als Wettbewerber auf dem Endkundenmarkt.
Beispiel:
Ein Hersteller vertreibt seine Sportschuhe sowohl über ein eigenes Onlineportal als auch über autorisierte Händler, die dieselben Modelle anbieten.
Kartellrechtliche Gefahr:
Solche Systeme sind grundsätzlich erlaubt, aber besonders sensibel, wenn es um den Informationsaustausch geht. Werden preis- oder mengenrelevante Daten zwischen Hersteller und Händlern ausgetauscht, kann das eine unzulässige horizontale Abstimmung begründen – insbesondere wenn der Hersteller die Händlerinformationen für den eigenen Direktvertrieb nutzt.
Die neue Vertikal-GVO (2022/720) erlaubt duale Vertriebssysteme zwar bis zu einem Marktanteil von 30 %, warnt jedoch vor Missbrauch von Informationsasymmetrien und schreibt eine strenge Trennung von Rollen (Lieferant vs. Wettbewerber) vor.
2. Hub-and-Spoke-Absprachen – das stille horizontale Kartell
Ein besonders heikler Grenzfall ist die sogenannte „Hub-and-Spoke“-Konstellation. Dabei fungiert ein gemeinsamer Lieferant oder Plattformbetreiber (Hub) als Bindeglied zwischen mehreren Händlern (Spokes), die indirekt über den Hub wettbewerbsrelevante Informationen austauschen oder koordinieren.
Beispiel:
Ein Hersteller gibt denselben Mindestpreis an mehrere Händler weiter, die dadurch indirekt über ihre Preisstrategie „abgestimmt“ werden – ohne sich jemals direkt abgesprochen zu haben.
Rechtslage:
Obwohl formal nur vertikale Beziehungen bestehen (Hersteller ↔ Händler), wird der Fall wie ein horizontales Kartell behandelt, wenn:
- Wettbewerbsrelevante Informationen übermittelt werden (z. B. Preisvorgaben),
- die Händler wissen oder billigend in Kauf nehmen, dass andere Händler dieselben Informationen erhalten,
- und die Händler daraufhin ihr Verhalten am Markt anpassen.
Achtung: Solche Absprachen sind besonders schwer zu erkennen, können aber hohe Bußgelder auslösen – da sie wie klassische horizontale Preisabsprachen gewertet werden.
3. Informationsaustausch mit Wettbewerbsbezug
Auch bei vertikal scheinbar unproblematischen Kooperationen ist Vorsicht geboten, wenn strategische Informationen zwischen Hersteller und Händler oder innerhalb eines Händlernetzwerks weitergegeben werden – etwa zu:
- künftigen Preisaktionen,
- Lagerbeständen oder Nachfragedaten,
- geplanten Marketingmaßnahmen.
Beispiel:
Ein Hersteller erhebt von allen Vertriebspartnern wöchentlich Verkaufszahlen und leitet aggregierte Daten an alle Händler zurück – diese erkennen daraus die Preisstrategien der Konkurrenz.
Bewertung:
Ein solcher Informationsaustausch kann – bei fehlender Anonymisierung oder hinreichender Detailtiefe – eine abgestimmte Verhaltensweise begründen (§ 1 GWB / Art. 101 AEUV). Entscheidend ist, ob sich die Händler durch diese Informationen strategisch aufeinander einstellen können.
Die Europäische Kommission und das Bundeskartellamt betonen:
„Auch indirekte Informationsflüsse über Lieferanten oder Plattformen können den Wettbewerb auf horizontaler Ebene beeinträchtigen – und sind daher mit besonderer Vorsicht zu behandeln.“
Fazit:
Gerade an den Schnittstellen zwischen vertikalem und horizontalem Verhalten entstehen besonders kritische Grauzonen. Was zunächst wie eine harmlose Lieferbeziehung aussieht, kann bei genauerer Betrachtung ein kartellrechtlich relevanter Informationsaustausch oder sogar eine abgestimmte Verhaltensweise sein. Unternehmen mit dualen Vertriebssystemen, Plattformmodellen oder Mehrhändler-Netzwerken sollten deshalb frühzeitig Compliance-Strukturen etablieren, klare Grenzen im Umgang mit Daten definieren – und im Zweifel rechtliche Beratung in Anspruch nehmen.
Rechtsfolgen bei Verstößen gegen Wettbewerbsrecht
Wer gegen das Kartellrecht verstößt – sei es durch horizontale Preisabsprachen oder vertikale Preisbindungen – muss mit gravierenden rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen rechnen. Anders als viele vermuten, betreffen diese Konsequenzen nicht nur internationale Großkonzerne, sondern auch mittelständische Unternehmen und sogar Einzelunternehmer. Die nachfolgenden Punkte zeigen, welche konkreten Sanktionen und Risiken bestehen.
1. Nichtigkeit von Verträgen (§ 134 BGB i. V. m. § 1 GWB)
Verstößt eine Vereinbarung gegen das Kartellverbot in § 1 GWB oder Art. 101 AEUV, ist sie zivilrechtlich nichtig – automatisch und ohne gerichtliche Entscheidung.
Rechtsgrundlage:
- § 134 BGB: Verträge, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, sind nichtig.
- § 1 GWB: Kartellrechtswidrige Vereinbarungen sind verboten – mit der Folge ihrer Unwirksamkeit.
Praxisfolge:
- Eine vertragliche Preisbindung, die gegen das Kartellrecht verstößt, ist von Anfang an unwirksam.
- Der Vertragspartner kann daraus keine Rechte ableiten – z. B. keine Schadensersatzansprüche bei „Vertragsbruch“.
Unternehmen sollten daher Vertriebsverträge regelmäßig kartellrechtlich prüfen, da sie sonst Gefahr laufen, sich auf nicht durchsetzbare Regelungen zu verlassen.
2. Bußgelder und Verfahren des Bundeskartellamts
Das Bundeskartellamt und die Europäische Kommission haben weitreichende Befugnisse zur Ermittlung und Sanktionierung von Wettbewerbsverstößen. Bei einem Verstoß drohen empfindliche Bußgelder – teils im dreistelligen Millionenbereich.
Rechtsgrundlage:
- § 81 GWB: Unternehmen können mit einer Geldbuße von bis zu 10 % des weltweiten Jahresumsatzes belegt werden.
- Auch natürliche Personen (z. B. Geschäftsführer) können mit Bußgeldern belangt werden.
Verfahrensablauf:
- Das Bundeskartellamt kann Durchsuchungen durchführen („Dawn Raids“), elektronische Daten sichern, E-Mail-Verkehr analysieren.
- Im Anschluss an das Ermittlungsverfahren erfolgt ein Bußgeldbescheid – gegen den Rechtsmittel möglich sind.
Kooperationsbereitschaft kann zur Bußgeldminderung führen – auch Kronzeugenregelungen (Erstmelder erhält Straffreiheit) sind vorgesehen.
3. Schadensersatzansprüche Dritter (§ 33a GWB – Follow-on-Klagen)
Neben behördlichen Sanktionen drohen auch zivilrechtliche Konsequenzen: Unternehmen, die durch ein Kartell benachteiligt wurden – etwa Abnehmer, Wettbewerber oder Verbraucher – können Schadensersatz fordern.
Rechtsgrundlage:
- § 33a GWB: „Wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Vorschrift des Kartellrechts verstößt, ist zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.“
Praxisfall:
- Ein Bauunternehmen kauft über Jahre hinweg Zement von einem Anbieter, der Teil eines Kartells war → Es kann den Preisaufschlag einklagen, den es zu viel gezahlt hat.
Besonderheiten:
- Die Anspruchsgrundlage wurde mit der 9. GWB-Novelle stark verbraucher- und geschädigtenfreundlich ausgestaltet.
- Bindungswirkung von Behördenentscheidungen: Ist ein Kartellverstoß festgestellt (z. B. durch das Bundeskartellamt oder die EU-Kommission), steht der Verstoß im Zivilprozess bereits fest.
- Verjährung erst nach 5 Jahren ab Kenntnis des Schadens.
Inzwischen haben sich auf Kartellschadensersatz spezialisierte Prozessfinanzierer und Klägerpools (z. B. CDC, Cartel Damage Claims) etabliert – Unternehmen müssen mit massiven Rückforderungen rechnen.
4. Unternehmens- und Reputationsrisiken
Neben den rein juristischen Folgen können Kartellverstöße auch massive wirtschaftliche und kommunikative Folgen haben:
a) Ausschluss von Vergabeverfahren
- Öffentliche Auftraggeber können Unternehmen, die rechtskräftig wegen Kartellrechtsverstößen sanktioniert wurden, von Ausschreibungen ausschließen (§ 124 GWB).
b) Imageverlust und öffentliche Wirkung
- Kartellverfahren sind öffentlichkeitswirksam – sowohl das Bundeskartellamt als auch die EU-Kommission veröffentlichen Namen, Vorwürfe und Bußgelder.
- Unternehmen riskieren Vertrauensverlust bei Kunden, Partnern, Investoren und der Öffentlichkeit.
c) Interne Konsequenzen
- Compliance-Verstöße können zu arbeitsrechtlichen Maßnahmen führen – etwa Kündigungen von Geschäftsführern oder leitenden Angestellten.
- Gesellschafter können Regress nehmen oder Schadensersatz gegen das Management geltend machen (§ 93 AktG, § 43 GmbHG).
Fazit:
Ein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht ist kein Kavaliersdelikt – sondern kann existenzgefährdende Folgen für Unternehmen und Entscheidungsträger haben. Die Kombination aus Vertragsnichtigkeit, Bußgeldandrohung, zivilrechtlicher Haftung und Imageverlust macht deutlich: Kartellrechtskonformität ist Pflicht. Unternehmen sollten nicht erst im Krisenfall reagieren, sondern frühzeitig durch Compliance-Systeme und rechtliche Beratung vorbeugen.
Compliance & Prävention: Wie Unternehmen sich rechtssicher aufstellen
Kartellverstöße geschehen nicht immer mit böser Absicht. Häufig sind sie das Ergebnis von Unkenntnis, Missverständnissen oder „branchenüblichen“ Praktiken, die nie rechtlich hinterfragt wurden. Umso wichtiger ist es, dass Unternehmen eine proaktive Kartellrecht-Compliance etablieren – also Strukturen und Maßnahmen, die helfen, Gesetze einzuhalten, Risiken frühzeitig zu erkennen und Rechtsverstöße zu verhindern.
Bedeutung von Kartellrecht-Compliance
Kartellrecht-Compliance ist mehr als ein rechtliches „Nice-to-have“. Sie ist eine unverzichtbare Säule verantwortungsvoller Unternehmensführung, insbesondere in stark regulierten, wettbewerbsintensiven oder vertriebsorientierten Branchen.
Warum sich präventives Handeln lohnt:
- Vermeidung existenzbedrohender Bußgelder und Schadensersatzklagen
- Schutz der Geschäftsführung vor persönlicher Haftung
- Erhalt der Geschäftspartner- und Behördenvertrauens
- Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen bleibt gewahrt
- Imagegewinn durch gelebte Integrität und Transparenz
Fazit: Wer Compliance lebt, verhindert nicht nur Verstöße, sondern stärkt auch Marktposition, Unternehmenskultur und Außenwirkung.
Praktische Maßnahmen: Schulungen, Hinweisgebersysteme & interne Leitlinien
Effektive Compliance setzt sich aus mehreren Bausteinen zusammen, die aufeinander abgestimmt sein müssen:
1. Schulungen & Sensibilisierung
- Regelmäßige Mitarbeiterschulungen – insbesondere im Vertrieb, Einkauf, Marketing und der Geschäftsführung
- Aufklärung über verbotene Verhaltensweisen, typische Risikobereiche und meldepflichtige Vorfälle
- Fallbeispiele aus der Praxis („Was wäre, wenn...?“)
Tipp: Schulungen sollten praxisnah, verständlich und regelmäßig wiederholt werden – nicht nur als PowerPoint-Vortrag, sondern als lebendiges Dialogformat.
2. Hinweisgebersysteme („Whistleblower-Systeme“)
- Anonyme oder vertrauliche Meldewege für interne und externe Hinweisgeber
- Schutz vor Repressalien für Hinweisgeber
- Klare Zuständigkeiten für die Bearbeitung von Hinweisen
Tipp: Ein Hinweisgebersystem stärkt nicht nur die Compliance – es erfüllt auch die Anforderungen der EU-Whistleblower-Richtlinie, die in vielen Unternehmen verpflichtend umzusetzen ist.
3. Interne Leitlinien und Verhaltensregeln
- Erstellung eines Compliance-Kodex mit konkreten Handlungsanweisungen
- Festlegung, was erlaubt ist – und was nicht (z. B. „Keine Preisabsprachen – auch nicht informell!“)
- Verbindliche Dokumentation und Ablage von Lieferanten- und Vertriebspartnerverträgen
- Einbindung kartellrechtlicher Prüfungen in die Vertrags- und Vertriebsprozesse
Tipp: Die Leitlinien sollten kurz, verständlich und visuell aufbereitet sein – nicht als „dickes Handbuch“, sondern als praktische Alltagshilfe für alle relevanten Abteilungen.
✅ Checkliste: Was ist (noch) zulässig?
Die folgende Kurz-Checkliste hilft Unternehmen, bei geplanten Vereinbarungen schnell eine erste Einschätzung vorzunehmen:
✔️ Frage |
🧭 Bedeutung |
Sind die Vertragspartner Wettbewerber auf derselben Marktstufe? |
→ Dann liegt möglicherweise eine horizontale Vereinbarung vor – hohes Risiko! |
Enthält die Vereinbarung Preisvorgaben für den Weiterverkauf? |
→ Preisbindung der zweiten Hand ist grundsätzlich verboten |
Gibt es eine exklusive Gebietszuweisung? |
→ Zulässig, sofern passiver Verkauf nicht untersagt wird |
Wird ein selektives Vertriebssystem verwendet? |
→ Möglich, wenn objektiv, einheitlich und diskriminierungsfrei |
Werden Informationen über andere Marktteilnehmer ausgetauscht? |
→ Potenzielle horizontale Absprache – große Vorsicht! |
Liegt ein Plattformverbot vor? |
→ Prüfen, ob es markenbezogen, verhältnismäßig und begründet ist |
Wichtig: Diese Checkliste ersetzt keine juristische Prüfung, kann aber helfen, Problembewusstsein zu schaffen – und gefährliche Situationen frühzeitig zu erkennen.
Kartellrechtskonforme Unternehmensführung ist somit kein Zufall, sondern Ergebnis konsequenter Prävention. Wer klare Regeln schafft, Mitarbeitende schult, Risiken erkennt und auf frühzeitige Rechtsberatung setzt, schützt nicht nur sich selbst, sondern auch Mitarbeiter, Geschäftsführung und Marke. In Zeiten zunehmender Digitalisierung, direkter Vertriebskanäle und aggressiver Märkte gilt mehr denn je: Compliance ist Wettbewerbsfaktor.
Fazit: Klare Regeln für fairen Wettbewerb
Das Wettbewerbsrecht ist ein komplexes, aber unverzichtbares Regelwerk, das faire Marktbedingungen sichert – für Unternehmen, Verbraucher und die gesamte Volkswirtschaft. Wer die Grundprinzipien kennt und Risiken frühzeitig erkennt, kann sich rechtssicher im Markt bewegen und unnötige Gefahren vermeiden.
Unterschiede auf einen Blick: Horizontal vs. Vertikal
Kriterium |
Horizontale Beschränkungen |
Vertikale Beschränkungen |
Beziehung |
Zwischen Wettbewerbern auf derselben Marktstufe |
Zwischen Hersteller, Groß- und Einzelhandel |
Typische Beispiele |
Preisabsprachen, Marktaufteilung, Mengenkoordination |
Preisbindung, Gebietsschutz, Plattformverbot |
Rechtliche Bewertung |
In der Regel per se verboten |
Differenzierte Prüfung nach Vertikal-GVO |
Rechtsfolge |
Meist sofortige Nichtigkeit + Bußgeld |
Mögliche Freistellung, wenn Bedingungen erfüllt |
Risikopotenzial |
Sehr hoch (auch strafbar in manchen Ländern) |
Mittelhoch, aber häufig übersehene Risiken |
Bedeutung für die Praxis
In der täglichen Unternehmenspraxis ist die Abgrenzung und Einhaltung kartellrechtlicher Grenzen nicht immer einfach. Gerade bei:
- Kooperationen zwischen Wettbewerbern,
- internationalen Vertriebssystemen,
- dualem Vertrieb (Direktverkauf + Handelspartner),
- oder Einsatz digitaler Plattformen,
ist ein rechtssicherer Rahmen unverzichtbar, um spätere Konflikte, Ermittlungen oder Bußgelder zu vermeiden.
Ein einziger kartellrechtswidriger Absatz in einem Vertriebsvertrag kann genügen, um eine gesamte Vereinbarung nichtig zu machen – mit gravierenden Folgen für Lieferketten, Umsatz und Reputation.
Rechtssicherheit durch anwaltliche Begleitung
Kartellrechtliche Bewertung ist kein juristisches Bauchgefühl, sondern eine hochspezialisierte Prüfung. Unternehmen sollten ihre Vertriebs-, Kooperations- und Einkaufsstrategien daher frühzeitig durch eine kompetente rechtliche Beratung begleiten lassen.
Unsere Kanzlei unterstützt Sie bei:
- der Gestaltung rechtssicherer Vertriebsverträge,
- der Prüfung bestehender Vertriebsstrukturen,
- der Einführung wirksamer Compliance-Systeme,
- der Verteidigung in Kartellverfahren,
- sowie bei der Durchsetzung oder Abwehr von Schadensersatzansprüchen.
Unser Ziel: Sie sollen sich voll auf Ihr Geschäft konzentrieren können – und dabei sicher sein, dass Ihre Vertriebs- und Preisstrategien den rechtlichen Rahmen einhalten.
Kartellrecht ist kein Minenfeld – wenn man die Regeln kennt und anwendet. In einem zunehmend regulierten und digitalen Marktumfeld wird die rechtssichere Ausgestaltung von Wettbewerb und Vertrieb zur strategischen Notwendigkeit. Lassen Sie sich dabei professionell begleiten – für mehr Sicherheit, mehr Klarheit und nachhaltigen Erfolg.
Anhang
FAQ: „Darf ich das?“ – Typische Fragen aus der Praxis
💬 Darf ich meinem Händler einen Mindestverkaufspreis vorgeben?
⛔ Nein, das ist in der Regel unzulässig. Eine sogenannte Preisbindung der zweiten Hand (Resale Price Maintenance, RPM) stellt eine Hardcore-Beschränkung dar und ist kartellrechtswidrig – unabhängig davon, ob der Preis schriftlich oder nur mündlich vereinbart wurde.
💬 Darf ich bestimmten Händlern den Verkauf über Amazon oder eBay verbieten?
✅ Unter Umständen ja. Plattformverbote sind zulässig, wenn sie markenbezogen, sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig sind (vgl. Coty-Urteil des EuGH). Pauschale Verbote sind jedoch problematisch.
💬 Darf ich exklusiv mit einem Händler in einem bestimmten Gebiet zusammenarbeiten?
✅ Ja, mit Einschränkungen. Eine aktive Gebietsbindung (z. B. keine Direktwerbung in anderen Regionen) ist meist erlaubt. Passive Verkäufe (z. B. Bestellungen über das Internet) dürfen allerdings nicht ausgeschlossen werden.
💬 Dürfen Wettbewerber sich über Marktpreise austauschen – ohne konkrete Absprache?
⛔ Vorsicht! Schon der Informationsaustausch über künftige Preise oder Mengen kann eine abgestimmte Verhaltensweise darstellen und somit verboten sein – auch ohne ausdrückliche Vereinbarung.
💬 Kann mein Unternehmen für das Verhalten eines einzelnen Mitarbeiters haftbar gemacht werden?
✅ Ja. Kartellrechtlich ist das Unternehmen als Ganzes verantwortlich. Auch „Einzeltäter“ im Vertrieb oder Einkauf können hohe Risiken für das gesamte Unternehmen auslösen – Schulungen und Kontrolle sind entscheidend.
💬 Gibt es Ausnahmen für kleinere Unternehmen oder lokale Märkte?
🔄 Teilweise. Vereinbarungen zwischen Unternehmen mit geringem Marktanteil (unter 10 %) können unter die De-minimis-Bagatellgrenze fallen. Dies gilt nicht für harte Beschränkungen wie Preisabsprachen oder Marktaufteilungen.
Glossar wichtiger Begriffe
🟦 RPM – Resale Price Maintenance
= Preisbindung der zweiten Hand. Der Hersteller schreibt dem Händler vor, zu welchem Preis dieser verkaufen darf. In der Regel verboten.
🟦 Hardcore-Beschränkung
= Besonders schwere Wettbewerbsverstöße (z. B. Preisabsprachen, Gebietsabschottung), die nicht freistellungsfähig sind und immer verboten sind.
🟦 Vertikal-GVO
= Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (VO (EU) 2022/720). Sie regelt, unter welchen Voraussetzungen Vertriebsverträge zwischen unterschiedlichen Marktstufen zulässig sind.
🟦 Horizontale Wettbewerbsbeschränkung
= Vereinbarung zwischen direkten Wettbewerbern auf derselben Marktstufe (z. B. Preisabsprachen zwischen zwei Händlern).
🟦 Vertikale Wettbewerbsbeschränkung
= Vereinbarung zwischen Unternehmen auf verschiedenen Marktstufen (z. B. Hersteller ↔ Händler), z. B. über Preise, Gebiete oder Vertriebskanäle.
🟦 De-minimis-Grenze
= Wettbewerbsbeschränkungen kleiner Unternehmen können unter bestimmten Marktanteilsgrenzen (10 % bei horizontalen, 15 % bei vertikalen Vereinbarungen) ausnahmsweise zulässig sein – nicht bei Hardcore-Verstößen.
🟦 Hub-and-Spoke-Abrede
= Eine indirekte Abstimmung zwischen Wettbewerbern über einen gemeinsamen Lieferanten (z. B. Hersteller → Händler A und B erhalten identische Preisvorgaben).
🟦 Dualer Vertrieb
= Der Hersteller verkauft sowohl direkt an Endkunden als auch über unabhängige Händler. Daraus entsteht eine Mischform zwischen horizontalem und vertikalem Verhältnis.
🟦 MFN-Klausel – Most Favoured Nation
= Meistbegünstigungsklausel. Der Lieferant verpflichtet sich, einem Geschäftspartner immer die besten Konditionen einzuräumen – kritisch im Onlinehandel (z. B. Booking.com).
🟦 Kronzeugenregelung
= Wer als erster Beteiligter ein Kartell bei der Behörde meldet und umfassend kooperiert, kann vollständig von Geldbußen befreit werden (§ 81h GWB).
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